Wood | Von Klaus Härtel

Helmut Eisel über Trauer, Klezmer und “Clarinet & Friends”

Helmut Eisel
Gemeinsam mit Birke Falkenroth und Sebastian Voltz bringt Helmut Eisel (Mitte) das Album "Prayer" heraus. (Foto: Francois Klein)

“Prayer” heißt das aktuelle Album von Helmut Eisel. Auf diesem hat der Klarinettist auch den Tod seines langjährigen musikalischen Wegbegleiters und Schwagers Michael Marx verarbeitet. Das Album ist ein sehr persönliches. Und unser Interview ebenfalls.

Helmut Eisel, die Psychologie hat belegt, dass Musik beflügeln, glücklich machen, beruhigen kann. Sie kann entspannen, Erinnerungen wachrufen und sogar Schmerzen lindern. Inwiefern war Musik in der jüngeren Vergangenheit auch ein Rettungsanker für Dich?

Meine aktuelle Situation ist sehr vom plötzlichen Tod meines Freundes, Schwagers und musikalischen Wegbegleiters Michael Marx durch 42 Jahre hindurch geprägt. Auch in der Trauer um ihn zeigt sich, dass wir Musiker privilegierte Menschen sind: Michael ist noch da, vertreten nicht nur durch Erinnerungen, sondern auch durch seine zahlreichen Kompositionen und CDs. Und auch durch Titel, die für ihn entstanden sind. Wir können diese Stücke spielen und ihn damit wieder auf die Bühne holen. Zwar ist der Tod endgültig, doch es hängt von den Hinterbliebenen ab, ob und wie schnell sie zulassen, dass der verstorbene Mensch vergessen wird. Und was den eigenen Tod anbelangt: Ich kann beeinflussen, ob es schöne Erinnerungen an mich gibt. Als Musiker kann ich das besonders gut!

Wir sind sehr froh, in Gilles Grethen einen jungen Gitarristen gefunden zu haben, mit dem wir unser Trio “Helmut Eisel & JEM” fortsetzen können. Dieses Trio gibt es seit 1989 und die musikalische Entwicklung wurde von Michael Marx maßgeblich mitgestaltet. Ihn zu ersetzen ist unmöglich, aber das Trio fortzusetzen ist eine Notwendigkeit. Wir haben jetzt mehrere Konzerte in der neuen Besetzung gespielt – Michael war stets dabei. Diese Konzerte begeistern das Publikum und helfen uns, unsere Trauer zu bewältigen.

Deine neue CD »Prayer« umfasst “die ganze Bandbreite menschlicher Gefühle”. Erläutere das doch einmal.

Unsere CD, die jetzt “Prayer” heißt, war ursprünglich eher gedacht als lustiges Projekt. 2×2 war ein möglicher Name, irgendwas mit “vielsaitiger Spannung” ging mir durch den Kopf, denn die vielen gespannten Saiten von Harfe und Flügel üben große Faszination auf mich aus. In den beiden Duos mit Harfe bzw. Klavier erlebt man ja die Pole dessen, was man von Helmut Eisel so kennt: einerseits den kammermusikalischen, andererseits den jazzig, urwüchsig-spontanen Pol. Immer mit der Absicht, Menschen glücklich und fröhlich zu machen, ohne ins Banale abzurutschen. Wir hatten uns das alles sehr schön zurechtgelegt. Wenige Wochen vor Aufnahmebeginn starb dann Michael, mit dem auch meine Mitmusikerinnen und -musiker befreundet waren. Dadurch entstand eine ganz andere CD. Stücke wie “Micha” von Sebastian Voltz oder meine Komposition “Michas Freilach” kamen mit auf die CD, JEM-Bassist Stefan Engelmann ist bei einigen Titeln als Gast dabei. Trauermusik? Von wegen! “Prayer” ist eine sehr ästhetische CD, sie enthält Balladen mit Tiefgang, und die Freilachs sind fröhlich geblieben. Aber eben mit diesem Bewusstsein “Leute, lasst uns das Leben genießen. Wir können nicht wissen, wie lange uns dieses Geschenk erhalten bleibt.”

Wer sind die Protagonisten auf dem neuen Album?

Birke Falkenroth an der Harfe ist meine Duopartnerin bei “Klezmer im Elfenpalast”. Birke studierte Harfe, sie unterrichtet und spielt mit großer Virtuosität viele Konzerte in unterschiedlichen Besetzungen, von Solo bis Orchester. Sie hat sich eine bemerkenswerte Offenheit für Musik jenseits der Klassik erhalten. Die Rolle der “zarten Elfe” spielt sie niemals, ohne mittels Musik und Worten deutlich zu machen, dass das nun wirklich nur ein kleiner Teil ihrer Persönlichkeit ist.

Sebastian Voltz ist seit mehr als 13 Jahren mein Partner am Klavier. Auch er hat klassisches Klavier studiert. Er hat ein anspruchsvolles, sehr ästhetisches Soloprogramm und spielt mit überregionalen Jazzformationen. Wir brauchen eigentlich kein Programm für unsere Duo-Konzerte »Swinging Klezmer« – wir können sofort losspielen. Sebastian hört alles, was ich spiele, darüber hinaus alles, was ich gerade vorhatte, zu spielen. Er pusht, kontert, baut auf, zerstört, baut neu auf, und nach jedem Stück schauen wir uns an und sagen: “Wow – so haben wir das ja noch nie gespielt!”

Und mein Freund und Bassist Stefan Engelmann, mit dem ich nun seit 23 Jahren auf der Bühne stehe, ist auf mehreren Titeln der CD zu Gast. Stefan ist einfach ein unglaublich souveräner Bassist und eine echte Bereicherung für die CD.

“Wir verstehen jetzt noch besser als zuvor, was ‘Klezmer sein’ bedeutet”, schreibst Du. Inwiefern?

Von Giora Feidman lernte ich: “Klezmer ist keine Musikrichtung, sondern eine Lebenseinstellung!” Und zwar eine sehr positive! In dem Wort “Klezmer” steckt die Aufforderung an die Musikanten, Musik zu den Menschen zu bringen, ihnen zu zeigen, wie schön unsere Welt ist und dass es ein Geschenk ist, hier leben zu dürfen. Es ist unser Job, Lebensfreude zu vermitteln. Besonders dann, wenn wir gerade traurig sind. Viele Situationen vereinen Trauer und Lebensfreude. Michaels Tod zum Beispiel hinterlässt uns traurig. Andererseits starb er, als es ihm gerade sehr gut ging. Er hatte ein richtig schönes Leben und einen schnellen Tod ohne Krankheit und Siechtum. Wir sagen: “Viel zu früh!” und trauern, aber wir wünschen uns, auch mal so zu sterben – erst in vielen Jahren natürlich – und wir feiern, dass er da war, dass er Kinder und Enkelkinder erleben durfte, uns wunderschöne Musik hinterlässt. Diesen Dualismus finden wir im Klezmer. Ich könnte das an Tonleitern, die weder Dur noch Moll sind, vergegenständlichen, aber ich denke, es geht tiefer: Diese Musik spiegelt das Leben in seiner gesamten Vielfalt. Wie ein Gebet ist sie eine Schnittstelle von uns Menschen zu unserem Schicksal, zu Gott. Ein jüdisches Gebet scheint mir intensiver, als ich es aus dem Christentum kenne. Da wird mit Gott schon mal hart ins Gericht gegangen, es ähnelt einer Grundsatzdiskussion. In seinem Zyklus “From Jewish Life” hat Ernest Bloch ein solches Gebet vertont. Es findet sich auf unserer CD und gab ihr schließlich den Namen: Prayer

“Clarinet & Friends” steht auch wieder an. Was können wir dort erwarten und steht dieses Festival auch unter den Eindrücken der persönlichen Schicksalsschläge?

Klar ist, das wird ein Fest! Vom 8. bis 11. Juni wird es die achte Ausgabe unseres Festivals “Clarinet & Friends” in Mühlhausen/Thüringen geben. Auf den zahlreichen Bühnen dieser wunderschönen Stadt, in der Johann Sebastian Bach seine erste Kantorenstelle innehatte, werden wir Musik vom Allerfeinsten bieten und wie immer wird die Kommunikation der Künstlerinnen und Künstler untereinander, mit den Workshopteilnehmerinnen und -teilnehmern, mit dem Publikum und mit mir eine große Rolle spielen. Mit meiner Klarinette führe ich durchs Programm. Dass Michael Marx im Alter von 66 Jahren ohne Anzeichen von Krankheit gestorben ist, hat auch Folgen für das Festival: Ich bin 67 und ich möchte noch viele Jahre leben. In der letzten Woche wurde Lino, unser erstes Enkelkind, geboren und ich habe den Ehrgeiz, zu seiner Hochzeit zu spielen. Ob mir so ein langes Leben aber wirklich geschenkt wird, kann ich nicht wissen. 

“Clarinet & Friends” ist mir ein wichtiges Anliegen geworden und ich möchte, dass das Festival lebt und sich weiterentwickelt. Mit mir, so lange wie möglich. Aber wenn das nicht mehr möglich ist, auch ohne mich. Aus diesem Grund habe ich die junge Klarinettistin Clara Wigger mit ins Leitungsteam genommen. Sie assistiert mir auch bei den Workshops und Konzerten. Clara wird helfen, das Festival vor allem für junge Menschen noch interessanter zu gestalten. Deshalb haben wir unsere Preise auch drastisch gesenkt: Ein großes Festivalticket, das zum Besuch der vier Konzerte und zur Teilnahme an fünf Workshops berechtigt, gibt es für Schülerinnen, Schüler und Studierende in diesem Jahr schon für 90 Euro.

Klezmer

Clarinet & Friends 

“Großartige Musik, dargeboten von wundervollen Ensembles” verspricht Helmut Eisel den Besucherinnen und Besuchern des Festivals “Clarinet & Friends”. Vom 8. bis 11. Juni werden wird die mittelalterliche Reichsstadt Mühlhausen in Thüringen Schauplatz sein. Das tschechische Trio “La Gioia” wird im Eröffnungskonzert die Musik um die Zeit der Bauernkriege näherbringen. Außerdem auf dem Programm: Die Vorstellung der neuen CD, die junge, dynamische Klezmerband “Vagabund” und natürlich das Workshop-Orchester.

clarinet-and-friends.de