Der Anlass ist ein freudiger. Und hat doch auch einen traurigen Hintergrund. Gemeinsam mit der österreichischen Gemeinde Ebensee macht die Stadt Wangen im Allgäu der italienischen Stadt Prato ein musikalisches Werk zum Geschenk. Grund dafür sind zwei Jubiläen: Wangen und Prato feiern ihre 35 Jahre währende Partnerschaft ebenso wie Prato und Ebensee. Der traurige Hintergrund liegt in der Zeit des Nationalsozialismus. Auch deshalb sind das Werk und dessen Uraufführung Anfang April in Wangen “sehr emotional”, wie der Komponist Fritz Neuböck ausführt.
Sie hießen Edo Settimo Abati, Gino Bartolini, Leonello Betti, Umberto Caiani und Mario Fagotti und sie stammten alle aus dem toskanischen Prato. Und sie alle starben 1944 im österreichischen Ebensee am Traunsee. Heute belegen Stolpersteine, wann und wo diese Männer – und mit ihnen viele weitere – verhaftet wurden. Und heute gibt es unter anderem zwei sehr rührige Städtepartnerschaften als Teil einer Erinnerungskultur und auch als Mahnung für den Frieden und die Völkerverständigung.
Die Geschichte der Städtepartnerschaft zwischen Ebensee und Prato hat also ihren Ursprung in der unseligen Zeit des Zweiten Weltkrieges. Im März 1944 wurden etwa 950 Italiener ins KZ Mauthausen deportiert und von dort nach Ebensee zum Bau von Stollenanlagen gebracht. Wegen der unmenschlichen Bedingungen kamen hier neben Edo Settimo Abati, Gino Bartolini, Leonello Betti, Umberto Caiani und Mario Fagotti weitere 390 Italiener im KZ Ebensee zu Tode.
Partnerschaften mit Wangen und Ebensee
Die Stadt Wangen steht seit den 1980er-Jahren in regem Austausch mit der Stadt Prato. Damals war nämlich der Wangener Fanfarenzug zur Teilnahme am historischen Umzug am 8. September nach Prato eingeladen worden. Im Jahr 1988 wurde die Städtepartnerschaft dann offiziell besiegelt. Dieses 35-jährige Jubiläum ist letztendlich der Anstoß für die Uraufführung im April 2023.
Dass dann schließlich alles so kam, wie es kam, ist auch ein wenig dem Zufall zu verdanken, merkt Tobias Zinser, der Dirigent der Stadtkapelle Wangen, lachend an. Der erste Zufall war der, dass sowohl Wangen als auch Ebensee solch eine Partnerschaft – und vor allem fast gleich lang – mit Prato haben. Seit 35 Jahren. Als der Wunsch nach einer Auftragskomposition vonseiten der Stadt an Tobias Zinser und seine Stadtkapelle herangetragen wurde, unterhielt Zinser sind mit dem Verleger Thomas Rundel darüber, “wer denn solch ein Werk wohl schreiben könnte…” Und weil Neuböck schon das ein oder andere Werk beim Musikverlag Rundel verlegt hatte, kennt man sich. Thomas Rundel kam dann auch recht schnell auf Neuböck, weil “der doch Leiter der Landesmusikschule Ebensee ist!” Der gebürtige Ebenseer lebt auch heute in der Marktgemeinde und arbeitet als Komponist, Musiklehrer und Dirigent. Der Kreis hatte sich geschlossen.
Fritz Neuböck kennt die Thematik gut
Fritz Neuböck war sofort mit Begeisterung dabei und auch eine Wangener Delegation mit Zinser und Bürgermeister Michael Lang besuchte Ebensee und die Gedenkstätte. “Ich bin ja mit der Thematik aufgewachsen”, erklärt Fritz Neuböck, “sie ist allgegenwärtig”. Er schränkt ein: “In meiner der Schulzeit war es noch ein Tabuthema, aber spätestens danach war es sehr präsent.” Und tatsächlich hat es recht lange gedauert, bis die Partnerschaft offiziell gemacht wurde. Denn bereits im Jahre 1948 besuchten Überlebende den KZ-Friedhof Ebensee. Jahrelange Bemühungen um eine engere Beziehung zu Ebensee und deren Bevölkerung vonseiten der Italiener blieben erfolglos. Erst im Jahre 1987 kam es unter Bürgermeister Rudolf Graf zur Gründung der Städtepartnerschaft zwischen Prato und Ebensee.
Partnerschaft für Frieden
Die Auseinandersetzung mit den Verbrechen an den italienischen Zwangsarbeitern sei “ein wichtiges Thema für mich”, erzählt der österreichische Komponist, “denn ich habe die Verbindung mit Prato von Anfang an, die Thematik bestimmt meinen musikalischen Lebensweg. Ich habe mich wirklich gefreut, dass ich dieses Werk schreiben durfte.” Ein wenig habe er sich und seine Emotionen, gibt er zu, schon auch bremsen müssen, denn beim Auftragswerk stehe ja die Partnerschaft, “eine Partnerschaft für Frieden und Völkerverständigung” im Mittelpunkt. Natürlich hat Neuböck die dunkle Vergangenheit eingeplant, doch diese “Dramatik, die diese Thematik hat, soll nicht überlagern, sondern soll in der Freude münden, dass man trotz dieser schrecklichen Vergangenheit eine Freundschaft schließen konnte.” Wenngleich das Werk möglicherweise das leichteste Stück auf dem Programm des Frühjahrskonzerts war, war die Emotionalität für alle Beteiligten nicht zu leugnen.
Als “ein Fest für die Ohren” bezeichnet die Kritikerin der Schwäbischen Zeitung die Aufführung des Werks “Prato”, das den Untertitel “Ponte per la pace”, “Brücke für den Frieden” trägt. Das Werk von Fritz Neuböck ist aus fünf musikalischen Bildern zusammengesetzt. Der Österreicher steigt mit einer “Fanfare der Freundschaft” ein, um dann mit dem “Mittelalterlichen Tanz” nach einer Melodie des aus dem benachbarten Florenz stammenden Komponisten Francesco Landini (14. Jahrhundert) an jene Zeit zu erinnern, als Prato noch die “Lumpenkammer Europas” genannt wurde.
Herzstück ist “Gebet für die Gefallenen”
Der Mittelteil, für Neuböck das “Herzstück”, bildet das “Gebet für die Gefallenen”, das in einem Choral mündet. Das “Gebet” erinnert an jene belastende Vergangenheit, in der Häftlinge aus der Region Prato ihr Leben im KZ-Außenlager “Zement” in Ebensee lassen mussten. Das “Lied der Freude” und “Freunde für immer” schließt nicht nur eine tanzfreudige Tarantella mit ein, sondern letztendlich auch Sequenzen aus Pratos heimlicher Hymne “Voglio cantare a te … Cittá di Prato” (Ich möchte für dich singen … Prato) von Rudolpho Baccini.
Ein transparentes Werk
Und selbst wenn sein neuestes Werk vielleicht tatsächlich das leichteste auf dem Programm war – Neuböck denkt an Grad 4 –, muss auch dieses erst einmal gut gespielt sein. Das Werk, findet der Komponist, sei “sehr transparent” und halte viele kammermusikalische Stellen bereit. Das zu wissen, sei bei solch einem großen Orchester, extrem wichtig. “Das kann schwierig werden, das muss der Dirigent hat beachten.” Aber, lacht der Komponist, “bei Tobias Zinser ist das Werk ja in guten Händen …” Es sei schon spannend gewesen, zu hören, wie sich der Klang aufgrund der Größe des Wangener Orchesters verändert – “meins ist ja doch ein bisschen kleiner …”
Tobias Zinser ist vom Auftragswerk “Prato” begeistert. “Die Komposition ist klasse gemacht und sehr organisch. Technisch gesehen stellt sie mein Orchester vor keine größeren Probleme. Doch gerade deshalb muss man dafür Sorgen, den Spannungsbogen aufrechtzuerhalten!”
Es war schon spannend, “mein Werk vor Publikum zu erleben”, gesteht Neuböck. “Meine Kompositionen sind ja ein bisschen wie meine Kinder. Ich stelle sie in die Welt und sie müssen sich bewähren.” Und im konkreten Fall hat Neuböck sein Werk nicht selbst dirigiert, deshalb sei er schon recht aufgeregt gewesen und habe ein Kribbeln verspürt.
Zinser findet: “Es war eine sehr gelungene Uraufführung. Ich konnte sie genießen. In den Proben dirigiert man ja nicht, da seziert man und sucht nach Fehlern, die man noch verbessern kann.” Er lacht. Das falle natürlich bei der Aufführung vor Publikum weg.
Im September auch in Prato
Die Idee des Auftrags sei eben auch gewesen, dass man das Thema nicht künstlich kompliziert angeht, sondern so anlegt, dass es viele spielen können. “Das Werk und damit die Botschaft soll in die Lande getragen werden!” Die Orchester aus Ebensee und Wangen spielen das Werk im Juni unter dem Dirigat von Fritz Neuböck gemeinsam in Wangen. Und im September soll das Werk dann auch im toskanischen Prato erklingen.
“Wir wollen die Erinnerungskultur pflegen”, fordern Komponist und Dirigent unisono. “Wehret den Anfängen!” Man wolle für Völkerverständigung werben. Zinser erinnert an die Russland-Reise der Stadtkapelle Wangen und wie freundlich und offen die Menschen dort gewesen seien. “Reisen bildet!” Vor dem Hintergrund des aktuellen Ukraine-Kriegs ist der Dirigent schier fassungslos: “Man dachte doch: Bei uns passiert so was nicht …”
Wangens Bürgermeister Michael Lang schreibt in seinem Grußwort des Frühjahrskonzerts: “Es ist das konkrete Bestreben, gemeinsam zu handeln, damit der Frieden und die Ideale der Geschwisterlichkeit und Solidarität unter den Völkern für die Zukunft gewährleistet werden.”