Orchestra, Szene | Von Alexandra Link

Europäische Brassband-Meisterschaften in Montreux

Nirgendwo wird ein musikalischer Wettbewerb leidenschaftlicher gefeiert als bei den Europäischen Brassband-Meisterschaften. Die diesjährige Auflage dieses Wettbewerbs fand im schweizerischen Montreux statt. Es war einmal mehr ein Feuerwerk an Leidenschaft, Emotionen, Klängen, Höhen, Tiefen und Virtuosität.

Auch in diesem Jahr war der Publikumszuspruch enorm. Ulf Rosenberg, Präsident des Europäischen Brassband-Verbandes, merkte in seiner Eröffnungsrede an, dass alle Tickets bereits fünf Minuten nach Eröffnung des freien Online-Verkaufs vergriffen waren.

Meist voll besetzt

Das »Auditorium Stravinski« mit seinen 1800 Plätzen war bei den meisten Wettbewerben voll besetzt. Die Europäischen Brassband-Meisterschaften stehen nicht für sich allein. Sie sind eingebettet in ein ganzes Blechbläserfestival.

Bereits eine Woche zuvor startete die Europäische Jugend Brass Band mit ihren Proben. Diese aus jungen Blechbläsern aus 15 Ländern zusammengestellte Band stand unter der Leitung von Bertrand Moren. Die Ergebnisse einer Woche intensiver Probenarbeit konnten die Besucher bei der Eröffnungszeremonie und im Galakonzert erleben.

In einem Konzert mit der Europäischen Jugend Brass Band und der Brass Band Treize Étoiles wurden die Gewinner des European Composer Compe titions bekanntgegeben. Gewonnen hat Daniel Hall mit seiner Komposition »A Dialogue of transmogrified Souls…«.

Vier Kategorien bei den EBBC

Bei den EBBC gibt es vier Kategorien. In der Championship Section treten die Top- Bands Europas an. Diese hatten sich zuvor auf Landesebene qualifiziert, in ihren Ländern die nationalen Meisterschaften gewonnen. Gleiches gilt für die darunterliegende Challenge Section. Bei den Jugend-Brassbands gibt es ebenfalls zwei Kategorien: die Development Section und die Premier Section.

Die EBBC haben einige besondere Regeln vorzuweisen: Die Jury zum Beispiel sitzt in einer abgeschirmten Box. Die Juroren können nichts sehen und wissen nicht, welche Band auf der Bühne sitzt. Die Reihenfolge der Bands wird zuvor (im sogenannten »Draw«) ausgelost.

In der Championship Section spielen alle Bands – 13 in diesem Jahr – freitags ihr Pflichtstück. Dafür erhielt der Schweizer Ludovic Neurohr einen Kompositionsauftrag und schrieb »Dear Cassandra«. Die beste Interpretation aus der Sicht des Publikums lieferte das Eikanger-Bjørsvik Musikklag (Norwegen), und auch die Jury honorierte diese Leistung mit der höchsten Punktzahl von 98 von 100 Punkten im Teststück.

3BA Concert Band mit der zweithöchste Punktzahl

Bemerkenswert war, dass die 3BA Concert Band aus Deutschland mit 97 Punkten die zweithöchste Punktzahl im Teststück erreichte. Andreas Seger, Eufonium-Spieler in der 3BA Concert Band, zu seinen Erlebnissen in Montreux: »Für die 3BA Concert Band war die Teilnahme an den European Brass Band Championships in Montreux ein großartiger Erfolg. Mit Platz sieben im Gesamt-Ranking konnten wir die beste Platzierung seit unserem Debüt in der Championship Section 2015 erzielen. Ein besonderes Highlight war für uns jedoch der zweite Platz im Pflichtstück. Dieses Ergebnis hat in der Brassband-Szene für großes Auf sehen gesorgt und es ist sicherlich nicht übertrieben, von einem historischen Erfolg zu sprechen. Besonders zu erwähnen ist an dieser Stelle die fantastische Arbeit unseres Dirigenten Luc Vertommen aus Belgien. Mit unglaublicher Detailversessenheit, Hartnäckigkeit, einer großen Portion Ruhe und seinem ganz speziellen Humor hat er es geschafft, die Band hervorragend vorzubereiten und hat ihr damit erst ermöglicht, dem nicht weg zu leugnenden Druck standzuhalten, der bei einem solchen Wettbewerb herrscht. Hier kann jeder noch so kleine Patzer bereits über eine vordere oder hintere Platzierung entscheiden. Unsere Band konnte jedoch die fantastische Atmosphäre im voll besetzten ›Auditorium Stravinski‹ genießen und ist mit beiden Performances absolut zufrieden.«

Am Samstagmorgen stand der Wettbewerb der Challenge Section auf dem Programm. Im Unterschied zur Championship Section spielten die Challenge-Bands sowohl Test- als auch Wahlstück hintereinander.

Bürki Komponist des Teststücks der Challenge Section

In der Jury saßen, wie am Tag zuvor, Ian Bousfield (England), Hervé Grélat (Schweiz) und Bert Van Thiemen (Belgien). Teststück in dieser Kategorie war wiederum ein Werk, das speziell für diesen Wettbewerb in Auftrag gegeben worden war: »Terezín« von Mario Bürki. Es beschreibt Theresienstadt, das im 18. Jahrhundert als Festung von Kaiser Josef II. errichtet und nach seiner Frau, Kaiserin Maria Theresia benannt wurde. Wir alle kennen die unrühmliche Geschichte von Theresienstadt als jüdisches Ghetto und Konzentrationslager.

Gewonnen hat in dieser Section die Brass Band Regensburg. Florian Nicklas von der Brass Band Regensburg zum Erfolg in Montreux: »Jeder Blechbläser, der in einer Brassband spielt, kennt die EBBC, und es ist ein Erlebnis, ihn als Zuhörer vor Ort oder im Livestream mitzuverfolgen. Als Band jedoch selbst daran teilzunehmen und mitten im Geschehen zu sein, ist etwas sehr Besonderes. Nach der langen Vorbereitung und dem Hinfiebern konnten wir kaum erwarten, dass es endlich losging, und wir konnten sowohl musikalisch als auch als Gemeinschaft viel lernen und erleben. Es waren spannende und intensive Tage, in der wir als Band ein großes Stück enger zusammengewachsen sind. Unsere persönlichen Highlights waren dabei natürlich der Gewinn der Challenge Section, da jeder Musiker an seine Grenzen ging und wir letztlich mit einer Teamleistung die Jury überzeugen konnten. Auch ein Highlight war der Solistenpreis für unseren Eufoniumspieler Benedikt Seidl, da er ein sehr junger und einfach außergewöhnlicher Musiker unserer Band ist, der sich stark für die Band einsetzt.«

Zuhörer von den Sitzen gerissen

Der Samstagnachmittag wurde mit den Wahlstücken der 13 Bands in der Championship Section sehr spannend. Das Eikanger-Bjørsvik Musikklag aus Norwegen riss mit dem Wahlstück »Concerto Grosso« von Derek Bourgeois wie auch schon am Vortag beim Teststück alle Zuhörer von ihren Sitzen.

Viele im Publikum waren sich sicher: »Hier haben wir den Gewinner des Wettbewerbs gehört.« Die Jury hörte das anders. Eikanger kam insgesamt »nur« auf den dritten Platz. Was für ein Raunen der Enttäuschung ging bei der Siegerehrung durch den Saal…

Die Cory Band mit Philip Harper am Pult hatte sich ein Werk auf den Leib schreiben lassen: »Explorers on the Moon« von Paul Raphael – und erspielte sich damit und mit der höchsten Punktzahl des Wettbewerbs im Wahlstück den Gesamtsieg in der Championship Section.

Das Brass-Festival in Montreux endete am Sonntagmorgen mit den Jugendbands. In der Premier Section gewann die Catch Basin Brass Band unter der Leitung von Andreas Lackner aus Österreich. Die Jugend Brass Band BlechKLANG aus Jena erspielte sich mit großartigen 94 Punkten einen vierten Platz.

In der Development Section gewann die Wardle Academy Band aus England unter der Leitung von Lee Rigg.

Deutsche Szene mehr als würdig vertreten

Der Vizepräsident des deutschen Brassband-Verbandes (DBBV), Alexander Richter, berichtet voller Stolz: »Mit Punktzahlen am oberen Ende der Skala prämiert, einem Solistenpreis und dem Gewinn einer Stärkeklasse vertraten alle drei Teilnehmer die deutsche Szene mehr als würdig. Die 3BA mit ihrem zweiten Platz beim Teststück, die Brass Band Regensburg mit dem Gewinn der Challenge Section und die Jugend Brass Band BlechKLANG mit einer beeindruckenden Performance und 94 Punkten machen uns als Verband sehr stolz. Nicht nur mit dem aus deutscher Sicht rekordverdächtigen Abschneiden bei den diesjährigen EBBC ist der Aufschwung der deutschen Brassband-Bewegung unübersehbar. Die stetige Weiterentwicklung etablierter Bands, die zunehmende Vernetzung untereinander, aber insbesondere auch der Auf- und Ausbau neuer Formationen prägen dabei das Gesicht der deutschen Szene. Die Arbeit des immer noch vergleichsweise jungen Deutschen Brassband-Verbandes mit seinem Fokus auf nachhaltiger Nachwuchsarbeit, Unterstützung und Eta blie rung von Weiterbildungsangeboten und der Schaffung langfristig tragfähiger Strukturen trägt augen- und ohrenscheinlich erste Früchte.«

Ein Kenner der internationalen Brassband-Szene ist der Niederländer Jacob »Jappie« Dijkstra. Die diesjährigen Europäischen Brassband-Meisterschaften beurteilt er wie folgt: »In den Jahren seit der Gründung des Europäischen Brassband-Verbandes hat die Popularität der EBBC enorm zugenommen und das Niveau an der Spitze der Champions-Division ist nicht niedriger als das der Profis.

Verschiebung der Länder

Auffallend ist die Verschiebung der Länder; in der Vergangenheit waren England und Wales immer führend, während die großen Favoriten nun aus Norwegen und der Schweiz kommen. Vor einigen Jahren spielten Länder wie Österreich, Frankreich und Deutschland in der Challenge Section, aber jetzt sind sie fest in der höchsten Liga vertreten. Es scheint jedoch, dass Länder wie Schweden, die Niederlande und Schottland den Anschluss verpasst haben. Sehr positiv ist die rasante Entwicklung in Litauen und die erste Teilnahme Spaniens.

Das verpflichtende Werk von Neurohr wurde als eine sehr gründliche Komposition erlebt, ein echtes Teststück! Aber wo liegt die Grenze des Tests? Liegt sie im Schreiben außerhalb des Instrumentenspektrums? Wartet das Publikum auf eine musikalische Herausforderung oder auf das Versagen der Solisten? Übrigens ist der Begriff ›verpflichtendes Werk‹ viel besser als ›Teststück‹.

Die EBBA hält an der ›blinden Jury‹ für das Test- und Wahlstück fest. Die Frage ist, ob dies im Wahlstück noch Sinn macht. Die Mitglieder der Jury können als echte Insider betrachtet werden, also wissen sie, welche Pseudonyme oder Anagramme von Komponisten verwendet werden. Oder welche Kompositionen von einzelnen Bands für die nationalen Meisterschaften in den verschiedenen Ländern in Auftrag gegeben wurden. Bei drei Werken war dies sehr offensichtlich, und bemerkenswerterweise kamen diese Werke auf die ersten drei Plätze.

Auffallend ist auch, dass die zeitgenössischen Werke in den letzten Jahren deutlich höhere Bewertungen erzielt haben als die traditionellen Brassband-Kompositionen. Hat das etwa die Bewertung von Eikanger beeinflusst? Die Geschichte zeigt, dass Bands immer Werke wählen, die bisher bei den EBBC gute Ergebnisse erzielt haben. Es wird klar, wohin dies in der Zukunft führen wird. Vielleicht ist es gut, dass die EBBA beim Wahlstück zukünftig eine offene Bewertung erwägt. Oder vielleicht ein Auswahlprogramm?«

Trotz dieser kritischen Kommentare waren die EBBC ein fantastisches Wochenende in Montreux mit einem schönen Konzertsaal, einem großen Publikum, einer tollen Organisation und vor allem wunderschöner Musik!

Maßgeblich beteiligt an den Europäischen Meisterschaften sind die Komponisten der Pflichtstücke, Ludovic Neurohr (»Dear Cassandra«, Championship Section), Mario Bürki (»Terezín«, Challenge Section), Daniel Hall (»Sancturary!«, Premier Section) und Stephan Hodel (»Argos«, Development Section). Leider waren sie den Organisatoren nur eine ausführliche Nennung mit Beschreibung ihrer Lebensläufe und Werkbeschreibungen im Programmheft wert. Im Rampenlicht – auf der Bühne – standen sie selbst weder während der Eröffnungszeremonie noch bei einem der Vorträge und auch nicht bei der Siegerehrung.

Die nächsten European Brass Band Championships EBBC finden vom 25. April bis zum 3. Mai 2020 in Palanga (Litauen) statt.