Brass, Orchestra, Schwerpunktthema, Wood | Von Klaus Härtel

In aller Munde: Die Zunge

Das Schwerpunktthema dieser Ausgabe ist die Zunge. Der Themenbereich besteht aus mehreren Beiträgen, die das Thema von verschiedenen Seiten und mit unterschiedlichen Textformen beleuchten.

In aller Munde: Die Zunge (von Klaus Härtel)

Natürlich könne man die Zunge in ihrer Funktionsweise separat betrachten, erklärt Professor Dr. Wolfgang Angerstein. Doch funktionieren tut sie nur im Zusammenhang mit zahlreichen Faktoren: »An der Zunge hängt ein ganzer Mensch!«

Professor Dr. Wolfgang Angerstein ist sozusagen Zungenexperte. Spezialist für Bläserzungen. Da das aber noch kein Ausbildungs­beruf ist, nennt sich Angerstein unter anderem Facharzt für Pho­niatrie und Pädaudiologie und ist als solcher Leiter dieser Ab­teilung an der Heinrich-Heine-Universität Düsseldorf. Und da man der Zunge eben keine eigene Abteilung widmen kann (und will), gehört zum Aufgabengebiet der Phoniatrie und Pädaudiologie die Dia­gnostik und Behandlung von Sprach-, Sprech-, Stimm- und Schluckstörungen sowie kindlichen Hörstörungen.

»Mit dem Ultraschall der Zunge beschäftige ich mich schon seit 1988«, erzählt der Mediziner. Damals stand noch nicht die Funktion beim Spielen von Blasinstrumenten im Vordergrund. »Denn die Zunge spielt einen sehr wichtigen Part beim Schlucken. Das ist die Primärfunktion.« Erst als Sekundärfunktion kommt das Sprechen hinzu, die Artikulation. »Und die Funktion der Artikulation ist genau das Thema, denn beim Spielen eines Blasinstruments spielt die Artikulation eine wichtige Rolle.« Dass in Düsseldorf mittlerweile eine »Bläsersprechstunde« eingerichtet wurde, hat mit dem Besuch eines Musikers der Essener Philharmoniker im Jahr 2003 zu tun. »Der kam in meine Sprechstunde und meinte, er hätte Pro­bleme mit dem Ansatz und der Artikulation.« Seitdem rennen dem Zungenexperten die Blasmusiker die Bude ein. 

Rohrblatt, Stimmlippe, Stimmkopf – Strategien der Tonerzeugung (von Hans-Jürgen Schaal)

Mit Atemluft bringt der Bläser ein Rohrblatt oder seine eigenen ­Lippen zum Schwingen und setzt auf diese Weise Töne in die Welt. ­Unsere Stimme, unser Kehlkopf funktioniert nicht viel anders. Das Prinzip der Tonerzeugung durch Luftstrom, Luftstrom-Verengung und Vibration scheint universal zu sein. Aber warum sind die Vögel die allerbesten Sänger?

Viele Ideen menschlicher Erfinder haben ihre Vorbilder – oder zufällige Parallelen – in der Natur selbst. Das Universal-Genie Leonardo da Vinci entwarf einst eine Flugmaschine nach dem Modell des Vogelflugs. Auch der Klettverschluss trägt seinen Namen nicht zufällig. Eine ganze Wissenschaft – die Bionik – beschäftigt sich heute damit, Lösungen, die die Natur entwickelt hat, auch für menschliche Technik nutzbar zu machen. Schon Ende des 18. Jahrhunderts schrieb die St. Petersburger Akademie der Wissenschaften einen Wettbewerb aus, um die Entstehung der menschlichen Vokallaute erstens zu erklären und zweitens künstlich nachzuahmen. 

Das Zünglein an der Waage – Die Funktionsweise der Zunge bei Blechbläsern (von Rainer Hauf)

Obwohl die Zunge buchstäblich in aller Munde ist, wird sie in der Betrachtung und vor allem in der ­Lehre bisher sträflich vernachlässigt. Rainer Hauf bringt für clarino Licht ins Dunkel der Mundhöhle und beleuchtet das sensible Muskelgebilde genauer.

Ich selbst ließ mich in meiner Meinung nicht so schnell überzeugen, dass die ­Zunge einen erheblichen Anteil am Ganzen hat. Ich war davon überzeugt, dass der Einsatz der Zunge mehr oder weniger auto­matisch abläuft, wenn eine gewisse Musikalität und damit verbundene Tonvorstellung vorhanden ist. Zudem werden wir durch unsere Wahrnehmung an den Lippen abgelenkt und erfühlen oft gar nicht, welche Hilfe uns die Zunge sein kann. Dazu ein kleines Beispiel: In einer Phase, in der ich viel mit Colin-Übungen (Naturtonbindungen) gearbeitet habe, wurde mein Ansatz stetig besser. Mein Klang wurde kompakter und zentrierter, und ich hatte ein angenehmes, kraftvolles Gefühl in den Lippen. Meine Analyse daraus war, dass ich meinen Luftfluss und meine Lippenkraft gestärkt habe. Heute weiß ich, dass die Übungen von Colin zu einem großen Teil auch den Zungenrücken trainieren und die Zunge ­geschickt die Strömung der Luft im Mundraum beeinflusst. Die Folge eines opti­mierten Luftstroms in der Mundhöhle ist die Entlastung der Lippen, die dann in der Analyse als Zugewinn an Kraft interpretiert wird.  

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