Zugegeben – die Zweifel bestanden bis zum Schluss bzw. bis zur offiziellen Eröffnung des 57. Internationalen Musikwettbewerbs Anfang Mai in den Fächern Horn und Tuba in Markneukirchen. Geplant war alles schon für 2020. Im Frühjahr 2019 wurde ich zu meiner großen Freude mit der Komposition des Pflichtstücks für Tuba beauftragt, gesponsert durch die Firmen B & S und Melton, das ab Juni 2019 unter dem Titel “Aubade für Tuba und Klavier” den Interessenten zur Verfügung stand. Wer konnte damals ahnen, welch nervenaufreibende Durststrecke uns noch bevorstehen sollte.
Nun bot sich also zwei Jahre später die seltene Gelegenheit, die Weltspitze der nächsten Generation von Tubistinnen und Tubisten zu erleben. Immerhin hatten sich 87 Teilnehmende aus 26 Ländern angemeldet. Das sind beeindruckende Zahlen, die einmal mehr die Bedeutung und Attraktivität dieses ältesten Tubawettbewerbs der Welt belegen. Als musikwissenschaftliche Ergänzung lud das Instrumentenmuseum zum Auftakt der zweiten Runde, für die sich 18 Teilnehmende qualifizierten, Louis Jake Kline ein, einen aus den USA stammenden Tuba-Hersteller und -Enthusiasten, der aber längst Berlin zu seiner zweiten Heimat gewählt hat.
Dessen Ausführungen über die junge Geschichte der Tuba waren ebenso aufschlussreich wie interessant. Die Tatsache, dass die Tuba erst 1835 erfunden wurde und erst Jahre später zu ihrer heutigen Form gefunden hat, erklärt, warum im Wettbewerb hauptsächlich Werke aus dem 20. Jahrhundert zu hören waren. Und es scheint, als würden sich Komponisten – mich eingeschlossen – und vor allem Komponistinnen gerne auf das Abenteuer einlassen, Neuland zu betreten und mit maßgeschneiderten Werken auf die Entwicklung des oft zu Unrecht verkannten Bassinstruments Einfluss zu nehmen.
Klassiker und neue Werke
Natürlich durfte in der zweiten Runde ein Klassiker wie die Hindemith-Sonate nicht fehlen, aber auch Stücke wie die “Autumn Sonata” von Anna Baadsvik oder Andrea Clearfields temperamentvolles “Hvati” zeigten in beeindruckender Weise, wie sehr sich Autoren und Virtuosen gegenseitig befruchten und dadurch zu hervorragenden künstlerischen Ergebnissen gelangen.
Willi März
Die künstlerische Bandbreite der Werke von Willi März erstreckt sich von gehobener Unterhaltungsmusik bis hin zu anspruchsvoller ernster Musik. In seinem Schaffen finden sich zahlreiche Kompositionen für kleinere Ensembles bis hin zu Musik für Bigband, Blasorchester und großes Sinfonieorchester. All seine Werke – ganz gleich in welcher Besetzung – zeichnen sich dabei durch Originalität, komplexe Harmonik und eine solide klassische Satztechnik aus.
An dieser Stelle möchte ich aber auch noch einen Punkt aus ganz persönlicher Perspektive nicht unerwähnt lassen: Als Pianist war ich tief beeindruckt von den Leistungen der Klavierbegleiter. Die Klavierstimmen vieler Werke – einschließlich meiner “Aubade” – waren durchweg auf dem selben hohen Niveau gesetzt wie die Solostimme und verlangten den Spielerinnen und Spielern ein Höchstmaß an Virtuosität ab. Hinzu kommt noch die große Verantwortung, die auf dem Begleiter in einem Wettbewerb lastet. Er muss sich auf jeden Solisten einstellen, muss Schwächen und Stärken erkennen und ihm helfen, seinen Vortrag, aber auch seine Persönlichkeit optimal zu entfalten. Manche Pianisten waren stundenlang im Einsatz, Respekt vor dieser großartigen Leistung!
Zwischen “Terminator” und “samtigen Klangwolken”
Nun sitzt man da zusammen mit ein paar interessierten Zuhörerinnen und Zuhörern (es hätten ruhig ein paar mehr sein können) in einem schönen kleinen Saal im Kurhaus von Bad Elster, und während draußen die Vögel den beginnenden Frühling in höchsten Lagen bezwitschern, entdeckte jeder der Teilnehmenden in kraftvoller Basslage immer neue Facetten ein und desselben Stücks. Eine zweifellos auch für die acht Juroren aus sechs Ländern nicht immer leichte Situation, sich auf die unterschiedlichen Schwerpunkte der Vortragenden nicht nur einzustellen, sondern diese dann auch objektiv zu beurteilen.
Wie soll man zum Beispiel den jungen Südkoreaner bewerten, dessen Dynamik erst beim Forte beginnt und der wie ein Terminator durch sein Programm preschte? Andere betteten samtige Klangwolken auf Watte, sodass dem Publikum ernsthafte Zweifel kamen, ob es sich bei der Tuba tatsächlich um ein Blechblasinstrument handelt. Aber gerade diese Gegensätze bereiten dem aufmerksamen Hörer Freude und geben einem Wettbewerb die einmalige Spannung. Sie zeigen aber auch den Reichtum und die unendliche Ausdruckskraft der Musik, die eben auch immer ein Spiegel der menschlichen Seele und des Charakters eines jeden Einzelnen ist.
Schwierige Entscheidungsfindung
Ebenso subjektiv wie das musikalische Erlebnis kann auch das Empfinden von Wartezeiten wahrgenommen werden, selbst wenn man als Außenstehender von den Entscheidungen der Jury nicht betroffen ist. Aber man war natürlich gespannt, ob die persönlichen Favoriten auch in den Ohren der Jury einen guten Eindruck hinterlassen haben. Endlich wurden am Dienstagabend mit reichlicher Verspätung die Namen der letzten sechs Teilnehmer bekanntgegeben. Die lange Wartezeit war Ausdruck einer schwierigen Entscheidungsfindung, zu eng lagen die Leistungen der Spieler (es waren jetzt nur noch Männer) beieinander. Der Vorsitzende der Jury, Prof. Jörg Wachsmuth (im Interview), bewies einmal mehr viel Fingerspitzengefühl, die verschiedenen Meinungen zu werten und zu gewichten. Ich denke, die Jury hat zu jedem Zeitpunkt sehr klug und verantwortungsvoll geurteilt.
“Ein besonderer Augenblick, sein Werk zu hören…”
Am Mittwochmorgen endlich wird nun die dritte Runde in der Musikhalle von Markneukirchen eröffnet, jene Runde, in der mein Stück “Aubade” von allen verbliebenen Kandidaten zur Aufführung gebracht werden soll. Es ist für jeden Komponisten immer ein besonderer Augenblick, sein Werk zu hören, aber sein Stück in sechs verschiedenen Versionen zu hören, ist dann schon etwas ganz Besonderes. Auch hier bestätigt sich die Erfahrung der Vortage: Immer wieder entdecken die Musiker andere Schwerpunkte, immer wieder werden unterschiedliche Tempi gewählt, erscheint die Komposition in einem anderen Licht.
Das Programm, das die Kandidaten zu bewältigen hatten, war enorm, vor allem das Solostück von Elizabeth Raums “Sweet Dances” war “ohne Netz und doppelten Boden” ein Kraftakt für Teilnehmer wie Zuhörer. Bei Schumanns “Adagio und Allegro op. 70” kamen mir gewisse Zweifel, inwieweit es sinnvoll ist, fehlende Literatur aus der Romantik durch Transkriptionen entsprechender Werke zu ersetzen. Die nach unten oktavierte Fassung für Tuba erschien mir etwas problematisch. Dies berührt ein Gebiet, mit dem ich mich seit vielen Jahren auseinandersetze, das Problem einer Bearbeitung um jeden Preis, das “Hineinzwängen” in eine andere Besetzung, koste es was es wolle.
Die Finalisten stehen fest
Nach langen sechs Stunden stehen die drei Finalisten fest: Florian Wielgosik, Richárd Bence Masa und Igor Martinez. Viele Menschen können sich kaum vorstellen, was der gnadenlose Ausleseprozess im heutigen Musikleben den Beteiligten abverlangt. Die drei Finalisten waren seit Tagen unter großer nervlicher Anspannung im Wettbewerb, absolvierten in jeder Runde virtuose Drahtseilakte und konnten nach Erreichen des Finales immer noch nicht durchatmen, denn bereits am nächsten Tag warten die Clara-Schumann-Philharmoniker Plauen-Zwickau unter der Leitung von Vladimir Yaskorski zur Orchesterprüfung auf die frisch gekürten Finalisten.
Edward Gregsons dreisätziges Tubakonzert war für mich eine höchst erfreuliche Entdeckung, die auch nach dreimaligem Hören nichts von ihrem Reiz verloren hat. Das inspirierte Werk erinnert im Stil ein wenig an Filmmusik, ohne jemals platt oder formelhaft zu wirken. Besonders amüsierte mich ein kleines Zitat des Vaughan-Williams-Konzerts im ersten Satz. Das Publikum im Saal hat sichtlich seine Freude und man wünscht sich in solchen Momenten mehr Werke dieser Art. So mancher hat das leichtfüßig tänzerische Thema des letzten Satzes beim Verlassen des Saales noch vor sich hin gesummt. So soll es sein!
Eine gerechte Entscheidung
Nun zog sich die Jury ein letztes Mal zurück, noch mal endloses Warten, schlimmer kann es auf dem Petersplatz während der Papstwahl auch nicht sein. Ich war mir lange nicht sicher, ob es eine konventionelle 1.-2.-3.-Platzierung geben würde oder ob sich die Jury möglicherweise auf zwei zweite und einen dritten Platz einigt. Ich fragte mich, wie die Jury den jeweils ausgeprägten Stil von Florian Wielgosik und Richárd Bence Masa werten würde. Florian bestach durch Eleganz und Perfektion sowie absolute Sicherheit in der Tongebung, Richárd überzeugte durch wunderbare, lebendige Gestaltung.
Das Endergebnis war dennoch nicht ganz überraschend und in jeder Hinsicht gerecht: Florian Wielgosik war der verdiente Gewinner des ersten Preises, seine Leistung war durchweg professionell, ausgeglichen und stabil. Richárd Bence Masa wurde mit einem zweiten Preis bedacht, als ausgleichende Gerechtigkeit konnte er sich jedoch noch über den Publikumspreis freuen. Das war auch für mich eine interessante Erfahrung, dass das Publikum offensichtlich die Lebendigkeit der Gestaltung noch über die fachliche Perfektion stellte. Der dritte Preis an Igor Martinez war ebenfalls keine große Überraschung. Insgesamt zeugten alle drei Tubisten von dem hohen Niveau, das heute auf der Tuba erreicht ist. Als neutraler Beobachter konnte man deutlich die Erleichterung sowohl bei den Akteuren als auch bei den Juroren feststellen.
Sehr gute Organisation
Für das Organisationsteam des Wettbewerbs ging die Arbeit jedoch unverdrossen weiter: Pressemeldungen mussten verschickt werden, das Preisträgerkonzert wollte vorbereitet sein und viele bürokratische Aufgaben harrten der Erledigung. Dass diese wichtigen Aktionen im Hintergrund stets reibungslos abliefen, ist sicher das Verdienst von Carola Schlegel und ihrem Team. Stets präsent, immer am Ball war für alles gesorgt, vom pünktlich aktualisierten Ablaufplan bis hin zum kleinen Blumengesteck am Tisch eines jeden Jurors. An jedes Detail war gedacht!
Diese Woche in Markneukirchen zu verbringen empfand ich als große Freude. Dies sind eindeutig die schönen Momente meines Berufs, der ja nicht immer nur Erfreuliches mit sich bringt. Die geradezu idyllische Atmosphäre im Vogtland, gefüllt mit Musik und vielen schönen Begegnungen, bewies einmal mehr, welch großen Wert die Musik in unsere Gesellschaft einbringt, ein Wert, der nicht genug gepflegt werden kann.