Dr. Tobias Schütte ist Kieferorthopäde und Sportzahnarzt im ostwestfälischen Paderborn. Als leidenschaftlicher Trompeter fühlt er sich allerdings auch der Musik verbunden – und deshalb weiß er, dass die Zähne für einen Blasmusiker eine große Rolle spielen.
Alle, die ein Blasinstrument spielen, wissen, wie wichtig ein gut trainierter Ansatz ist. Nur eine perfekte Symbiose im Zusammenspiel von Lippen, Zähnen, Zunge und Atmung führt schließlich zu einem schönen Klang. In diesem Zusammenspiel kommt den Lippen und den Zähnen eine entscheidende Bedeutung zu. Schon kleinste Veränderungen im Bereich der Frontzähne können erheblichen Einfluss auf den Ansatz haben und so das Musizieren nachhaltig beeinflussen. Große Veränderungen, wie ein unfallbedingter Verlust eines Schneidezahns oder ein Zahnverlust aus anderweitigen Gründen, greifen demzufolge massiv in die weitere Ausübung des Musizierens ein.
Herr Dr. Schütte, über seine Zähne macht sich ein Musiker zu wenig Gedanken. Würden Sie diese Behauptung bejahen und warum kann das fatal sein?
Grundsätzlich machen wir uns selten Gedanken, wenn Automatismen und Abläufe gut funktionieren. Dies betrifft jeden Menschen, aber es betrifft die Blasmusiker in Bezug auf die Zähne natürlich im Besonderen. Alles funktioniert reibungslos, man kann musizieren und seinem Beruf oder seinem Hobby in gewünschter Form nachgehen. So ist es wünschenswert. Fatale Folgen kann es haben, wenn Ereignisse oder Veränderungen dazu führen, dass wir unser Instrument nicht mehr so spielen können wie es gewünscht oder gefordert wird. Dann begeben wir uns zusammen mit unserem Zahnarzt auf die Suche nach Ursachen und Lösungen. Verständlicherweise haben aber nicht alle Zahnärzte genaue Kenntnisse über die Symbiose von Lippen, Zähnen, Zunge und Atmung die, vereinfacht gesagt, zu einem schönen Klang beim Spielen führt.
Hat Zahngesundheit für Profis einen anderen Stellenwert als für Amateure?
In der Sache an sich gibt es auf den ersten Blick keine Unterschiede zwischen Profis und Amateuren. Die Konsequenzen, beispielweise eines Zahnverlustes, können gravierend sein und führen unweigerlich zu Problemen beim Musizieren. Der Unterschied besteht jedoch darin, dass Amateure mit der Musik nicht ihren Lebensunterhalt bestreiten müssen. Die Hobby- oder Laienmusiker, die in einer „Blasmusik“ musizieren, können solch eine Veränderung gegebenenfalls noch verschmerzen und wechseln innerhalb des Registers auf eine „leichtere“ Stimme. Für die Profimusiker hingegen kann das weitreichende Konsequenzen bis hin zur Berufsunfähigkeit nach sich ziehen. Nicht von ungefähr stufen Versicherer die Musiker daher in die höchste BU-Risikogruppe 6 ein.
Kann bzw. sollte man im Hinblick auf seine Zähne auch prophylaktisch agieren? Was raten Sie? Manche Probleme sind vermutlich altersbedingt auch nicht aufzuhalten, oder?
Grundsätzlich ist es natürlich immer zu empfehlen, prophylaktisch zu agieren, was die Zähne betrifft, das heißt also wirklich mindestens einmal im Jahr zum Zahnarzt zu gehen. Diese Regelmäßigkeit ist Grundvoraussetzung für eine lebenslange Zahngesundheit und kann im Rahmen eines Früherkennungskonzepts beginnende Erkrankungen schon frühzeitig vermeiden. Aber bei aller Voraussicht und Prophylaxe sind natürlich auch die Zähne und die Kiefer bestimmten Alterungsprozessen unterworfen.
Die gute Nachricht aber vorweg: Diese Veränderungen sind in der Regel nicht so stark, als dass sie erheblichen Einfluss auf das Musizieren haben. Auch im höheren Alter kann man, anders als im Hochleistungssport, nach wie vor musikalische Leistungen auf allerhöchstem Level abrufen, wobei ich persönlich in gewisser Weise auch die Profimusiker zu Hochleistungsathleten zähle. Anders als vergleichbare Musikprofis könnte ein Lothar Matthäus mit knapp 60 Jahren wohl nicht mehr auf Bundesliga-Niveau Fußball spielen.
Warum ist es in diesem Zusammenhang auch wichtig, ein gutes Modell seiner Zähne für eine Krone oder Ähnliches zu haben?
Ein Modell, die sogenannte Vorlage, ist wichtig, um die Zahnform und Zahnstellung im Falle eines Falles rekonstruieren zu können. Beispiel: Ein Fahrradunfall im Anschluss an den Besuch der Düsseldorfer Altstadt führt zu einem Zahnverlust. Ein denkbares Szenario, welches sich niemand wünscht, das aber durchaus so oder so ähnlich eintreten könnte. Hat man dann eine Vorlage der ursprünglichen Zahnstellung, lässt sich der Ausgangszustand durch die Zahnärzte deutlich einfacher rekonstruieren. Leider hat man jedoch nicht immer ein aktuelles Modell der Zähne, wobei in diesen Fällen die klassischen Gipsmodelle nur noch eine untergeordnete Rolle spielen. In der modernen Zahnmedizin erstellt man diese Vorlagen digital in Form eines Scans.
Und an dieser Stelle kommen wir dann wieder zurück zu den Profis und Amateuren. Für die Amateure ist es schön, wenn man einen digitalen Scan der Kiefer hat, für die Profis lässt sich aber sagen: „Haben ist besser als brauchen.“
Welches Verfahren wenden Sie da an und worin liegen die Vorteile?
Wir empfehlen zur Erfassung des „Status quo“ die digitalen Scans der Kiefer und der Zähne. Mit diesem System arbeiten wir auch bei unseren Musikern. Der große Vorteil liegt darin, dass wir im digitalen Workflow mit dem Scan und einer Software, die die geschulten Zahntechniker nutzen, eine perfekte Kopie von Form, Funktion und Ästhetik des ursprünglichen Zahnes erstellen können. Frei nach dem Motto: Passt nicht, war gestern. Wird als Vorlage lediglich ein Gipsmodell genutzt, können leichte Abweichungen bei der neuen Krone nicht sicher ausgeschlossen werden. Und diese leichten Abweichungen können schon über Intonation, Anspielverhalten oder Tonumfang entscheiden.

Sie sind Kieferorthopäde und Sportzahnarzt. Welche Verbindung haben Sie zur Musik?
Musik begleitet mich mein oder auch „ein Leben lang“. Als Kind hatte ich das Glück und Privileg, eine klassische Musikausbildung genießen zu dürfen. Klassischer Klavier- und Trompetenunterricht vom Kindes- bis ins Erwachsenenalter mit allen Höhen und Tiefen gehörte dazu. Musikalische Aktivitäten in hiesigen Musikvereinen, diversen Bigbands und der Bundeswehrzeit beim Heeresmusikkorps 100 in Münster rundeten das Bild ab. In Münster stand ich dann vor der Wahl: Aufnahmeprüfung an der Musikhochschule in Detmold oder Studium der Zahnmedizin. Ich entschied mich damals schweren Herzens für die Zahnmedizin. Aber auch während und nach dem Studium habe ich die Verbindung zur Musik nie verloren. Ich musiziere weiterhin in verschiedenen Orchestern, habe vor einigen Jahren den Dirigentenschein gemacht und spiele mittlerweile auch Posaune.
Mein ehemaliger Klavierlehrer hat vor kurzem mal gesagt: „Musik ist was fürs Herz, ohne Musik kann ich nicht leben!“ Das geht mir ebenso.
Sie haben das Musiker-Thema aber nicht nur im Bereich der Rekonstruktion auf der Agenda, sondern hatten das auch schon vorher. Was hat es mit der Musikerschutzschiene auf sich?
Die Musikerschutzschiene entwickelten wir vor ein paar Jahren, um jungen, ambitionierten Musikern auch während einer Zahnspangentherapie das Musizieren weiterhin zu ermöglichen. Initialzündung war eine junge Klarinettenspielerin, die nach Einbau der festen Zahnspange durch ihren Zahnarzt das Klarinette spielen aufgeben sollte.
Viele jüngere Leser werden sich an die Probleme mit der festen Zahnspange erinnern. Gerade bei kleineren Mundstücken wie Horn oder Trompete kommt es an der Oberlippe, bei Holzblasinstrumenten an der Unterlippe zu unangenehmen Druckstellen während des Spielens. Die Musikerschutzschiene kann hier erfreulicherweise einen sinnvollen Beitrag leisten und die ambitionierten jungen Musiker darin unterstützen, ihr Instrument weiterhin zu spielen.

Tobias Schütte
wurde 1974 in Paderborn geboren und erhielt ab dem sechsten Lebensjahr Klavier- und Trompetenunterrichtet. Während seiner Schulausbildung musizierte er in verschiedenen Orchestern, Bands und Ensembles. Die traditionelle Blasmusik in all ihren Facetten und der Jazz wurden schließlich zu seiner Leidenschaft.
Nach dem Abitur leistete Tobias Schütte als Trompeter seinen Grundwehrdienst beim Heeresmusikkorps 100 in Münster. Auch während des Studiums der Zahnmedizin und der anschließenden Weiterbildung zum Kieferorthopäden widmete sich Tobias Schütte intensiv seinem Hobby, der Musik.
Musikalisch absolvierte er unlängst die Ausbildung bei der Deutschen Dirigenten-Akademie und erweiterte seinen musikalischen Horizont um die Posaune. Tobias Schütte ist verheiratet und Vater von zwei Kindern.