Szene, Wood | Von Hans-jürgen Schaal

Ein Gefühl der Blöße – Der Saxofonist Mark Turner

Vor 20 Jahren erschien sein De­büt­album »Yam Yam«. Schon damals war hörbar: Mark Turner ist ein besonderer Musiker. Bei kaum jemandem klingt das Te­nor­saxofon so luftig, so leicht, so fantasievoll – als könnte es die Harmonien hinter sich lassen und einfach davonfliegen.

Seit vielen Jahren gehört Mark Turner zu den meistgesuchten Sidemen im Jazz – weil sein Saxofon anders klingt als andere, weil er in seinem Spiel Dinge entwickelt, von denen niemand vorher wusste, dass sie in dem Song drinstecken. Gerade auch Saxofon­kollegen lieben es, mit ihm zu spielen, denn Mark Turner bietet ihnen einen deutlichen Kontrast, er ist Herausforderung und Inspiration. Fast körperlos klingt sein Spiel manchmal – und als gäbe es da ganz neue Töne zu entdecken, irgendwo über oder hinter den Akkorden. Manches mag an das Altissimo-Spiel eines John Coltrane erinnern, aber Mark Turner bleibt dabei immer dynamisch kontrolliert. Er ist ein Lyriker, kein Ekstatiker. Am häufigsten verglich man ihn mit Warne Marsh (1927 bis 1987), einem Einzelgänger aus der Tris­tano-Schule der Cool-Jazz-Ära.

Nach mehr als einem Jahrzehnt ist nun endlich auch ein neues Album unter Mark Turners Namen erschienen. Auf »Lathe Of Heaven« (ECM) präsentiert der 48-Jährige ein hochkarätiges Jazzquartett ohne Klavier – mit Avishai Cohen (Trompete), Joe Martin (Bass) und Marcus Gilmore (Schlagzeug). Es ist ein Album voll wundersamer Stimmungen, faszinierender Melodien, nackter Emotion und großer Bläserkunst. Die junge kanadische Saxofonistin Anna Webber, die bei Mark Turner studiert hat, sagte einmal: »Ich habe etwa eine Million Soli von ihm transkribiert. Er hat eine sehr tiefe und bewusste Beziehung zu Melodie, Harmonie und Timing. Er hat einen der unglaublichsten Tenorsounds. Er wird immer einer meiner Lieblingssaxofonisten bleiben.«

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