Wood | Von Renold Quade

Engelbert Wrobel und Freunde laden zur “Cellar Party”

Engelbert Wrobel
Natürlich darf eine Verbeugung vor seinem größten Vorbild an der Klarinette, Benny Goodman, nicht fehlen - er scheint über Wrobels Schulter zu schauen. (Foto: Quade)

“Engelbert Wrobel and Friends” lautet der Titel des neuen Albums. Und wo das drauf steht, ist genau das drin: “Die Grundidee dieses Projekts war, mit Musikern ins Tonstudio zu gehen, die ich seit Jahren kenne, die ich sowohl menschlich als auch musikalisch sehr schätze und die ich immer wieder zum ge­mein­samen Musizieren getroffen habe, aber mit denen ich noch nie zusammen aufgenommen hatte.”

Die Bands

Der Klarinettist und Saxofonist Engelbert Wrobel, seit 45 Jahren Jazzmusiker, lud Ende 2021 zu einer “beswingten” Kellerparty ein. Mit dabei waren in unterschiedlichen Konstellationen: Paul Heller (Tenorsaxofon), die beiden Pianisten Olaf Polziehn und Thilo Wagner, die beiden Bassisten John Goldsby und Martin Gjakonovski sowie die beiden Schlagzeuger Hans Dekker und Frits Landesbergen, der außerdem noch Vibrafon, Congas und Shaker einspielte.

Seit 2010 ist Wrobel hauptsächlich mit seinen in den USA lebenden Musikerfreunden getourt und im Tonstudio gewesen. Schon lange aber hegte er den Wunsch, wieder einmal Aufnahmen mit seinen hier in Europa lebenden Kollegen zu machen. “Als ich sie anschrieb, zunächst meine Kollegen und Freunde, die mich quasi schon mein ganzes Leben begleiten, um sie zu fragen, ob sie Lust hätten, mit dabei zu sein, erfuhr ich zu meiner großen Freude ausschließlich positive Resonanz. Jeder Einzelne dieser tollen Musiker war gerne bereit, Teil dieses Projekts zu sein. Dazu habe ich dann noch zwei sehr junge und vielversprechende Musiker eingeladen, die ebenfalls ihr ganzes Herzblut und ihre Energie in diese Art des Jazz stecken, und die ihn hoffentlich weiterleben lassen werden: Thimo Niesterok (Trompete) und Tijn Trommelen (Gitarre, Gesang). Sie sind allesamt exzellent und genießen in der Szene überragendes Ansehen.”

Planen in pandemischen Zeiten

Der schwierigste Teil des Ganzen war, die Ter­mine untereinander und mit dem Studio abzustimmen. In der Coronazeit waren alle in der Tat nicht über Gebühr beschäftigt, jeder aber auf seinen eigenen Bahnen schon noch rege unterwegs. “Engel”, wie ihn seine Freunde liebevoll nennen, hatte sich aber schon sehr genau überlegt, was er mit wem einspielen wollte und so begann er sein Puzzle zusammenzusetzen.

“Es fing damit an, dass es im anvisierten Zeitraum nur ein paar freie Tage im Hansahaus Studio in Bonn gab, in dem ich aber auf jeden Fall aufnehmen wollte. Ich habe erst einmal alle reserviert, um etwas Spielraum zu haben. Danke an den Betreiber und Toningenieur Klaus Genuit, der das alles mitgemacht hat. Dann aber ging die Schieberei erst richtig los. Denn es gab kaum drei Tage, und schon gar nicht hintereinander, an denen alle Zeit gehabt hätten.” Aber wo ein ­Wille war, da war auch viel Entgegenkommen und der Drang, mit dabei sein zu wollen. “Nach etlichem Hin und Her standen die Termine fest und mein Traum wurde Wirklichkeit.” Wenn Wrobel das erzählt, strahlt er auch heute noch übers ganze Gesicht. 

Wrobel dachte über Stücke nach, die ihm gefielen

Engelbert Wrobel hatte schon lange zuvor in ruhig­en Momenten einfach einmal angefangen, über Stücke nachzudenken, die ihm schlicht und ergreifend sehr gut gefielen. Manche hatte er noch nie gespielt, aber beim Anhören hatten sie ihn immer wieder angesprochen. “Als ich zum Beispiel wusste, das Tijn mit dabei sein würde, habe ich ihn gefragt, was er gerne singen würde und in welchen Tonarten. Und dann arbeitete
es in mir und ich habe mich hingesetzt, um die ­Ar­range­ments aufzuschreiben. Mir war klar, dass die Zeit im Studio begrenzt war. Alles musste vorbereitet sein. Es gab ja kaum Zeit zum Proben. Mit Thimo und Thilo konnte ich einmal vor einem gemeinsamen Konzert im November ein paar Titel, die schon fertig aufgeschrieben waren, kurz anspielen, das war’s. Ich hatte aber nie Zweifel, ob es im Studio funktionieren würde.”

Da die Vibrafon- und die Pianostimmen, speziell von “Cellar Party” und “Sioux City Sue”, ein paar “sportliche Passagen” hatten, die Vorbereitung benötigten, hatte er sie Olaf Polziehn und Frits Landesbergen vorab gemailt. In Coronazeiten geht Kreativität auch einmal stärker mediale Wege. “Im Vorfeld hatte ich mit allen immer wieder EMail-Kontakt, um sie über die Titel – und wie ich sie aufnehmen wollte – zu informieren und zu philosophieren. Alle haben sich darauf bestens eingelassen und waren dementsprechend exzellent eingestellt. Durch die verschiedenen Besetzungen konnte ich dann zudem ganz natürlich eine vielschichtige Palette an Klangfarben präsentieren, aber alle in dem klassischen Swing-Idiom, welches ich so liebe.”

Die professionellen Geister 

Die Aufnahmen selbst empfanden alle als sehr entspannt. Die meisten kannten sich und hatten auch schon miteinander in verschiedenen Kon­stella­tionen musiziert. Da war von vornherein ganz natürlich eine große Wertschätzung für­einander. Und jeder dieser vorzüglichen Solisten ist auch ein vorzüglicher Teamplayer. Im Studio ging es allen nur darum, so schön und gut wie möglich “zusammen” zu musizieren. Und da schließen die Musiker Klaus ­Genuit, der am Mischpult saß, dankbar mit ein. Seine souveräne und ruhige Art am Ende dieses Schaf­fens­pro­zesses hatte großen Anteil an der entspannten Atmosphäre. 

“Durch Corona hat sich unser Musikerleben ja total verändert. Statt wie bisher weit über 100 Konzerte jährlich zu spielen, waren es plötzlich nur noch knapp an die 30. Das gab mir persönlich aber die Zeit, zum vorliegenden Projekt zu finden. Eine schon lange schlummernde Idee – und sicher kennen die meisten das: ‘dies und das müsste ich unbedingt mal machen’ – konnte ich an dieser Stelle in die Tat umsetzen. Ich hatte meine Vorstellungen, wie alles zueinander passen würde, und das hat sich dann im Studio bewahrheitet, wurde wunderbar umgesetzt. Es ist ja nicht eine Band, die hier zu hören ist, es sind verschiedene Besetzungen, die hier zusammen musizieren.

Und dabei ist es auch vollkommen müßig, bestimmte Passagen oder Besetzungen herauszustellen. Wir alle hatten beim ge­mein­samen Musizieren eine Menge Spaß. Und ich persönlich hatte das Gefühl, dass mich meine musikalischen Freunde durch die Stücke ‘getragen’ haben.” Und da spricht eine durchgängige Philosophie des Bandleaders Wrobel. Bei aller individuellen Klasse, die Individualität auch herausfordert und wünscht, ist und bleibt die Mannschaft der Star. Zum Projekt enorm beigetragen hat zudem ein Künstlerstipendium im Rahmen der Kulturförderung NRW-Coronahilfen.

Spiegelbild eines jazzigen Lebens

“Das Programm dieses Albums zeigt, wie ich mich als Musiker sehe. Ich habe mich nie als ­Erneuerer oder Neuerfinder des Jazz gesehen, sondern als Unterhalter, der zusammen mit seinem Publikum eine gute Zeit verbringen möchte. Diesen Grundsatz habe ich immer in meine Programmauswahl mit einfließen lassen. Und so ist nun auch hier eine bunte Mischung entstanden, die dem Zuhörer hoffentlich genauso gut gefällt wie mir persönlich.”

Die frischen Aufnahmen durchstreifen auch ein klein wenig Wrobels Musikerleben. “Der ‘Calf Street Rag’ zum Beispiel ist das erste Jazz-Stück, welches ich je in einem Tonstudio – das war damals beim WDR – mit meiner Schülerband, den ‘Happy Jazzmen’, aufgenommen habe. Das war 1979, nachdem wir den Wettbewerb ‘Jugend jazzt’ in NRW gewonnen hatten.”

Ein ganz wichtiger Musiker und Freund war auch Hazy Osterwald, mit dem er sieben Jahre lang immer wieder gerne, gemeinsam mit der Swing Society, konzertierte. Da ist es nicht verwunderlich, Titel wie “Sioux City Sue” oder “Cellar Party” hier wieder zu finden. Die namensgebende “Cellar Party” stammt übrigens aus dem Jahr 1947, im Original erstmals mit dem legendären Klarinettisten Ernst Höllerhagen und Hazy Osterwald aufgenommen. 

Wrobel verbeugt sich vor Benny Goodman

Natürlich darf eine Verbeugung vor seinem größten Vorbild an der Klarinette, Benny Goodman, nicht fehlen. “Als ich das erste Mal Benny Goodman hörte, war ich sofort von seinem Spiel fasziniert. Ich möchte andere Swing-Klarinettisten nicht abwerten, aber seine Art zu spielen spricht mich, auch heute noch, am meisten an. Niemand ‘singt’ dermaßen schön auf der Klarinette. Er hat einen wunderbaren Sound, und seine Phrasierung beinhaltet alles, für das meiner Meinung nach der Swing steht.

Er vereint ‘heißes’ Spiel mit Eleganz und Leichtigkeit, einem sehr schönen Vibrato und einer enormen Technik. Es hört sich alles so einfach und ‘wie aus dem Ärmel geschüttelt’ an. Was er wirklich auf seinem Instrument leistete, habe ich erst gemerkt, als ich in jungen Jahren versuchte, studienhalber Soli von ihm nachzuspielen. Auf Schallplatte klangen die so einfach, so klar. Und als ich sie mir abgehört hatte, da verstand ich immer mehr, was dahintersteckte. Diese Begeisterung für ihn ist bis heute geblieben. Meine Hommage an ihn sind hier ‘Blue Lou’, ‘Stompin’ at the Savoy’ und ‘­Seven Come Eleven’.” 

Mit Überraschungseffekt

Abgerundet wird die “Party” nicht ohne Über­raschungseffekt mit Titeln, die viele Menschen kennen und mögen, die sie aber nicht oft oder gar nicht von Swing-Bands gehört haben. Zum Beispiel den Song “The Great Pretender”, im Original von “The Platters”, später auch von Freddie Mercury veröffentlicht. Experimentierfreudig sind auch die Umsetzungen von “Sweet Emma­lina” von Jack Palmer und Andy Razaf aus dem Jahr 1928. Eigentlich ein Hot-Jazz-Titel und schon lange auf dem Wunschzettel von Wrobel. Umgesetzt hat er ihn augenzwinkernd als “Bossa” und das funktioniert wunderbar.

Sicherlich ein besonderes Phänomen ist, dass die Szene des gepflegten traditionellen Smallband-Swings erstaunlich stabil und scheinbar absolut modenresistent zu sein scheint. Nicht, dass sich hier die Welt nicht auch weiter dreht, aber mit großer Konstanz finden junge Musizierende sowie junge Zuhörerinnen und Zuhörer ­immer wieder neu den Weg zu dieser erfrischenden Musik.

Engelbert Wrobel

In Dormagen geboren, wenig später über zwei Jahrzehnte in der Nordeifel sozialisiert, Abitur am Gymnasium am Wirteltor in Düren, Wehrdienst im Stabsmusikkorps der Bundeswehr in Siegburg und ein klassisches Studium der Klarinette an der Robert-Schumann-Musikhochschule in Düsseldorf: Das ist die eine Seite von Engelbert Wrobel. Die Seite, die ihn mit ­allen Hochs und Tiefs eines jungen Lebens geprägt hat. Aber diese “Standards”, ohne Frage wichtige und bewusst erlebte Stationen, sind nicht mehr und nicht weniger als lediglich sein solides Fundament für einen Menschen mit einem puren “Herz aus Swing”. Ja, wir kennen und schätzen uns schon seit Schü­lertagen, und als wir beide Anfang ­Februar in seiner Küche beim Kaffee ­sitzen, können wir froh sein, dass uns keiner zuhört, denn es ist schon erstaunlich, wie albern und infan­til zwei Herren gesetzten Alters innerhalb von wenigen Minuten werden können. 

Engelbert Wrobel, nicht zuletzt angefeuert von einem Freund der Familie in seinem Heimatdorf, der für die ­damalige Zeit eine herausragende “Stereo-Anlage” mit einer kleinen Sammlung traditioneller Jazzplatten sein Eigen nennen konnte, infizierte sich schon früh mit dem swingenden Geist. Das war auch Wasser auf die Mühlen seines Vaters Reinhold, dem Gründer und Leiter der Blaskapelle in seiner Eifeler Heimat Abenden, und seinem jazzaffinen Musiklehrer Josif Lukenic an der Musikschule in Düren. So gründete er als Schüler die Band “Happy Jazzmen”, reiste mit ihr durch ganz NRW, gewann mit ihr “­Jugend jazzt”, war live im WDR-Hörfunk und -Fernsehen – und die junge, wilde Truppe schaffte es gar bis zum Oldtime-Jazzfestival nach Breda (Niederlande).

Den Weg geebnet

Da war der Weg als gefragter Mitspieler in der Köln-Düsseldorfer Old­time-Jazzszene schnell geebnet und das Interesse an ihm wurde zudem auch immer internationaler. Als Erstes holte ihn der legendäre Kornettist Rod Mason in seine “Hot Five” und 1989 gründete Wrobel seine eigene “Swing Society”. Fortan war er aus der Smallband- und Swing-Szene nicht mehr wegzudenken. Namen wie Hazy Osterwald, Greetje Kauffeld, Silvia Droste, Chris Barber, Dan Barrett, Clark Terry, Louis Bellson, Charlie Antolini, Chris Hopkins, Bob Barnard, Duke Heitger, Frank Muschalle, Paolo Alderighi, Stephanie Trick oder Nicki Parrott begleiten seinen Weg.

Dazu immer wieder Pro­jekte wie zum Beispiel mit dem “King Of Swing Orchestra”, mit den “Three Tenors of Swing” oder Tournee-Formationen wie dem “International Hot Jazz Quartet”, den “Swingin’ Ladies plus 2” oder dem “International Swing Quartet” bestimmen sein leidenschaftlich ausgeübtes “Be­rufs­leben”. Sein »Swing« führte ihn durch ganz Europa, die USA, Kanada, Afrika und Asien. Seit vielen Jahren gastiert er regelmäßig auch in Japan, zusammen mit den dortigen Genregrößen Eiji Hanaoka, Nagome Sakuma und Masato Kobayashi. Kaum ein Jazz­festi­val, auf dem er noch nicht gespielt hat, und seine regen Aktivitäten sind auf 45 (demnächst 47, Tendenz steigend) CD/LP-Produktionen klangfarbenfroh dokumentiert.

Forsch und frech ging er es in seiner Jugend an, heute raucht er gelegentlich auch gerne einmal eine gute ­Zigarre und erfreut sich seiner Enkel. Dabei brennt sie aber definitiv in ihm, wie eh und je, die Glut des Jazzers, der nunmehr, fußend auf seinen übervollen Rucksack an Erfahrungen, sein außergewöhnliches Können gerne auch einmal mit mehr Gelassenheit veredelt.