Orchestra, Wood | Von Klaus Härtel

Heinrich Baermann und die Geburt der romantischen Klarinette

Baermann
Bild: stadtmuseum.bayerische-landesbibliothek-online.de/pnd/120367246, Gemeinfrei, https://commons.wikimedia.org/w/index.php?curid=17811702

Als Preuße geboren, als Bayer gestorben: Heinrich Joseph Baermann (1784 bis 1847) war der führende Klarinettist seiner Zeit. Für Felix Mendelssohn war er “einer der besten Musiker, die ich kenne”.

Heinrich Baermann galt als der Erste, der den “sanglichen” Ausdruck seines Instruments voll entfalten konnte. Man nannte ihn daher – nach einem gefeierten Operntenor – den “Rubini der Klarinette”. Als Meister der dynamischen und klanglichen Differenzierung hat er dem Instrument viele Ausdrucks­nuancen zwischen elegisch und humorvoll entlockt. Mit seiner virtuosen Spieltechnik und seiner überlegenen Tongebung schenkte er der Klarinette eine neue Bedeutung und machte sie zu einer wichtigen Charakterfarbe der Romantik. Obwohl er als Hofmusiker gebunden war, ging Baermann auch 35 Jahre lang immer wieder auf Konzerttournee. Er gastierte in Paris, London, Wien, Venedig, Prag, Dresden, Berlin, Kopenhagen, Königsberg, Riga, Warschau, Sankt Petersburg, Moskau und vielen anderen europäischen Städten.

Berlin und München

Als Sohn eines preußischen Militärmusikers wurde Heinrich mit 13 Jahren in die Militärmusikschule in Potsdam aufgenommen. Sein Lehrer dort war der böhmische Klarinettist Joseph Beer (1744 bis 1811) – der hatte schon in verschiedenen Armeen als Musiker gedient und war seit 1792 Königlich Preußischer Kammermusikus. Beer lehrte die »französische Schule« und den “mandibulären” Ansatz, also das Spiel mit dem Blättchen an der Unterlippe. Schon 1798 gehörte der jugendliche Baermann zum 1. Oboisten-Korps der königlichen Leibgarde. 1804 wurde Prinz Louis Ferdinand auf den außerordentlich begabten Klarinettisten aufmerksam, holte ihn zu sich nach Berlin und ließ sich von ihm sogar bei seinen Kompositionen beraten.

Auch ließ er Baermann vom Königlichen Hofmusiker Franz Tausch (1762 bis 1817) unterrichten, der in Mannheim ausgebildet worden war und die “deutsche Schule” des Klarinettenspiels vertrat. Tausch soll Baermanns Vortragsstil entscheidend geprägt haben. Die Zeit in Berlin war allerdings nur kurz. 1806 musste Baermann mit Louis Ferdinand in den Krieg gegen Napoleon ziehen. Der Prinz starb in der Schlacht bei Saalfeld. Baermann geriet vier Tage später in der Schlacht bei Jena und Auerstedt in Gefangenschaft, konnte aber entkommen. 

Berlin war nun von den Franzosen besetzt, der preußische Hof nach Osten geflohen. Baermann aber hatte Glück im Unglück: Der bayerische Kronprinz Ludwig, der gerade in der Stadt weilte, empfahl ihn an seinen Vater weiter, Maximilian I., der von Napoleon gerade zum König von Bayern erhoben worden war. So kam Baermann nach München, wurde dort Erster Klarinettist in der Hofkapelle (die das Mannheimer Erbe angetreten hatte) und behielt diese Position 28 Jahre lang. Er wurde ein erfolgreicher Künstler und Pädagoge und angesehener Bürger.

Durch das Münchner Musikleben kam er außerdem mit vielen Komponisten in Kontakt, darunter Weber, Danzi, Spontini und Meyerbeer. Schon 1807 lernte Baermann die damals gefeierte (frisch geschiedene) Münchner Opern-Primadonna Helene Harlas kennen. Ohne jemals zu heiraten, hatten die beiden fünf gemeinsame Kinder, darunter den Sohn Carl, der Baermanns bester Klarinettenschüler werden sollte. Baermann und Harlas übernahmen zuweilen Engagements in derselben Stadt, etwa 1813 in Wien und 1816/17 in Venedig. Nach einem Besuch bei Baermanns Familie in Potsdam ist Helene Harlas 1818 jedoch völlig unerwartet verstorben (sie war erst 32 Jahre alt). Baermann hat danach noch zweimal geheiratet. 

Baermann und Weber

Besonders folgenreich war Baermanns Begegnung mit dem etwa gleichaltrigen Komponisten Carl Maria von Weber (1786 bis 1826). Weber kam 1811 nach München und schrieb innerhalb von vier Tagen für Baermann das einsätzige Concertino in Es-Dur (op. 26) – “composto per uso dell Signore Enrico Baermann”. Der Klarinettist nannte es das bisher beste Stück in seinem Repertoire – es war der Beginn einer unverbrüch­lichen Freundschaft mit dem Komponisten. Die Aufführung mit der Hofkapelle (schon fünf Tage nach Kompositionsbeginn) war so erfolgreich, dass König Maximilian I. bei Weber gleich noch zwei weitere Konzerte für Baermann bestellt hat. Das erste (F-Dur, op. 73) ist bis heute eines der berühmtesten Klarinettenkonzerte überhaupt – Baermann habe es “himmlisch” gespielt, meinte Weber. Für die beiden Konzerte bekam Baermann vom Komponisten ein 10-jähriges exklusives Aufführungsrecht sowie die Freiheit, sie beliebig auszugestalten. Das F-Dur-Konzert wurde daraufhin in der “Baermann-Fassung” und mit der “Baermann-Kadenz” bekannt. 

Baermanns Spielstil und seine Ratschläge haben Webers Komponieren für die Klarinette von Grund auf geprägt. Und Webers Einsatz der Klarinette wiederum wurde ein Markenzeichen der musikalischen Romantik und sollte die Musik des gesamten 19. Jahrhunderts beeinflussen. Bei Webers Silvana-Variationen für Klarinette und Klavier (op. 33) hat Baermann offenbar auch aktiv mitkomponiert. Bereits 1811 gingen die beiden zusammen auf Konzertreise Richtung Berlin. Baermanns Klarinettenkunst half dabei mit, Webers Renommee in Dresden (das durch einen früheren Misserfolg getrübt war) aufzupolieren.

Zwei Jahre später in Wien überreichte Weber dem Freund Baermann zum Geburtstag das berühmte Klarinettenquintett in B-Dur (op. 34) – nur der Rondo-Satz war nicht rechtzeitig fertig geworden. Webers Kollege und Freund Meyerbeer, der auch gerade in Wien weilte, wollte nicht nachstehen und schenkte dem Klarinettisten ebenfalls ein Quintett (in Es-Dur). Als Baermann und seine Lebenspartnerin Harlas 1816 in Norditalien waren, schrieb Meyerbeer für sie dort außerdem die szenische Kantate »Gli amori di Teolinda« – für Sopranstimme, Soloklarinette, Männerchor und Orchester.

Dampfnudeln für Mendelssohn

Auf seinem Weg nach Italien befand sich auch Felix Mendelssohn (1809 bis 1847), als er 1830 in München Station machte. Angeblich wurde er im Hause Baermann damals mit bayerischen Süßspeisen verwöhnt, die ihm unvergesslich gut schmeckten. Als Baermann zwei Jahre danach zusammen mit seinem Sohn Carl auf Konzertreise nach Berlin kam, wünschte sich Mendelssohn daher, dass die Baermanns ihm Dampfnudeln und Rahmstrudel frisch zubereiteten. Im Gegenzug wünschten sich die Besucher aus München von Mendelssohn ein Konzertstück für Klarinette und Bassetthorn. Carl Baermann, der in Mendelssohns Alter war, erzählt: “Felix setzte mir eine Küchenhaube auf, band mir eine Schürze um, steckte mir einen Kochlöffel zu und führte mich, zum großen Ergötzen seines Küchenpersonals, in die Küche hinab.”

Mendelssohn seinerseits setzte sich an seinen “Klavierherd” und kochte und buk das gewünschte Konzertstück. Der Komponist nannte es launig “ein großes Duett für Dampfnudel oder Rahmstrudel, Klarinette und Bassetthorn” (op. 113). Allen Beteiligten schmeckten die jeweiligen Ergebnisse am Abend so gut, dass sie das Experiment ein paar Tage später wiederholten. Das dabei entstandene zweite Konzertstück (»Grand Duo«, op. 114) schickte Mendelssohn den Baermanns nach ihrer Abreise hinterher – mit den Worten an den Freund Heinrich: “Übrigens mach damit, was du willst. Mach was Schönes draus, d. h. ändre es ganz und gar.” Mendelssohn hat die Klavierstimme von Opus 113 später auch für Orchester ausgearbeitet. Carl Baermann tat dasselbe für Opus 114.

Carl, der Sohn

Heinrich Baermann hat nicht nur bleibende Klarinettenwerke der Romantik angeregt, sondern selbst viel für sein Instrument geschrieben, darunter Konzertstücke mit Orchester, Divertissements und Variationen. Sein Werkverzeichnis hat er bis Opus 38 geführt. Noch fleißiger komponierte Carl Baermann (1811 bis 1885), dessen Ruhm als Klarinetten-Fachmann später den des Vaters sogar übertraf. Die beiden haben ab 1832 vier gemeinsame Konzertreisen absolviert. 1839 in Paris, wo die Baermanns bei Meyerbeer wohnten, hatten sie mit Carls »Duo Concertant« (op. 33) großen Erfolg. Bemerkenswert sind Carls schöne Bearbeitungen von Schubert-Liedern für Klarinette und Klavier, die die “Stimmlichkeit” der romantischen Klarinette besonders unterstreichen.

Carl Baermann war 15 Jahre lang fester Bassetthornist in der Münchner Hofkapelle, ehe er 1847 seinen Vater dort als Solo-Klarinettist ablöste. Er unterrichtete auch an der Königlichen Musikschule in München und wurde später zum Professor ernannt. Seine fünfbän­dige “Klarinettenschule” von 1867 wurde ein einflussreiches Lehrwerk für Klarinettisten. Um 1860 entwickelte Carl Baermann außerdem zusammen mit dem Instrumentenbauer Georg Ottensteiner die sogenannte Baermann-Ottensteiner-Klarinette. Dieses Modell hatte 16 Klappen, vier Ringe und vier Rollen. Der berühmte Richard Mühlfeld, für den Johannes Brahms’ Klarinettenwerke entstanden sind, bevorzugte dieses Instrument. Es wurde bis etwa 1910 gebaut.