Wood | Von Hans-Jürgen Schaal

Émile Parisien ist „ein neugieriger Mensch“

Emile Parisien
Émile Parisien (Foto: Samuel Kirszenbaum)

Er sei das Beste, was dem europäischen Jazz passieren konnte – so stand es sinngemäß in „Le Monde“. Seit mehr als 20 Jahren mischt der quirlige Émile Parisien mit seinem frechen Sopransaxofon die Szene auf. Jetzt legt er sein neues Album „Louise“ vor.

Er leitet eigene Quartette und Quintette – und spielt in diversen Formaten zusammen mit seinem französischen Landsmann Vincent Peirani (Akkordeon). Stilistisch ist Émile Parisien (39) immer alles zuzutrauen. Sein Instrument, das Sopransaxofon, scheint schnelle Brückenschläge geradezu zu begünstigen: zwischen meditativ-lyrischen Passagen, nervösem Bebop und modalem Free Jazz. 

Seine neueste Band ist ein Sextett. Das Besondere daran: Die Formation besteht zur Hälfte aus Europäern, zur anderen Hälfte aus US-Amerikanern. Der Trompeter Theo Croker – übrigens ein Enkel der Jazz-Legende Doc Cheatham – bildet Parisiens Bläserpartner. Die beiden Bläser kommen sich klanglich erstaunlich nahe, beschwören gemeinsam sanfte Melodien oder umspielen sich in entfesselten Improvisationen. Für die Basis der Band sorgen die Amerikaner Joe Martin (Bass) und Nasheet Waits (Schlagzeug). Den Mittelbau bilden Roberto Negro (Piano) und Manu Codjia (E-Gitarre), beide mit einer Portion Afrika in ihrer Biografie.

Auf „Louise“ spielt Parisien mit einen Sextett

Die europäisch-amerikanische Begegnung ist nicht nur die Idee hinter dem Sextett, sondern auch das eigentliche Thema des Debütalbums. Schon gleich das Titelstück „Louise“ ist der französisch-amerikanischen Künstlerin Louise Bourgeois (1911 bis 2010) gewidmet. „Madagascar“ wiederum ist eine Komposition von Joe Zawinul (1932 bis 2007), dem österreichischen Keyboarder, der im US-Jazz Karriere machte (Cannonball Adderley, Miles Davis, Weather Report). „Jojo“ ist eine Hommage an den deutschen Pianisten Joachim Kühn und dessen Zusammenarbeit mit dem amerikanischen Freejazz-Pionier Ornette Coleman. Auch in den übrigen Stücken verbinden sich europäische und amerikanische Elemente. 

Émile Parisien verpackt die musikalischen Ge­gen­sätze dabei gerne in dramatische Entwicklungen. „Louise“ beginnt er auf dem Sopran­saxofon sanft, säuselnd, fast mittelalterlich anmutend. Das Stück nimmt dann jedoch immer mehr Kraft auf, bekommt bluesige Kanten, die E-Gitarre übernimmt die Führung und Bläserriffs stützen den Groove. Eine ähnliche Steigerung vom Europäisch-Lyrischen ins Kraftvoll-Erdige bietet „Memento Part 1“.

Parisien versteht es, den warmen, bezaubernden Sound seines Instruments auf den Hörer wirken zu lassen. Er spielt dabei mit feinen, hypnotisierenden Klangschattierungen. Andererseits sind sein Improvisieren und viele seiner Themen ganz von der Rhythmik und Nervosität des amerikanischen Jazz durchdrungen. Seine schnellen, intervallfreudigen Bebop-Soli auf dem Sopransaxofon gehören zum Mitreißendsten, was der europäische Jazz derzeit zu bieten hat. „Madagascar“ besitzt einen mächtigen, zupackenden Swing. „Memento Part 3“ und „Jungle Jig“ sind Dschungelmusiken mit Bebop-Schlagseite. „Jojo“ startet aus einem Free-Thema im Ornette-Coleman-Stil in ein rasantes Tempo. 

Sie haben schon in sehr jungen Jahren das „Jazz-College“ in Marciac (Südfrankreich) besucht. Wie haben Sie so früh den Jazz für sich entdeckt?

Meine Eltern hörten immer viel Musik und speziell Jazz. Mein Vater spielte selbst Flöte. Einmal, als ich sieben Jahre alt war, lieh er sich ein Saxofon, um auch das einmal auszuprobieren. Ich habe mich sofort in das geliehene Instrument verliebt und bestand darauf, dass es nie zurückgegeben wurde.

Wie groß war der Einfluss von Marciac auf Ihre Entwicklung?

Es war fantastisch, dort zu studieren. Ich war zwölf Jahre alt, als ich in diese Schule kam. Alles dort drehte sich um Jazz, 24 Stunden am Tag. Ich war voller Leidenschaft und lernte dort auch eine Menge fantastischer Musiker kennen: Wynton Marsalis, Oscar Peterson und viele andere. Wir hörten jede Menge Live-Konzerte – ich liebte es einfach! Ich wusste sofort, dass ich auch so ein Musiker werden und improvisierte Musik spielen wollte.

Das Sopransaxofon ist im Jazz immer noch selten. Wann haben Sie sich für diese Saxofongröße entschieden?

Ich habe auf dem Altsaxofon begonnen, so wie viele Anfänger. Mit 15 beschloss ich, aufs Konservatorium in Toulouse zu gehen, um meine Spieltechnik zu verbessern. Mein Lehrer dort war aufs Sopransaxofon spezialisiert. Also habe ich angefangen, Unterricht auf dem Sopran zu nehmen, und es war schnell klar, dass das das Richtige für mich war. Ich mochte den Klang und die Art, wie mein Lehrer das Sopran spielte: mit einem warmen Sound.

Das Sopransaxofon gilt als schwierig, vor ­allem, was die saubere Intonation betrifft. Haben Sie da Tipps?

Ich denke, es ist wie mit allen Instrumenten: Sie verlangen Übung. Am wichtigsten ist, dass man das Instrument wählt, zu dem es einen wirklich hinzieht. Dann findet man auch einen Weg, es zu meistern.

Wer waren Ihre frühen Vorbilder am Saxofon? Waren da auch schon Sopransaxofonisten darunter?

Als ich jung war, habe ich meine Vorlieben noch nicht aufs Sopransaxofon fokussiert – oder überhaupt auf Saxofonisten. Aber ich habe sehr ­gerne Paul Desmond gehört, weil bei meinen ­Eltern oft „Take Five“ lief. Später entdeckte ich dann John Coltrane und natürlich Wayne Shorter, ich bin ein großer Fan von ihm. Noch später hatte ich das Glück, Michel Portal und Louis Sclavis kennenzulernen und mit ihnen zu spielen. Dabei habe ich noch vieles gelernt.

Wie wichtig ist Sidney Bechet für Sie?

Ich wusste nicht viel über Sidney Bechet, bevor ich mit Vincent Peirani das Tributalbum an die Sopransaxofonisten des Jazz aufgenommen habe [Belle Époque, 2014]. Das war eine dieser großartigen Ideen unseres Produzenten Siggi Loch. Damals habe ich viel Bechet gehört und mochte ihn sehr, auch wenn das nicht meine Art von Musikmachen ist. Aber ich habe beim Hören viel gelernt. Witzigerweise vergleichen mich ­viele Leute mit Sidney Bechet, obwohl ich nicht denke, dass ich ähnlich klinge. Wahrscheinlich liegt es am Vibrato.

In Ihrer Musik höre ich einen starken amerikanischen Jazz-Einfluss, aber auch europäische Elemente. Sehen Sie sich zwischen zwei Traditionen?

Ich sehe mich zwischen allem Möglichen. Ich bin ein sehr neugieriger Mensch, ich höre jede Art von Musik, da gibt es keine Grenze, und ­keine Musik ist besser als eine andere, solange sie ehrlich und mit Überzeugung gemacht ist. Und ich mag alle musikalischen Traditionen. Als ich anfing, Musik und speziell Jazz zu erlernen, war der afroamerikanische Jazz natürlich prägend. Er ist mir wichtig, aber das sind mir viele andere Musikformen auch.

Welche Rolle spielt die klassische Musik?

Das wichtigste und einflussreichste Stück ist für mich Strawinskys „Sacre du Printemps“. Aber die Zeit der Klassik war natürlich auch wichtig – für meine Entwicklung und die Entwicklung der Musik überhaupt. Auf dem Sopransaxofon übe ich gerne einige Bach-Partiten oder Paganini-­Capricen. Auch Debussy und Ravel gehören zu meinen wichtigsten Einflüssen.

Die Band auf Ihrem neuen Album „Louise“ ist eine Kombination aus Europäern und Amerikanern. Wie schwer wird es werden, diese Band zusammenzuhalten?

Ich versuche alles, damit wir in der Original­besetzung auf Tour gehen können. Und es scheint zu klappen! Es ist nicht einfach, aber es sind jetzt 30 Konzerte in Planung, und das macht mich zum glücklichsten Menschen. Ich bin sehr dankbar, mit solchen Musikern auf der Bühne stehen zu dürfen.

Parisien
Foto: Samuel Kirszenbaum