Brass, Szene | Von Hans-jürgen Schaal

Enrico Rava – Mit Eleganz und Humor

Dieser 76-Jährige hat etwas Agiles, etwas Schalkhaftes, etwas Ewig-Jugendliches an sich. Da vergisst man leicht, dass Enrico Rava aus einer ganz anderen Zeit kommt. Einer Zeit, die vielleicht nirgends so frisch und unverbraucht geblieben ist wie in seiner Musik. Das beweist das neue Album des italienischen Trompeters: »Wild Dance«.

Inspiration von Miles Davis

Als Enrico Rava mit 18 Jahren anfing, Jazztrompete zu spielen, war gerade das Miles-Davis-Quintett mit John Coltrane aktuell. Es gab noch keine Beatles oder Stones, Ornette Coleman war noch unbekannt, Schostakowitsch hatte erst elf Sinfonien geschrieben, und in Berlin stand noch gar keine Mauer. »Mit 16 spielte ich noch Posaune in einer Amateur-Dixieland-Band«, erzählt Enrico Rava, »wir spielten Stücke der Louis Armstrong Hot Five, ›At the Jazz Band Ball‹ und ›Jammin’ The Blues‹. Aber ich war ein sehr beschränkter Posaunist. Zwei Jahre später kaufte ich dann eine Trompete.« Der Auslöser dafür waren natürlich Miles Davis und dessen kühler, melancholischer Ton. Und der Amerikaner blieb auch eines der großen Idole: Mithilfe seiner Platten brachte sich Rava das Trompetespielen selbst bei.

Rava im Strudel des Free Jazz

Als er sich dann eine Profikarriere zutraute, geriet Enrico Rava in den Strudel des jungen Free Jazz, der ihn nach London, ­Buenos Aires und New York zog. Musiker wie Gato Barbieri, Steve Lacy und Bill Dixon holten den jungen Italiener in ihre Bands. Dort ging es nicht ums Improvisieren über Akkordwechsel, nicht um Chorusformen oder technische Höchstleistungen. Im Free Jazz ging es vielmehr darum, die eigene Stimme zu finden, den eigenen Weg, sich auszudrücken.

Deshalb sagt Enrico Rava noch heute: »Ich bin kein Improvisator. Der Wettstreit über die Akkorde, diese Sachen – nein, das bin ich nicht. Ich glaube vielmehr, ein Erzähler zu sein.« Und zwar einer, der sich auf wenige, die wichtigen, die emotionalen Töne beschränkt. Enrico Rava vergleicht seine Art zu improvisieren mit der Erzählweise des Romanautors Marcel Proust: »Er geht von irgendeinem Gegenstand oder einem Geruch aus und gibt einer ganzen Verkettung von Ideen Leben. Ein Gedanke ruft einen nächsten hervor. So ist Jazz. Improvisieren ist immer ein Spiel der Erinnerung. Wenn man improvisiert, erfindet man nichts Neues, das sind Fragmente der Erinnerung.«

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