Brass, Szene | Von Peter Mußler

Gábor Tarkövi hört auf! Leben und Lehren eines Spätzünders

Baden-Baden ist ein kleiner, aber mondäner Kurort am Fuße des Schwarzwalds, bekannt für seine Thermen, die Pferderennbahn vor den Toren der Stadt, natürlich sein prächtiges Casino und auch dafür, vornehmlich bei Russen sehr beliebt zu sein. Doch auch Musikfreunde zieht es öfter in die Stadt mit dem eineiigen Zwillingsnamen, denn das dortige Festspielhaus ist ein Garant für große Namen, in erster Linie im klassischen Genre.

Die diesjährigen Osterfestspiele brachten – wieder einmal – die Berliner Philharmoniker nach Mittelbaden. Besonderheit jedoch im Jahre 2019: Es war der letzte offizielle Besuch des Orchesters mit einem etatmäßigen ersten Solotrompeter, der Gábor Tarkövi heißt. Der im Frühjahr sein fünftes Jahrzehnt vollgemacht habende Ungar hängt seinen Job vor der nächsten Spielzeit an den Nagel. Für viele passiert das vor der Zeit. Für Tarkövi selbst dürfte wohl alles zum rechten Zeitpunkt geschehen. Dem TrumpetScout erklärt er seine Entscheidung.

Höflich, freundlich, nicht aufgesetzt und übeschwänglich

Es ist Ostermontag, späterer Vormittag, als ich Gábor Tarkövi vor dem Künstlereingang treffe. Er kommt aber nicht aus seinem Hotel oder einem Café, sondern aus dem Lagerraum der Berliner Philharmoniker irgendwo hinter den Kulissen, denn dort hat er sich eingespielt. »Das mache ich jeden Tag so, nur ein bisschen, eine bis anderthalb Stunden.«

Das ist kein Understatement, auch wenn er wohl dazu neigt, schließlich übt Tarkövi täglich zwischen drei und vier Stunden. Höflich ist er, der Mann, dessen Augenbrauen oft eine leichte Besorgtheit signalisieren, freundlich, nicht aufgesetzt und überschwänglich, aber eben so, wie man einem Fremden gegenüber ganz einfach sein sollte, wenn man nicht nur an das Schlechte im Menschen glaubt.

Nach einem kurzen Abstecher in den Überaum mit den großen schwarzen Reiseschränken des Orchesters suchen wir im Labyrinth des Gebäudes nach einem freien und ruhigen Raum. Leider sind viele Türen heute verschlossen und so steigen wir durch die Kulisse von »Otello« ins lichtdurchflutete Foyer und plaudern dort, wo abends der Champagner fließt.

Darum hört Tarkövi auf

Ich beginne mit der brennendsten Frage: Wieso machen Sie Schluss? Tarkövi lächelt, blickt schräg nach oben, überlegt und antwortet wie ein Aphoristiker: »Eine Professur muss man dann nehmen, wenn sie frei ist.« Da ist also zumindest ein Grund: Tarkövi wechselt das Fach.

Denn seit 2018 unterrichtet er an der Universität der Künste in Berlin und besetzt somit die seit fünf (!) Jahren vakante Stelle seines Vorgängers Konradin Groth, bei dem zum Beispiel auch Matthias Höfs Unterricht erhielt.

Aber warum denn nicht spielen und lehren? Auch wenn Tarkövi während des Gesprächs erklärt, dass der Stressfaktor beim Unterrichten gering und reine Lehrtage im Vergleich zu Auftrittstagen beinahe erholsam seien, so macht er doch klar, dass auf Dauer beides nicht parallel funktionieren kann.

»Für die Solotrompete muss man wahnsinnig viel üben. Im Satz ginge es vielleicht. So ist es viel zu viel.« Ein Unterrichtstag brauche zudem einen eigenen Kopf und das komme der Orchesterarbeit in die Quere. Die Entscheidung für das Ende als Trompeter bei den Berliner Philharmonikern fiel deshalb bereits im Frühjahr 2018.

Darüber hinaus sucht Tarkövi weitere Herausforderungen. »Ich habe neue Aufgaben immer gerngehabt. Und die Mahler-Sinfonien kenne ich schon!« Und ja, immerhin spielt der 50-jährige Ungar bereits seit 28 Jahren im Orchester und 15 Jahre davon bei den Berliner Philharmonikern. Höher hinaus kann es nicht mehr gehen, eben nur länger.

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