Orchestra | Von Alexander Beer

Felix Hauswirth: Meisterdirigent mit internationalem Netzwerk

Hauswirth
Foto: Archiv Felix Hauswirth

Mehr als 70 Studierende hat Felix Hauswirth in seinen 36 Jahren an der Hochschule für Musik FHNW/Musik-Akademie Basel zum Abschluss geführt – viele der Absolventinnen und Ab­solventen sind erfolgreich im Blasmusikwesen tätig. Sein enormes Wissen im Bereich der Blasorchesterliteratur war und ist stets begehrt. Als ehemaliger Präsident der WASBE und weltweit gefragter Gastdirigent konnte er sich ein großes internationales Netzwerk auf­bauen – von dem nicht zuletzt seine Schüler und Studierenden profitierten. Die Musik-Akademie Basel hat ihn Anfang Juli zum Abschied in den Ruhestand mit einem Symposium zum Thema Blasorchesterliteratur geehrt. Unser Autor Alexander Beer hat Felix Hauswirth zu einem ausführlichen Interview anlässlich dieses Symposiums getroffen. 

Herr Hauswirth, um welche Themen ging es bei den Vorträgen und wie ist das Symposium verlaufen? 

Natürlich ging es um Blasorchesterliteratur. Der Tag war ursprünglich etwas größer geplant gewesen – mit einem kleinen Konzertfestival. Aber wegen der immer noch schwierigen Umstände wurde das Programm auf das Symposium reduziert. Die Vorträge haben drei Ehemalige meiner Klasse gehalten: über Timothy Reynish und seine Kompositionsaufträge, über Robert Austin Boudreau, sein “American Wind Symphony Orchestra” und die dafür entstandenen Kompositionsaufträge sowie über die “Internationalen Festliche Musiktage Uster” in der Schweiz, wo zwischen 1956 und 1999 – initiiert von Albert Häberling – 160 neue Werke für Blasorchester von Komponierenden aus 20 Ländern uraufgeführt wurden.

Timothy Reynish war als Referent des Symposiums eingeplant, konnte wegen der Einschränkungen aber nicht reisen und war über “Zoom” online zugeschaltet. Es hat mich riesig gefreut, dass so viele Ehemalige zum Symposium gekommen sind – und zwar aus allen Generationen. Außerdem habe ich den letzten beiden Master-Absolventen die Zeugnisse ausgehändigt und am Ende wurde ich von der Hochschulleitung bei einem Apéro riche im Hof der Musik-Akademie Basel verabschiedet. 

Was ist aus Ihren Ehemaligen geworden? 

Wenn ich zurückblicke auf mehr als 70 Absol­ventinnen und Absolventen, gut 50 davon mit Diplom oder Master, dann freue ich mich, dass eine ganze Reihe in guten Positionen ist. Es gibt ein loses Netzwerk untereinander, und manchmal stehen sie sogar in Konkurrenz zueinander. Auch bei Orchester- oder Dirigenten­wett­be­wer­ben erreichen Ehemalige sehr gute Resultate. Viele sind beim Dirigieren geblieben und leiten hervorragende Blasorchester. Ein paar haben den Sprung in den Sinfonieorchesterbereich gewagt und sind auch dort sehr erfolgreich. Oder sie haben andere Leitungsaufgaben im Musik­bereich übernommen. Einer arbeitet heute als Intendant, andere als Admini­stra­toren, Fach­bereichsleiter oder Musikschulleiter. Auch wenn mein Nachfolger in Basel kein Ehemaliger von mir ist, sind doch einige bereits seit Jahren ebenfalls als Dirigierlehrer aktiv und bilden selbst wieder Dirigentinnen und Dirigenten aus. 

Blicken wir zurück auf Ihre eigene Prägung und auf entscheidende Weichenstellungen. Wie war Ihr erster Zugang zur Musik und Ihre ganz frühe Ausbildung als Musiker? 

Ich komme nicht aus einer Musikerfamilie, aber Musik und Kultur wurden immer sehr geschätzt. Mit etwa acht oder neun Jahren habe ich mit dem Klavierspiel angefangen, mit 13 habe ich zusätzlich Posaune gelernt. Relativ schnell habe ich in der Jugendmusik Hergiswil mitgespielt und war schon früh von den Aufgaben des Dirigenten fasziniert. Mit 16 oder 17 Jahre durfte ich den damaligen Leiter an einem Sonntagsauftritt als Dirigent vertreten. 

Ist hier der Wunsch nach einer Laufbahn als Musiker oder Dirigent entstanden? 

Die Faszination fürs Dirigieren war früh vorhanden, zunächst aber habe ich in Luzern bis 1976 ein Studium als Lehrer für die Primarschule absolviert. Mein Vater wollte, dass ich einen sicheren Beruf ergreife. Doch letztlich habe ich nie wirklich in diesem Beruf gearbeitet, wenn man von Vertretungen und kleinen Deputaten in geringem Umfang absieht. 

Wie konnten Sie Ihren eigentlichen Wunsch nach einem Dirigierstudium umsetzen?

Meine Ausbildung als Dirigent begann zunächst mit einem “B-Schein” am Konservatorium in ­Luzern. Das war vor dem eigentlichen Dirigierstudium, das man “A-Schein” nannte. Zwei ­Jahre lang haben wir einen Nachmittag pro ­Woche Unterricht bei Albert Benz und Josef Gnos erhalten. Benz hatte den Studiengang aufgebaut und gab überwiegend Klassenunterricht, etwa Instrumentationskunde. Gnos erteilte Einzelunterricht im Dirigieren. Albert Benz war der führende Blasorchesterdirigent und Dirigier­lehrer seiner Zeit in der Schweiz. Neben der Stadt­musik Luzern leitete er auch das Schweizer Armeespiel. Benz war ehemaliger Student von Otto Zurmühle, der bereits ab den 1940er Jahren Lehrbeauftragter für Blasmusikinstrumentation am Luzerner Konservatorium und bis 1962 ebenfalls sein Vorgänger im Amt als Dirigent der Stadtmusik Luzern war. Und Josef Gnos wiederum hatte auch bei Benz studiert.

Felix Hauswirth
Dirigentenklasse 1988 (von links): Heinz Schoenenberger, Felix Hauswirth, Silvia Wälli, Warren Benson, Bruno Martin, Philipp Wagner, Baldur Brönnimann
Haben Sie nach dem “B-Schein” noch ein komplettes Studium absolviert?

Im letzten Jahr des Lehramtsstudiums habe ich bereits im Nebenfach Dirigieren studiert. Von da war es nur noch ein kleiner Schritt zum kom­pletten Studium am Konservatorium in Luzern. Unsere Unterrichtsfächer waren im Grunde die gleichen wie sie heute noch Standard sind. Neben dem Hauptfach Blasorchesterleitung habe ich übrigens als zweites Hauptfach Musiktheorie bei Albert Jenny studiert. Dazu hat mich Albert Benz animiert, der nicht nur Dirigent und Komponist von mehr als 50 Blasorchesterwerken war, sondern auch ein Diplom als Theorielehrer bei Jenny abgeschlossen hatte und als Dozent für Instrumentenkunde tätig war. 

Spielten internationale Kontakte in der Ausbildung eine Rolle?

Wir hatten damals nur wenige internationale Kontakte. Unsere Literatur stammte überwiegend aus dem Musikverlag Emil Ruh oder von der Molenaar Edition aus den Niederlanden. Die Literatur aus den USA war uns noch kaum bekannt. Ein Schlüsselerlebnis, das bei mir viel verändert hat, war meine erste Begegnung mit David Whitwell, der von 1969 bis zu seinem Ruhestand 2005 Dirigent und Professor an der Cali­fornia State University in Los Angeles war. Ich bin ihm zum ersten Mal im Frühjahr 1978 in Luzern begegnet. Er hat an einem Sonntagmorgen eine Probe mit der Stadtmusik Luzern geleitet. Wie der Kontakt zu Albert Benz zustande gekommen ist, weiß ich nicht mehr. Aber auf alle Fälle resultierte aus dieser Begegnung mit der Stadtmusik Luzern eine LP-Produktion mit Märschen ausschließlich von John Philip Sousa. Bei dieser ersten Begegnung habe ich Whitwell angesprochen und ihn nach wichtigen Werken und US-amerikanischen Komponisten und Verlagen gefragt.

Was ist aus dem Kontakt zu David Whitwell geworden?

Er hat mir eine Liste mit 50 anerkannten amerikanischen Verlagen geschickt. Und nicht nur das. Im Grunde sind durch ihn eine Fülle von Kontakten in die USA entstanden. Er gab meine Adresse weiter an William V. Johnson von der California Polytechnic State University in San Luis Obispo. Johnson, den ich nicht kannte, hat mich dann brieflich kontaktiert. Er war während eines Sabbaticals für einige Wochen in England und hat mich kurz darauf mit seiner Frau besucht und einige Tage bei mir in Luzern gewohnt. Wir haben uns vom ersten Moment an gut verstanden und er hat mich eingeladen, sein Orchester zu dirigieren. 

Haben Sie diese Einladung in die USA tatsächlich umgesetzt?

Ja, wir sind noch am gleichen Tag ins Reisebüro gegangen. “Bill” und ich haben uns in den vergangenen 40 Jahren bis auf ein, zwei Ausnahmen jedes Jahr einmal getroffen. Entweder in den USA oder in Europa. Meine erste Reise in die USA fand im Juli 1979 statt. Ich ging zunächst eine Woche nach New York und wollte die Verlage auf meiner Liste abklappern. Fast alle waren in Manhattan, hatten dort aber meist nur ihre Büros.

Anders sah es im legendären Verlag Carl Fischer am Cooper Square in Lower Manhattan aus, wo ich mir alle verfügbaren Notenausgaben angeschaut habe. Anschließend besuchte ich einen zweiwöchigen Dirigierkurs an der University of Michigan in Ann Arbor bei H. Roberts Reynolds. Seine Adresse hatte ich ebenfalls von David Whitwell. Unter dem Titel “The Band Conductor’s Art” hatte Reynolds ­viele weitere Dozentenkollegen zu einem Sommer-Workshop eingeladen. Darunter Fennell, Hunsberger, Battisti, Allan McMurray und den Komponisten Joseph Schwantner. 

Basel
Meisterkurs 2018 der HSM Basel mit dem Landesjugendblasorchester Baden-Württemberg und den beiden Mitdozenten Beat Hofstetter und Alberto Roque. (Studentinnen und Studenten aus Singapur, Hong Kong, Brasilien, Argentinien, Italien, Deutschland, Frankreich, Litauen, Belgien und der Schweiz)
Konnten Sie die Eindrücke und Ideen aus Amerika zu Hause in der Schweiz umsetzen?

In der Schweiz hatte ich schnell den Ruf weg, “der Amerikaner” zu sein. Von dieser ersten USA-Reise habe ich viele Bücher, Partituren und LPs mitgebracht, die ich entdeckt hatte und von denen ich ganz begeistert war. Darunter die legendären Mercury-Recordings von Fennell und dem Eastman Wind Ensemble oder das Buch “Wind Ensemble Literature” von H. Robert Reynolds, Eugene Corporon und einigen anderen. Diese Reise und meine Entdeckungen eröffneten mir ganz neue Perspektiven. Die Repertoirekenntnisse und das Niveau der amerikanischen Blasorchesterszene beeindruckten mich sehr. 

Deshalb bin ich bereits 1980 erneut in die USA gereist und habe Bill Johnson in Kalifornien besucht. Als ich bei ihm zu Haus war, rief zufällig Frank Battisti an. Er plante eine internationale Blasorchesterkonferenz und war auf der Suche nach einem geeigneten Austragungsort. Bills Empfehlung lautete Manchester. Aus diesem Projekt haben Johnson und Battisti – gemeinsam mit Timothy Reynish – die Gründungskonferenz der WASBE im Jahr 1981 entwickelt. Obendrein lud mich Battisti ein, mit meinem damaligen Orchester, der Stadtjugendmusik Zürich, an der Konferenz teilzunehmen. Er kannte mich noch als Teilnehmer aus Ann Arbor und suchte Teilnehmende aus Europa. Man kann also sagen, dass ich ganz von Anfang an bei der WASBE ­dabei war. 

Wie haben Sie diese erste WASBE-Konferenz erlebt? 

Wir sind mit einem reinen Schweizer Programm, unter anderem mit Werken von Guido Fässler, Hans Moeckel und Jean Daetwyler, nach Manchester gefahren. Diese Konferenz hat mir viele Türen geöffnet. Ich war 25 Jahre alt und hatte im Anschluss eine Einladung für Gastdirigate in Buenos Aires und Cordoba in Argentinien sowie ein Angebot für einen Stellentausch als Director of Bands mit dem Dirigenten Raymond Roth an der University of Michigan-Flint. Nach etwas Vorlauf haben wir 1983 tatsächlich nicht nur die Stellen, sondern auch unsere Wohnung und das Auto für ein halbes Jahr getauscht. Meine Frau und meine damals knapp zweijährige Tochter ­haben mich begleitet. 

Was waren Ihre Aufgaben in Flint? Wollten Sie dauerhaft in den USA arbeiten? 

Ich habe montags, mittwochs und freitags Blasorchesterproben an der Uni geleitet. An den beiden Tagen dazwischen habe ich – von mir ini­tiiert – ein Kammerensemble dirigiert. Daneben habe ich zweimal wöchentlich eine “Music Appreciation Class” (eine Art Musikgeschichte) für mehr als 100 Studierende im Klassenunterricht erteilt und bei wöchentlichen Vortragsübungen musste ich die Studentinnen und Studenten beurteilen. Im schneereichen Dezember 1983 bin ich mit dem Auto erstmals zur “Midwest Clinic” nach Chicago gefahren. Außerdem habe ich ­viele Bekannte aus den Kursen kontaktiert, die ich in den USA besuchte. Auf diese Weise ­kamen zahlreiche Gastdirigate zustande – meist für zwei Probentage und ein Konzert. 

Nach dem Austauschsemester hatte ich tatsächlich das Angebot, zu bleiben. Es hat mich sehr gereizt, aber nach reiflicher Überlegung habe ich mich schließlich dagegen entschieden. Wenn man aus einer so dichten Kulturlandschaft wie der Schweiz stammt, kann man sich schwer vorstellen, in einer kleineren oder mittleren Stadt in den USA zu leben. Außerdem war mir klar, dass eine berufliche Rückkehr in die Schweiz wohl nicht mehr so einfach möglich gewesen wäre. 

WASBE
Zum Dirigenten-Symposiun am 3. Juli in Basel haben sich zahlreiche bekannte Gesichter der Szene eingefunden
In der Rückschau fügt sich in Ihren Schilderungen eins zum anderen. Haben Sie geahnt, dass es bis zum Lehrauftrag in Basel nicht mehr lange dauern würde?

Nein, sonst wäre mir die Entscheidung USA oder Schweiz nicht so schwergefallen. Zudem hatte ich vorher weder einen Bezug zur Musik-Akademie in Basel noch zum vorherigen Dozenten für Blasorchesterdirektion, Albert E. Kaiser. Mein musikalisches Zentrum war immer Luzern ge­wesen. Die Bewerbung mit einem Vordirigieren, einer Probelektion und einem Vorstellungsgespräch fand Ende 1984 statt. Als die Zusage kam, war der Jubel natürlich groß. Und im Herbst 1985, kurz vor meinem 30. Geburtstag, habe ich meine Lehrtätigkeit in Basel aufgenommen. 

Das ist ohne Zweifel eine steile Karriere. Was hat geholfen, diese Hochschulstelle zu gewinnen?

Neben meiner Auslands- und Hochschulerfahrung in den USA war ich auch in der Schweiz vielseitig aktiv. Bereits 1980 habe ich die Leitung der Stadtmusik Zug übernommen und habe 1983 – noch von den USA aus – das Schweizer Jugendblasorchester gegründet. Wir haben verrückte Werke aufgeführt und viele Urauffüh­rungen gemacht. Zugleich hatte ich schon viele große Standardwerke des Blasorchesterrepertoires dirigiert, was sicher auch zum Erfolg der Bewerbung beigetragen hat. 

Blasorchesterdirektion in Basel
Im Zentrum des Studiums steht der Einzelunterricht mit 90 Minuten pro Woche. Darin integriert sind die Bereiche Dirigieren, Partiturstudium, Analyse, Instrumentieren und Partiturspiel. Zweites zentrales Element ist eine Klassenstunde mit ebenfalls 90 Minuten, in der Literaturkunde, Probenmethodik und die Geschichte der Bläsermusik vermittelt werden. Zusätzlich sind Theorie- und Klavierunterricht zu belegen. Ein weiterer verpflichtender Baustein ist ein eigenes Orchester zur Vertiefung der Praxis. 
Ein permanentes Hochschulblasorchester konnte Felix Hauswirth trotz einiger Versuche nicht realisieren. Stattdessen gibt es eine langjährige und gute Zusammenarbeit mit Blasorchestern der Schweizer Armee und Vereinsorchestern aus der Region. Zusätzlich werden regelmäßig große Kammermusikgruppen zusammengestellt und als Dirigierensemble genutzt. In den letzten Jahren konnte eine intensive Zusammenarbeit mit der Escola superior de Música von Lissabon aufgebaut werden. Nachfolger von Felix Hauswirth in Basel ist der Norweger Bjørn Sagstad
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Was hat sich an der Musik-Akademie Basel in Ihrer Zeit verändert?

Das Niveau der Bewerberinnen und Bewerber in den Aufnahme­prüfungen hat sich stetig ver­bessert. Ich hatte erfreulicherweise zahlreiche talentierte Studierende in meiner Klasse und die besten Absolventinnen und Absolventen waren zugleich immer gute Musizierende auf ihrem In­stru­ment. Früher hingegen gab es auch Bewerber, die vorher kein Musikstudium gemacht hatten und von denen ich nur wenige aufnehmen konnte. Mit Beginn des Bologna-Prozesses vor mehr als 15 Jahren ist aus dem Diplomstudiengang ein Master geworden. Das hat nochmals einen Schub gegeben, da nun ein instrumentales Musikstudium mit Bachelorabschluss zur Eingangsvoraussetzung wurde. 

Auch das Arbeitsumfeld an der Hochschule wurde immer besser. Die Akademie war stets offen für neue Ideen. So habe ich die 36 Jahre nie als Arbeit empfunden, weil ich es immer sehr gerne gemacht habe. Früher war ich meist drei Tage pro Woche in Basel, später konnte ich das Pensum auf zwei, in den letzten Jahren gar auf einen Tag reduzieren. Daneben hatte ich viele Ge­legen­heiten, künstlerisch tätig zu sein. So konnte ich immer von der Wechselwirkung zwischen meinen Aufgaben als Lehrer und als Dirigent profitieren. 

Wie hat sich das musikalische Niveau der Blasorchester in Europa entwickelt?

In meiner Luzerner Studienzeit haben wir 1975 die legendäre North Shore Concert Band aus dem Großraum Chicago mit ihrem ebenso legendären Dirigenten John Paynter in einem Open-Air-Konzert erlebt. Luzern war Teil einer Tournee mit Konzerten in Mannheim, Heidelberg, Paris, Rotterdam und London. Wir wussten nicht, dass man mit einem Blasorchester so toll musizieren kann. Bis heute erinnere ich mich an das eindrucksvolle Hornregister. Dieser Auftritt hat uns Augen und Ohren geöffnet! 

Damals waren die USA unglaublich modern und dem europäischen Blasorchesterwesen weit ­voraus. Die europäischen Orchester spielen inzwischen aber genauso gut. Die Amerikaner waren und sind immer stark bei rhythmisch und technisch anspruchsvollen Werken. Hingegen waren die europäischen Blasorchester und Bläserensembles bei Literatur der Romantik und vor allem der Klassik führend. Und das sind sie auch heute noch. 

Welche Erkenntnisse haben Sie aus Ihrer Lehrtätigkeit in Sachen Dirigierunterricht gewonnen?

Am Anfang habe ich die Schlagtechnik so unterrichtet, wie ich selbst dirigiere. Über die Jahre hinweg bin ich toleranter geworden. Mittlerweile bin ich sogar überzeugt, dass es nicht so wichtig ist, wie es aussieht, sondern was man damit erreicht. Entscheidend ist, dass für die Grund­schläge so wenig Energie wie möglich im Spiel ist und alle Bewegungen natürlich sind. Es macht für mich keinen Sinn, nur über die Technik zu reden, die Haltung der Hand oder des Taktstocks. Selbstverständlich müssen Dirigier­studierende die Grundlagen beherrschen, und es war immer mein Ziel, dass sie sich das Handwerk schnell aneignen. Denn erst dann kommen die wesentlichen Dinge und wir können über die Musik sprechen. 

Haben auch Dirigentinnen bei Ihnen studiert?

Dirigentinnen waren bereits in den 80er Jahren, also von Anfang an und ganz selbstverständlich, in meiner Klasse. Unter den 48 Diplom/Master-Absolventen waren neun Frauen, also gut 20 Prozent. Im Weiterbildungsstudium CAS und DAS (Certificate und Diploma of Advanced Studies) habe ich weitere zehn Dirigentinnen aus­gebildet. 

Was raten Sie jungen Dirigierenden für den Einstieg ins Berufsleben?

Natürlich hat man mit dem Hochschulabschluss noch nicht ausgelernt. Man sollte sich permanent fortbilden, Kurse besuchen, Fachbücher ­lesen, sich in Organisationen und Verbänden enga­gieren und darüber Kontakte aufbauen. Ein Netzwerk ist ganz wichtig. Und selbstverständlich sollte man als Dirigentin oder Dirigent gute Arbeit abliefern und positiv auffallen. Ellenbogen halte ich eher für kontraproduktiv. Und – man braucht etwas Glück! 

Hat die Digitalisierung das Berufsbild der Blasorchesterdirigenten beeinflusst?

Sicher werden Dirigentinnen und Dirigenten auch in Zukunft immer gebraucht. Der Austausch und die Interaktion mit den Musizierenden ist wichtig. Und das Reagieren auf den ­Moment lässt sich nicht ersetzen. Aber wer weiß? Viele digitale Errungenschaften sind heute selbstverständlich und wir hätten sie uns nicht vorstellen können. 

Was planen Sie für die Zukunft? Kann man Sie weiterhin als Dirigierlehrer erleben? 

Außerhalb der Hochschule habe ich schon immer bei zahlreichen Workshops und an Akademien Blasorchesterleitung unterrichtet. Ich war viele Jahre in Trossingen, Trento und Lissabon tätig. Und ja, es geht weiter. Ich habe letztes Jahr im Lockdown als Gastdozent für die Sibelius-Akademie in Finnland angefangen. Das war zwar digital, aber sehr sympathisch. Ich habe ­tolle Studierende kennengelernt und es ist geplant, vor Ort in Helsinki daran anzuknüpfen. Ich reise sehr gerne. Insofern möchte ich auch weiterhin als Gastdirigent oder Dozent unterwegs sein. 

Felix Hauswirth

Felix Hauswirth

studierte am Konservatorium in Luzern Musiktheorie und Blasorchesterdirigieren. Er bildete sich in den USA weiter. 1983 unterrichtete er als Gastprofessor für ein Semester an der University of Michigan in Flint/USA. Konzertreisen führten ihn mit zahlreichen Ensembles und als Gastdirigent rund um den Globus. Neben Aufnahmen und CD-Produktionen hat Hauswirth Publikationen veröffentlicht, die sich vorwiegend mit der Geschichte und Literatur der Bläsermusik sowie dem Dirigieren befassen. 

1985 wurde er an die Musikhochschule nach Basel berufen, wo er bis Juli 2021 als Professor für Blasorchesterdirektion tätig war. Hauswirth gründete 1983 das Schweizer Jugendblasorchester und dirigierte es bis 1993. Von 1980 bis 2017 leitete er das Blasorchester der Stadt­musik Zug, von 1991 bis 2020 war er künstlerischer Leiter des Sinfonischen Jugendblasorchesters Baden-Württemberg. 1993 bis 2000 war er künstlerischer Leiter der »Internationalen Fest­lichen Musiktage Uster« (IFMU) in der Schweiz. 

Von 1997 bis 2001 leitete er als Präsident die “World Association for Symphonic Bands and Ensembles” (WASBE). 

www.felixhauswirth.com

Im zweiten Teil des Interviews (Brawoo 10/ 2021) berichtet Felix Hauswirth über seine zahlreichen Publikationen und Notenausgaben.