Sechs Herren und eine Lady. Blech, Schlagwerk und Gesang. Sechs Münchner Philharmoniker und die Sängerin Anna Veit: Das ist GoldMund. Auf dem aktuellen Album »MehrOderWeniger Legenden« wandelt das unkonventionelle Ensemble auf den Spuren echter Legenden und präsentiert »die großen Geschichten dieser Welt – und ich schwöre Ihnen, Sie kriegen sie alle und Sie kriegen sie vor allem sogar gleichzeitig«, verspricht Anna Veit, Mezzosopranistin, Chansonnière, Schauspielerin, Moderatorin und Märchenerzählerin. Wir sprachen mit Anna Veit über Legenden, Gesundheit und das Singen.
»MehrOderWeniger Legenden« heißt das aktuelle Album. Das Lexikon schreibt: »Legenden haben meist einen wahren Kern, der fantastisch ausgeschmückt wird«. Was macht für Sie eine Legende aus?
Das ist die Frage… und das Fragezeichen ist die Antwort. Genau deshalb heißt unser Album »MehrOderWeniger«. Eine Legende kann eine Person oder eine Geschichte sein. Es sind Erzählungen oder Menschen, die über den Tod hinaus, über Zeiten und Generationen hinweg, Bedeutung behalten.
Habt ihr die Musik nach diesem Konzept ausgewählt?
Wir sind sieben Leute, die alle mehr oder weniger mitsprechen. Als vom Label die Frage nach einem neuen Album aufkam, haben wir uns gefragt: Was treibt uns an? Was wollen wir erzählen? Wer interessiert sich für ein Blasmusikensemble mit Sängerin? Letztlich sind wir darauf gekommen, dass wir nichts anderes machen, als Geschichten zu erzählen – und das ist zutiefst menschlich.
Außerdem sind die sechs Münchner Philharmoniker, mit denen ich spiele, für sich genommen schon Legenden. Jeder hat eine beeindruckende Karriere.
Wir wollten erst ein Chansonalbum machen, sind dann aber darauf gekommen, dass diese Chansons an sich schon kleine Theaterstücke sind. Unsere Musik ist voller kleiner Theaterminiaturen, gespickt mit Zitaten legendärer Werke. Die Idee zu diesem Album führte uns zu Scheherazade, dem Märchen schlechthin, der Essenz des Geschichtenerzählens, und weiter zu Goethes Faust und James Bond. Beide sind Legenden auf ihre Weise – und es war reizvoll, diese Welten musikalisch zu verbinden.
Aber was haben Goethes Faust und James Bond gemeinsam?
Beide sind starke, gebildete Persönlichkeiten – Suchende und Gebrochene. Und beide sind auf der Suche nach Liebe. Letztlich geht es um Themen, die jeden Menschen berühren: Liebe, Tod, Angst, die Suche nach dem Glück. Das verbindet uns alle, und genau das erzählen wir mit unserer Musik.
Kommen die Programme auch deshalb so gut an, neben eurer Musikalität natürlich?
Wir wollen berühren und selbst berührt werden. Das treibt uns an. Nach Konzerten kommen Menschen zu uns, teils mit Tränen in den Augen, und erzählen, dass wir genau ihr Thema getroffen haben. Andere lachen und sagen, es sei wie für sie gemacht. Diese Resonanz macht unsere Arbeit so erfüllend.
Wie ist das Ensemble überhaupt entstanden?
Man kannte sich natürlich, ich hatte 10 Jahre lang die »Nina Nudel« in der Produktion »Ristorante Allegro« der Münchner Philharmoniker gespielt. Unsere Zusammenarbeit begann dann eher zufällig, wie so oft bei einem Gespräch nach einem Konzert. Bernhard Peschel, einer der Trompeter, hatte mich bei einem Chansonabend gesehen und meinte, wir sollten etwas zusammen machen. Meine erste Reaktion war skeptisch: Stimme und fünf Blechbläser? Aber wir haben es ausprobiert – und es hat funktioniert. Nach einem Neujahrskonzert wurde uns klar, dass unser Ansatz, Klassik mit Chansons und Geschichten zu verbinden, eine besondere Resonanz hat. Der Hornist Uli Haider, unser Organisator, hat das Ensemble dann maßgeblich strukturiert und weiterentwickelt.
Wie wählt ihr die Musik aus?
Es ist ein demokratischer Prozess, bei dem jeder Vorschläge einbringen kann. Beim Weihnachtsalbum durfte sich jeder Stücke wünschen, die dann arrangiert wurden. Wir arbeiten eng mit Komponisten und Arrangeuren zusammen, die unsere Vision verstehen. Für »MehrOderWeniger Legenden« haben wir mit Matthias Ambrosius und anderen gearbeitet, die unsere Ideen großartig umgesetzt haben.
Gibt es auch Ideen, die nicht umgesetzt werden konnten?
Es gibt immer Träume – zum Beispiel, dass alle im Ensemble auch schauspielerisch aktiv werden. Aber die Rollen sind klar verteilt: Die Musiker sind auf einem unfassbar hohen Niveau, während ich die Geschichten erzähle. Zeit ist unser größter Engpass. Wenn wir mal zwei Wochen ununterbrochen an einem Projekt arbeiten könnten, wer weiß, was da entstehen würde! Aber auch so fühlen wir uns erfüllt und glücklich mit dem, was wir schaffen.
Gibt es eine Legende, mit der Sie gerne musizieren würden?
Oh, da gibt es viele! Gustav Mahler hätte ich wahnsinnig gerne kennengelernt, ebenso John Lennon – ich war ein bisschen in ihn verliebt. Die Sängerin Brigitte Fassbaender bewundere ich sehr, und die Münchner Philharmoniker waren immer ein Traum von mir. Es gibt so viele inspirierende Künstler, lebende und vergangene, die mich faszinieren. Ich glaube, mit jeder Legende würde sich eine ganz eigene Magie entfalten.
Wie sind Sie zur Musik gekommen, und wann haben Sie entschieden, dass das ein beruflicher Weg sein könnte?
Ich bin auf einem Bauernhof aufgewachsen, mitten auf dem Land. Mein erster Zugang zur Musik war das Singen im Alltag. Meine Oma hatte eine wunderbare Stimme und auch mein Vater hat eine tiefe Liebe zur Musik, die mich geprägt hat. Mein erstes Instrument war ein Keyboard, später kam ein Kirchenchor dazu und ein Orgellehrer ermutigte mich, Klavierunterricht bei einem richtig guten Lehrer zu nehmen.
Mit der Zeit wurde immer wieder jemand auf mich aufmerksam und sagte: »Kümmere dich darum, das ist etwas Besonderes.« Diese Bestärkung nahm ich, typisch für ein katholisch geprägtes Kind vom Land, sehr ernst. Der Wunsch, Musik zu meinem Beruf zu machen, wuchs nach und nach. Spätestens im Musikschulgymnasium war klar: Das ist mein Weg. Dort hatte ich meinen Fokus schon vollkommen auf die Musik gerichtet. Nach der Schule begann ich, Lehramt Musik zu studieren – aus einem starken Antrieb heraus. Ich wollte den Musikunterricht, den ich oft als uninspirierend erlebt hatte, verbessern. Musik sollte wieder Spaß machen! Doch während meines Studiums merkte ich, dass ich noch nicht am Ziel war. Mit 23, nach dem Staatsexamen, fühlte ich mich zu jung, um zu unterrichten. Zudem gaben mir Lehrer immer wieder neue Impulse, die mich inspirierten.
Eine Gesangslehrerin ermutigte mich schließlich, mich voll auf meine Stimme zu konzentrieren. Das Theater und die Begeisterung fürs Musical führten mich dann nach Wien, wo ich ein Musicalstudium begann. So wurde ich, wie ich es gerne ausdrücke, von der Welt der Bühne eingesaugt.
Wie wichtig ist es, als Sängerin auf die eigene Gesundheit zu achten?
Sehr wichtig, aber es kommt auch darauf an, welcher Sängertyp man ist. Manche Stimmen scheinen unverwüstlich, aber im Grunde ist es entscheidend, sich selbst gut zu kennen. Das ist gar nicht so leicht. Man muss lernen, mit den eigenen Grenzen umzugehen, sei es bei Schlafmangel, schlechter Ernährung oder anderen Belastungen. Diese Selbstkenntnis ist vielleicht das, was einen Profisänger von einem Amateursänger unterscheidet: die Fähigkeit, den eigenen Zustand einzuschätzen und entsprechend zu handeln.
Professionalität bedeutet für mich auch, die eigene Verfassung vom Tun zu trennen. Egal, ob es einem gut oder schlecht geht – das Publikum erwartet eine perfekte Darbietung. Hinter der Bühne kann man dann immer noch seine Emotionen ausleben. Aber auf der Bühne zählt nur die Performance.
Hat der Beruf als Sängerin Ihren Blick auf die Leidenschaft fürs Singen verändert?
Das ist eine spannende Frage. Ich glaube, jeder Berufsmusiker hat Phasen, in denen er hadert – gerade, wenn die Stimme nicht so funktioniert wie gewohnt. Es kann schrecklich sein, auf der Bühne zu stehen, während man innerlich kämpft.
Singen ist für mich mehr als ein Beruf – es ist eine Essenz des Lebens, ähnlich wie Musik oder Gebet. Ich sehe das besonders seit der Geburt meiner Kinder. Sie haben mein Bewusstsein für die Bedeutung des Singens geschärft, vor allem im Hinblick auf die Entwicklung von Kinderstimmen und die Sprachförderung.
Singen bringt Menschen sich selbst näher. Das macht es so wertvoll. Singen ist ein sehr intimer Ausdruck. Beim Singen treten Emotionen zutage, von denen man nicht gewusst hat, dass sie da sind.
Wird heute zu wenig gesungen?
Absolut. Singen ist nicht nur ein Akt der Freude, sondern auch ein Weg, sich selbst zu entdecken. Leider haben viele Menschen schlechte Erfahrungen mit dem Singen gemacht und trauen sich deshalb nicht mehr. Das ist eine tiefe Verletzung, die oft ein Leben lang anhält. Ich höre immer wieder von Erwachsenen, dass sie nur heimlich singen – im Auto oder in der Badewanne. Dabei könnte Singen so viel mehr sein: ein Ausdruck des eigenen Inneren.
Gerade bei Kindern ist das besonders wichtig. Singen fördert nicht nur die Sprachentwicklung, sondern auch das Selbstwertgefühl. Leider wird in der Schule heute viel zu wenig gesungen, und auch Musikunterricht wird oft nicht ernst genommen. Das ist ein Verlust für unsere Gesellschaft. Wir denken zu oft in Leistung und Wirtschaftlichkeit, statt Raum für Kreativität und Menschlichkeit zu lassen.
Was wünschen Sie sich, dass die Menschen von euren Konzerten mitnehmen?
Ich wünsche mir, dass die Menschen berührt werden. Bei unseren GoldMund-Konzerten darf alles sein – Freude, Trauer, Überraschung. Es geht darum, einen sicheren Raum zu schaffen, in dem man sich fallen lassen kann. Wenn jemand nach einem Konzert nach Hause geht und das Gefühl hat, sich selbst ein Stück nähergekommen zu sein, dann haben wir unser Ziel erreicht.

Anna Veit
Anna Veit verbrachte ihre Kindheit in Kramersdorf / Niederbayern. Als Folge erster einschlägiger Erfahrungen an der Kirchenorgel und auf dem Tanzboden studierte sie an der Musikhochschule München und am Konservatorium Wien.
Engagiert wurde Anna Veit als Musicaldarstellerin u.a. von den Vereinigten Bühnen Wien, der Volksoper Wien, dem Stadttheater Klagenfurt, dem Tiroler Landestheater Innsbruck, vom Theater Trier und den Bad Hersfelder Festspielen. 10 Jahre lang verkörperte sie »Nina Nudel« in der Produktion »Ristorante Allegro« der Münchner Philharmoniker.
Anna Veit und 6 Musiker der Münchner Philharmoniker bilden das Ensemble »GoldMund«. 2021 veröffentlichte man »Fürs Erste«, Chansons mit Stimme und Blech, sowie die WeihnachtsScheibe »Mehr oder weniger LAMETTA«.
(Foto: Sandra Eckhardt)