Brass | Von Hans-Jürgen Schaal

Eine Hommage an den Hornisten Dennis Brain

Dennis Brain
Foto: EMI Records

Ein starkes Jahrzehnt lang war Dennis Brain (1921 bis 1957) der Star-Hornist der Klassikszene. Der junge Engländer spielte das widerspenstige Waldhorn mit einer „elfen­haften“ Leichtigkeit und Fehlerlosigkeit, die man bis dahin nicht gekannt hatte. Fach­leute attestierten ihm eine absolute Sonderstellung als Hornist. „Niemand kann sich mit ihm vergleichen“, sagte beispielsweise der Dirigent Eugene Ormandy.

Schon mit 24 Jahren war er der berühm­teste Hornspieler der Welt – und vermutlich berühmter als irgendein Hornist vor ihm. Spieltechnische Probleme schien Brain nicht zu kennen. Seine Legati und Stakkati, seine Intonation und Dynamik überzeugten durch ihre Sicherheit. Es hieß, sein Horn tanze durch die Musik „wie eine Klarinette“ und klinge dabei „wie eine Kreuzung aus Kornett und Posaune“. Brain besaß das Talent, Figuren und Phrasen zu neuem Leben zu erwecken – so als „spräche“ sein Instrument in eleganten Sätzen, wo andere Hornisten nur einzelne Wörter aneinanderreihten. Er hatte dafür eine eigene Ansatz- und Zungentechnik entwickelt. An seinem alten Raoux-Millereau-Horn mit Kolbenventilen hielt er so lange fest, bis auch Heftpflaster das Instrument nicht mehr zusammenhalten konnten. Als er 1951 auf ein modernes Instrument mit Drehventilen wechselte, behielt er die französische Spieltechnik bei – und klang weiterhin unverwechselbar nach Dennis Brain. Aus seinem „magischen“ Ton schien seine Persönlichkeit zu sprechen. 

Heiter, kommunikativ und warmherzig

Der Mensch – da besteht kein Zweifel – war heiter, kommunikativ und warmherzig. Hornkollege Milan Yancich schreibt, Brain sei „mit einer attraktiven und gewinnenden Persönlichkeit“ gesegnet gewesen. Walter Legge, der Gründer des Philharmonia Orchestra, verglich ihn wiederholt mit einem Engel. Noch nach Brains Tod sprach er gerne über Brains „freches Selbstvertrauen“, über Brains „Vorfreude auf die unbekümmerte und engelhafte Leichtigkeit, mit der er ge­fürch­tete Stellen spielte“. Kurzum: Dennis Brain hatte etwas von einem unbeschwerten Sunnyboy und steckte voller launiger Einfälle. Beim Hoffnung-Festival 1956 spielte er Leopold Mozarts Hornkonzert sogar auf einem Gummischlauch. Der Klarinettist Jack Brymer erinnert sich, dass ihm der um sechs Jahre Jüngere erstmals 1937 an der Royal Academy auffiel. Dort machte er sich einen Spaß daraus, für seine Mitstudenten eine Richard-Strauss-Passage in doppeltem Tempo zu spielen. „Es war offensichtlich, dass für ihn auf dem Horn nichts unmöglich war – und dass er der größte Hornist der kommenden Generation sein würde.“

Hornist der Royal Air Force

Von klein auf war Dennis Brain mit dem Instrument vertraut, denn sein Großvater, sein Vater und sein Onkel waren renommierte Hornisten. Als Kind durfte er jeden Samstag ein wenig auf Vaters Horn blasen – ernsthaften Unterricht erhielt er aber erst mit 14. Seine Mutter (die auch Kadenzen für Hornkonzerte schrieb) war klassische Sängerin und soll ihn mit ihrer guten Atem- und Phrasierungstechnik geprägt haben. Mit 15 Jahren wurde er in die Royal Academy of Music aufgenommen, wo er das Horn bei seinem Vater studierte, der erster Solohornist beim BBC-Orchester war. Angeblich fand der Einzelunterricht aber vorwiegend bei Familie Brain zu Hause statt. Daneben studierte der Sohn an der Aca­demy auch Klavier, Orgel, Harmonielehre, Komposition und Dirigieren. Er initiierte mit Mit­studenten bereits verschiedene Kammermusik-Formationen. Aus ihnen entstanden später das Dennis Brain Wind Quintet und Dennis Brain Wind Ensemble.

„Einer der besten ­Hornisten aller ­Zeiten.“
(Sarah Willis)

1939 wurde er zum Kriegsdienst einberufen, den er beim Orchester der Royal Air Force ableisten durfte. Dadurch wurde Dennis Brain schon in den Kriegsjahren als Hornist international bekannt. Bei einem Gastspiel des Orchesters in den USA bekam er bereits ein Angebot vom Dirigenten Leopold Stokowski. Neben der Arbeit im Luftwaffen-Orchester konnte er auch andere Jobs annehmen, etwa bei der BBC, den London Wind Players oder dem London Baroque Ensemble. Seine ersten öffentlichen Auftritte und Plattenaufnahmen machte er schon in den späten 1930er Jahren – anfangs meist noch als zweiter Hornist hinter seinem Vater. Als die Dienstverpflichtung bei der Air Force 1946 auslief, engagierten ihn sowohl das Royal Philharmonic Orchestra als auch das Philharmonia Orchestra als ersten Solo-Hornisten. Beide Orchester waren kurz hintereinander 1945/46 gegründet worden.

Viele Widmungsstücke

Dennis Brains scheinbar mühelose Meisterschaft auf dem Horn ermöglichte ihm in den folgenden Jahren auch eine große Schallplatten­karriere. Zu seinen Paradestücken gehörten die Hornkonzerte von Mozart und Richard Strauss, außerdem die Kammermusik von Beethoven, Brahms, Mozart, Haydn oder Schumann. Als besonderen Leckerbissen präsentierte er die lau­nige, aber technisch höchst anspruchsvolle „Villanelle“ von Paul Dukas – eine konzentrierte Übung in Atemkontrolle, Phrasierung und Artikulation. Viele Komponisten der Zeit waren von Brains Können so begeistert, dass sie ihm neue Stücke auf den Leib schrieben. Benjamin Britten war der erste – er komponierte für Brain (und den Sänger Peter Pears) schon 1943 die „Serenade for Tenor, Horn and Strings“. Werke für Brain schrieben unter anderem auch Malcolm Arnold, Lennox Berkeley, York Bowen, Peter ­Racine Fricker, Paul Hindemith, Gordon Jacob, Elisabeth Lutyens, Humphrey Searle, Mátyás Seiber und Ernest Tomlinson – eine eindrucksvolle Liste.

Das Hobby, für das sich Dennis Brain ungezügelt begeistern konnte, waren schnelle Autos. Auf seinem Notenpult sollen immer einschlägige Zeitschriften wie „The Autocar“ und „The Motor“ gelegen haben. Walter Legge erinnert sich, dass er von Brain einmal mit meisterlicher Sicherheit über den vereisten und offiziell gesperrten Gotthard-Pass chauffiert wurde. Auch Brains gute Beziehung zum Dirigenten Herbert von Kara­jan soll nicht zuletzt auf der gemeinsamen Begeisterung für Autos beruht haben. Am 1. September 1957 war Dennis Brain in seinem Triumph TR2 auf dem Heimweg von Edinburgh, wo er mit dem Philharmonia Orchestra aufgetreten war. Auf der Höhe von Hatfield, kurz bevor die A1 den Autobahngürtel M25 rund um London erreicht, kam es zum tödlichen Unfall. Der ge­feiertste Hornist seiner Zeit starb mit nur 36 Jahren. Die Fachwelt sprach von einem „unersetz­lichen Verlust“. Francis Poulenc schrieb zu Brains Andenken die Komposition „Elegie“. 

P.S.:

Bei Dennis Brains letztem Konzert in Edinburgh stand Tschaikowskys 6. Sinfonie („Pathétique“) auf dem Programm. Sie gilt in England traditionell als „Todessinfonie“. Es wird behauptet, nach ihrer Aufführung kämen immer wieder Orchestermitglieder zu Tode.

11-CD-Box „Homage“ mit u.a.

  • Mozart: Hornkonzerte 1-4, Philharmonia Orchestra, Leitung Herbert von Karajan (Aufnahme: 1953)
  • Strauss: Hornkonzerte 1+2, Philharmonia Orchestra, Leitung Wolfgang Sawallisch (Aufnahme: 1956)
  • Hindemith: Horn­konzert, Philharmonia Orchestra, Leitung Paul Hindemith (Aufnahme: 1956)
  • Beethoven: Horn­sonate in F-Dur, op. 17, Piano: Denis Matthews (Auf­nahme: 1944)
  • Schumann: Adagio und Allegro in As-Dur, op. 70, Piano: Gerald Moore (Aufnahme: 1952)
  • Dukas: Villanelle, Piano: Gerald Moore (Aufnahme: 1952)
  • Berkeley: Horntrio, Violine: Manoug Parikian, Piano: Colin Horsley (Aufnahme: 1954)

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