In der Rubrik “Hinter den Kulissen” werden verschiedenste Musikinstitutionen einmal von ihren unbekannteren und internen Seiten beleuchtet. Ob Musikverlag, Tonstudio, Opern- oder Musikhaus: Alle haben ihre ganz individuellen Abläufe und Gewohnheiten. In dieser Ausgabe sind wir nach München zum Polizeiorchester Bayern gereist. Sie haben dort zusammen mit den Bauer Studios eine CD aufgenommen.
Stille. In einem fensterlosen Raum sitzen 50 Menschen und sind auf eine einzelne Person fokussiert. Mit einem kleinen weißen Taktstock in der Hand steht sie reglos da. Plötzlich geht die Hand, die den Dirigierstab hält, nach oben und in einer fließenden Bewegung wieder nach unten. Das ist das Zeichen für das Orchester: Gleichzeitig holen alle Luft und als die Hand ungefähr auf Bauchhöhe ist und nach außen ausschwingt, erschallt der komplette Orchestersound. Die Schlagwerker ganz hinten im Raum lassen ihr umfangreiches Instrumentarium erklingen.
Sie bilden mit diesem rhythmischen Konstrukt eine Basis, auf der die restlichen Musizierenden ihre Klangteppiche ausbreiten. Die Tuben und Kontrabässe legen mit ihren sanften und tiefen Tönen das Fundament. Die Eufonien bilden mit ihren sonoren und die Posaunen mit ihren kräftigen Klängen die Harmonie. Klarinetten, Oboen und Flöten spielen Melodie, schnelle Umspielungen und füllen Akkorde aus. Das Saxofon-Register ergänzt das Konstrukt um eine angenehme Klangfarbe und die Trompeten strahlen brillant darüber.
Johann Mösenbichler – Chefdirigent des Polizeiorchester Bayern
Johann Mösenbichler – Chefdirigent des Polizeiorchester Bayern – gibt mit der Stabhand die Taktart und das Tempo an. Und mit der anderen Hand den einzelnen Registern musikalische Hinweise: lauter, leiser, härter, weicher, schneller, langsamer. Nach einiger Zeit wird das Orchester gestoppt. Die erste Phrase des Stückes ist vorbei. Die Hände Johann Mösenbichlers verharren reglos auf Kopfhöhe. Alle Musizierenden sind still und auf die Stabhand fokussiert. Nach ein paar Sekunden endlich Entspannung. Aus einem Lautsprecher ertönt eine Stimme. Die gleiche Stelle soll noch mal gespielt werden. Damit es genug Schnittmaterial gibt. Also alles auf Anfang. Stille. In einem fensterlosen Raum sitzen 50 Menschen und sind auf eine einzelne Person fokussiert …
Während unseres Besuches beim Polizeiorchester Bayern nehmen sie gerade eine neue CD auf. So eine Aufnahme ist für Konzentration und Ansatz durchaus strapazierend. Über Stunden wird Teil für Teil eines Stückes aufgenommen. Mehrmals. Über Tage hinweg. Wichtig ist, die jeweiligen Stellen jedes Mal möglichst gleich zu spielen. Damit kann der Tontechniker später besser schneiden. »Um besser in den Aufnahmeprozess und die Musik reinzukommen, fange ich immer mit einem einfachen Werk an«, erklärt Johann Mösenbichler, »danach folgt etwas Anspruchsvolles.
Mit diesem Ablauf schaffen wir in einer Stunde Aufnahme fünf Minuten Musik auf der fertigen CD.« Intonation, Zusammenspiel, Rhythmus, Klang, Phrasierung, Agogik: Alles muss beachtet werden. Außerdem sollten sich die Musizierenden nicht zu viel bewegen, damit der Abstand vom Schallbecher zum Mikrofon möglichst derselbe bleibt. Und wenn einer dieser Aspekte nicht passt, wird abgebrochen und die Stelle von neuem eingespielt. So wird eine Komposition Stück für Stück erarbeitet. Am Ende gibt es von jeder Phrase mehrere »Takes« und der Tontechniker schneidet die besten zusammen.
1. Teil: Im Regieraum
Während Dirigent und Musizierende im Proberaum spielen und mit Mikrofonen verkabelt sind, sitzen oben im Regieraum zwei Tontechniker von den Bauer Studios. Stefan Albrecht bedient den Computer und das komplizierte Schnittprogramm. Michael Vermathen hat Stift und Partitur in der Hand, notiert alles, was ihm auffällt und schreibt bei Bedarf besonders gute oder unbrauchbare Takes auf, um später beim Schnitt schneller zu sein. Seine Funktion nennt sich »Aufnahmeleiter«. Er hat auch ein kleines Mikrofon bei sich, sodass er aus dem Regieraum über Lautsprecher mit dem Orchester sprechen kann.
Bei dieser Aufgabe den Überblick zu behalten, ist herausfordernd und setzt einige Erfahrung voraus. Doch Michael Vermathen macht seinen Job seit vielen Jahren und ist während unseres gesamten Aufenthaltes konzentriert. Die Schnelligkeit und Effizienz der beiden Tontechniker fällt schon nach wenigen Minuten auf. Während Vermathen dem Orchester Anweisungen gibt, fliegen die Finger von Stefan Albrecht über die Tastatur. Er sortiert die einzelnen Takes, zieht sie an die passende Position, sucht einzelne Spuren heraus zum Kontrollhören, verschiebt bei Bedarf den Equalizer einzelner Instrumente oder bespricht Kleinigkeiten mit Michael Vermathen. Es entstehen fast nie Wartezeiten für das Orchester.
Wie ein Blasorchester aufgenommen wird
Um ein großes Blasorchester aufzunehmen, gilt es als Tontechniker einiges zu beachten. Der Klangkörper muss möglichst natürlich abgebildet werden. Das Polizeiorchester wird mit Einzelmikros abgenommen. Jedes Instrument hat also ein eigenes Mikrofon. Damit sind die Möglichkeiten in der Nachbearbeitung größer, da gezielt auf jede Spur zugegriffen werden kann. Ein weiterer Grund dieser Aufnahmetechnik ist der Proberaum des Polizeiorchester. Der ist für eine CD-Aufnahme eigentlich zu trocken. Jetzt kann jedoch im Nachhinein ein passender Raum »gebaut« werden. Wären die Aufnahmen in einem großen Konzertsaal, würden Raummikrofone ausreichen. Der Auf- und Abbau wäre dann auch deutlich geringer. Mit den jetzigen Gegebenheiten mussten Hunderte Meter Kabel sowie Strom verlegt und ungefähr 60 Mikrofone – die meisten für die einzelnen Instrumente, aber auch Raummikros – Stative, Kopfhörer und Mischpulte aufgebaut werden. Fünf Stunden hat das gedauert.
In der Nachbearbeitung wird dann nur noch nachjustiert. Hier eine zweite Klarinette etwas lauter, da das Becken etwas leiser. Kirchliche Werke vertragen etwas mehr Hall als Kompositionen aus der Popularmusik. Und wenn die Mikrofone gut positioniert sind, muss am reinen Instrumentenklang kaum noch nachgebessert werden.
Sollten Einzelheiten hervorgehoben werden, kann ein Eingriff in den Equalizer helfen. »Wenn bei einer mächtigen Stelle die Tuba etwas kräftiger sein soll, dann geben wir ihr mehr Bässe«, erklärt Stefan Albrecht. Und wenn Instrumente auf anderen Mikrofonen stark hörbar sind – beispielsweise die Becken in der Tonspur der großen Trommel – hilft es, nicht benötigte Frequenzen wegzunehmen.
2. Teil: Das Polizeiorchester Bayern
Es ist Mittagspause. Alle gehen aus dem Probensaal, der sich im Keller befindet, die Treppe hoch zum Ausgang des Orchestergebäudes. Draußen ist ein großer Platz. Hunderte Autos – vom Privat-PKW bis zum Polizei-Van – parken dort in geordneten Reihen. Am Ende des Platzes ist eine große Garage. Neben Traktoren und LKWs stehen dort auch der Reisebus des Orchesters und ein Auflieger, in dem Instrumente verstaut werden.
Das gesamte Areal, in dem auch das Orchestergebäude steht, gehört zur 1. Bereitschaftspolizeiabteilung. Auf 57 800 Quadratmetern breiten sich Ausbildungs- und Übungsräume für die gesamte Polizei aus. Da bildet das Orchestergebäude mit 1227 Quadratmeter nur einen kleinen Teil.
Auf dem Weg in die Kantine kommen uns kleinere Polizeitrupps entgegen, die gerade eine Sportübung absolvieren. Andere – teils uniformiert, teils in normaler Kleidung – gehen ebenfalls zur Mittagspause. Neben einem vegetarischen sowie einem Fleischgericht gibt es diverse Getränke, ein kleines Salatbuffet und eine Süßspeise zum Nachtisch. Als wir wieder im Orchestergebäude sind, biegen wir rechts ab, gehen durch das Orchesterbüro in den Besprechungsraum. Johann Mösenbichler bietet uns Kaffee und Naschzeug an. Speziell letzteres nehmen wir sehr gerne an.
Der Alltag
Mösenbichler beginnt, uns von der täglichen Routine des Orchesters zu erzählen. »Im Normalfall gib es Montag und Dienstag keine Tuttiproben, da wir an den Wochenenden meistens Konzerte haben. Mittwoch bis Freitag sind Probentage.« Sie beginnen pünktlich um neun. Und enden – mit einer Mittagspause – um 16 Uhr. Konzerte haben sie meistens innerhalb Bayerns und in den angrenzenden Ländern. »Für repräsentative Anlässe fahren wir aber auch weiter weg. 2015 waren wir beispielsweise beim »World Saxophone Congress« in Strasbourg.«
Für alle Musizierenden sind Schlafplätze im Orchestergebäude reserviert. Das sind schlichte Mehrbettzimmer. Eine weiße Schrankwand, ein kleiner Tisch sowie Holzstühle und Stockbetten mit vier Matratzen. Im uns gezeigten Zimmer diente eines der Betten als Ablage für Instrumenten- und Mundstückkoffer. Die Musiker, die dort schlafen, haben sich noch eine Kaffeemaschine und einen kleinen Fernseher aufgestellt. Sollte das Orchester nach einem Konzert erst spät zur Kaserne kommen, kann dort direkt übernachtet und der restliche Heimweg gespart werden. Regelmäßig übernachten aber nur wenige. Ein Orchestermitglied kommt aus Wien. Hier bietet sich die Schlafmöglichkeit an.
Auch Johann Mösenbichler schläft unter der Woche in der Kaserne. »Ich fahre am Dienstagabend her. Dann kann ich entspannt und stressfrei am Mittwoch in die Probe. Würde ich am Mittwoch anreisen, wäre ich dem Münchner Verkehrschaos ausgesetzt.« Damit hatten wir bei unserer Anfahrt ebenfalls schon Bekanntschaft gemacht.
“Die Gesamtprobe ist nicht zum Üben da”
»Für mich ist das Miteinander am wichtigsten«, führt Mösenbichler aus. »Außerdem die einheitliche Interpretation und Artikulation. An der Intonation kann man immer feilen.« Dabei ist für Technikproben keine Zeit. »Die Gesamtprobe ist nicht zum Üben da.«
Wie in jedem Berufsorchester gibt es auch beim Polizeiorchester Bayern ein Orchesterbüro. Dort werden sämtliche organisatorischen Aufgaben verarbeitet. Anfragen, Urlaubsanträge, Personaleinteilungen, Proben- sowie Auftrittstermine und natürlich die Veranstaltungsplanung. Von der Location-Besichtigung, Planung der Busfahrt für die Musizierenden bis zur Übernachtung muss alles abgeklärt sein. Das Polizeiorchester spielt nur für gemeinnützige Zwecke. Der Reinerlös muss also an einen karitativen Zweck gehen. Jährlich sind das 50 Auftritte. Zusätzlich sind 120 Ausrückungen in Kleinbesetzungen zu bewältigen.
Das Orchester hat 45 fixe Stellen für die Musizierenden. Sollte es Krankheitsausfälle geben oder ein Werk mehr Stimmen verlangen, gibt es ein Budget für Aushilfen. Und für dieses Budget wird jährlich eine Finanzierungsplanung abgegeben. Neben der Kasse für die Aushilfen müssen regelmäßig Instrumente angeschafft, Noten gekauft oder CD-Aufnahmen wie die aktuelle bezahlt werden. Nachdem letztere genehmigt wurde, beginnt für Johann Mösenbichler eineinhalb Jahre im Voraus die Planung.
Von der Idee zur CD
»Zuallererst frage ich mich, was ich überhaupt machen will«, beginnt Mösenbichler zu erklären. »Ein wichtiger Punkt ist, was wir in der Außendarstellung brauchen – und was unser Arbeitgeber, die bayerische Polizei.« Nach stundenlangen Internet-Recherchen und Tipps von Bekannten stehen die Hauptwerke. »Dadurch ergibt sich dann eine Struktur, um die ich weitere Kompositionen baue.« Die musikalische Entscheidung liegt zwar ganz bei Mösenbichler, sie folgt aber dem Orchesterauftrag für eine positive Öffentlichkeitsarbeit der bayerischen Polizei. Im Repertoire fehle es noch an einer Weihnachts-CD. Also stand das Kernthema schnell fest.
Schon länger gab es die Idee, zusammen mit den Regensburger Domspatzen ein Projekt zu verwirklichen. »Und um den Chor zu unterstützen, werden der Frauenchor der Münchner Polizei sowie der Chor der Polizei München ebenfalls an dieser CD-Produktion mitwirken.« Drei ganze Chöre also. Für diese Stimmgewalt braucht es natürlich ein großes orchestrales Werk. »One Voice« von Ruth Moody ist perfekt dafür geeignet. Laut Johann Mösenbichler war die Beschaffung des Notenmaterials »ziemlich mühselig. Bisher gab es dieses Werk nur in Amerika. Es ist also eine europäische Erstaufführung. Bis wir endlich die Noten in Händen halten konnten, dauerte es eine Ewigkeit. Kein postaler Weg, kaputte PDFs und nicht das passende Arrangement für unser Orchester.«
Overdub
Nachdem das Notenmaterial angeschafft und arrangiert wurde, waren die Räumlichkeiten das nächste Problem. »Da wir in unserem Probenraum keinen Platz für so viele Menschen haben und ein großer Konzertsaal zu teuer ist, haben wir uns für Overdub entschieden«. Overdub heißt im Grunde, nacheinander aufzunehmen. Zuerst den Orchesterpart. Danach können die Chöre in den Räumlichkeiten der Domspatzen ihre Parts aufnehmen. Die Orchesteraufnahmen laufen dabei über Kopfhörer, damit nachher alles synchron ist. Die unterschiedliche Akustik spiele bei dieser Menge an Menschen keine Rolle, meint Mösenbichler.
Nachdem die Aufnahmen weitergehen, werden wir im Gebäude herumgeführt. Neben dem Probensaal gibt es für jedes Register kleine Übekammern, die mit Instrumenten vollgestopft sind. In einem weiteren Raum ist das Notenarchiv. Große grüne Schränke stehen an allen Wänden und in der Mitte des Raumes. Ein Schreibtisch mit Computer für allerlei Archivlisten sowie ein Drucker finden sich dort ebenfalls. Und nachdem wir einen größeren Überaum für die Schlagwerker und den Räumlichkeiten des Orchesterwartes besichtigt haben, sind wir am Ende der Führung angekommen. Als wir uns verabschiedet haben, gehen wir über den Platz auf das große Ausgangstor zu. Es öffnet sich elektronisch und wir dürfen das streng bewachte Gelände verlassen. Ein spannendes Treffen geht zu Ende. Vielen Dank dem Polizeiorchester Bayern, Johann Mösenbichler und Benedikt Migge für die Gastfreundschaft, die offenen, entspannten Gespräche und die umfangreichen Einblicke.