Brass, Orchestra, Wood | Von Patrick Hinsberger

Eckart Altenmüller, wie geht wissenschaftlich korrektes Üben?

Dr. med. Eckart Altenmüller (Foto: Sebastian Neumann)

Eckart Altenmüller gehört zu den profiliertesten Forschern auf dem Themengebiet des musikalischen Übens. Der promovierte Neurologe leitet das Institut für Musikphysiologie und Musikermedizin an der Hochschule in Hannover. Darüber hinaus ist er weiterhin als Musiker aktiv.

Sie haben einen sehr besonderen Werdegang: Sie haben zunächst Medizin und anschließend Querflöte studiert – parallel dazu in der Medizin promoviert und den Facharzt in Neurologie angeschlossen. Wenn ich richtig recherchiert habe, sind Sie auch weiterhin als Musiker aktiv. Wann haben Sie das letzte Mal geübt und wie kam es zu der Entscheidung, gleich zwei so intensive Studiengänge zeitweise sogar parallel zu studieren?

Altenmüller: Zuletzt geübt habe ich heute früh. Das mache ich immer am Morgen – allerdings nur recht kurz. Circa eine halbe Stunde, in der ich Tonübungen und Tonleitern spiele. Also etwas ganz Systematisches. Das gehört gewissermaßen zu meiner täglichen Routine.

Für die Frage, wie man es schafft, Medizin und Musik zu studieren, muss ich ein wenig ausholen: Als ich zwischen 1974 und 1982 Medizin studiert habe, war der Studiengang noch nicht so verschult, wie er es heute ist. Wir hatten ex­trem viel freie Zeit und konnte viele Kurse zusammenlegen.

Dazu kam, dass ich von meinen Professoren auch immer unterstützt wurde, als ich dann beides parallel studiert habe. Auch mein Musikprofessor Aurèle Nicolet fand dies eher interessant. Sein Kommentar bei meiner Aufnahmeprüfung war: “Ich bin sehr froh, dass du noch Medizin studierst. Ich bin es leid, arbeitslose Musiker auszubilden.” Das war 1978. Die Situation für Flötistinnen und Flötisten war damals in der Tat so, dass pro Probespiel circa 180 Bewerberinnen und Bewerber pro Stelle vorstellig wurden. 

Gleichzeitig muss ich aber auch sagen, dass ich sehr viel gearbeitet habe. Das hat mir jedoch Spaß gemacht. Es war für mich eher eine Ergänzung und nicht belastend. Wenn ich Anatomie oder Pathologie gelernt habe und dann, nach ein paar Stunden an die Flöte gegangen bin, habe ich mich wieder frisch gefühlt. Anschließend konnte ich immer besser Medizin weiterlernen. Umgekehrt ebenso. Zu Stoßzeiten, das gebe ich jedoch gerne zu, war es dennoch sehr viel. 

Wie schwer ist Ihnen letztlich die Entscheidung gefallen, sich für bzw. gegen die Karriere als Flötist oder Mediziner entscheiden zu müssen? 

Altenmüller: Das ist eine gute Frage. Am Anfang wollte ich nur lernen und gut spielen. Das hat mir so Spaß gemacht, dass ich das Studium mit all seinen Nebenfächern immer intensiver betrieben habe. Es war mir dann aber irgendwann klar, dass, um professionell erfolgreich an der Querflöte zu sein, ich hätte noch sehr viel mehr üben und investieren müssen. Das war einfach nicht möglich.

Da ich immer die Möglichkeit hatte als Arzt zu arbeiten, war mir diese Alternative lieber, als in einem C-Orchester an der zweiten Flöte eine Stelle zu besetzen.

Wenn es so viel Wissen über das perfekte Üben gibt, dann bleibt als einzige Variable im System lediglich noch der »innere Schweinehund« übrig, den es zu überwinden gilt?

Altenmüller: Sie haben Recht. Wir versuchen eigentlich den Studierenden die Kunst des Übens beizubringen. Und Üben meint in diesem Fall, sich selbst zu unterrichten. Ich denke schon, dass diese Potentiale da sind, wobei man durchaus sagen muss, dass das Niveau der Studierenden extrem hoch ist. Allerdings gibt es nur wenige Plätze in den Orchestern. Insofern muss man ihnen heute vor allen Dingen mitgeben, dass es noch ein Leben außerhalb des Orchesters gibt. Dass Musik etwas unglaublich Reichhaltiges ist. Dass es fantastische Möglichkeiten gibt freiberuflich zu arbeiten, zu unterrichten oder musiktherapeutisch zu wirken.

In der Vorbereitung habe ich gelesen, dass sich Üben neurophysiologisch betrachtet in drei Schritte unterteilen lässt. Es wird zunächst ein grober Bewegungsplan im Gehirn erstellt, dieser wird im zweiten Schritt durch das Üben verbessert und auf die notwendigen Muskelgruppen reduziert, bis es im dritten Schritt zur Automatisierung kommt (stark verkürzt). Gibt es demnach einen neurophysiologisch (wissenschaftlich) perfekten Übeplan? 

Altenmüller: Üben muss sehr stark individualisiert werden. Es hängt von vielen verschiedenen Faktoren und Stellschrauben ab.

Zunächst hängt es davon ab, welche Gene ich habe. Jeder hat gute Gene, allerdings haben manche bessere Gene in bestimmten Aspekten. So gibt es beispielsweise Leute, die mo­torisch wahnsinnig schnell sind, dafür jedoch Schwierigkeiten bei der Erfassung von emotionalen Schichtungen und Ambivalenzen haben. Andere wiederum können Triller nicht sehr schnell spielen, haben dafür allerdings ein fantastisches Klanggefühl. Es ist wichtig dies zunächst einmal so zu akzeptieren.

Ebenso ist von entscheidender Bedeutung in welchem Alter ich anfange zu üben. Wenn Sie ein „Spitzenathlet“ am Instrument werden wollen, dann müssen Sie vor dem Alter von 7 Jahren beginnen. Wer später anfängt wird ein solches Niveau nur schwerlich erreichen. Alle Spitzenmusiker*innen von Lang Lang über David Garrett bis Julia Fischer haben im Alter von vier Jahren begonnen. Es sieht so aus, als ob das Nervensystem in diesen frühen Jahren ein Gerüst baut, in dem meine Potentiale (wie schnell ich später werden kann) festgelegt werden. Das heißt, wenn ich sehr früh anfange zu lernen, lernt mein Gehirn Geschwindigkeit zu lernen. Das gilt ähnlich beim Sprachenlernen. Wenn Sie sehr früh eine zweite Fremdsprache lernen, dann hat Ihr Gehirn gelernt, wie man eine Sprache lernt. Dann können Sie auch gut eine dritte oder vierte Sprache lernen.

Wenn Sie dann angefangen haben zu üben, und Sie haben durchschnittliche Gene, ist es wichtig, guten Unterricht zu bekommen. Hier haben Eltern, die Peergroup und Freunde eine riesige Verantwortung. Das Entscheidende ist dabei, Kinder sich entwickeln zu lassen. Man sollte sie anregen und unterstützen. 

Daneben ist aber auch wichtig, dass Kinder lernen, nicht nur auf Finger, Hände, Zähne und Kehlkopf zu achten, sondern auch auf den Klang. Sie müssen lernen, sich zuzuhören und verstehen, dass sie in der Lage sind, viele wundervolle Klänge zu produzieren.

Meinen Studierenden sage ich darüber hinaus immer noch: Hört auf zu üben, wenn ihr merkt, dass ihr in Gedanken nicht mehr dabei sind. Üben sie über diesen Punkt hinaus, trainieren sie sich möglicherweise ungünstige Bewegungsprogramme ein, weil sie sie nicht mehr überprüfen. Am besten ist es morgens mit großer Wachheit zu üben.

Hinsberger

Der Podcast “Wie übt eigentlich?”

Patrick Hinsberger studierte Jazz-Trompete an der Hochschule der Künste in Bern. In seiner Podcast-Reihe “Wie übt eigentlich..?” spricht er einmal im Monat mit Musikerinnen und Musikern aller Genres über das Intimste und Geheimnisvollste in ihrem Alltag: das Üben. Die Folgen kann man auf allen bekannten Streamingdiensten, wie Spotify, Apple Podcast & Co., kostenlos anhören. 

www.what-is-practice.de