Ein Millionenpublikum kennt seine Filmmusiken: Klaus Doldinger. Kein „Tatort“ beginnt ohne seinen Opener, prickelnd wie „Salz auf unserer Haut“, ob unter Wasser im „Boot“, ob verloren in der „Hölle“ oder auf den Flügeln der Fantasie in der „unendlichen Geschichte“. Ob in „Wolffs Revier“ oder bei „Liebling Kreuzberg“ – seine starken Filmmusiken sind mehr als nur Ornat zu starken Bildern. „Film ab, Doldinger“ – im Arrangement von Walter Ratzek.
Der Komponist
Klaus Doldinger, 1936 in Berlin geboren, verbrachte dort seine ersten Jahre, bevor die Wirren des Krieges ihn und seine Familie 1940 für gut fünf Jahre nach Wien, und schließlich über Bayern weiter nach Düsseldorf verschlugen. Dort besuchte er nicht nur das Gymnasium, er studierte bereits parallel, mit Hilfe eines Stipendiums, Klarinette am Robert Schumann Konservatorium. Schon 1952 gründete Doldinger mit Freunden die swingende Band „The Feetwarmers“ und 1955, inspiriert von Jazzpianisten Oscar Peterson, „Oscar´s Trio“, mit dem er beim Jazzfestival Brüssel auch prompt den „Coupe Sidney Bechet“ gewann.
Wohin die Reise also einmal gehen sollte, wurde ziemlich schnell klar: Nach dem Abitur 1957 studierte er weiter in Düsseldorf Musikwissenschaften und Tontechnik, absolvierte ab 1960 erste Tourneen in die USA, spielte traditionellen Jazz zusammen mit Größen wie George Lewis, wurde mit 24 Jahren Ehrenbürger von New Orleans und trat in Jazzclubs wie dem „Birdland“ auf. Sein jazziges Stilempfunden wurde zunehmend moderner, das Saxofon wurde zu seinem Hauptinstrument und er traf mit Musikern wie Don Ellis, Johnny Griffin, Kenny Clarke oder Benny Bailey zusammen. Seine erste LP mit eigenem Quartett, „Doldinger-Jazz Made in Germany“, ein stilistischer Mix aus Cool-Jazz und Bebop, wurde 1962 dann auch sofort ein internationaler Erfolg.
In den 70er Jahren, nach einem Intermezzo mit dem Band-Projekt Motherhood, wurde das Band-Projekt „Passport“ als deutsche Antwort auf die Band »Weather Report« zu seinem künstlerischen Schwerpunkt. Schon vorher zählte man Doldinger nicht nur in Deutschland zu den Vätern des Jazzrocks, schließlich hatte er international längst Beachtung erlangt und brachte es mit der funkig, groovenden, wie auch euphorisch, tranceartig verspielten Fusion-Musik von „Passport“ gar zu Weltruhm. An die 3000 Liveauftritte in über 50 Ländern sagt man der Band nach, die auch heute noch in dritter und vierter Besetzungsgeneration agiert.
Im Jahr 2020 ein aktuelles Album

Mit im Gepäck rund 30 LP- und CD-Produktionen. Die ständigen „Blutauffrischungen“ der Band, etliche weltmusikalische Inspirationen, zum Beispiel von brasilianischer oder marokkanischer Musik, verschiedenste Begegnungen und auch Wiederbegegnungen bis hin zu Remix-Alben wie „Motherhood“ (BRAWOO 5/20) sind beredte und lebendige Zeugen ungebrochenen Neugier und Kreativität des heute 84-jährigen Klaus Doldinger.
Soweit seine „Jazz-Vita“. Nicht weniger erfolgreich ist sein Schaffen im Genre der Popularmusik. Schon in den frühen 60er Jahren hatte er unter dem Pseudonym Paul Nero erfolgreich mit Pop- und Unterhaltungsmusik experimentiert und festgestellt, dass er kleine eigene Ideen in Formen bringen konnte, die ein breites Publikum ansprachen.
Er hatte ein gutes Gespür für einprägsame Melodien, Klänge und Rhythmen. Ab Mitte der 60er Jahre erhielt er mehr und mehr auch Aufträge aus der Film- und Fernsehbranche. Darunter Kooperationen mit so illustren Namen wie Klaus Lemke, Volker Schlöndorff, Hans W. Geissendörfer oder Wolfgang Petersen. Welterfolge wie „Das Boot“ oder „Die unendliche Geschichte“ machten ihn somit auch zum anerkannten und nachgefragten Filmmusikschaffenden. In den 70er und 80er Jahrenentsprangen zudem etliche Werbe-Jingles seiner Feder.
Nicht unerwähnt bleiben sollten seine diversen Gold- und Platin-Schallplatten, Deutsche Schallplattenpreise, Jazz Awards, ein „Echo“, der Bayrischen Filmpreis, der Grimme Preis, sowie Bundesverdienstkreuz und Bundesverdienstorden.
Er war 2003 Gründungsmitglied der Deutschen Filmakademie. Als Mitglied des künstlerischen Beirats der Union Deutscher Jazzmusiker und als langjähriges Mitglied im GEMA-Aufsichtsrat setzte er sich auch gerne für die Belange von Kollegen ein.
Der Arrangeur
Walter Ratzek begann seine breit aufgestellte Musikerkarriere in jungen Jahren in Offenau als Pianist und Flötist. Nach dem Abitur führte ihn sein Weg als Wehrpflichtiger nach Stuttgart zum Heeresmusikkorps 9, wo er auch in der Bigband Verantwortung übernahm. Zum Studium ging es weiter nach Düsseldorf, an die Robert Schumann-Hochschule für Musik. Klavier und Dirigat wurden seine Hauptfächer.

Etliche Stationen als Kapellmeister bei der Bundeswehr, Leiter des Kammerorchesters, Leiter des Heeresmusikkorps 2 in Kassel, die Führung des Ausbildungsmusikkorps in Hilden, die langjährige Leitung des Konzertorchesters in Siegburg und des Stabsmusikkorps in Berlin, ließen eine Musikerpersönlichkeit heranreifen, die stets mit Neugier und Elan an der Entwicklung der Blasorchesterszene gearbeitet hat.
Dies auch auf zivilen Pfaden, wie zum Beispiel beim Sinfonischen Blasorchester Hessen, beim Landesblasorchester Baden-Württemberg, der Deutschen Bläserphilharmonie oder der Bläserphilharmonie Schweinfurt. Das große sinfonische Blasorchester mit all seinen Klangfarben reizte ihn nicht nur als Dirigent, auch als Arrangeur spürte er diesem Klangkörper und dessen Möglichkeiten immer wieder nach.
Nach seinem Ausscheiden aus der Bundeswehr im Jahre 2014 ist er freischaffend als Workshopleiter, Gastdirigent und Pianist tätig. Seit gut vier Jahren hat er die Verantwortung über den Studiengang Instrumentieren/Blasorchesterleitung in Bozen am Konservatorium Claudio Monteverdi. „Dirigieren beinhaltet für mich Leiten, Führen, Überzeugen – und das immer mit ausgeprägtem Gestaltungswillen, pädagogischem Geschick und künstlerischer Kompetenz.“
Sein aktuell formuliertes Leitbild prägt sein Schaffen nicht erst seit seiner Zeit in Bozen. In diesem Geiste wirkte er auch über zehn Jahre als Präsident der deutschen Sektion der WASBE.
Die Idee
„Zu Ende meines Studiums hatte ich 1984 schon die Bearbeitung der Filmmusik ‚Das Boot‘ von Klaus Doldinger als Instrumentationsarbeit geschrieben. Synthetische Klänge auf Bläser zu übertragen fand ich damals schon sehr reizvoll. Zudem begeisterte mich die rein melodische und harmonische Qualität seiner Filmmusiken.“ So erinnert sich Walter Ratzek an seine erste Annäherung an Doldingers Musik.
„Die Frage der Urheberrechte, besonders nachdem die Militärmusik Kärnten Interesse an der Veröffentlichung dieser Filmmusik zeigte, galt es dann alsbald mit der Urhebergesellschaft ‚Bavaria Sonor Musikverlag‘ zu klären. Luc Murphy von Carpe Diem erreichte in einem persönlichen Gespräch die Freigabe für die Bearbeitungsrechte. Klaus Doldinger war wohl über die Qualität der Ausführung seiner Filmmusik durch ein Blasorchester mehr als überrascht: ‚Wenn die so Musik machen, dann habe ich nichts gegen eine Veröffentlichung.‘ Ich habe mit diesem Musikverlag einen Partner gefunden, der meine Instrumentationen und Arrangements ohne jegliche Einflussnahme veröffentlicht. In ‚Film ab, Doldinger‘ konnte ich 1997 dann erneut diesen Idealen nachspüren und die besonderen klanglichen Möglichkeiten eines voll besetzten Blasorchesters ausreizen.“
Schon in seiner Zeit als Leiter des Ausbildungsmusikkorps, später mit Nachdruck im Konzertorchester der Bundeswehr, pflegte Ratzek die Idee, ausgewählte Programme auf Anlässe hin und dem Orchester auf den Leib geschneidert zu konzipieren. In einer Zeit, da die Auswahl an anspruchsvoller unterhaltender Literatur für großes Konzertblasorchester durchaus noch eher begrenzt war, war es für Ratzek eine reizvolle Aufgabe, eine Bearbeitung zu schreiben, die nicht von der Stange war und mit der er seine Klangideale sensibel weiter verfeinern und entwickeln konnte.
Unter dem Titel „Film ab: Doldinger“ findet man übrigens auch ein Best-of-Album der Plattenfirma WEA aus dem Jahre 1993, eine Kompilation von Liedern und Soundtracks aus Doldingers filmnahen Schaffen.
Aufbau
Flug auf dem Glücksdrachen
Nach dem gleichnamigen Roman von Michael Ende kam 1984 der Fantasyfilm „Die unendliche Geschichte“ in die Kinos. Auch wenn der Romanautor mit diesem filmischen Aufgriff des ersten Teils seines Romans nicht wirklich glücklich war, war der Film von Regisseur Wolfgang Petersen ein großer Publikumserfolg. Die Geschichte erzählt von der Rettung der „Fantasie“. Der Musikausschnitt blendet in die Szenerie ein, als der Protagonist Atréju, erschöpft von den Mühen seiner Reise, in einem Moor zu versinken droht. Er wird aber noch rechtzeitig vom Glücksdrachen Fuchur aufgegriffen, der ihn weiter in Richtung des Südlichen Orakels tragen wird.
Liegende, tremolierende Akkorde im Holz, aufstrebende melodische Züge in mittlerer Blechlage, Stabspiele und Harfe (Altsaxofon pointiert) in vermeidlich rhythmisch stabilisierender Mission, ohne aber so recht ein Betonungsmuster zu finden. Das alles im Piano und mit Taktwechseln. Der Einleitung baut über acht Takte zunächst einmal erwartungsvolle Spannung auf und bringt alle Systeme in Stellung. In Takt 9 startet er dann, der „Flug auf dem Glücksdrachen“, in großzügiger Tempoverdopplung, schwungvoll, locker und im unauffälligen Forte.
Effektvoll und vorantreibend
Eine sich zunächst öffnende, dann synkopisch verspielende achttaktige Melodie startet in Klarinetten, Saxofonen und Flügelhörnern (A-Teil). Für Wind unter den melodischen Flügeln sorgt der unterlegte Sechszehntel-Groove, durchgängig nur im Schlagwerk. Der erklingt effektvoll und punktuell vorantreibend, mit harmonischer Orientierung. Und zudem anteilig in Trompeten und Posaunen, komplementär, eher einwurfartig verspielt, im hohen Holz. Die Hörner geben »Seitenwind«. Der sofortige Wiederaufgriff dieses A-Teils verläuft in ähnlicher Manier und mündet subito piano ab Takt 25 in den B-Teil.
Dieser ist, ähnlich wie die Einleitung, gespickt mit Taktwechseln. Im Grundsatz wiederholt sich zunächst eine viertaktige melodische Idee. Ihr zweiter Wiederaufgriff schlägt zudem noch ein paar Kapriolen, die sich ab Takt 35 zu einem kleinen Höhepunkt aufschaukeln. Dieser wiederholt sich ebenfalls kurz, bevor er sich schnell wieder beruhigt. Ab Takt 41, quasi mit Wiederaufgriff des A-Teils, möchte der Glücksdrache offensichtlich weiterziehen. Er fliegt unaufhaltsam, aber das »Glück« ist scheinbar kein rein lineares Wesen und möchte vielen Strömungen nachgehen. Mit Hilfe des bekannten motivischen Materials zieht Fuchur seine Kreise und biegt, wenn man so will, ab Takt 61 ab zu neuen Horizonten.
Das Quartmotiv in Posaunen und Hörnern leitet den Abschied vom Glücksdrachen ein. Achtel- und Sechszehntelgruppen, komplementär in Blech und Holz, reduzieren das Geschehen rhythmisch betont auf bloßes Vorankommen und ab Takt 77 verschmilzt die Bewegung und die Motivik meno mosso, analog zum Gedanken der Einleitung des Stücks, in eine Überleitung hin zum nächsten „Drehort“.
Salz auf unserer Haut
Nach dem autobiografisch geprägten Roman „Les vaisseaux du cœur“ (Wortspiel „die Herzkranzgefäße“ oder „die Schiffe“ des Herzens) von Benoîte Groult (1988) entstand 1992 der gleichnamige Film (Regie Andrew Birkin) mit dem deutschen Titel „Salz auf unserer Haut“. Er handelt von der unglücklichen Liebe eines Mannes und einer Frau aus unterschiedlichen Gesellschaftsschichten und deren Leidenschaft füreinander. Diese ist über Jahrzehnte lebendig, ohne aber je zu einer festen Bindung zu führen, auch wenn sich die Wege der beiden immer wieder kreuzen.
Das Tempo bleibt betont langsam, wenn auch leicht angezogen. Das Schlagwerk verstummt, Balladenstimmung bahnt sich ihren Weg. Über den Bässen, die sanfte Pulsschläge abgeben, entwickelt sich in den hohen Hölzern im Unisono (mit Klavier) eine suchende Melodie, zart flankiert von langen Begleittönen in Klarinetten und Altsaxofon. Gedämpftes Blech steuert alle vier Takte, quasi aus dem Nichts kommend, wehklagende Akkorde bei.
Ab Takt 91 folgt, sich harmonisch minimal ankündigend, eine Stimmungsaufbesserung, ab Takt 93 im sanften Tutti gar etwas, was nach Lichtblick klingt. Ab Takt 97, solistisch geführt von der Oboe, geht es weiter mit einer erzählenden Melodie, die ihre Spannung aus einer viertaktigen Idee schöpft, die sich in der Folge dreimal wiederholend weiterentwickelt, nicht zuletzt im Dialog mit dem Fagott (Tenorhorn, Bariton). Die Hölzer begleiten zurückhaltend, leicht pulsierend oder im Tremolo.
Das Blech verstummt hier vornehmlich und greift erst wieder ab Takt 111 zum Crescendo ein. Dieses führt zu einem weiteren kurzen dramatischen Höhepunkt (Takt 113) im Piu mosso. Die nächsten zehn Takte spiegeln, nicht zuletzt wegen der zweitaktig wechselnden Dynamik, Sehnen und Hoffen wider. Diese Stimmung baut sich in den letzten vier Takten noch einmal zum großen Fortissimo auf, um dann in einer überleitenden Fermate einerseits in sich zusammen zu fallen, andererseits aber auch, um eine neue »dunkle« Stimmung anderer Qualität zu beginnen.
Das Boot
Lothar Günther Buchheims Roman schildert die Erlebnisse einer deutschen U-Bootbesatzung während der Atlantikschlacht zum Jahresende 1941 im zweiten Weltkrieg. Die Verfilmung 1985 zählte zu den aufwendigsten Produktionen ihrer Zeit, wurde nominiert für und prämiert mit vielen internationalen Filmpreisen und liegt heute in drei Versionen vor (Kino, dreiteilige Fernsehfassung, Director´s Cut). Dieser Film war das Sprungbrett für Regisseur Petersen nach Hollywood und nicht zuletzt verhalf er auch vielen beteiligten Schauspielern zu einem beachtlichen Karriereschub.
Ab Takt 124 melden sich die Schlagwerker in ihrer Funktion als metrische Taktgeber zurück. Ein leichter Achtel-Groove ist das Fundament für einen sich aufbauenden Bell-Effekt im mittleren Blech und im hohen Holz. Leichte Wellen schlagen, während ein Motor konsequent nach vorne zieht. Und ab Takt 128 haben wir es dann zweimal in vier Takten vor unserem geistigen Ohr, das U-Boot. Klarinetten und Saxofone formen, aus dem Unisono kommend und sich harmonisch aufspreizend, eine schwebende Melodie.
Geschmackvoll eingebaut sind die Effekte mit Pauken, Bass-Boost und Echolot-Imitat. Ab Takt 136 folgt ein B-Teil, ebenfalls über zweimal vier Takte angelegt, der eher suchenden Charakter verbreitet. Nach kurzem originalen Wiederaufgriff des A-Teils ändert das Boot ab Takt 146 anscheinend seine die Koordinaten, definitiv aber den Takt. Mit bekannter Motivik, aber fragender Harmonik setzt es seine Fahrt ins Ungewisse fort.
Flug in die Hölle
Das Erste strahlte 1986 eine sechsteilige Miniserie aus, die die Geschichte der beiden deutschen Piloten Bertram und Klausmann erzählte, die im Februar 1932 von Köln nach Australien aufbrachen und schließlich, ihren Träumen folgend, weiter in die Südsee wollten. Doch wurden ihnen eine Wolkenbank und unklare Windverhältnisse im australischen Busch zum Verhängnis. Sie mussten wegen Treibstoffmangels in den Kimberleys notlanden. Auf abenteuerliche Weise überlebten sie gottgläubig eine 53-tägige Odyssee.
In Takt 152 ist die Notlandung längst vollzogen. Wo bin ich? Wo kann ich hin? Der Sechszehntel-Groove der Perkussion-Gruppe, mit melodischem Vibraphon und sirrendem Beckenwirbel, verbreitet einleitend eine exotische Stimmung. Vier Takte Impressionen von Buschlandschaft und Hitze. Ocean-Drum und Windmaschine tun ihr Übriges, während die Klarinetten in wechselnden Achtelgruppen über weitere vier Takte den Raum in einfacher Harmonik weiter öffnen.
Unisono, in der Mischung von Flügelhorn, Es-Klarinette und Querflöte, präsentiert sich ein stöhnendes Motiv aus nur drei Tönen, verpackt in eine quasi ausatmende Sechszehntelbewegung. Im jeweils langen Schlusston erfährt das Motiv intensive akkordische Unterstützung, sich quasi aus dem Nichts aufbäumend, von Saxofonen und Hörnern. Der zweite Aufgriff dieser achtaktigen Szenerie ist dann im Tutti instrumentiert und verliert sich decrescendo und »fade out« in einer Fermate.
Liebling Kreuzberg
Insgesamt 58 Folgen in fünf Staffeln erzählen, wie ein eigenwilliger Berliner Anwalt und Notar, gleichsam kauzig wie pfiffig, Rechtstreitigkeiten mit viel Herz und Engagement aufklärt. Dem Schauspieler Manfred Krug wurde die namensgebend Hauptfigur Robert Liebling förmlich auf den Leib geschrieben. Die Musik der ersten Staffel stammt von Hans Martin Majewski, die Musik der weiteren Staffeln von Klaus Doldinger.
Ohne langes Federlesen ergreift der Kontrabass die Initiative und nimmt die Kollegen der Rhythmusgruppe gleich leicht swingend mit. Auch die Blechbläser stoßen, nicht minder aufmerksam, ein kurzes Begleitriff in ihre Windungen und schon sind wir mitten drin im neuen Film.
Ab Takt 182 formt ein solistisches Altsaxofon aus der Substanz der Vorgabe heraus eine swingende Melodie und spinnt sie, von wenigen Bläsern im Sinne eines leichten Klavier-Voicings begleitet, über 16 Takte fort (A-Teil). Weitere 16 Takte lang formen Querflöte, Klarinette und Flügelhorn einen stilistisch ähnlich gelagerten B-Teil, während das Altsaxofon seine solistische Rolle durchaus beibehält, sich aber, quasi in zweiter Reihe, immer wieder mit »improvisierten licks« hinzugesellt. Wenn sich dann in Takt 214 der A-Teil wieder zurückmeldet, so ist das nur ein kurzes Vergnügen, denn bereits im vierten Takt wird Takt drei des prägenden Themenkopfes kurzerhand sequenziert und modulierend in einem fünften Takt zur überleitenden Fermate gestaut.
Passport „Auryn“
Inspiriert von den Gedankenwelten Michael Endes aus der „unendlichen Geschichte“, greift Doldinger mit Passport „Auryn“, im Film das Zeichen der Kindlichen Kaiserin, auf. Zwei in sich verschlungene Schlangen sind Symbol für zwei Welten, die ohne einander nicht existieren können. Im filmischen Zusammenhang sind dies die „Menschenwelt“ und „Phantásien“. Darüber hinaus existiert dieses Symbol der sich selbst gebärenden Schlange aber auch in vielen Religionen und steht als Motiv für Unendlichkeit, Grenzenlosigkeit und ewige Wiederkehr, aber auch für Weisheit.
Die empfundene „Fermate“ ab Takt 219 ist de facto gar keine. In neuer Tonalität und neuem Metrum reißt ein flirrender Akkord das Steuer erneut sanft herum. Der kleine fünftaktige Stau ist die Weiche zu einer neuen Klangwelt. Ein Ausflug zu Doldingers Band Passport, aber nicht ganz ohne »seelische« Verwandtschaft zum Filmsujet. Das „Lied“ wird zweimal präsentiert. Eine achttaktige Melodielinie eröffnet zunächst ganz klassisch. Deren Wiederaufgriff bricht bereits nach sechs Takten bewusst wieder ab, um sich, erneut aus eigener oder zumindest sehr ähnlicher Substanz heraus, frühzeitig zu erneuern. Dem folgen, quasi abschließend, noch einmal acht Takte. Die viertaktige Schlussphrase hält das Geschehen, nicht zuletzt ob des letzten Akkordes, zunächst noch offen. In seelenlosen Zahlen ausgedrückt bedeutet das einen formalen Aufbau von 8+6+8+8 Takten.
Beide Male hat das Altsaxofon eine herausragende Rolle. In der ersten Runde ist es Solist im Sinne des Thementrägers. In der zweiten Runde übernimmt das Orchestertutti klangsteigernd diese Aufgabe und lässt dem Altsaxofon aber genug „Luft“, um parallel die thematischen Gedanken, verspielt, weitführend, lustvoll improvisiert zu neuen Sphären aufsteigen zu lassen. Das Altsaxofon beschließt, die Melodie wieder konkret aufgreifend, in den letzten Takten im freien Tempo. Die nachfolgende Orchesterfermate erzeugt nun ein eindeutiges Schlussempfinden und führt konsequent weiter zum nächsten „Streifen“.
Tatort
Bereits seit 1970 am Start, heute Gemeinschaftsproduktionen von ARD, ORF und SRF, zählen die „Tatort“-Krimis zu den wohl langlebigsten und beliebtesten Fernsehproduktionen im deutschsprachigen Raum. Und das mittlerweile nicht nur sonntags zur Hauptsendezeit. Über 1100 Filmfälle, verteilt über eine Vielzahl von wiederkehrenden Schauplätzen, mit einer ebensolchen Vielzahl von wiederkehrenden Ermittlerteams, gerne auch mit einer guten Portion Lokalkolorit aus den Regionen der verantwortlich produzierenden Rundfunkanstalten, füllen dieses Format.
Verbindende Klammer aller Produktionen ist die prägende Einleitung, der zeitlose Tatort-Vorspann mit dem Fadenkreuz, dem Auge, dem Flüchtenden und der Musik von Klaus Doldinger.
Wie im Fernsehen. Flirrend tremolierende Holzbläser, optional mit Streicher-Synthie angereichert, dazu gedämpfte Blechbläser mit kurzen Rufen, die sich in Fermaten stauen. Sie suggerieren Spannung und Suchen. Der Täter checkt unter Druck seine Situation und überlegt den Fluchtweg. Ab Takt 290 ist die Entscheidung gefallen. Ein Tutti-Bläserglissando gibt im Alla Breve den Weg frei für das auffällig vorantreibende Motiv im E-Bass.
Schlagwerk und Percussion werden dementsprechend dazugestellt. Ab Takt 295 legen Trompeten und Posaunen das prägende achttacktige Bläserriff darüber. Mit 303 ergänzt das Holzregister krönend im vollen Unisono die Melodielinie, ab Takt 311 rückt das Ganze einen Ton höher. Ab Takt 319 entsteht ein augenscheinlich nuanciertes Bild. Die Substanz des grundsätzlichen melodischen Gedankens staucht sich auf vier Takte und wiederholt sich sofort noch einmal. Die letzten acht Takte gehören wieder den Trompeten, Posaunen und der Rhythmusgruppe, die mit der Reduzierung auf das Grundriff die wilde Jagd schließlich in einer Fermate beenden. Wie im Fernsehen.
Wolffs Revier
Von 1992 bis 2006 flimmerte diese Krimireihe, mit Kriminalhauptkommissar Andreas Wolff von der Berliner Mordkommission in der Hauptrolle, über den Bildschirm. 173 Episoden in 13 wurden gedreht. Zudem wurde die Serie mit einen Adolf-Grimme-Preis ausgezeichnet.
Die Blechfermate wird abgelöst von einer Holzfermate und das Stimmungsbild der Einleitung („Unendliche Geschichte“) flammt wieder auf. Spannungsaufbau für den nächsten Krimihelden. Das Genre Krimi ist in der Tat eine unendliche Geschichte. Ab Takt 342 erklingt in Trompeten und Flügelhörnern (Saxofone, Tenorhorn, Bariton) sofort das viertaktige Wolff-Thema, knackig unterlegt mit einem rockigen Achtel-Disco-Beat.
Die Wiederaufnahme verlängert den Viertakter um raumgreifende zwei Takte, die zu einen Mittelteil führen, der einem, gerne »röhrenden«, Saxofon genüsslich Raum zur Improvisation gibt. Ein kurzer Stopptime in der Rhythmusgruppe, über dem die Holzbläser aber schon ihr additives Begleitriff entwickeln, öffnet die Türen zu acht freien Takten, die in der zweiten Hälfte aber wieder vollkommen von den Schlagwerkern mitgetragen werden.
Ab Takt 360 dann der Wiederaufgriff des Wolff-Themas, welches, subito meno mosso, das Arrangement mit fragender Schlussmotivik aus eigener Substanz mit zwei Fermaten zum Ende führt.
Instrumentation
Walter Ratzek sah in Doldingers Musik große Möglichkeiten, Energien und Farben mit großem sinfonischen Blasorchester abzubilden. Ihm vor Augen war ein Orchester mit Flügelhörnern und Trompeten, Tenorhorn und Bariton, einem voll ausgebauten Holzregister bis in die Tiefen, einer flexiblen und wohl ausgestatteten Rhythmusgruppe – eine Besetzung also, die klanglich aus dem Vollen schöpfen kann.
Walter Ratzek erzähklt: „Mit ‚Film ab Doldinger‘ und später auch besonders in meiner Zeit beim Konzertorchester versuchte ich mich mit Arrangements wie ‚Udo Jürgens‘ , ‚Chuck Mangione‘ , ‚Frank Sinatra‘ und weiteren unveröffentlichten Werken, dem Potenzial dieser Orchesterform entsprechend, bewusst vom Sound der Militärorchester der 70er und 80er, oder auch von den handelsüblichen Arrangements großer europäischer und amerikanischer Verlage, abzuheben. Eine Besonderheit in diesem Arrangement sind zum Beispiel auch die Schweb- und Clusterklänge in den langsamen Teilen. Hier klingt gerade ein sinfonisches Blasorchester sehr gut. Auf dem Klavier hingegen klingt es einfach falsch, da an manchen Stellen nahezu alle Töne einer Tonleiter zusammenklingen.“
Die mit viel Liebe zum Detail ausgeführte Instrumentation, nicht nur in den Bläsern, gibt den durchaus kompakten pop- und jazzorientierten Titeln eine feine Würze. Da tun dann auch nicht nur Ocean-Drum, Windmaschine und viele weitere Perkussionsinstrumente ihren Dienst, da gefällt beispielsweise auch die differenzierte Behandlung von Kontrabass und E-Bass, sowohl einzeln wie auch gemeinsam. Synthesizer-Effekte (Echolot, Bass-Boost, weicher fülliger Sound – Pad – oder Streicher) sind klug eingesetzt das Tüpfelchen auf dem i. Das Arrangement besteht aber auch ohne sie.
Fazit
Konsequent im Umgang mit Klangvorstellungen und Stilempfinden gibt Ratzeks Arrangement der Musik Klaus Doldingers – aus der Sicht von uns Freunden geblasener Musik sei diese Bemerkung bitte erlaubt – einen Zusatzwert.
In sinfonischer Prägung erscheinen die populären Melodien in einem durchaus nuancierten Licht. Nie unglücklich verfremdend oder gar anbiedernd banal. Bei aller Nähe zum Original nimmt die gewählte Orchesterform, ein großes Konzertblasorchester, selbstbewusst ihren Platz ein und tut das ihrige, um in rund 14 Minuten die Spannung nie abreißen zu lassen und, bei allem Anspruch, angenehm unterhaltendes Kino für die Ohren zu präsentieren.