Orchestra | Von Klaus Härtel

Gregor Kovačič über „Dirigieren oder dirigiert werden“

Dirigieren

Gregor Kovačič hat ein Buch geschrieben: „Dirigieren oder dirigiert werden“. Der Titel regt schon zum Nachdenken an. Ist es ein entweder/oder? Geht auch beides? Wie wichtig ist Kommunikation in diesem Spannungsfeld? Soll man als Dirigent viel oder wenig reden? Mit uns hat Gregor Kovačič ausführlich gesprochen. Denn wir haben da ein paar Fragen … 

Herr Kovačič, Frank Zappa hat in einem seiner letzten Interviews einmal voller Überzeugung gesagt: „Jeder Dirigent ist ein Diktator!“ Hatte er Recht?

Das ist sehr interessante Frage. Wenn wir das Wort »Diktator« hören, blocken wir sofort ab. Aber wenn wir ehrlich sind, fasziniert uns die Macht alter Maestros auch: Toscanini, Furtwängler, Stokowsky … Die Ablehnung ist sehr natürlich, aber so kann – meiner Meinung nach – keine Entwicklung von neuen musikalischen Ideen entstehen. Es gibt nur die eine Interpretation und keine andere! Wenn sie mich fragen, was ich lieber nehme – Macht oder Entwicklung? Dann würde ich immer die Entwicklung auswählen: Ich fahre lieber mit einem neuen Tesla als mit einer alten Kutsche.

Ein Dirigent sollte nie ein Diktator sein, sondern eine Person, die Musiker mit ihrer Musikalität inspiriert und lenkt, um gemeinsam eine musikalische Vision zu verwirk­lichen. Die Rolle des Dirigenten sollte auf Vertrauen und Zusammenarbeit basieren, was mit Macht und Zwang nicht erreichbar ist. In der Musik und Kunst wachsen wir leider in einer Welt auf, in der wir nie »gut genug« spielen oder dirigieren. Aus diesem Grund ist es oft gar nicht schlecht, dass es unter uns Führungspersönlichkeiten noch »Diktatoren« gibt, obwohl wir im 21. Jahrhundert leben. Frank Zappa hatte somit zum Teil schon ein bisschen Recht. 

Was hat Sie dazu inspiriert, dieses Buch zu schreiben? Gab es ein bestimmtes Erlebnis oder eine Erkenntnis, die Sie teilen wollten?

In erster Reihe habe ich dieses Buch für mich selbst geschrieben. Viele Themen basieren auf meinen eigenen Erfahrungen und Problemen, wobei von Letzteren noch immer einige bestehen. In meinen Studienjahren als Dirigent habe ich mir sehr viele Bücher über das Dirigieren gekauft um herauszufinden, wie ich die Rolle als Dirigent bewältigen soll; aber ich habe nicht viele Antworten bekommen. Im Grunde handelt die vorhandene Literatur nur von der Dirigententechnik und erzählt von der Lebensgeschichte einiger großer Dirigenten. Dies war schön zu lesen und hat mein Allgemeinwissen erweitert, mir bei meinen Problemen aber so gut wie gar nicht geholfen. So habe ich langsam begonnen alles zu sammeln, was ich benötigte um mit meiner Dirigententechnik, kompetentem Fachwissen und den nötigen psychologischen und pädagogischen Hintergründen als Dirigent zu wachsen und vor dem Orchester zu überleben.

Dirigieren oder dirigiert werden 

Das Buch von Gregor Kovačič soll zeigen, welche vernünftige Möglichkeiten bestehen, um Auswege aus Spannungssituationen zu finden, die während der Probenarbeit bzw. Vorbereitungsarbeit auf ein Konzert auftreten können. Das Buch bietet dabei verschiedene Werkzeuge an, die sowohl Dirigenten als auch Orchestermusiker nutzen können. Es zeigt auf, wie unbewusste Kommunikationsprozesse in der Lage sind, ein harmonisches Arbeitsumfeld zu schaffen. 

Inwiefern hat Ihre Erfahrung als Dirigent verschiedener Orchester Ihre Perspektive für das Buch beeinflusst?

Sehr. Als Dirigent verschiedener professioneller und auch Amateurorchester konnte ich sehr viel ausprobieren. Nur durch praktische Erfahrung kann man wirklich lernen! Nur mit guten Informationen kann man bestens vorbereitet sein. Trotzdem passiert bei Proben und Konzerten neben dem was wir erwartet haben auch viel Unerwartetes. Für mich ist auch sehr wichtig, dass ich selbst als Klarinettist in der Oper und in Philharmonischen Orchestern gewirkt habe. Solche Erlebnisse als Musiker sind für einen Dirigenten Gold wert. Es hat mich schon immer interessiert, warum ich unter dem einen Dirigenten leichter und besser spielen konnte, als bei einem anderen. Dies hat mich inspiriert, auf die Suche nach Antworten zu gehen. 

In Ihrem Buch sprechen Sie über das Spannungsfeld zwischen Führen und Geführtwerden. Was ist aus Ihrer Sicht die größte Herausforderung, der sich ein Dirigent in diesem Zusammenhang stellen muss?

Meine Rolle und die Position als Dirigent fixiert mich auf das Podium vor dem Orchester und schnell kann ein »Kampf« zwischen Musiker und mir entstehen. Die größte Herausforderung ist, meine Zeit optimal zur verteilen und zu wissen, was ich mit der Probe erreichen will. Wenn ich unsicher bin, kann dies rasch zum Problem werden. Die Musiker spüren Unsicherheit unmittelbar und können mich aus dem Konzept bringen. In solchen Momenten besteht die Gefahr, dass der Dirigent Kompromisse schließt, die nicht gut für die Lösung musikalischer Herausforderungen sind. Dirigenten sind gefordert, in jeder Situation eine Lösung finden zu müssen.

Andererseits denken Orchestermusiker, dass sie immer perfekt sein müssen und ohnehin schon »alles« gespielt haben. Dieses Spannungsfeld führt auf beiden Seiten zur Angst, für die Aufgaben nicht gut genug zu sein. Dieses »Geheimnis« wollen sie um jeden Preis bewahren. In erster Linie sollten jedoch beide Seiten wissen, dass sie nicht gemeinsam musizieren, um ihr eigenes Ego zu nähren, sondern um die Musik im Sinne des Komponisten zu interpretieren. Sowohl Dirigent als auch Musiker dürfen Fehler machen, brauchen sich nicht zu schämen, sollen lernen und für neue Ideen offen sein. So kann das Spannungsfeld zwischen Führen und Geführtwerden einfach verschwinden und die Probenarbeit und die Aufführungen nicht mehr blockieren.

Wie definieren Sie Führung im Kontext des Dirigierens und welche Eigenschaften halten Sie für besonders wichtig für eine gute Führungspersönlichkeit am Pult?

Meiner Meinung nach sollte der Dirigent alles zu einem harmonischen Ganzen vereinen, ohne die Individualität der Musiker und den Charakter des Orchesters zu unterdrücken. Die Kunst des Dirigierens liegt darin, eine Balance zwischen Anleitung und Freiheit zu finden, so dass jeder Musiker seine Rolle im größeren Kontext erkennen kann. Durch die persönliche Interpretation der Musik sollte der Dirigent den Ausführenden Impulse und Orientierung geben. Das Wichtigste für mich ist, dem Musiker zu vertrauen. Führungspersönlichkeit bedeutet hier, das Potenzial jeder Musikerin und jedes Musikers zu erkennen und zu fördern, damit alle ihre individuellen Stärken in den gemeinsamen Ausdruck einfließen lassen können. Ein guter Dirigent gibt klare Richtung und bietet eine künstlerische Freiheit. Dirigieren fordert auch sehr viel Geduld und Ausdauer, sowohl in der Probenarbeit als auch in der Aufführung, fokussiert und motiviert zu bleiben.

Insgesamt lässt sich sagen, dass ein Dirigent als Führungspersönlichkeit die Balance zwischen Leitung und Freiheit, zwischen Autorität und Zusammenarbeit meistern muss. Diese Kombination macht ihn zu einem inspirierenden Anführer, der das Orchester nicht nur technisch führt, sondern auch emotional berührt. Nur so kann die musikalische Nachricht etwas beim Publikum bewirken.

Gibt es bestimmte Methoden oder Stra­tegien, die Sie angehenden Dirigenten in Ihrem Buch empfehlen, um das Vertrauen und die Motivation ihres Orchesters zu gewinnen?

Alles basiert auf einem tiefen Verständnis für zwischenmenschliche Beziehungen und der Balance zwischen Führung und Zusammenarbeit. Ein Dirigent sollte von Anfang an klar kommunizieren, was seine künstlerische Vision für ein Stück ist und welche Erwartungen er an das Orchester stellt. Indem der Dirigent seine musika­lischen Vorstellungen klar artikuliert, schafft er Vertrauen und Orientierung für die Musiker, die sicher sein können, dass ihr Part einen klaren Platz im Gesamtkonzept hat.

Für mich ist ein respektvoller Umgang sehr wichtig. Dies fördert ein positives Arbeitsumfeld, in dem die Musiker motiviert sind ihr Bestes zu geben. Statt als »Befehlsgeber« sollte der Dirigent als Partner und kreativer Kollege wahrgenommen werden, der ein Feedback so formulieren kann, dass es motivierend wirkt und nicht demotivierend.

Die Musiker sollten nicht nur »ausführen«, sondern auch mitgestalten dürfen. Wenn die Musiker das Gefühl haben, dass ihre Ideen und Interpretationen wertgeschätzt werden, sind sie eher bereit, sich aktiv in den Prozess einzubringen.

Ein häufiger, aber oft unterschätzter Aspekt von Motivation ist die regelmäßige Anerkennung der Leistungen der Musiker. Dies muss nicht immer in großen Gesten geschehen, sondern kann auch durch ein einfaches »Danke« oder durch kleine persönliche Gesten geschehen.

Musiker sind häufig sehr eigenständig und kreativ. Wie gelingt es, die persönliche Freiheit jedes Musikers zu respektieren und gleichzeitig ein harmonisches Ganzes zu schaffen?

Beide, Dirigent und Orchestermusiker sollten sich den Ideen des Komponisten, wie sie sich in der Partitur manifestieren, unterwerfen und das eigene Ego in den Hintergrund rücken. Der Komponist ist der Chef! So wird die Harmonie zwischen dem Dirigenten und dem Musiker durch die Komposition erzwungen. 

Es ist wichtig zu erkennen, dass wir uns alle von Mustern befreien sollen, die uns hemmen und dass wir uns um offenere und gesündere Beziehungen bemühen müssen. Wir sollten alle zusammen nach einer stärkeren kooperativen und produktiven Atmosphäre streben. Ein Dirigent, der sich selbst als lebenslangen Lernenden sieht und ständig an seiner eigenen musikalischen und persönlichen Entwicklung arbeitet, wird als Vorbild für sein Orchester wirken. Musiker schätzen es, wenn ihr Dirigent offen für neue Ideen ist und sich nicht auf seinen Lorbeeren ausruht. Diese Haltung fördert ein kontinuierliches Wachstum sowohl auf künstlerischer als auch auf zwischenmenschlicher Ebene. 

Welche Rolle spielt der Dialog mit den Musikern während der Probenarbeit und hat sich Ihr Ansatz dazu im Laufe Ihrer Karriere verändert?

Der Dialog mit den Musikern ist eine zentrale Säule der Probenarbeit, die sowohl künstlerische als auch zwischenmenschliche Bedeutung hat. Während der Probenarbeit bemühe ich mich, so wenig als möglich zu sprechen. Nur wenn es wirklich notwendig ist. Mein Dialog mit den Musikern besteht aus Gestik, Augenkontakt und Körperzeichen. Je qualitätvoller ein Orchester ist, desto weniger wollen dessen Musiker, dass ihr Dirigent spricht. Im Laufe meiner Karriere hat sich mein Ansatz zu diesem Dialog von einer Richtung, in der ich viel erzählen und zeigen wollte, dahingehend entwickelt, dass ich eine kooperative, integrative Haltung einnehme. Dies stärkt nicht nur das Vertrauen, sondern auch die Motivation und das künstlerische Engagement des Orchesters erheblich.

In welchen Momenten haben Sie als Dirigent selbst das Gefühl, dass Sie geführt werden? Ist das dann eher positiv oder negativ?

Als Dirigent habe ich immer wieder Momente erlebt, in denen ich das Gefühl hatte, selbst geführt zu werden – und zwar nicht nur in einem formalen, autoritären Sinn, sondern eher im kreativen und zwischenmenschlichen Kontext. Einer dieser Momente ist oft dann präsent, wenn das Orchester in einem besonderen Zustand von Inspiration oder gemeinsamer musikalischer Entfaltung ist. In solchen Momenten fühle ich mich weniger als alleinige Führungsperson, sondern vielmehr als Teil eines größeren Ganzen, in dem ich von den Musikern mitgeführt werde. Das kann sich auf unterschiedliche Weise manifestieren und ist positiv, wenn die Musik lebendig wird.

Auch in besonders intensiven musikalischen Momenten, wenn das Orchester einen Flow-Zustand erreicht – ein Zustand, in dem alle Musiker synchron und gleichzeitig in der Musik aufgehen, – habe ich das Gefühl, dass ich mit dem Orchester einfach fließe. Ich bin dann weniger der »Kontrolleur«, sondern eher derjenige, der das bereits in der Musik Angelegte formt und lenkt. Diese Momente sind für mich höchst positiv, weil sie das Gefühl vermitteln, dass die Musik selbst die Führung übernimmt und das Orchester als Kollektiv eine tiefere Ebene der gemeinsamen Kreativität erreicht.

Wie sehen Sie die Zukunft des Dirigenten­berufs? Welche neuen Herausforderungen kommen auf neue Generationen von Dirigenten zu?

Die Zukunft des Dirigentenberufs wird zweifellos von einer Vielzahl neuer Herausforderungen und Veränderungen geprägt sein, die sowohl durch technologische Entwicklungen als auch durch gesellschaftliche und kulturelle Verschiebungen bedingt sind. Die Rolle des Dirigenten wird sich weiterentwickeln und die kommenden Generationen werden gezwungen sein, sich diesen Veränderungen anzupassen, um ihre Relevanz und Wirksamkeit in einer sich verändernden musikalischen Landschaft zu bewahren.

Auch das klassische Konzertpublikum verändert sich. Es wird zunehmend jünger und erwartet eine andere Art von Konzert- und Musikerlebnissen. Dirigenten werden gefragt sein, das Publikum durch innovative Konzepte und Programme zu erreichen, um das Interesse an klassischer Musik in einer digitalen und visuell orientierten Welt zu fördern. Ein zukünftiger Dirigent sollte nicht nur ein talentierter Musiker und Interpret sein, sondern auch ein gutes Gespür für das sich wandelnde kulturelle Umfeld und die Bedürfnisse des Publikums entwickeln. Es wird zunehmend wichtig sein, Klassik mit anderen Genres zu verbinden, neue Formate zu schaffen oder die Musik auf eine Art und Weise zu präsentieren, die für ein breiteres Publikum zugänglich und relevant ist.

Zukünftige Dirigenten sollten die Fähigkeit be­sitzen, neue Ansichten zu akzeptieren und sich anzupassen. Sie müssen in der Lage sein, ihre eigenen Ideen durch kreatives und innovatives Denken zu transformieren. Am wichtigsten wird auch in Zukunft sein, dass junge Dirigenten das Talent besitzen, die musikalische und zwischenmenschliche Welt aus ihrer persönlichen, frischen Perspektive wahrzunehmen und auch den Willen besitzen ihre Visionen umzusetzen.

Gregor Kovačič 

wurde 1977 in Maribor (Slowenien) geboren und hat als Klarinettist die Musikhochschule in Laibach mit Auszeichnung abgeschlossen. Nach dem folgenden Abschluss der Dirigentenschule in Slowenien absolvierte er ein Masterstudium für Dirigieren am Konservatorium Maastricht (Niederlande) bei Prof. Jan Cober. 

Kovačič dirigierte die Prager Philhar­monie und leitete professionelle Orchester in Luxemburg, Deutschland, Kroatien und Slowenien. Unter anderem dirigierte er die Royal Symphonic Band of the Belgian Guides. Er ist Gastdirigent des Slowenischen Polizeiorchesters. In der Saison 2024/25 wird er die Slowenische Philharmonie dirigieren. Er ist Chefdirigent des Salzburger Landesblasorchesters, des Blasorchesters Ravne (Pihalni orkester Železarjev Ravne) und des Blasorchesters Loibach (JTK Loibach). 


www.conkovacic.com