Brass | Von Christine Engel

Horst Fischer zwischen Talent und Teufel Alkohol

Horst Fischer in einer Werbung für Hüttl-Trompeten

Das Leben des Horst Fischer endete tragisch am 21. März 1986. Am 8. Juni wäre er 90 Jahre alt geworden. Tragisch. Traurig. Vergessen. Viele Musikfans wissen heute nicht mehr, dass es in Deutschland einmal eine Trompetengröße gegeben hatte, die von seinem großartigen Spiel vergleichbar mit Maynard Ferguson war. So erzählen es Zeitzeugen. Leider zeigt die Biografie dieses Trompeters, welche zerstörerische Gewalt die Droge Alkohol entfalten kann.

Er war der erste Jazztrompeter, der sich eine Goldene Schallplatte erspielte und Millionär wurde mit seiner Musik. Trotzdem ist eine intensivere Recherche über Horst Fischer heute kaum mehr möglich. Musikalische Wegbegleiter sind verstorben, Angehörige sind nicht ermittelbar. 2004 produzierte der SWR-Redakteur Andrejs Gramatins das einstündige Feature „Nur ein armer Jazztrompeter – Horst Fischer und der Ruhm der frühen Stuttgarter Jahre“. Das journalistische Werk zeichnete und dokumentierte das musikalische Leben des Trompeters in ungeschönten Facetten.

Mit vielen unterlegten Musikbeispielen, die einem das außergewöhnliche Spiel Fischers demonstrieren, hört sich dieses Feature wie ein innerer Kinofilm an. Aus Horst Fischers Privatleben kann man nichts erfahren, denn, so der Journalist, die Familie wollte nicht mit ihm über den Trompeter reden. 

Gesprochen mit Gramatins hatten dagegen Band­leader Erwin Lehn (1919 bis 2010), die Saxo­fonisten Werner Baumgart (1927 bis 2009) und Victor Burghardt (*1937), Tonmeister Carlos Al­brecht (*1943), Rolf Bauer (der Gründer der Bauer-Studios) sowie Stefan Will, sein Freund der letzten Jahre. Außerdem der Website-Betreiber Markus Hewer, auf dessen Seite www.magictrumpet.de zahlreiche Fotos aus ­Fischers Leben zu sehen, Hörbeispiele zu hören und Fischers umfangreiche LP-Veröffentlichungen gelistet sind. 

Horst Fischers musikalischer Werdegang

Geboren wurde Horst Fischer in Adelsberg bei Chemnitz. Sein Vater war von Beruf Eisengießer und seine Mutter stammte aus einer Geigenbauerfamilie. Mit zwölf Jahren begann er, Trompete zu spielen. Während des Krieges besuchte er eine Heeresmusikschule in Frankfurt am Main. Zurück in der sowjetischen Besatzungszone, übte er in der Musikschule Burgstädt, an der Werner Baumgart einst vorbeifuhr und ihn hörte. Als 1947 das Tanzorchester Ernst Knauth in Chemnitz einen Trompeter suchte, erinnerte sich Baumgart an Fischer. 

Nach einer kurzen Station in der Chemnitzer Bigband von Karl Walter wechselte Fischer 1949 zusammen mit Werner Baumgart in das Rundfunk-Tanzorchester Leipzig unter Leitung von Kurt Henkels. Dort war er so erfolgreich, dass die Amerikaner auf ihn aufmerksam wurden und das amerikanische Orchester von Stan Kenton ihm das Angebot machte, als Leadtrompeter einzusteigen. Horst Fischer lehnte ab und blieb beim Leipziger Orchester. 

Zur gleichen Zeit leitete Erwin Lehn das Radio Berlin Tanzorchester. Weil das immer öfter für sozialistische Parteiveranstaltungen hergenommen wurde, wollte Lehn weg und übernahm 1951 das legendäre Südfunk Tanzorchester Stuttgart, das heute als die SWR Big Band bekannt ist. Mit im „Gepäck“ hatte Erwin Lehn Werner Baumgart und Horst Fischer. 

Bandkollegen über den Trompeter

„Ich habe sehr viel Freude mit ihm gehabt“, erzählte der 2010 verstorbene Erwin Lehn sechs Jahre zuvor im Feature über Horst Fischer. Die Höhe seines Trompetenspiels habe viele Menschen beeindruckt. Und Saxofonist Werner Baumgart fasste die Stuttgarter Zeit ab 1951 so zusammen: „Der Mosch, der Fischer und ich.“ Wenn sie selbst nicht gespielt hatten, gingen Horst Fischer, Werner Baumgart und ein in der Blasmusikszene wohlbekannter Posaunist namens Ernst Mosch zusammen ins Kino, in Konzerte und danach mit den Künstlern in die Kneipe. „Wir haben uns an die drangehangen und uns gefreut, mit denen zu spielen. Der Fischer hat aber besser gespielt als der Armstrong.“

Erwin Lehn hatte damals eine ständige Gratwanderung auszubalancieren zwischen dem, was der Südwestfunk und die Zuhörer hören (bunte Unterhaltungsmusik) und dem, was die Musiker spielen wollten (rauer Jazz). Er erinnerte sich an eine Hörerzuschrift: „Herr Lehn, machen Sie, dass Sie mit ihrem Urwald-Jazz in den Urwald kommen und vergessen Sie nicht, ihren Trompeter Horst Fischer mitzunehmen.“

Erfolg trotz Alkohol­problemen

Die Alkoholprobleme wurden in Fischers Südwestfunk-Zeit in den 1950er Jahren schon bald bemerkbar. Lehn resümierte: „Wäre Fischer reiner Jazzmusiker gewesen, hätten Alkoholprobleme kaum eine Rolle gespielt. Wer aber in einer Bigband Tanzmusik machte, musste funktionieren. Jederzeit und überall.“ Erwin Lehn drückte als Leiter immer wieder beide Augen zu. Aber 1958 ging es nicht mehr. Horst Fischer verließ das Südfunk Tanzorchester und somit Stuttgart. 

Was dann kam, war der große Erfolg: Die besten Tanzorchester wie das Rias-Tanzorchester unter Werner Müller oder die Bigband von Kurt Edelhagen rissen sich um ihn. Er nahm Platten auf, hatte Fernsehauftritte, spielte Film- und Werbemusik. Das Synonym für Horst Fischer in den 1960er Jahren: „Der Mann mit der goldenen Trompete“. Er verdiente Millionen. Aber er gab sein Geld auch schnell wieder aus – wie zum Beispiel für teure Autos. 

Die Angst, zu versagen

1971 zog Horst Fischer in die Schweiz und wurde Trompeter in der DRS Big Band in Zürich. Dort begegnete er Victor Burghardt, dem er viel anvertraut hatte und der im SWR-Feature ein tiefsinnigeres Bild von Fischer zeichnete und analysierte, woher diese verletzbare, schwache Seite von Horst Fischer kam. Da war zum Beispiel die nie ausgeheilte Schussverletzung, die Fischer aus der sowjetischen Besatzungszone mitgebracht hatte und die jeden Auftritt zu einem unkalkulierbaren Risiko machte. 

Fischer fuhr einst als Jugendlicher Fahrrad und ein sowjetischer Soldat wollte ihm das Gefährt wegnehmen. Es kam zu einem Handgemenge, worauf sich ein Schuss löste und als Lungensteckschuss für immer in Horst Fischers Lunge blieb. Dieses Geschoss konnte sich ein paar ­Jahre nicht bemerkbar machen, aber Victor Burghardt bekam einmal einen Anfall Horst Fischers mit, bei dem er keine Luft mehr bekam. Für einen Trompeter fatal.

Und so lebte er in der ständigen Angst, auf der Bühne zu versagen. Die Angst kam laut Burghardt auch daher, dass er sich schwertat, Noten zu lesen, was eine Folge seiner lückenhaften Ausbildung war. Burghardt sagte im Interview mit dem SWR: „Das ständige Überfordertsein war sein erstes Problem. Einerseits wurde er als großer Solist bewundert, andererseits hinkte er hinter den normalen Tutti-Musikern nach.“ 

Die Sucht lässt ihn nicht los

Immer wieder fiel der Trompeter alkoholbedingt aus, immer wieder verwickelte er sich in Schlägereien. Immer wieder griff ihn die Polizei auf, wobei er dann meist nur eine Kassette mit seinem Foto auf dem Cover dabei hatte, um sich auszuweisen. Burghardt erzählte hanebüchene Anekdoten wie beispielsweise, als Fischer die Gäste einer Kneipe bis morgens eingeschlossen und das Telefon nicht rausgerückt hatte. 

Der Journalist Andrejs Gramatins analysierte Fischers Leben und Verhalten und sprach von der „Unbedingtheit der eigenen Arbeit gegenüber“. Andere Musiker hätten es geschafft, von ihren Süchten loszukommen, als sie merkten, dass sie ihr Kunstwerk zerstören. Horst Fischer gelang das nicht. 

1975 versuchte ihm sein Arbeitgeber zu helfen. Die Leitung des DRS – also des damaligen Schweizer Radios – schickte ihn ein Jahr auf Entzug in ein teures Sanatorium und lies dabei sein Gehalt weiterlaufen. Kurz vor Ende der Kur machte sich Fischer zum Tonstudio Bauer nach Ludwigsburg auf, das Burghardt für Aufnahmen gebucht hatte.

Burghardt hatte allen Musikern strengstes Alkoholverbot auferlegt, um Horst Fischer nicht in Versuchung zu bringen. Er hatte alles kontrolliert, nur eines war damals neu: die Minibars in den Hotelzimmern. Die Katastrophe nahm seinen Lauf: Nach den Aufnahmen des ­Tages räumte Fischer sämtliche Minibars aus und verschwand. 

Am Tag darauf tauchte er immer noch betrunken auf. Das Team nahm letzte Feinheiten und das Stück „Love me, love me“ auf. Horst Fischer hatte es komponiert und es war seine letzte Aufnahme. Burghardt erzählte: »So habe ich ihn noch nie spielen hören.« 

Das große Verschwinden

Danach begann das große Verschwinden, wie es Gramatins in seinem Porträt bezeichnete. Er hatte keine festen Engagements mehr und schlug sich mit Musikunterricht durch. 1983 wurde Horst Fischer in Nordrhein-Westfalen vom Amateur-Trompeter und Fan Stefan Will auf der ­Straße aufgelesen. Will wurde sein letzter Freund. Er besorgte Fischer ein Zimmer, einen Fernseher und steckte ihm immer wieder ein paar Mark zu. Fischer schenkte Will seine demolierte Trompete. Am 31. März 1986 starb Horst Fischer mit 55 Jahren in einer Klinik. 

Was bleibt? 

Seit 2004 seht die Trompete Fischers im Deutschen Trompetenmuseum in Bad Säckingen. Eine Straße in Chemnitz ist nach ihm benannt. Nach seinem Tod wurde Horst Fischers Urne in seiner Heimat in Adelsberg zunächst in einem anonymen Grab beigesetzt. 2006 tat sich ein Freundeskreis zusammen, der Gelder für einen Gedenkstein auf dem Adelsberger Friedhof sammelte. Seitdem ist Fischers Urne darunter be­graben.