In der neuen Rubrik „Hinter den Kulissen“ werden verschiedenste Musikinstitutionen einmal von ihren unbekannteren und internen Seiten beleuchtet. Ob Musikverlag, Tonstudio, Opern- oder Musikhaus: Alle haben ihre ganz individuellen Abläufe und Gewohnheiten. Nun öffnete die Militärmusik Oberösterreich ihre Tore und gab einen umfangreichen Einblick in ihren Alltag.
„Bummbumm, bummbumm, Bumm“. Mit zwei schnellen, dann wieder zwei schnellen und einem langen Schlag der großen Trommel setzen sich die Musizierenden der Militärmusik Oberösterreich im Gleichschritt in Bewegung. Nur die unterschiedlichen Instrumente bieten einen Kontrast zur ansonsten einheitlichen grün gefleckten Militärkleidung mit hohen, geschnürten Stiefeln, grünem Barett und einem weißen Riemen, an dem seitlich eine Notentasche befestig ist.
Mit seinem Tambourstab – einem ein Meter langen Holzstab, den am oberen Ende eine eiserne Spitze und am unteren eine ebenfalls eiserne, halbrunde Kugel sowie eine bunte, längs um den Stab gewickelte Schnur zieren – gibt Musikmeister Vizeleutnant Gerhard Dopler den Marschierenden ein Signal und sofort leitet die kleine Trommel mit der österreichischen Locke (in Österreich sagt man dazu „einschlagen“ bzw. „eischlong“) den „Castaldo Marsch“ ein.
In den Gängen hallen aus allen Richtungen Übe- und Probengeräusche
Nach ein paar Runden um den Parkplatz beginnt der Show-Teil. Beim „Root Beer Rag“ oder dem „verjazzten“ Arrangement der Polka „Rosamunde“ wird zwar nicht marschiert, sich der Musik entsprechend aber choreografisch bewegt.
Bei Solo-Stellen etwa stellen sich die Solistinnen und Solisten nach vorne. Und bei lauten Stellen wird das Instrument nach oben gerissen, dabei aber nie die militärische Haltung vernachlässigt: aufrecht, Beine zusammen, Blick nach vorne.
In den Gängen hallen aus allen Richtungen Übe- und Probengeräusche, als Militärkapellmeister Hauptmann Gernot Haidegger und Musikmeister Vizeleutnant Gerhard Dopler in der Kaserne der Militärmusik Oberösterreich vom hellen Neubau Richtung Altbau gehen. Beide Gebäude sind direkt miteinander verbunden und wäre nicht der Unterschied beider Baustile, könnte der Übergang fließender nicht sein. Die roten Ziegel am Boden und teilweise auch an den Wänden strahlen eine kühle Atmosphäre aus. Die Einrichtung im Gang ist schlicht und zweckmäßig gehalten.
An den Wänden hängen Fotos von besonderen Konzerten oder Reisen ins Ausland, zu nahezu jedem Bild gibt es eine Geschichte, die Haidegger und Dopler gerne erzählen. Auf einem Bild beispielsweise steht das Orchester mit seinen beiden Leitern auf einem mit Schnee bedeckten Berg. Da die Sonne stark reflektierte, mussten extra einheitliche, zur Uniform passende Sonnenbrillen angeschafft werden. Einige andere Bilder wurden von Rupert Hörbst gezeichnet. Nachdem der Bau des neuen Gebäudes abgeschlossen war, hatte dieser ein Bild aller Orchester-Register des damaligen Jahrgangs in seinem bekannten Stil angefertigt.
Keine strenge oder angespannte Stimmung
Die beiden Chefs der Militärmusik sind bestens gelaunt und erzählen – natürlich in voller Militärmontur gekleidet – ausführlich aus ihrem Alltag. Im riesigen Areal der Kaserne ist die Militärmusik nur ein kleiner Teil und bis auf den bewachten Eingang und die militärische Kleidung lässt sich – entgegen des vorherrschenden Klischees – überhaupt keine strenge oder angespannte Stimmung erkennen.
Im Gegenteil. Es herrscht eine angenehme und lockere Atmosphäre. Die ersten Gespräche finden im Aufenthaltsraum der Militärmusik statt, einem kleinen Zimmer mit Sofaecke, einem Fernseher und einer Küchenzeile, vor der ein runder Tisch mit Stühlen steht. Immer wieder kommen Musikerinnen und Musiker herein und fragen nach Noten oder Dienstzeiten, angeklopft wird nicht. Man duzt sich. Durch das nahegelegene Fenster dringt Tageslicht und einige Pflanzen an der einen oder anderen Ecke sorgen für ein angenehmes Raumklima. Das plötzliche Dröhnen der Kaffeemaschine übertönt die durch die geschlossene Tür nur noch gedämpft zu hörenden Instrumentenklänge lautstark. Als der duftende Kaffee und ein Glas Wasser auf dem Tisch stehen, beginnt das Gespräch.
„Für uns fängt der Tag meist um 6 Uhr mit der Tagwacht an“, erläutert Hauptmann Haidegger. Ab 7.30 Uhr wird dann die Standskontrolle durchgeführt. Das ist die Inspizierung, nachdem Betten und Zimmer von den sogenannten „Kasernenschläfern“ selbstständig gereinigt wurden. Die Tagwacht kann nach der vierwöchigen Grundausbildung wegfallen, denn wenn gewisse Voraussetzungen erfüllt werden, darf man zu Hause schlafen. Dazu gehört, ein gewisses Repertoire der Militärmusik auswendig zu beherrschen. Das sind einige Märsche, die Landes- und die Bundeshymne. Tatsächlich sind über die Hälfte aller Berufsmusizierenden Kasernenschläfer.
In allen Registerzimmern reges Treiben
Für das tägliche Einspielen werden 30 Minuten im Zeitplan festgehalten. Und bevor die Orchesterprobe von 10 bis 12 Uhr stattfindet, gibt es Registerproben, die ebenfalls 30 Minuten dauern. Jede Woche wird von Musikmeister Dopler ein neuer Dienstplan erstellt, der für die nötige Abwechslung sorgen soll. Im Sommer beispielsweise wird die Gesamtprobe meist weit in den Vormittag geschoben, da durch entsprechende Temperaturen ein produktives Proben deutlich erschwert wird. Dadurch bleibt zur Mittagspause mehr Zeit für Freizeitgestaltung und Sport.
Am Nachmittag herrscht in allen Registerzimmern reges Treiben, denn die Ensembleproben stehen an. Ob Big Band, verschiedene Combos, Böhmische und Tanzmusikbesetzung oder doch weitere Registerproben. Beinahe jedes musikalische Genre kann innerhalb dieser Mauern bedient werden. Darüber hinaus ist an drei Nachmittagen in der Woche Exerzieren angesetzt, also das Marschieren mit Instrument. Gespielt wird Marschmusik oder auch alte militärische Lieder mit Gesang. Diverse Choreografien hat sich Musikmeister Dopler für die ein oder andere Showeinlage bei Standkonzerten im Vorfeld überlegt.
Zusätzlich zu den etwas größeren Registerzimmern bietet die Kaserne insgesamt 17 Übekojen mit ungefähr 6 m2 Fläche, die für alle immer offen stehen und dank guter Dämmung und wenig sonstiger Ablenkung im Raum auch für spätere Übesessions kein Hindernis darstellen. Dienstschluss ist um 15:30.
„Man ist mit lauter Leuten beieinander, die gleich ticken“
Frauen dürfen übrigens seit 24 Jahren ins Bundesheer eintreten. Da sie in Österreich nicht wehrpflichtig sind, ist tatsächlich aber nur die offizielle Bezeichnung anders. Bei Männern heißt es „Grundwehrdiener“ und Frauen werden „Person im Ausbildungsdienst“ genannt. Die reine Tätigkeit unterscheidet sich jedoch nicht.
Unteroffizier Stefanie Lindhuber (23) und Gefreite Anna-Maria Häusler (20) sind beide vom vielseitigen Angebot der Militärmusik angetan. Beide sind in ihrem Verhalten unterschiedlich. Lindhuber spricht ruhig und bedacht, während die recht quirlige Häusler immer ein Lächeln auf den Lippen hat.
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Auf die Frage nach ihrer fixen Anstellung berichtet Lindhuber, dass so etwas zuerst überhaupt nicht geplant war. „Ich wollte ursprünglich ein Jahr dabeibleiben. Nach der Matura habe ich ein halbes Jahr in einem Büro gearbeitet, aber recht schnell gemerkt, dass das nichts für mich ist. Durch Zufall hat sich das dann aber so ergeben. Mir hat es auf Anhieb richtig gut gefallen. Und dieses Jahr in der Militärmusik war eigentlich das coolste in meinem bisherigen Leben. Man ist einfach mit lauter Leuten beieinander, die gleich ticken. Wir haben denselben Musikgeschmack, sind auf derselben Wellenlänge. Musiker untereinander verstehen sich einfach. Für mich war dann sofort klar, ich will das unbedingt länger machen.“
Auch Häusler gerät ins Schwärmen, wenn sie über ihre Arbeit spricht. Außermusikalische Dienste, wie beispielsweise den Telefondienst während der Pandemie empfand sie als interessant und weniger als Last. „Ich bin hier dazugekommen, um zu musizieren und auf einmal sitze ich im Büro. Und davor, während des vierwöchigen Grundwehrdienstes, wurde sehr viel Sport gemacht. Also erst komplett viel Sport und dann 12 Stunden im Büro sitzen. Dieser Wechsel war wirklich spannend. Aber natürlich war ich auch ein bisschen froh, als das alles wieder vorbei war.“ Ganz besonders der Zusammenhalt sei bei der Militärmusik stark ausgeprägt. Nach dem Dienst fahren meistens bis zu 15 Leute gemeinsam in die Stadt, gehen Abendessen, setzen sich einfach so zusammen und spielen nach Lust und Laune im Ensemble oder gehen sonstigen Freizeitaktivitäten nach.
Alles wirkt aufgeräumt und ordentlich
In den Schlafzimmern stehen vier Hochbetten aus hellbraunem Holz. Oben eine Matratze, unten ein Schreibtisch. Als Raumtrenner dienen – ebenfalls vier – große, farblich zu den Betten passende Kleiderschränke. Der Boden erinnert an den von Krankenhäusern. Bläuliches Vinyl. Durch die fast durchsichtigen Vorhänge dringt helles Tageslicht und an den Zimmerdecken hängen einige Schalldämmplatten. Alles wirkt aufgeräumt und ordentlich.
Die Militärmusik Oberösterreich darf maximal 45 Militärdienstleistende pro Jahr aufnehmen. Dazu zählen die fixen Offiziere, der Musikmeister und seit einigen Jahren auch Frauen (das war aufgrund der unterschiedlichen Verträge früher anders). Fixe sind derzeit 14 dabei. Quereinsteiger können bis 40 Jahre alt sein. Und da aktuell der Andrang an jungen Menschen, die jedes Jahr vorspielen, sehr groß ist, hat dies natürlich Auswirkungen auf das Niveau des Orchesters. Dennoch gibt es immer wieder „Mangelinstrumente“. „Aktuell sind das Klarinette und Tuba“, so Hauptmann Haidegger. Eine zusätzliche Hürde dieser Maximalbegrenzung ist, dass bei Krankmeldungen, Weiterbildungen oder sonstigen Fehlzeiten Einzelner keine Ersatzbank vorhanden ist. Deshalb helfen sich die Militärmusiken in Österreich untereinander aus. Sollten Soldaten an einem Konzert nicht teilnehmen können, wird bei den anderen Orchesterbüros nach Ersatz gefragt. Das eröffnet den Instrumentalisten noch einmal mehr die Möglichkeit, verschiedenste Dirigentinnen und Dirigenten sowie Konzerthäuser zu erleben.
Reine Ausbildungsorchester
Die Militärmusiken in Österreich unterscheiden sich deutlich von den deutschen, da sie reine Ausbildungsorchester sind. In Österreich herrscht eine Wehrpflicht und daher arbeiten die Militärmusiken eng mit ihren jeweiligen Verbänden in den Bundesländern zusammen. Sie verstehen sich als »Dienstleister«. Laut Haidegger kehren die jungen Musizierenden nach diesem Jahr mit einem gewissen Niveau wieder zurück in ihre Heimatvereine.
Abseits der Orchester- und Ensembleproben werden regelmäßig Workshops und diverse Weiterbildungen angeboten. Das können wöchentliche Tonsatzstunden von renommierten Komponisten wie Thomas Asanger, oder Notenprogrammweiterbildungen sein, aber auch militärinterne, wie die Pilotenausbildung. In Summe bietet die Militärmusik rund 45 Ausbildungen an. Ein umfangreiches Angebot für eine Laufbahn beim Militär ist also in jedem Fall gegeben.
Auf das Jahr verteilt hat die „MilMusi« über 180 Auftritte zu absolvieren. Ungefähr 100 mit den verschiedenen Ensembles, circa 60 mit dem Orchester. Darunter finden sich einige Kinderkonzerte, die für Haidegger einen hohen Stellenwert haben. Der Rest sind die sogenannten „Solo-Kondukte“, bei denen ein einzelner Instrumentalist spielt. Jedes Jahr wird in Zusammenarbeit mit „Tyrolis“ eine CD aufgenommen. Einerseits, um den Musizierenden den Ablauf einer solchen Aufnahme bekannt zu machen und andererseits, um ihnen eine Erinnerung an diese Zeit bei der Militärmusik zu geben. Das Repertoire umfasst alte Klassiker, wie „Fliegermarsch“, „Brinpolka“, „Second Suite in F“ oder „Puppet on a String“, aber auch neuere Kompositionen, wie „Panorama Marsch“ und „Im Eilschritt nach Sankt Peter“.
Musik rund um die Uhr
Als der Rundgang und die Gespräche am späten Nachmittag beendet sind, verabschieden sich die beiden Orchesterchefs und widmen sich wieder ihren Aufgaben. Der offizielle Dienst ist für die Militärmusizierenden vorbei. Denn die meisten sind schon in Zivil gekleidet und das eine oder andere patschende Geräusch von Flipflops hallt durch die Gänge. Einige haben ihre Sportübungen bereits hinter sich und schlendern gerade aus der Dusche.
Bis der Ausgang erreicht ist, hallen noch immer aus allen Richtungen Übe- und Probengeräusche. Alle, die ihre Wehrpflicht bei der Militärmusik Oberösterreich ableisten oder ableisten wollen, können sich – nach der Grundausbildung natürlich – sicherlich auf Musik rund um die Uhr freuen. Natürlich vorausgesetzt, es tritt keine Krise ein.