Orchestra | Von Renold Quade

“Flashing Winds” von Jan Van der Roost

Flashing Winds

William V. Johnson schrieb 1993 in das Programmheft des »Cuesta Wind Ensembles« in San Luis Obispo (Kalifornien) zum Konzert am 11. Dezember: »Durch die World Association of Symphonic Bands and Ensembles (WASBE) haben wir nun einfachen Zugang zum Blasorchesterrepertoire aus vielen Ländern. ›Flashing Winds‹ ist ein wunderbares Beispiel für einige der farbenfrohen Stücke einer neuen Generation europäischer Komponisten, die das Blasorchester als ernst zunehmendes und unverwechselbares Medium des musikalischen Ausdrucks betrachten.«

Das ist nun immerhin schon über drei Jahrzehnte her, eigentlich nicht lange, aber es wirft einen schon fast historischen Blick auf die Entwicklungen und Möglichkeiten globaler Wahrnehmung von konzertanter Blasmusik. Und ja, große Teile europäischer Blasmusik heutigentags ist geprägt von einer Generation von Komponisten, die während dieser Jahrzehnte das Repertoire um interessante Originalkompositionen bereichert haben. Ein wichtiger Vertreter dieser Generation ist zweifellos Jan Van der Roost

Der Komponist

Jan Van der Roost wurde 1956 im belgischen Duffel geboren. Er studierte zunächst Posaune, Musikgeschichte und Musiklehre am Lemmens-Institut in Leuven, einem belgischen Musikkonservatorium. Dieses Konservatorium wurde 1879 von den belgischen Bischöfen als »École de musique religieuse« in Mechelen gegründet und später nach seinem ersten Direktor, Jacques-Nicolas Lemmens, benannt. Heute ist der Campus Lemmens Teil der »Luca School Of Arts«. 

Van der Roost setzte seine Studien danach am Königlichen Konservatorium von Gent mit Dirigieren und Komponieren zielstrebig weiter fort. Schließlich sollte das Komponieren seine Sache werden. Und so erhielt er schon bald nicht nur Aufträge aus Belgien, den Niederlanden, Frankreich, Deutschland oder Österreich, auch aus Ungarn, Finnland, Luxemburg, der Schweiz, England, Schweden, Kroatien, Italien, Spanien und Norwegen, weit darüber hinaus auch aus den USA, Taiwan, Singapur, Kanada, Kolumbien und Japan.

Roost
Jan Van der Roost

An das Lemmens-Institut, seinem heimatlichen Stammsitz, kehrte er lehrend immer wieder zurück. Aber auch als umtriebiger Gastdozent wirkte er in der ganzen Welt, besonders intensiv in Japan, an Musikbildungsstätten in Tokio, Nagoya und Kawasaki. Zudem ließen ihn Jurytätigkeiten, Workshops, Lektorate und Gastdirigate, dem Vernehmen nach in mehr als 45 Ländern, verteilt auf vier Kontinenten, immer wieder reisen und neue Eindrücke gewinnen.

Über 350 Kompositionen, über 25 Arrangements und über 60 CD-Aufnahmeprojekte sprechen da eine klare Sprache. Dabei zeichnete er sich nicht nur als ein produktiver und viel beachteter Komponist in der Bläserszene aus. Überdies stammen etwa ein Liederzyklus für Bariton und Kammerorchester, zwei Oratorien, eine Kinderoper, eine Sinfonie, Werke für Sinfonieorchester und diverse Instrumentalkonzerte für unterschiedliche Besetzungen aus seiner Feder. 

Die Idee

»Flashing Winds« wurde im Auftrag des West­flämischen Musikverbandes für das Jugendorchesters »Arlequino« geschrieben. »Aufblitzende, strahlende Bläser« verspricht der Titel und die hat die Bläserwelt wahrhaftig auch bekommen. Ein Werk, das in einem Konzert furios eröffnende oder aber auch furios abschließende Wirkung verbreiten kann.

Es beginnt maestoso mit durchaus eigenwilligen Akkordblöcken und macht sich dann, allegro energico, gemessen an den pulsierenden Achteln absolut konstant und ohne Tempowechsel schnittig auf den Weg. Der Witz dieser durchaus aufregenden Musik ergibt sich auf der einen Seite aus ständigen Taktwechseln, die der Rasanz des Werkes eine besondere Würze geben. Auf der anderen Seite brilliert die Instrumentation, die im Wechsel zwischen Holz, Blech und Schlagwerk die Stimmungen der schnell wechselnde melodischen Gedanken klug unterstützt.

Unserem Symmetrieempfinden gerne folgend, vergisst der Komponist auch nicht eine reprisenhafte Wendung mit zu berücksichtigen, auf die im Klappentext der Partitur wie folgt hingewiesen wird: »Die Akkordblöcke, die die Introduktion kennzeichnen, werden am Ende wieder aufgenommen, sodass diese glanzvolle Komposition ein Ganzes bildet.«

Der Aufbau von Flashing Winds

Pauken – man braucht mindestens drei – eröffnen durchaus recht gewaltig. Und ihr erster Ton ist noch nicht verklungen, da schlagen die Basstuben schon in die gleiche Kerbe und mischen sich paukenähnlich dazu. Das volle Blech serviert, aus dem energetischen Getümmel der rhythmischen Eingangsmotivik heraus, über viermal je zwei Takte gleichsam düstere, wie strahlende Akkorde. Diese ersten neun Takte, ein Mix von Pauken und Blech, formen eine Eröffnungsfanfare nicht »von der Stange« und sorgen für einleitend wache und gespannte Aufmerksamkeit.

Ab A etabliert sich in den mittleren und tiefen Stimmen, aus einem forte heraus mit anschließendem decrescendo, ein prägender Grundrhythmus. Der besteht aus zwei Komponenten. Einerseits wird er angetrieben durch eine osti­nate Figur in der kleinen Trommel, die eindeutig im 3er-Takt verankert ist. Andererseits reizt die darüberliegende rhythmische Figur der Bläser, die selbstverständlich auch im »dreier« zu verorten ist, mit zudem synkopischen Impulsen. Über je zweimal vier Takte wird der reguläre 3er-Takt »ungerade« geteilt, optisch quasi in 6/8-Figuren. Im Zusammenspiel erzeugt die Überlagerung beider Ströme federnde und auftaktige Wirkung, die auf ihre ganz eigene Art zu leichtfüßigem Fluss einlädt. 

Bis B ist somit eine treibende »Energie« definiert und die Trompeten, im nicht zu aufdringlichen forte, formen darüber über zweimal vier Takte eine prägende Melodie. Dieser melodische Gedanke passt sich schwungvoll seinem rhythmischen Unterbau an und fließt gleichsam federnd durch das bereits gut vorbereitete rhythmische Flussbett. Dieser Teil ist vornehmlich Sache des Blechs. Einige hohe Hölzer garnieren glanzvoll in der Wiederholung mit einer komplementären Umspielung. 

Klarinetten und Saxofone mit melodischer Verantwortung

In C/D übernehmen Klarinetten und Saxofone die melodische Verantwortung. In einem Wechsel von 6/8-, 3/4- und 5/8-Takten präsentieren sie tänzelnd, ganz ohne die so rhythmisch fordernde Unterstützung der bislang stark vorantreibenden Kräfte, über zweimal acht Takte ein neues Thema. Ab D schleichen sich die Blechkollegen aber wieder mit dazu und etablieren überleitend – und es ist wichtig, hier den Faden stabil wieder aufzunehmen – in den letzten beiden Takten dieses Gedankens die bereits bekannte Ausgangsrhythmik. In der Folge bildet sich eine Überleitung heraus, die zur wörtlichen Wiederaufnahme des Abschnitts B, nun als E, führt. F stellt noch einmal die C/D-Motivik vor. Die Überleitung wendet sich dann aber einem neuen Gedanken zu. 

In G dominiert ein ostinater 5/4-Takt. Lockere, ja durchaus auch »hämmernde«, gedämpfte Blechbläser bilden den rhythmischen Grundteppich, der in verschiedenen Stärken im Verhältnis »drei zu zwei« für kontrollierte Unruhe sorgt. Darüber fließt im kompletten Holz, im großen Unisono, den Betonungsvorgaben angepasst, zunächst über vier Takte eine raumgreifende Melodie. Die Hörner stützen darunter unauffällig, aber wärmend mit längeren Notenwerten akkordisch.                                Ab dem fünften Takt in G, piano, entwickelt sich drängend nur noch der Themenkopf des raumgreifenden melodischen Gedankens.

Takt für Takt schiebt er sich weiter vor und erlaubt sich im achten Takt gar einen kleinen burlesken melodischen Bruch mit der »drei zu zwei«-Ordnung. Die wird mit den beiden folgenden Dreiertakten dann im Übrigen zunächst einmal aufgegeben. Aber H findet wieder zum bekannten Fünfergefüge zurück, bis schon vier Takte später das Geschehen von einen 6/4-Takt erneut durchbrochen wird. Somit entpuppt sich H weniger als Fortführung, vielmehr als überleitendes Zwischenspiel, welches die Wiederholung des gesamten Abschnittes ab G vorbereitet.

Rhythmisch vollkommen neues Gewand

Nach dieser Wiederholung folgt der Rücksprung zu B, eingeleitet durch eine achttaktige Überleitung, die ordnend wieder den für B prägenden Grundrhythmus etabliert. Erreicht man erneut D, geht es via Kopfzeichen in die Coda, die sich noch einmal mächtig aufbäumt.

Die Akkordblöcke der Einleitung erleben eine Wiedergeburt im rhythmisch vollkommen neuen Gewand. Wo zu Beginn zunächst auffällig Pauken und Tuben vorangingen, sorgen nun im großen Unisono die Hölzer und das weiche tiefe Blech mit aufstrebenden Achtelketten für einleitende Aufmerksamkeit. Dem folgen in hemiolischer Manier die Akkordblöcke. Eine Hemiole ist eine Sonderform der Synkope, die das Betonungsschema eines Taktes durch Akzentverschiebung vorübergehend aufbricht und somit den Schein einer anderen Taktart erweckt.

Werte von zwei Schlägen addieren sich (durch Überbindungen ermöglicht) hier nun konstant in einem grundsätzlich von einem Dreiertakt bestimmten Gefüge. Das verbreitet stauende, gar torkelnde Wirkung. Unbeachtet davon fließt aber zudem und ganz selbstverständlich das Tempo stringent immer weiter. Ich erinnere hier gerne an eine Eingangsbemerkung im Text, die erläuterte, dass das Tempo der Achtel im ganzen Werk ab A immer gleichbleibend ist, vollkommen unabhängig von Takt­arten und Notenwerten. Somit macht dieser Mix aus Stau und Fluss über zwölf Takte im Tutti, prinzipiell (nur) im forte und zudem mit charmanten forte-piano-Effekten aufgelockert, auf seine neue eigene Art noch einmal ordentlich Furore.

Ab I verschlankt sich das Partiturbild ganz kurz noch einmal. Die bislang üblichen Verdächtigen bauen aus einem erneuten forte-piano mit crescendo heraus den prägenden Grundrhythmus von Neuem auf und beenden schließlich, über sechs Takte, im Tutti und im strahlenden Fortissimo, abschließend die Eskapaden der aufblitzenden Bläser und Schlagwerker.  

Die Instrumentation

Das Werk ist in der Oberstufe angesiedelt und da gehört es, ob seiner rhythmischen Finessen, ob seiner Anforderungen an Artikulation und wachem harmonischem Empfinden, sicherlich auch hin. Dabei sind die rein bläserischen Anforderungen, was Tonhöhen und Technik betrifft, eher im Mittelfeld anzusiedeln. 

Solistisch ragt nichts wirklich heraus. Aber viele Instrumentenkonstellationen verlangen, im Hinblick auf Balance und gut aufeinander abzustimmende Phrasenverläufe, große Disziplin. Das Gleiche sollte da eher dasselbe sein. Hier ist es, wenn man so will, die Kunst, solistische Gruppeneindrücke in großer Geschlossenheit abzubilden.

Vorzeichen sind in diesem Werk nicht von vornherein am Notenschlüssel starr vorabdefiniert. Sie werden gesetzt, wenn sie gebraucht werden. Diese Vorgehensweise bedeutet aber nicht eine grundsätzliche Abkehr von Prinzipien der tradi­tionellen Harmonielehre. Sie eröffnet vielmehr Möglichkeiten und Spielräume, klanglichen Besonderheiten mit immer frischer Aufmerksamkeit, »flashing«, auf die Sprünge zu helfen. 

Fazit

»Flashing Winds« gehört heute sicherlich in das Regal der Klassiker, der Klassiker einer Zeit, als neue konzertante Blasmusik sich mutig aufmachte auf anderen, ungewohnten und frischen Wegen, eigene, selbstbewusste Identitäten zu entwickeln. Und die Szene nahm diese Angebote gerne an, richtete sich de facto durchaus ein Stück weit daran auf und begann sich neu zu justieren.

Titel wie »Flashing Winds« wurden »rauf und runter« gespielt und heute, so ging es mir zumindest, stolpert man eher durch Zufall wieder einmal darüber. Wir haben es in der Musikschule dann bewusst erneut ausgepackt und hatten sofort wieder Spaß damit.

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