Orchestra | Von Alexandra Link

Douglas Bostock und der Dirigierunterricht

Dirigent Douglas Bostock
Douglas Bostock (Foto: Hiro Miyashita)

Zu Douglas Bostocks Selbstverständnis als Dirigent gehört, dass der Musik zu dienen ist. Es geht ihm beim Dirigieren um Hin­gabe: „Man muss sich beim Dirigieren mit offenen Ohren und ganzem Einsatz der Sache hin­geben. Wenn man als Dirigent vor dem ­Orchester steht, wird alles andere ganz unwichtig“, sagt er. Und das macht auch deutlich, dass Douglas Bostock die Sinfonie- und Blasorchester nicht in zwei Welten einteilt: Es geht immer nur um die Musik!

Die Liste der Orchester, die Douglas ­Bostock bisher dirigiert hat, ist lang. Seit 2019 ist er künstlerischer Leiter und Chefdirigent des Südwestdeutschen Kammer­orchesters Pforzheim. Von 2001 bis 2019 war er Chefdirigent des Sinfonieorchesters argovia philharmonic in der Schweiz.

In seiner Biografie ist zu lesen: Wei­tere Stationen seiner Laufbahn sind die Karls­bader Symphoniker (1991 bis 1998), die Tschechische Kammerphilharmonie (1993 bis 2011). Auch die Münchner Symphoniker (2002 bis 2008), das Tokyo Kosei Wind Orchestra (2001 bis 2010) und die Schlossoper Hallwyl (2003 bis 2018) dirigierte er. Er gastierte bei den BBC-Orchestern, dem Royal Philharmonic, dem Royal Liverpool Philharmonic, dem Scottish National Orchester und dem London Philharmonic.

Weiter zählen die Orchester in Jena, Erfurt, Halle, Aarhus, Aalborg, Odense, Brno, Bratis­lava, die Norddeutsche Philharmonie und viele weitere europäische Sinfonieorchester mehr zu seinen Gastdirigaten. Er dirigierte und dirigiert Orchester in den USA, Kanada und ­Mexiko sowie eine große Anzahl in Japan. Im Februar dieses Jahres lag die musikalische Leitung einer Opernproduktion am National-Theater in Tokio mit „Figaros Hochzeit“ in seinen Händen. 

Sinfonie- und Blasorchester

In dieser langen Aufzählung der Orchester, die bei weitem nicht komplett ist, fallen zwei Dinge auf: Er hat schon nahezu auf der ganzen Welt diri­giert. Mit dem Tokyo Kosei Wind Or­chestra (TKWO) reiht sich außerdem wie selbstverständlich auch ein professionelles sinfonisches Blas­orchester in diese Aufzählung ein. Und das TKWO ist bei weitem nicht das einzige sinfonische Blasorchester, das er leitet bzw. geleitet hat.

Er war in seiner Zeit als Städtischer Musikdirektor von Konstanz unter anderem Dirigent des Sinfonischen Jugendblasorchesters. Seit fast 25 Jahren ist er Dirigent des Sinfonischen Blasorchesters Ulm (kurz SBU). Er dirigiert immer wieder Blasorchester – vorwiegend professionelle oder an Musikuniversitäten – in vielen Ländern Europas und Asiens. Douglas Bostock ist in beiden musikalischen Welten zu Hause: in der Welt der Sinfonie- und der der Blasorchester.

Erfahrung weitergeben

Seit mehr als zehn Jahren gibt Douglas Bostock sein umfangreiches Wissen und seine lang­jährige Erfahrung als Dirigent in jährlichen Meisterkursen an der BDB-Musikakademie in Staufen weiter. Kursorchester von Anfang an: das Sinfonische Verbandsblasorchester Markgräflerland. Etwa zeitgleich begann er mit jährlichen Meisterkursen am Künstlerhaus Boswil (Schweiz) in Zusammenarbeit mit argovia philharmonic.

Er hat auch davor schon Dirigier- und Meister­kurse gegeben. Die Meister­kurse Staufen und am Künstlerhaus Boswil waren aber der Ausgangspunkt für viele weitere, teilweise jährlich stattfindende Meisterkurse, die danach in vielen verschiedenen Ländern von Studenten, Verbänden, bei Festivals, von der WASBE und sonstigen Organisationen initiiert wurden: beispielsweise in Deutschland und der Schweiz (unter anderem beim Jungfrau Musik Festival), in Italien, Spanien, Portugal, Slowenien, Singapur, Thailand, Hongkong und Japan.

In Japan ist er außerdem ständiger Gastprofessor an der Tokio National University of Arts und am Senzoku ­Gakuen College of Music. Die unterschied­lichsten Orchester stehen ihm bei diesen Meister­kursen zur Verfügung: Sinfonie- bzw. Kammer­orchester, sinfonische Blasorchester oder Bläserensembles (beispielsweise zusammengestellt aus Profi-Musikern oder Studenten von Musikhochschulen). Auch mit seinem neuen Orchester, dem Südwestdeutschen Kammer­orches­ter Pforzheim, ist eine neue Reihe mit Meisterkursen angedacht. 

Studenten aus aller Welt

Seine Studenten kommen aus aller Welt. Nicht nur aus dem deutsch- und englischsprachigen Europa, sondern auch aus Italien, Spanien, Portugal, Singapur, Hongkong, Japan und zahlreichen weiteren Ländern. Viele von ihnen nehmen lange Reisewege auf sich, um immer wieder bei Douglas Bostock Unterricht zu nehmen. Kurssprache ist in den meisten Fällen Englisch. 

In jedem Kurs gibt es neben der aktiven Arbeit mit einem Orchester auch immer sogenannte „class meetings“. Es geht ihm nicht nur darum, das reine Wissen und Können zu vermitteln, sondern auch ein enges Netzwerk mit und zwischen den Studenten zu knüpfen. Dazu Douglas Bostock: „Die Studenten kommen als Individuen und ich versuche, eine Klasse zu bilden, die zusammenhält, miteinander arbeitet, in der man aufeinander aufpasst und voneinander lernt.“

In diesen Klassenzusammenkünften werden beispielsweise Aspekte des Dirigierens besprochen und diskutiert, die vor dem Orchester nicht kommuniziert werden. Dabei werden Partituren analysiert und die Zeit, die jeder Student vor dem Orchester hat, vorbereitet. Douglas Bostock sieht sich bei den Meisterkursen nicht nur in der Rolle des Lehrers und Professors, sondern auch als eine Art Vater oder Freund. Er möchte, dass die Studenten in der kurzen Zeit des Meis­terkurses so viel wie möglich von ihm haben und versucht immer, eine freundschaftliche Ar­beits­atmosphäre zu schaffen. 

Von den Studenten verlangt Douglas Bostock, dass sie eine große Ernsthaftigkeit mitbringen, lernen wollen und sehr gut vorbereitet in den Kurs kommen. Ein inten­sives Studium der Partituren setzt er stets voraus. Meist sind es junge Profi-Dirigenten, die bereits einen Bachelor oder Master in Dirigieren haben. Aber auch Dirigierstudenten und fortgeschrittene Amateure mit langjähriger Erfahrung kommen in seine Kurse. Egal, mit welcher Ausbildung, Vorbildung und Erfahrung, er versucht immer die Dirigenten im Unterricht da ab­zu­holen, wo sie gerade ­stehen. 

Körperhaltung ist das Wichtigste

An erster Stelle steht für ihn als Lehrer immer zuerst die Körperhaltung des jeweiligen Dirigenten: „Ich nenne das ‚Natural Conducting‘. Der Körper eines Musikers ist der Zugang zu seinem Instrument. Ich vergleiche das oft mit einem Wasserrohr. Das Rohr muss frei sein, damit das Wasser fließen kann. Ebenso ist es mit dem Körper. Die Haltung muss so gut sein, dass die ­Musik fließen kann.“

Eine grundsätzlich gute Körperhaltung ist wichtig, damit die nonverbale Kommunikation mit dem Orchester gelingen kann. Zweiter wichtiger Aspekt in diesem Zusammenhang: die Dirigiertechnik.

Der Körper eines Musikers ist der Zugang zu seinem Instrument.

Douglas Bostock

Zunächst geht es dabei um die richtige Haltung des Taktstocks, das „Fenster“, das für die Dirigier­bewegungen unmittelbar vor dem Dirigenten zur Verfügung steht und die Deutlichkeit des Dirigier- oder Schlagbildes. Körperhaltung, sämt­liche Gesten von Händen, Armen, Kopf, Gesicht, Augen und Körper und die Schlagtechnik an sich verlangen nach einem Zusammenklang.

Die Kombination aus diesen Dingen zeigt dem Orchester, was der Dirigent will. „Dirigieren hat ­immer etwas mit Zukunft zu tun“, so Douglas Bostock – man zeichnet den weiteren Weg (der Musik). Dabei ist die Architektur des Werks natür­lich ein wichtiger Aspekt ebenso wie die Klangvorstellung, die jeder Dirigent schon vorab im Kopf haben muss. 

Den Klang beeinflussen

Das intensive Studieren der Partitur, die Ermittlung der Intention des Komponisten und das Entwickeln der eigenen Klangvorstellung, bevor ein Dirigent vor das Orchester tritt, ist zunächst das A und O.

Ein guter Dirigent achtet dann beim Dirigieren nicht nur darauf, was jetzt gerade passiert, sondern darauf, was jetzt gleich passieren muss. Dafür ist die Dirigiertechnik in direktem Zusammenhang mit der Körperhaltung wichtig. Ein Dirigent kann damit direkt den Klang des Orchesters beeinflussen und die Klangfarbe des Orchesters total verändern.

Die ganze Person des Dirigenten hat also Einfluss auf die ­Musik. In positiver wie negativer Hinsicht. Ein Werk, gespielt vom gleichen Orchester, kann je nachdem, welcher Dirigent davorsteht, in ganz unter­schiedlicher Weise klingen. Hebt zum Beispiel ein Dirigent die Schulter oder die Ellbogen sehr hoch, kann das Orchester sehr gedrückt und verkrampft klingen. Kommt der nächste und dirigiert etwas luftiger – im gleichen Tempo – klingt es plötzlich ganz anders. Das Orchester ist ein sehr sensibles Gebilde. Es reagiert – in der Regel – sehr schnell auf Be­wegungen und Gesten des Dirigenten. Dabei läuft vieles ganz unbewusst ab. 

Jonas Danuser

Der Dirigent Jonas Danuser aus der Schweiz hat schon Meisterkurse bei Douglas Bostock in Deutschland (BDB-Musikakademie und LMV Rheinland-Pfalz), Japan (Tokyo), Italien (Corciano), Portugal (Mira und Porto) und in der Schweiz (Boswil und Interlaken) besucht. Den ersten Kurs hat er zu Beginn seiner Masterstudienzeit gemacht. Er wollte sich neben dem regulären Studium noch zusätzliche „Einflüsse“ und Inputs holen. Im Laufe der Zeit konnte er somit aus ­vielen verschiedenen Einflüssen seine eigene „Dirigierpersönlichkeit“ formen. 

Jonas Danuser erklärt, dass es für einen jungen Dirigenten nichts Besseres gibt, als Kolleginnen und Kollegen zuzuschauen und im Nachhinein in den Klassenzusammenkünften darüber zu diskutieren. Durch Beobachtung, so ist er überzeugt, hat er extrem viel gelernt: „Ich habe Dinge beobachtet und wollte diese danach gleich selbst ausprobieren und sehen, ob das bei mir auch funktioniert.“

Die Meisterkurse stellen für ihn auch immer eine Art geschützten Raum dar, in dem man Dinge ausprobieren kann und soll. „Andererseits wird einem aber bei solchen Kursen auch bewusst, wie viele schlechte Angewohnheiten man selbst hat. Im alltäglichen Probenbetrieb sagt dir niemand, dass du zum Beispiel die Beine viel zu oft bewegst oder dass vielleicht der vierte Schlag in deinem 4er-Schlagbild zu kurz ist. In Meisterkursen werden dir solche Sachen immer wieder bewusst gemacht. Im Idealfall geht man dann nach Hause und versucht an den Erkenntnissen zu arbeiten, sodass man sich ständig verbessert.“

Jonas Danuser genießt den Unterricht bei Dou­glas Bostock sehr: „Er weiß genau, wann er dich unterbrechen muss, um dir etwas zu zeigen. Er gibt die Freiheit, Dinge auszuprobieren, sagt dir aber auch deutlich, wann und warum etwas nicht funktioniert. Zudem thematisiert er nicht zu viele Dinge auf einmal, was einem ermöglicht ’step by step‘ beachtliche Fortschritte zu machen.“

Johanna Heltschel

Johanna Heltschel aus Österreich hat erst drei Meisterkurse bei Douglas Bostock besucht: beim LMV Rheinland-Pfalz, in Portugal (Porto) und vergangenen Januar in Staufen an der BDB-Musikakademie. Mit jedem Meisterkurs konnte sie einen noch tieferen und detaillierteren Einblick in die professionelle Arbeit eines Dirigenten erhalten. Sie erhielt zahlreiche praktische Tipps zum Erarbeiten und Vorbereiten der jeweiligen Werke und deren Inhalt.

Da Douglas Bostock in den Meisterkursen die Zusammenarbeit und Verbundenheit der Kursteilnehmer als Klasse fördert, hatte sie auch die Möglichkeit, ihr Netzwerk zu erweitern. Johanna Heltschel beschreibt die Art des Unterrichtens von Douglas Bostock kurz: „Mit charmantem Humor immer genau auf den Punkt gebracht!“ 

Zwei wichtige Erkenntnisse aus den Meisterkursen haben Johanna Heltschel in ihrer Entwicklung als Dirigentin am meisten geholfen: „Eine ausgezeichnete Vorbereitung des Dirigenten ist Grundvoraussetzung für gute Probenarbeit. Dirigieren ist, Musik mit den Händen zum Ausdruck bringen zu können und nicht einfach nur den Takt zu schlagen.“

Markus Hein

Der deutsche Dirigent Markus Hein, der bereits mehr als zehn Meisterkurse bei Douglas Bostock besucht hat, beschreibt den Unterricht: „Die Kollegialität unter den Teilnehmerinnen und Teil­nehmern steht für ihn immer an oberster Stelle. Es gibt stets sehr viele ‚Klassentreffen‘ im Verlauf der Kurse, in denen er das betont und lebt. Alle sind per Du und auf Augenhöhe. Das schafft in den Kursen eine besondere Atmosphäre. Der Unterricht selbst ist intensiv, aber nicht angespannt, fokussiert und in konzentrierter Atmosphäre.

Er versteht es, mit einer guten Mischung aus Ernsthaftigkeit, Lockerheit, Charme und einer Prise britischen Humors den Kursen und Unterrichtseinheiten einen sehr angenehmen Verlauf zu verschaffen. Es geht zum Großteil um den Körper: von Haltung bis Dirigiertechnik, da­rüber hinaus auch natürlich um konkrete musikalische Fragen. Aber die Reihenfolge ist: Zuerst muss klar sein und verständlich rüberkommen, was man als Dirigent zeigen will, bevor man beispielsweise darüber reden kann, was stilistisch angebracht ist.“

Durch die angenehme Situation und Atmo­sphäre, die Douglas Bostock in den Meister­kursen stets zu kreieren schafft, hat Markus Hein das Dirigieren vor Orchester und Kursteilnehmern nie als Stress-Situation, sondern immer als wunderbare Lernumgebung und tollen Kontakt mit viel wundervoller Musik empfunden. Dazu Markus Hein: „Douglas formuliert seine Anregungen und Kritik sehr geschickt und vermeidet einen Fokus auf das Negative. Stattdessen gibt er viele Hinweise und Vorschläge zum Ausprobieren, beispielsweise verschiedener technischer Optionen. So schafft er es, dass man sich vor dem Orchester nie ‚dumm‘ vorkommt.“

Diese Art der Kursführung und des Umgangs mit dem Orchester und den Teilnehmern überträgt sich stets auch auf die Orchestermusiker, die in der Konsequenz stets sehr offen, neugierig und gewillt sind, mit den Lernenden zu musizieren und auf die Studenten und ihr Dirigat einzugehen. 

Auch Markus Hein haben die Meisterkurse bei Douglas Bostock viel für seine Persönlichkeit als Dirigent gebracht: „Man lernt immer neues Repertoire kennen oder kann bekanntes Repertoire vertiefen. Ich habe sehr viel über den Umgang mit meinem Körper gelernt, sprich: von grund­legender Körperhaltung bis hin zu organischen Bewegungen, die beim Dirigieren das zeigen, was man ausdrücken will.“

„Als ich selbst schon etwas besser war, war es für mich zudem spannend – als ebenfalls Lehrender – zu sehen, wie er in den Kursen unterrichtet, also auf welche Punkte er eingeht, welche didaktischen Schritte er wählt, wie er Situationen auflockert und gute Atmosphären schafft.“

Wenn das Dirigieren zum Unterrichten wird

Ein guter Dirigent, so ist Douglas Bostock überzeugt, kann ein Orchester sehr weit bringen. Aber natürlich kommt es immer auch darauf an, welche Musikerinnen und Musiker vor ihm sitzen. Sind diese nicht sehr weit fortgeschritten, wird das Dirigieren in weiten Zügen zum Unterrichten. Bei guten Orchestern fällt dies größtenteils weg und der Dirigent kann auf einer ganz anderen Ebene ansetzen. Ein guter Dirigent wird die Musiker immer in die Verantwortung nehmen.

Er wird ihnen beim Spielen Spielraum geben. Andererseits wird er vom Orchester auch Eigenverantwortung verlangen. Beispielsweise, dass die Musiker vorbereitet in die Proben kommen und sich in Satzproben entsprechend abstimmen. Die Vereinsverantwortlichen sieht Douglas Bostock dahingehend in der Pflicht, dafür zu sorgen, dass sowohl Musiker als auch Dirigent unter optimalen Bedingungen miteinander arbeiten und musizieren können. 

Anfang August unterrichtet Dou­glas Bostock bei der Sherborne Summer School in England. Ende August, im September und Oktober stehen Kurse in Portugal bevor. Und am 16. und 17. November findet seine alljährliche Masterclass in Tokio statt. Mehr Infos hier.