Brass, Orchestra, Wood | Von Klaus Härtel

Hinter den Kulissen des Musikhaus Thomann

Thomann

In der Rubrik Hinter den Kulissen werden verschiedenste Musikinstitutionen einmal von ihren unbekannteren und internen Seiten beleuchtet. Ob Musikverlag, Tonstudio, Opern- oder Musikhaus: Alle haben ihre ganz individuellen Abläufe und Gewohnheiten. Dieses Mal gab uns das Unternehmen Thomann im fränkischen Treppendorf in der Nähe von Bamberg großzügige Einsichten. 

Das Jahreskonzert steht an. Am Wochenende wird mein Barisax wieder einmal eine wichtige Rolle spielen. Also werde ich die entscheidenden Stellen noch einmal ganz genau üben, meine Anmerkungen durchlesen, die Klappen kontrollieren. Blätter habe ich. Nicht. Kein Problem. Handy gezückt, Thomann-App geöffnet, Suche gestartet. Eine Handvoll Klicks später liegt das Vandoren Classic Blue Baritone Sax 3.0 im Warenkorb. Versprochen wird mir die Lieferung für etwa 24 Stunden später, also am nächsten Werktag. Das reicht also noch locker für das Jahreskonzert … 

Im Idealfall dauert es vom letzten Klick der Bestellung bis zu dem Zeitpunkt, an dem die Ware im Postausgang in Treppendorf liegt, weniger als eine Stunde. Das erklärt COO Markus Neser, Neffe des Firmenchefs Hans Thomann, nicht ohne Stolz. Im Idealfall wohlgemerkt. Denn die Barisax-Blätter sind bei weitem nicht die ­einzigen Produkte, die hier den Warenausgang verlassen. Insgesamt werden in Treppendorf etwa 120 000 Artikel pro Tag verkauft, die in 30 000 Paketen versendet werden. Summiert sind das 6,8 Millionen Pakete pro Jahr. Das ist eine Menge, die nicht wirklich greifbar ist. Ein Versuch: Ein Jahr hat etwa eine halbe Million Minuten. Umgerechnet gehen also – im Schnitt – 13,6 Pakete pro Minute aus dem Warenausgang in die LKW und werden weltweit verschickt. 35 Prozent davon bleiben in Deutschland, 65 Prozent der Waren verlassen Treppendorf in Richtung Ausland.

Atemberaubende Geschwindigkeit

Alle 4 bis 5 Sekunden geht im Schnitt also ein Produkt raus. Und die Geschwindigkeit ist tatsächlich atemberaubend und fast schon irrwitzig. Das ahnt man nicht, wenn man zu Hause per Mausklick bestellt, und das ahnt man auch dann noch nicht, als man die Autobahn A3 in Richtung Schirnsdorf verlässt, sanfte grüne Hügel rechts, die Marschallseen und Decheldorf links liegen lässt. Über eine Umgehungsstraße erreicht man »Thomann City«. Der laut Wikipedia 204 Einwohner zählende Ort Treppendorf – in dem Hans Thomann Senior im Jahr 1954 sein Musikhaus eröffnete – wird kaum tangiert. Die riesigen Lagerhallen, Versandzentren, Service-Center, die Kantine »t.kitchen« und der Shop verdeutlichen natürlich die Größe des Unternehmens. Die Logistik erstreckt sich auf einen Kilometer von Nord nach Süd. Sie hat eine Fläche von über 150 000 Quadratmetern. 

Dämpfer, Mikrofonkabel, Klappenpolster – die bestellten Artikel werden in den verschiedenen Lagern zusammengesucht, überwiegend automatisch. Die Barisax-Blätter rauschen aus 15 Meter hohen Regalen in Kisten ins Erdgeschoss. Dort werden sie von Mitarbeiterinnen und Mitarbeitern gescannt und in einheitliche graue Kisten verpackt. Eh man sich versieht, ist die Kiste schon wieder weg, rast auf einem kleinen Abschnitt der insgesamt 12 Kilometer verbauten Fließbänder in die nächste Abteilung. Automatisch werden die Kisten in die Packstation geschubst, bei der am wenigsten Betrieb herrscht. Der passende Karton wird herausgesucht, ein weiterer Scan, Klebeband ums Paket, Aufkleber drauf, weiter. Das alles geht wahnsinnig schnell, wirkt aber in keiner Weise hektisch. Im Versandcenter Nord ist noch mehr automatisiert. Die Inhalte der Kartons werden vom Laser erfasst, der Karton entsprechend gefaltet – es wird möglichst wenig Luft verschickt. 

Bei Thomann arbeitet man nicht 24/7

Natürlich arbeitet man auch bei Thomann nicht 24/7, auch nicht die Roboter. Der Sonntag ist heilig, das Wochenende ist auch ein eben solches. Dementsprechend ist der Montag stressig. Da stapeln sich die Bestellungen in den Warenkörben. Dass die Belegschaft am Vormittag 0,57 Tage »hinterherhinkt«, treibt hier niemandem die Schweißperlen auf die Stirn. Bis zum Abend wird der Rückstand auf unter 0,2 Tage geschrumpft sein. 

Während der Führung wird viel von Optimierung die Rede sein. Das neueste »Spielzeug« von COO Markus Neser ist die automatische Karton-Falt-Maschine. Hier wird gerade noch getüftelt, wie die Kartons gefaltet werden können, dass man auch für den Gitarrenhals etwa nicht noch separat einen Schutz einbauen muss. Das spart am Ende Zeit – und Geld. Markus Neser gibt zu, dass in Punkto Geld eine leicht »schwäbische Mentalität« herrsche. Es wird gespart, wo es sinnvoll ist, und es wird investiert, wo es nötig ist. Geiz nämlich ist nicht geil. 

Thomann

Bei aller Optimierung – und ja, auch bei Thomann arbeiten Geschäftsleute in der Führungsetage, die Geld verdienen wollen – steht das kollegiale Miteinander im Vordergrund. Markus Neser bekräftigt, dass die Gespräche mit den zahlreichen neuen Mitarbeitern auch dazu dienen, diese erst einmal richtig kennenzulernen. Bei Thomann kennt man sich, geduzt wird obligatorisch – wenngleich Neser zugibt, dass er nicht bei allen Mitarbeitern die Vornamen sofort parat hat. »Ich habe da manchmal meine Schwierigkeiten.« Er lacht. »Aber die Nummernschilder behalte ich mir …« Ein freundliches »Servus!« oder »Grüß euch!« ist üblich. Den ein oder anderen flapsigen Spruch hat er auch auf Lager. »Uwe, heute die Haare wieder offen?«, zum Mitarbeiter mit Glatze. »Unsere Betriebsfeuerwehr« neckt Neser einen Kollegen, der gerade ein paar Feuerlöscher austauscht. 

Etwa 1660 Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter

Dass die Leute sich bei Thomann wohlfühlen, ist primär natürlich dem Umgang miteinander geschuldet. Doch nicht nur das. Wenn heutzutage in mancher Stellenbeschreibung das »frische Obst« einen Pluspunkt bedeutet – gibt es bei Thomann im Keller des Kundenservice ein komplett eingerichtetes Fitnessstudio, einen Gaming-Room, dazu Kicker, Billard und Darts. Und Boxen kann man auch … Aggressionsabbau aber scheint hier eher nicht nötig. 

Etwa 1660 Mitarbeiter arbeiten am Treppendorfer »Campus« plus noch einmal etwa 200 Personen bei Tochterfirmen. Was einen Großteil der Mitarbeiter eint, ist die »Musik in der DNA«. Musik ist die Wurzel und die Triebfeder der Firma. Schon Hans Thomann Senior verbrachte viel Zeit damit, herumzureisen, um unterwegs mit Zirkussen, Blaskapellen und Musikern zu spielen. Bis er eben mit dem Musikalienhandel sesshaft wurde. »Music is our passion!« ist der auf dem Campus allgegenwärtige Slogan. Und er ist mitnichten eine leere Worthülse. »Wir sind in der geilsten Branche der Welt!« findet Markus Neser, wie sein Großvater begeisterter (Hobby)Trompeter. »Unsere Berater müssen Ahnung davon haben, was sie verkaufen«, fordert Neser. Dass sie die haben, beweisen sie jeden Tag aufs Neue. Und seit kurzem auch in der firmeneigenen Mitarbeiter-Bigband. »Gestern hatten wir die erste Probe. Geil!« Die Musik lehrt einen, wie »Miteinander« funktioniert. Eben auch für das eigene Arbeitsumfeld. Markus Neser denkt noch größer: »Wenn ›die da oben‹ miteinander Musik machen würden – die Welt wäre eine bessere …!«

In alle Welt

Derweil verschickt die Firma Thomann eben in alle Welt – und kümmert sich gerade einmal mehr um die Menschen vor Ort. Denn in Treppendorf wird schon wieder gebaut. 65 Millionen Euro werden in die Erweiterung des Ladens am Hauptstandort investiert. Von jetzt ungefähr 5200 Quadratmetern wird der Shop bis 2026 auf über 10 000 Quadratmeter Ausstellungs-, Verkaufs- und Lagerfläche wachsen. Schon heute ist der Laden – der unter anderem die größte Tuba-Ausstellung Europas mit etwa 70 spiel­bereiten Instrumenten beherbergt – beeindruckend. Die 65 Millionen Euro wird dieser allein wohl so schnell nicht wieder reinholen, weiß auch Markus Neser. Aber das sei ein Service für die Kunden. Und selbstbewusst fügt er an: »Wir wollen das Mekka für Musiker werden!«

Ob nun vor Ort oder am Telefon – »Ich will, dass Kunden IMMER mit Menschen sprechen!« betont Neser mit Nachdruck. Fragen zum Produkt? Die Telefonnummer steht immer auf der Website bzw. in der App neben dem Produkt, die Gesichter der Fachleute sind eingeblendet. Ein Rückruf ist per Mausklick schnell vereinbart. Alles, was man hier sieht, alles, was Treppendorf verlässt, ist betriebsfertig und spielbar. Instrumente werden von den Mitarbeitern geprüft, die Retourenquote liegt bei unter 4 Prozent. »Manche Versandhändler sind froh, wenn sie unter 40 Prozent bleiben«, erklärt der COO. Der Service sucht seinesgleichen, die Werkstätten sind bestens ausgestattet, Instrumentenbauer und Fachleute betreuen ihr jeweiliges Fachgebiet. 

Nachhaltigkeit

Doch bei allem Wachstum ist auch die Nachhaltigkeit für Thomann wichtig. Und das nicht, weil der Gesetzgeber das so will. Das machen sie in Treppendorf schon aus Überzeugung. »Wir haben ein eigenes Blockheizkraftwerk, knapp 100 Solartankstellen, auf den Dächern wird mit Photovoltaik derzeit etwa 1,1MW/h Strom produziert, was noch zu mehr als 1,5MW/h ausgebaut wird und unser eigenes Bienenvolk, die ›­t.­bees‹.« Hier wurde sogar eine Imkerausbildung ermöglicht. Bei allen Verpackungen achtet Thomann auf gute Recyclingfähigkeit. Verpackungsmaterial besteht aus Papier und Pappe und Pakete werden mit einem hohen Konsolidierungsgrad versendet. Das heißt, es gehen nicht fünf Pakete für fünf Artikel raus. 

Thomann

Ein weiteres Thema, mit dem Thomann immer wieder konfrontiert wurde und wird, ist das Thema Konkurrenz. Thomann ist eben nicht nur »Der Mann, der Amazon schlug«, wie das Wirtschaftsmagazin »brand eins« vor bald zehn Jahren titelte, sondern eben auch der Global Player, der die »Kleinen« zurückdrängt. Doch da spielen auch andere Faktoren eine Rolle, für das Händlersterben ist Thomann sicherlich nicht verantwortlich. Natürlich kennt Markus Neser den Vorwurf. Und er wird energisch: »Dass kleine Musikalienhändler wegsterben, ist das Schlimmste! Denn die Menschen sollen ja an die Musik herangeführt werden.« Das will Thomann auch, wenngleich das nicht flächendeckend möglich ist. Denn die Leidenschaft für Musik entsteht nicht primär im Internet, sondern vor Ort, bei den Blaskapellen, in den Musikschulen. In Treppendorf werden sie nicht müde, die immense Wichtigkeit der Musikalienhändler und Hersteller zu betonen. Markus Neser nennt sie auch nicht Konkurrenten, sondern Kollegen.

Auch bei Thomann in Treppendorf…

Die per Mausklick georderten Vandoren Classic Blue Baritone Sax 3.0 sind tatsächlich am nächsten Werktag da. Dem Jahreskonzert steht nichts mehr im Wege. Mit dem Konzert soll auch der musikalische Nachwuchs begeistert werden. Damit der dann auch in die Welt des aktiven Musizierens eintauchen kann. Beim Musikverein, beim Musikalienhändler um die Ecke und ja, auch bei Thomann in Treppendorf.