Frank Ticheli, so scheint es, hat immer gute Laune. So müsste im Wörterbuch unter »Sonnyboy« eigentlich ein Querverweis auf den amerikanischen Komponisten zu finden sein. Ticheli ist sympathisch, charmant, immer freundlich. Außerdem hat er Humor. Auf die Vorwarnung »Mein Englisch ist nicht perfekt« entgegnet er trocken: »Meines auch nicht.« Sich selber bezeichnet er als Promenadenmischung. Tichelis Mutter hat deutsche, englische, irische und indianische Vorfahren, während der Vater italienisch-irische Wurzeln hat: »Das ist typisch amerikanisch, wir sind alle Promenadenmischungen.«
»Warum haben Sie sich eigentlich seit ›Blue Shades‹ nicht mehr weiterentwickelt?« Die Frage aus dem Workshop-Plenum trifft den Komponisten Frank Ticheli unerwartet – wenn nicht wie ein Keulenschlag. Ist doch solch ein Urteil für einen Komponisten ein vernichtendes, zumal das Werk »Blue Shades« bereits aus dem Jahre 1995 datiert. Nach der Äußerung herrscht kurzzeitig angespannte Stille im Raum. Fährt Frank Ticheli jetzt aus der Haut? Wirft er den »Störenfried« hinaus? Mitnichten. Dass Ticheli die Meinung nicht teilt, ist eigentlich müßig zu erwähnen, doch der US-Amerikaner schießt nicht einfach in Wildwestmanier zurück, er diskutiert es aus. Er hört sich die Argumente an, entgegnet diesen dann aber in aller Deutlichkeit und einer guten Portion Humor. Sicher sei »Blue Shades« eines der besten Ticheli-Werke, doch wer die Werke höre, etwa »An American Elegy«, »Vesuvius« (beide 1999) oder die »Symphony No. 2« (2004) – vorausgesetzt es handelt sich um eine gute Aufführung – merke, dass der Komponist keineswegs stehen geblieben sei.