Mal wieder nur eine halbe Stunde Zeit zum Üben. Dann mal los. Damit es auch etwas bringt, versuchst du, dich besonders zu konzentrieren. Mal gelingt’s, mal nicht. Dann bleibt das schale Gefühl, die Zeit nicht richtig genutzt zu haben, nichts geschafft zu haben. Wenn wir uns unkonzentriert erleben, liegt das meist daran, dass wir uns nicht bewusst entschieden haben, worauf genau wir uns konzentrieren wollen. Daher starte auf deiner Suchen nach mehr Konzentration mit der Frage: Was übst du eigentlich, wenn du übst?
Wenn wir musizieren, passieren Tausendmillionenmilliarden Dinge gleichzeitig. Lesen, hören, korrigieren, koordinieren, fühlen, erinnern, Hände, Füße, Atmung, … Das gelingt, weil viele Vorgänge automatisiert sind. Sie funktionieren, weil wir sie schon oft und im gleichen Zusammenhang ausgeführt haben. Wunderbar! So können wir uns beim Spielen in den Moment fallen lassen, können unsere Emotionen ausleben, uns berühren lassen oder andere berühren.
Nichts mehr wollen, laufen lassen! Das ist das Ziel.
Unangenehm wird es erst, wenn etwas hängt, oder wenn der Kopf plötzlich doch nochmal nachdenken will, was da eigentlich gerade passiert. Wenn wir uns darauf konzentrieren wollen, dass es gelingt, stellen wir fest, dass wir gar nicht so genau wissen, was wir machen. Oder anders gesagt: Wir wissen nicht so genau, was die einzelnen an der Ausführung beteiligten Körperteile jeweils machen. Wie müssen diese zusammenarbeiten?
Das passiert in zwei Situationen
Bei einer Vorspielsituation
Du willst dich besonders konzentrieren, meist aus dem Grund, weil du nicht wirklich darauf vertraust, dass es schon »automatisch« laufen wird wie im Überaum. Du willst sicherheitshalber die Kontrolle behalten, indem du besonders auf alles aufpasst. Oder aber dein Kopf spielt dir plötzlich deinen ganz persönlichen Horror-Versagens-Film vor – und du willst ihn unterdrücken, indem du dich aufs Spielen konzentrierst.
Beim Üben
Kennst du das? Du spielst und dein Kopf arbeitet: Mist, falscher Ton, nochmal von vorn. Besser, Rhythmus irgendwie komisch, neee, auf den Klang sollte ich achten. Ok, war jetzt doch besser. Mist, schon wieder falschen Ton, nochmal, Mist, Bindung weggebrochen, nochmal, mehr atmen, falscher Rhythmus nochmal … Im Turbo geht es von einer Aufmerksamkeit zur nächsten.
Warum passiert das?
Stichwort: Vernetztes Wissen
Unser Wissen – und damit auch unser Können – besteht aus einem vielschichtig verzweigten Netz aus Verknüpfungen, aus “Was gehört womit zusammen?”, “Was wird oft gleichzeitig abgerufen?”, “Welche Vorgänge laufen in Kombination ab?” Dieses Netz haben wir über die Jahre auf Grund von Erfahrungen aufgebaut. Es ist ein Energiesparprogramm, weil Einzelinformationen, die zusammen abgespeichert sind, gemeinsam “abgerufen” werden, ohne, dass wir darüber nachdenken müssen. So werden dann zum Beispiel Automatisierungen komplexer Bewegungen oder Vorgänge möglich.
Wenn wir jetzt auf die beiden oben beschriebenen Situationen zurückkommen: Dein Hirn versucht beim Üben, alles gleichzeitig zu bearbeiten. Netter Versuch, aber das Ergebnis ist oft sehr vage. Manchmal klappt’s, manchmal nicht. Vielleicht funktioniert es morgen, mal sehen… Und das ist kein Ergebnis, das das Vertrauen in dein Können stärkt, oder dir die nötige Sicherheit im Auftritt gibt. Ein 2manchmal schon irgendwie meistens, wenn ich laufen lasse” ist keine Strategie, um gut zu sein, wenn es darauf ankommt.
Aber: Du kannst etwas dagegen tun. Oder besser gesagt: Du kannst etwas DAFÜR tun, dass du in Auftrittssituationen ein “Wissen-was-zu-tun-ist-Backup” hast. Es gibt Möglichkeiten, wenn sich das Flow-Gefühl nicht einstellt und der Kopf etwas zum Denken braucht – und zwar etwas, das hilfreich ist.
Exkurs: Vom Sport lernen
Nehmen wir als Beispiel eine Hochspringerin. Stell dir vor, sie geht zum Training und übt zwei Stunden lang, dass die Latte oben bleibt. Sie nimmt zwei Stunden lang immer wieder Anlauf, springt, dreht sich und landet auf der Matte. Die Latte bleibt oben oder auch nicht. Dann eben nochmal: Anlauf. Sprung. Drehung. Landung. Volle Konzentration darauf, dass die Latte oben bleibt.
Never ever. Niemals. Viel zu aufwendig, zu kraftraubend.
Vielmehr wird beim Training genau analysiert, warum was (noch) nicht gelingt. Ist es der Anlauf? Der Absprung? Die Drehung? Der Fall? Und was genau stimmt nicht? Passt die Schrittlänge, der Abstand zur Latte? Warum passt es nicht? Liegt es an der Koordination Beine/Armschwung? Dann wird überlegt, was genau trainiert werden muss, damit sich etwas verändert. Muss ich an der Kraft arbeiten (welche Muskeln genau)? Wie kann der Anlauf besser eingeteilt werden? Wie kann ich die Arm-Bein-Koordination verändern?
Du merkst schon, worauf es hinausläuft, hab ich Recht? Dass die Latte oben bleibt, ist das Ergebnis. Wenn vorher alles optimal funktioniert hat, dann passiert das. Kein Fußballer übt »Tore schießen«. Keine Schwimmerin übt “unter einer Zeit von…” bleiben. Das sind die Ergebnisse. Sie trainieren das, was sie tun müssen, damit dieses Ergebnis möglich wird. Sie wissen, was dazugehört. Und wenn etwas nicht klappt oder sie mal “einen schlechten Tag” haben, dann nutzen sie dieses Wissen um die Gelingens-Komponenten, um schnell herauszufinden, woran genau es heute liegt – und konzentrieren sich dann darauf. Sind heute meine Beine schlapp? Oder ist die Armbewegung zu klein?
Was bedeutet das für die Musik?
Was ich damit verdeutlichen will, ist: Du kannst nicht üben, dass die große Bindung ohne Kieksen gelingt. Und du kannst dich nicht auf einen weichen Einsatz konzentrieren. Was du tun kannst? Du kannst das üben, was du TUN musst, damit es gelingt. Und im Üben findest du heraus, wo du deine Konzentration hinschicken musst.
Vielleicht schwirrt dir jetzt gerade dieser Gedanke im Kopf herum: Aber bei mir klappt es auch, wenn ich mich auf das Ergebnis konzentriere und nicht so viel denke.
Und da hast du ganz Recht. Das Ziel ist, dass »es« klappt, wenn wir uns auf das Ergebnis konzentrieren. Oder uns in die Stimmung fallen lassen. Oder den Kopf ganz ausschalten. Das funktioniert in der Regel, weil die dazugehörenden Einzel-Komponenten automatisiert zusammenarbeiten. Wenn du aber Sicherheit und Kontrolle haben willst, dann kommst du um das Wissen, was du tun musst, nicht herum.
Was kann das für das Üben bedeuten?
Sorge dafür, dass dein Netz beim Üben nicht zufällig geknüpft wird, sondern dass du sehr bewusst diejenigen Einzelkomponenten zusammenpackst, die für die Ausführung jeweils wichtig sind. Und um herauszufinden, welche diese Einzelkomponenten sind, habe ich eine Aufgabe für dich: Mach dich daran, dein Wissensnetz bewusst zu entknoten. Und dafür empfehle ich dir eine Mind Map.
Deine Aufgabe
Starte mit dem zentralen Begriff “Üben” und platziere “Unterbegriffe” so, wie sie dir in den Sinn kommen, so dass Gedankenketten entstehen können. Schreib einfach drauflos. Hab keine Scheu, in scheinbar abwegige Bereiche vorzudringen. Es ist deine Liste, es sind deine Assoziationen – es geht nicht um richtig oder falsch!
Es wird so sein, dass Begriffe/Aspekte mehrfach auftauchen. Daher sieht der zweite Schritt dieser Übung so aus: Experimentiere mit den Verknüpfungen zu deinen Unterbegriffen und erstelle “Zusammenhangs-Ketten”.
Nächster Schritt: Wenn du nun übst, überlege vorher genau, welchen Aspekt du bearbeiten willst. Worauf willst du dich konzentrieren? Also entscheide dich beim Üben bewusst, worauf du deine Aufmerksamkeit für diesen Durchgang lenken willst. Und diese Entscheidung ist deine Konzentrations-Hilfe.
Die Arbeitsweise mit einer Mind Map eignet sich gut, wenn du ein neues Stück anfängst. Dann stellst du beim Üben ganz bewusst Verknüpfungen her, so dass du das gute Gefühl genießen kannst, die Kontrolle zu behalten – wenn es nötig wird. Und wenn dein Kopf dich mit störenden Gedanken ablenken will (Pass auf! Das ist schwierig! Sei vorsichtig! Was sollen die Leute denken, wenn du das nicht hinbekommst!), dann kannst du bewusst an das denken, was du tun musst, damit die Stelle gelingt. Und dann gelingt sie. Gib deinem Kopf etwas zu denken, das dir hilft! Und weiter geht’s auf deinem Weg zurück zum Musizierglück.
Sandra Engelhardt
Die Musikerin und Hochschuldozentin arbeitet als zertifizierte Coach und systemische Beraterin (i.A.) in ihrer Praxis bei Hannover und online mit dem Schwerpunkt Übe- und Auftritts-Coaching. In der Arbeit mit Studierenden, Amateurinnen und Amateuren sowie Profis verbindet sie Elemente aus dem Lerncoaching, Mentaltraining und Zeit- und Selbstmanagement zu einem mehrdimensionalen Ansatz. Ihr Ziel? Zurück zum Musizierglück! (Foto: NOPeters)
Instragram: mit_sandraengelhardt