Die Flötistin und Dirigentin Dorothee Oberlinger wurde kürzlich zur Telemann-Botschafterin berufen, denn die Musikwelt begeht den 250. Todestag des Barockkomponisten. Dorothee Oberlinger nennt Telemann einen ihrer absoluten Favoriten, was man auch an der Diskografie ablesen kann.
Wir treffen die gebürtige Aachenerin in München nach einem Konzert von »Celtic Baroque« mit Vittorio Ghielmi. das neue Album heißt »Rococo«. Telemann fehlt diesmal.
Auf Ihrem aktuellen Album spielen Sie Musik aus dem 18. Jahrhundert. Der Titel ist »Rococo. Musique à Sanssouci«. Wie geht man an diese Aufgabe heran?
Natürlich muss man versuchen, sich in diese Zeit hineinzuversetzen. Man muss sich informieren: In welchen Räumen haben die Leute gespielt, welches Instrumentarium haben sie verwendet, welchen Stimmton hatten sie, welche Sprache haben sie benutzt?
Am Hof Friedrichs des Großen etwa gab es einen starken französischen Einfluss. Voltaire war dort und Quantz. Der Flötenlehrer des Königs war in seiner Flötensprache extrem französisch beeinflusst, weil er Schüler von Pierre-Gabriel Buffardin war, 1. Flötist in Dresden. Die Franzosen lieben diese Inegalität, diese Unregelmäßigkeit in der Artikulation. Dies hat er auch seinem König gelehrt.
Das ist natürlich etwas total Fundamentales, wenn ich eine Melodielinie mit diesen Artikulationen oder mit den Verzierungen spiele, die Quantz beschreibt. Dies hat viel mit Rokoko zu tun – nicht nur mit der Musik, sondern auch mit der Architektur und der Literatur, mit der Delikatesse, die darin steckt.
Auf der anderen Seite sind wir natürlich Menschen von heute und man kann sich nicht eins zu eins vorstellen, wie es wäre, ein Mensch des 18. Jahrhunderts gewesen zu sein. Wie man als Frau im Mieder womöglich oder unter Verwendung der höfischen Etikette gelebt hat, kann man sich also nur beschreiben lassen.
Im Schauspielfach gibt es den Begriff des »Method Acting«, nach der sich Schauspieler mit der verkörperten Person identifizieren. Ist das in der Musik möglich bzw. gewünscht, dass man sich in Personen hineinversetzt?
Ich glaube, man versetzt sich nicht in Personen hinein, sondern in die Musik. Und zwar in den Affekt. Das ist das zentrale Wort der Barockzeit. In der Musik der Barockzeit muss man eigentlich in dem Moment die Emotion, die da transportiert werden soll, wirklich fühlen.
Das ist ja ein ganz verwobenes Geflecht aus musikalischen Figuren, Seufzern, Ausrufen. Wenn man die in dem Moment nicht empfindet und versteht, kann sie auch der Zuhörer nicht verstehen. Ich glaube schon, dass, wenn etwas tief traurig ist, man sich auch in diesen Affekt hineinversetzen muss, damit das auch über die Rampe kommt.