Orchestra | Von Klaus Härtel

Felix Hauswirth über die Neufassungen von Camille Saint-Saëns

Saint-Saëns
Camille Saint-Saëns am Flügel (Paris 1913; Foto: Bibliothèque nationale de France)

Rechtzeitig zum 100. Todestag des Komponisten Camille Saint-Saëns erscheint im Verlag Robert Martin der Marsch “Pas Redoublé” in einer Neu­fassung. Bearbeitet hat diesen Felix Hauswirth. Das ist nicht seine erste Saint-Saëns-Bearbeitung. Die bis dato erfolgreichste dürfte “Orient et Occident” sein. Wir sprachen mit dem Schweizer über den Komponisten, über die Nichtbeachtung von Bläserwerken im französischen Radio und die Herausforderungen, die die Neu­fassungen mit sich bringen. 

Woher rührt Camille Saint-Saëns‘ Faible für Marschmusik? Ist das historisch bedingt, hatte er Freunde in der “Szene”?

Ich glaube nicht, dass man Camille Saint-Saëns eine besondere Nähe zur Marschmusik nach­sagen kann, sonst würde dies ja auch auf Ros­sini, Donizetti, Bruckner, Wagner, aber auch Schubert, Mendelssohn oder Beethoven zutreffen. Vielmehr hatten diese Komponisten ein unverkrampfteres Verhältnis zur “Militärmusik” (Orchestermusik für Blasinstrumente). Ihre Märsche sind denn auch meistens Gelegenheitskompositionen, welche im Auftrag oder zu ei­nem bestimmten Anlass entstanden sind.

Im Fall von Saint-Saëns kommt dazu, dass anfangs des 20. Jahrhunderts mit dem Militärorchester der Garde Républicaine in Paris ein hoch­ange­sehenes und ausgezeichnetes Blasorchester sehr aktiv war und alle großen französischen Komponisten dieser Zeit inklusive Berlioz, Fauchet, Schmitt und etwas später auch Milhaud, Honegger, Ibert, Koechlin und andere für dieses Genre komponiert haben. Welch befangenes Verhältnis die Franzosen heute der geblasenen Musik gegenüber haben, zeigte eine kürzlich im Radio France Musique ausgestrahlte Sendung über das Werk von Camille Saint-Saëns. Dabei wurden alle möglichen instrumentalen und vokalen Besetzungstypen seines rund 170 Werke umfassenden Œuvres vorgestellt, seine Blas­orches­ter­­werke wurden aber nicht einmal er­wähnt.

Seit wann beschäftigen Sie sich mit Camille Saint-Saëns’ Musik? Und welchen Stellenwert hat diese insgesamt gesehen im Blasorchesterrepertoire?

Die Auseinandersetzung mit Saint-Saëns’ Musik geht natürlich zurück bis in meine Studienzeit. Vor allem mit dem “Carneval des animaux” und der “Symphonie No. 3 (Orgelsymphonie)” habe ich mich damals eingehend beschäftigt. Für seine Musik für Blasorchester habe ich mich Anfang der 80er Jahre zu interessieren begonnen. Bereits 1981 habe ich “Orient et Occident op. 25” zum ersten Mal aufgeführt. Im Untertitel dieses Werks steht übrigens “Grande Marche”. Mit Marschmusik hat die Komposition aber nichts zu tun.

Der Stellenwert sämtlicher Bläserwerke von großen Komponisten aus der Romantik ist schon deshalb hoch einzustufen, weil es nur ganz wenige originale Werke aus dieser Zeit gibt. Im Fall von Saint-Saëns’ “Orient et Occident” haben wir es auch objektiv mit einem großen Werk zu tun: die formale Anlage, die ein­gängige, aber ideenreiche Melodik, das kompositorische Handwerk, alle musikalischen Para­meter sind ausschließlich auf einem hohen Niveau. Seine Märsche sind kreativ, harmonisch interessant und dem Stil der Zeit angepasst.

Warum braucht es eigentlich eine Neufassung?

Saint-Saëns hat sich bei der Orchestrierung seiner Bläserwerke immer an das Instrumentarium des ihm für die Erstaufführung zu Verfügung stehen­den Ensembles gehalten. Im Falle von “Orient et Occident” dürfte es sich um die Garde Républicaine gehandelt haben. Entsprechend groß und reich ist das Instrumentarium. Die Märsche waren im Manuskript aber viel kleiner besetzt. Ob sie je in dieser Besetzung zur Auf­führung gekommen sind, ist nicht belegt. Die Diri­gen­ten der Garde Républicaine (Guillaume Balay und Gabriel Parès) haben diese Kompositionen noch zu Lebzeiten Saint-Saëns’ für die Garde neu eingerichtet, natürlich wieder mit ziemlich reicher Besetzung. Entsprechend legitim erscheint es mir, dass man diese Kompositionen für heutige Blasorchesterbesetzung neu arrangiert und so ermöglicht, dass sie auch tatsächlich gespielt werden.

Wenn man davon ausgehen kann, dass der Komponist bei Orchestrierung seine persönliche Klangvorstellung eines Werks umsetzen konnte, sollte man ein Werk grundsätzlich in der Originalfassung spielen. Dies ist aber bei weitem nicht immer der Fall. Arnold Schönberg etwa hat bei “Thema und Variationen op. 43A” das Instrumentarium verwendet, welches ihm von seinem Schwiegersohn und Director of Serious Music Publications des Verlags G. Schirmer vor­ge­geben wurde und entspricht genau Greissles Bearbeitung der “Ouvertüre für Harmoniemusik” von Mendelssohn. Die Verwendung von Trompete, Kornett und Flügelhorn macht hier überhaupt keinen Sinn und kann nicht in der Intention von Schönberg gelegen haben. Gleiches gilt etwa für “Dionysiaques op. 62” von Florent Schmitt. Hätte er gewollt, dass die Komposition nur in einer bestimmten Instrumentierung gespielt wird, hätte er nicht 14 Instrumente ad.lib. hinzugefügt.

Saint-Saëns

Saint-Saëns-Editionen von Felix Hauswirth 

  • “Orient et Occident” Op. 25; Edition Robert Martin RM5426 (2014)
  • “Sur Les Bords Du Nil” Op. 125; Edition Robert Martin RM5883 (2019)
  • “Pas Redoublé” Op. 86; Edition Robert Martin RM6964 (2021)
  • “Vers La Victoire” Op. 152; Edition Hauswirth (2021) 
  • “Marche Interalliée” Op. 155; Edition Hauswirth (2021)
Wie ist da die Vorgehensweise? Orientiert man sich daran, was auf dem Notenpapier bereits in anderer Version vorhanden ist? Zieht man auch andere Quellen zurate?

Von Saint-Saëns’ Märschen sind im Original nur die Fassungen für Klavier zu vier Händen überliefert. Entsprechend basieren meine Editionen auf diesen Ausgaben. Natürlich habe ich auch die Versionen von Balay und Parès konsultiert und im Fall des “Pas Redoublé op. 86” auch die Ausgabe von Josneau. Entscheidend für mich waren aber die Klavier-Versionen. 

Bei “Orient et Occident” habe ich zusätzlich die Version für Sinfonieorchester zurate gezogen, welche in Bezug auf Dynamik und Artikulation viel genauer ist.

Was haben Sie verändert, angepasst, neu interpretiert?

“Orient et Occident” ist von der Orchestrierung sehr klar und differenziert. Hauptsächlich ging es darum, die fehlenden Stimmen (Flöte, Bassklarinette, Fagotte, Kontrabass) hinzuzufügen. Es gab keinen Grund, an den Orchesterfarben etwas zu ändern. Meine Edition dürfte im Wesentlichen den Intentionen von Saint-Saëns ent­sprechen. Offensichtliche Druckfehler der Erstausgabe wurden korrigiert und die dynamische Gestaltung sowie die Spielanweisung (Artikulation) präzisiert.

Bei den Märschen bestand die Herausforderung bestand darin, die Stücke so einzurichten, dass sie mit dem heutigen Instrumentarium gut klingen, die ganze Farbenpalette des modernen Blas­orchesters ausgeschöpft wird und sie trotzdem ins Klangbild von Camille Saint-Saëns passen. Ich habe versucht, die Kontraste, wie sie in den Klavier-Versionen in Erscheinung treten, auf das Blasorchester zu übertragen. 

Die aktuelle Neufassung ist “Pas Redoublé op. 86”. Das Werk erschien kürzlich bei Robert Martin. Erzählen doch mal, wieso Sie sich hier für eine bzw. Ihre Neufassung entschieden haben.

Obwohl als Marsch für Militärorchester konzipiert, wurde dieses Stück wahrscheinlich nie in einer von Saint-Saëns gefertigten Bläserfassung aufgeführt. Das auch bei uns verbreitete Ar­range­ment eines US-amerikanischen Verlags ­basiert offensichtlich auf der vier Jahre nach seiner Entstehung gefertigten Ausgabe von Au­guste Josneau. In wesentlichen Teilen unterscheiden sich diese Ausgaben vom Original der Klavier-Version. Dazu kommt, dass diese Komposition in keinem Blasorchesterarrangement eines französischen Musikverlags erhältlich war. Grund genug für mich, für den Verlag Robert Martin zum 100. Todestag von Camille Saint-Saëns eine Neuedition von “Pas Redoublé op. 86” anzufertigen.

Hauswirth

Felix Hauswirth

studierte am Konservatorium in Luzern Musiktheorie und Blasorchesterdirigieren. Er bildete sich in den USA weiter. 1983 unterrichtete er als Gastprofessor für ein Semester an der University of ­Michigan in Flint/USA. Konzertreisen führten ihn mit zahlreichen Ensembles und als Gastdirigent rund um den Globus. Neben Aufnahmen und CD-Produktionen hat Hauswirth Publikationen veröffentlicht, die sich vorwiegend mit der Geschichte und Literatur der Bläsermusik sowie dem Dirigieren befassen. 

1985 wurde er an die Musikhochschule nach Basel berufen, wo er bis Juli 2021 als Professor für Blasorchesterdirektion tätig war. Hauswirth gründete 1983 das Schweizer Jugendblasorchester und dirigierte es bis 1993. Von 1980 bis 2017 leitete er das Blasorchester der Stadt­musik Zug, von 1991 bis 2020 war er künstlerischer Leiter des Sinfonischen Jugendblasorchesters Baden-Württemberg. 1993 bis 2000 war er künstlerischer Leiter der »Internationalen Fest­lichen Musiktage Uster« (IFMU) in der Schweiz. 

Von 1997 bis 2001 leitete er als Präsident die »World Association for Symphonic Bands and Ensembles« (WASBE). 

www.felixhauswirth.com