Brass, News, Orchestra, Wood | Von Klaus Härtel Und Cornelia Härtl

Instrumente, Verlage, Veranstalter. Zur Lage der Branche

Lage

Beim ersten Lockdown zeigte sich die Kultur – wie vermutlich die Mehrheit der Bevölkerung – noch einigermaßen entspannt. Dieses Virus würde ja bald bezwungen sein und „da muss man jetzt eben durch“. Der erste Lockdown ist nun über ein Jahr her und entspannt ist im Kulturbereich niemand mehr. Über 365 Tage nahezu ohne Auftritte und dementsprechend ohne Einnahmen gehen nicht spurlos an einem vorüber. Die Lage ist ernst.

Das staatliche Hilfsprogramm – 2 Milliarden Euro stehen bereit – klingt zwar großzügig und ist sicherlich auch gut gemeint. Doch wenn man weiß, dass die Kultur- und Kreativwirtschaft im Jahr vor Corona noch stolze 170 Milliarden Euro umsetzte, wirkt das wie der sprichwörtliche Tropfen auf den heißen Stein, zumal der Umsatz der darstellenden Künste um 85 Prozent eingebrochen ist. Die Musikwirtschaft verlor über 50 Prozent ihres Umsatzes. 

Was neben dem Umsatzverlust für die Kulturschaffenden noch viel schlimmer wirkt, ist die fehlende Würdigung ihrer Bedeutung für die Gesellschaft. Den meisten Menschen fehlen die Bühnen, die Säle, die Hallen, in denen Kunst und Kultur präsentiert werden. Was passiert mit einer Gesellschaft, deren vielbeschworener Kitt wegbröckelt? Selbst Audi-Vorstandschef Markus Duesmann hielt in der „Süddeutschen Zeitung“ weitere staatliche Förderungen für Automobilhersteller für nicht angemessen. Die Corona-­Krise nage zwar an den Gewinnen in der Branche, die von der Corona-Pandemie verursachten Einschnitte in der Gastronomie oder der Kultur ­seien jedoch viel schlimmer. „Das tut mir super weh. Das ist tragisch. Tragisch ist nicht, dass wir 10 Prozent weniger Umsatzvolumen haben.“ Auch der „Spiegel“ befürchtete jüngst, dass sich die Kultur „von dieser Abwertung nicht so schnell erholen“ wird. 

An „Kultur“ verdienen viele mit

Die Kultur liegt darnieder und wenn man von „Kultur“ spricht, sind an dieser Stelle zwar zu­vorderst „die Aktiven“ gemeint. Doch im Hintergrund wirken viele weitere Menschen, die eben mit der Kultur ihren Lebensunterhalt verdienen. Denn um zu musizieren, brauchen die Musikerinnen und Musiker schließlich Instrumente. Woher stammen die Noten, die da auf den Ständern liegen? Und wer kümmert sich, dass die Veranstaltung beworben wird und gut über die Bühne geht? Wir haben uns in den verschiedenen Bereichen einmal umgehört: Musikinstrumentenbranche, Verlagswesen, Veranstaltungswirtschaft. 

Im Rahmen des Konjunkturprogramms „Neustart Kultur“ wurde ein Förderprogramm in einer Gesamthöhe von vier Millionen Euro für den stationären Musikfachhandel und die Musikinstrumentenbranche gestartet. Grundsätzlich wird dies von der Musikwirtschaft begrüßt, weil damit Wertschätzung und Perspektive gegeben werden, wie etwa Daniel Knöll, Geschäftsführer der Society Of Music Merchants (SOMM), findet. „Nach den Umsatzeinbußen im Musikfachhandel kann diese Förderung für viele Branchenakteure existenzsichernd sein.“

Meinl
Gerhard A. Meinl

„Man tut schon viel“, findet auch Gerhard A. Meinl, Vorsitzender des Bundesverbandes der deutschen Musikinstrumentenhersteller (BDMH), doch er schränkt ein. Das sei „vielleicht nicht ­immer schnell und nachhaltig genug. Den Ministerien ist die Welt der Kunstschaffenden oft fremd.“ Er führt weitere Beispiele an: „Ein Stipendium ist steuerfrei. Kann sich der Empfänger darauf verlassen? Wenn das Stipendium die einzige Einnahme des Künstlers ist, gilt das dann für die KSK und was ist dort mit den Beiträgen?“

Die Zahlen im Musikfachhandel waren bereits länger rückläufig, Corona hat hier noch einmal für eine zusätzliche Dramatik gesorgt. Zwar helfen sich zahlreiche Musikalienhändler mit Online-Services, Lieferdiensten und die Werkstätten sind voll, doch der Verkauf hat definitiv ge­litten. Und ob mit Reparaturen allein die Verluste aufgefangen werden können, darf auch bezweifelt werden.

Weniger Umsatz mit Instrumenten

Gerhard A. Meinl stellt den klaren Bezug her: „Es finden keine Konzerte statt, kein Musikunterricht und keine Workshops. Festivals wurden abgesagt, die Not der Soloselbstständigen ist immens.“ Im Zuge dessen sei auch deutlich weniger Umsatz mit Musikinstrumenten im Handel erzielt worden. Auch der Export habe gelitten, vor allem in die USA. „Natürlich waren die Blasinstrumente besonders hart betroffen im Zu­sammenhang mit den Aerosolen und den entsprechenden Untersuchungen“, weiß Meinl. Die „Gewinner“ waren dementsprechend E-Pianos und Gitarren. Insgesamt sei das Geschäft in Deutschland um etwa 12 Prozent zurückgegangen, rechnet Meinl vor, „aber international bis zu 40 Prozent“.

Von einem Imageschaden für Blasinstrumente allerdings will Gerhard A. Meinl nicht sprechen. Sicher­lich seien diese wegen der Aerosole im Fokus gewesen und bisweilen konnte man den Eindruck gewinnen, Blasinstrumente seien „Teufelszeug“, doch es wurden ja allerlei Vorkehrungen getroffen. Mit Abständen und Durchlüftung sei einiges möglich. „Die Salzburger Festspiele etwa fanden ohne Einschränkung für die Wiener Philharmoniker statt. Hier wurde getestet und Quarantänemöglichkeiten genutzt – wie bei den Fußballern.“ Auch aus Salzburg kommt da das Statement „Leuchtturmprojekt„.

Wichtige Verbandsarbeit

Neben der Politik stehen in der Branche auch die Verbände in der Verantwortung. Alle Verbände – gebündelt über den Deutschen Musikrat – sind die Lobby im Politikbetrieb. „Unser Verband“, hebt Meinl den BDMH hervor, „arbeitet mit wissenschaftlichen Instituten an einem Desinfektionskonzept für Musikinstrumente im Handel – für die Situation nach dem Testen.“ Außerdem sei man vorstellig geworden, Blasinstrumente mit Schutzvorrichtungen gegen die Aerosol-Ausbreitung zu entwickeln. „Aber da landet man ­zunächst bei langwierigen Forschungsförderungen.“ Nichtsdestotrotz werde das wichtig für die Zeit nach der Pandemie. Denn dann müsse etwa der Sicherheitsbeauftragte einer Halle Stellung beziehen für die jeweiligen Konzerte.

Wie geht es weiter, wenn es wieder weitergeht? Wird die Branche „eine andere“ sein? Gerhard A. Meinl sieht da zwei Seiten der Medaille: „Ja und nein! Musikmachen ist systemrelevant, ohne Musik ist es doch kein Leben!“ Der BDMH-Vorsitzende ist sich sicher: „Es wird ein großes Bedürfnis, wieder zu konzertieren, gemeinsam Musik zu machen – und zwar mit großer Freude und Frohsinn.“ Meinl betont dabei sehr deutlich das Wort „Sinn“. „Wann gibt es wieder ein Probespiel? Wann einen Wettbewerb? Wie läuft jetzt ‚Jugend musiziert‘? Alle sind heiß.“

Es habe sich in den vergangenen zwölf Monaten viel Online-Unterricht entwickelt und es sei viel mehr gestreamt worden. Und diese Wege werden sich weiter etablieren, vermutet Meinl. „Aber wenn ich zum Beispiel Staatsoper.at anschaue, in meinem Fernsehsessel sitze und in der Pause ein Getränk nehme und Häppchen, wenn sogar die Soundanlage meines Fernsehers eine sehr gute ist – so ist das doch nur ein Ersatz für den Besuch der Oper.“

Die Lage der Veranstalter

Ob Opern, Konzerte, Musikmessen, Festivals – Veranstaltungen aller Art fielen im vergangenen Jahr aus. Und auch der Festival-Sommer 2021 wurde mit Veranstaltungen wie „Rock am Ring“ oder „Southside“ Anfang März in Deutschland bereits zu großen Teilen abgesagt. Komplett schwarz will Simon Ertl, Geschäftsführer der SE Holding GmbH und Veranstalter des „Woodstock der Blasmusik„, für die bevorstehende Saison aber noch nicht sehen: „Wir hoffen doch, dass die Impfung 2021 eine Erleichterung bringt und Veranstaltungen wieder möglich sein werden.“ Die Events der SE Holding werden ihm zufolge weiter vorbereitet: „Sobald das Go von den Behörden kommt, sind wir bereit.“

Ertl
Woodstock-Veranstalter Simon Ertl. Foto: tricksiebzehn.at

Von Planungssicherheit kann dennoch nicht die Rede sein: „Man plant von Woche zu Woche, aber wirkliche Perspektiven gibt es leider keine“, fasst Ertl die bereits ein Jahr anhaltende Situation in der Veranstaltungsbranche zusammen. Auch Georg Preisinger (Künstler- und Konzertmanagement Preisinger) bestätigt diesen Eindruck: „Wie es weitergeht, kann keiner genau sagen, die Planungssicherheit ist nach wie vor ein sehr großes Problem.“

Einige Messeveranstalterinnen und -veranstalter haben deshalb bereits die Reißleine gezogen: Music Austria (Ried im Innkreis), MusicPark (Leipzig) und Musikmesse (Frankfurt) wurden bereits auf das nächste Jahr verschoben. „Die Rückkehr zu einem internationalen Musikgroßereignis wie der Musikmesse und dem Musikmesse-Festival, das auf Vielfältigkeit und außergewöhnlichen Locations aufgebaut ist und im Besonderen von Nähe und Austausch auf engstem Raum lebt, ist noch nicht greifbar. Dies macht belastbare Planungen zum jetzigen Zeitpunkt unmöglich“, heißt es in einer offiziellen Pressemitteilung der Musikmesse. Helmut Slezak, Direktor der Messe Ried, gibt außerdem zu bedenken: „Es wäre wichtig, dass die Politik berücksichtigt, dass im Messebereich viel längere Vorlaufzeiten wie in vielen anderen Branchen erforderlich sind und hier die notwendigen Verordnungen zeitgerecht zur Verfügung gestellt werden.“

Emotional und finanziell belastend

Belastend ist die derzeitige Situation und war das vergangene Jahr jedenfalls für die gesamte Veranstaltungsbranche – sowohl emotional, aber auch finanziell: „Die ersten Lockdown-Verordnungen traten nur zwei Wochen vor unserem ersten ‚Winter-Woodstock der Blasmusik‚ in den Kitzbüheler Alpen in Kraft. Wir hatten schon mit den Aufbauarbeiten begonnen“, erinnert sich Ertl. Alle für 2020 geplanten Veranstaltungen der SE Holding konnten letztendlich nicht stattfinden, „auch kleinere Konzerte mussten teilweise trotz Planungsphase wieder abgesagt werden. Wir haben de facto seit dem Ausbruch der Pandemie keine Umsätze mehr generiert. Unsere Umsatzeinbußen betragen 100 Prozent.“

Auch Messedirektor Helmut Slezak wirkt erschöpft: „Das letzte Jahr war extrem anstrengend und von ständiger Unsicherheit geprägt. Andauernd mussten wir uns mit neuen Regeln auseinandersetzen. Unser gesamtes Team entwickelte stets neue Ideen, um Messen sicher durchführen zu können, letztendlich war die Mühe jedoch vergeblich.“ Die Umsatzeinbußen für das Geschäftsjahr 2020 betragen 70 Prozent.

Etwas mehr Glück hatte Georg Preisinger, der im Laufe des vergangenen Jahres immerhin drei Veranstaltungen durchführen konnte: ein Konzert mit „Ernst Hutter & Die Egerländer Musikanten – Das Original“ im KKL in Luzern, eine Veranstaltung mit „Blechschaden“ bei einem Open Air in Bayreuth und eine mit den Regensburger Domspatzen in der Elbphilharmonie in Hamburg. „Natürlich nur unter Einhaltung der vorgeschriebenen Auflagen, aber immerhin.“ Trotzdem hat auch er Umsatzeinbußen in Höhe von etwa 80 Prozent vorzuweisen. 

Finanzielle Unterstützung nötig

Wie also hält man sich in dieser Branche momentan überhaupt über Wasser? Und wie lange kann das noch so weitergehen? „Dieses Jahr sollte ich noch durchhalten können“, vermutet Preisinger. Momentan lebt er von Rücklagen: „Ich hatte das große Glück, schon vor einigen Jahren viele Veranstaltungen, zum Beispiel in der Elbphilharmonie, sehr erfolgreich veranstalten zu dürfen. Damit kann ich diese Zeit noch ganz gut überbrücken.“ Staatliche Hilfen hat aber auch er bereits beantragt.

Die SE Holding und die Messe Ried sind auf staatliche Unterstützung wie Kurzarbeit angewiesen. Die Messe Ried erhielt für November und Dezember außerdem einen Lockdown-Umsatzersatz. „Von allen anderen staatlichen Hilfen sind wir aufgrund unserer Eigentümerstruktur – Eigentümer ist zu 100 Prozent die Stadt Ried – jedoch ausgeschlossen“, erklärt Slezak. Die in der Vergangenheit erwirtschafteten Rücklagen gingen in absehbarer Zeit zur Neige.

Messe

Für Ertl war von Anfang an klar: „Das Wichtigste ist und bleibt unser Team. Daher war es immer unsere oberste Priorität, alle Arbeitsplätze zu erhalten – auch wenn das bedeutet, dass sich die Aufgabenbereiche der einzelnen Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter teilweise ändern müssen. Ohne Unterstützung wie das Kurzarbeits-Modell, Fixkostenzuschüsse oder spezielle Kredite wäre das auf keinen Fall möglich gewesen.“ Trotzdem sei auch das nur ein „Tropfen auf den heißen Stein“, was die Branche brauche, seien ernsthafte Perspektiven, wieder Umsätze zu generieren. 

Wie geht es weiter?

Die Kulturbranche besteht aus klugen, kreativen Köpfen – natürlich wird deshalb auch während des Lockdowns unter Hochdruck an neuen Ideen und Konzepten gefeilt. Ertl berichtet, dass man die Zeit für Projekte genutzt habe, die man schon lange im Hinterkopf hatte: „Während des vergangenen Jahres haben wir den Musikverlag und das Label Woodstock Music gegründet. Hier wurden auch schon erste CD-Produktionen und Notenveröffentlichungen verwirklicht.“ Auch neue Veranstaltungskonzepte wurden erarbeitet, beispielsweise soll das Woodstock-Gelände in Zukunft das ganze Jahr über als Event-Location vermietet werden. 

Neue Veranstaltungsideen schwirren auch in Preisingers Kopf umher, momentan sei er in Kontakt mit „außergewöhnlichen Locations wie der Carnegie Hall in New York, der Waldbühne in Berlin oder dem Opernhaus in Sydney“. 2023 und 2024 würde er hier gerne Konzerte ver­anstalten. Und auch die Messe Ried plant für den Sommer Veranstaltungen im Freigelände­bereich. Der Wille weiterzumachen scheint in der Branche ungebrochen, von Aufgeben kann keine Rede sein. 

Trotz des vorherrschenden Optimismus plagen manche aber auch Sorgen. „Durch die vielen Verschiebungen wird es aus meiner Sicht nach der Pandemie erst einmal zu einer enormen Vielzahl an Veranstaltungen kommen. Dann wird es sicherlich problematisch werden, die alle kostendeckend zu füllen“, fürchtet Konzertmanager Preisinger. Die Frage sei dann, wie viele Künstlerinnen und Künstler das überstehen werden. Gerade für Soloselbstständige sei die aktuelle Situation enorm schwierig, Hilfe vom Staat deshalb dringend erforderlich.

Klare Ansagen und ein Bekenntnis zur Kultur gefordert

Von der Politik fordert man in der Branche deshalb klare Ansagen und ein Bekenntnis zur Kultur – sowohl in Deutschland als auch in Österreich. Messedirektor Slezak wünscht sich beispielsweise eine rechtliche Gleichstellung von Messen mit Einkaufszentren. Preisinger kritisiert außerdem: „Die Kulturszene bekam als erste Arbeitsverbot und wird auch als letzte wieder normal möglich sein, obwohl die Hygienekonzepte gerade in diesem Bereich hervorragend gewesen sind. Das ärgert mich wirklich sehr.“ Und Ertl ergänzt: „Die Branche arbeitet eigentlich sehr gut zusammen, wir sitzen ja alle im selben Boot und versuchen uns durch Konzepte oder Ideen auch gegenseitig zu unterstützen. Doch all das bringt nichts, wenn die Politik keine klaren Regelungen vorgibt.“

Dass das Publikum die Branche aber nicht im Stich lassen wird, darin sind sich alle einig. „Den Gästen kann man eigentlich nur danke sagen – es wurde uns bis dato schon extrem viel Verständnis entgegengebracht – das ist wirklich nicht selbstverständlich“, freut sich Ertl. „Das Publikum wird wieder an hochkarätigen Live-Veranstaltungen teilnehmen, da bin ich mir sicher“, meint Preisinger. „Ich freue mich auf jeden Fall, wenn es irgendwann normal weitergeht und ich meinen Traumberuf wieder mit viel Freude und Energie ausüben kann.“

Die Lage im Verlagswesen

Von Freude und Energie ist im Verlagswesen derzeit recht wenig zu spüren. Von Optimismus nur vereinzelt. Corona trifft alle hart – doch die Spezialisten aus dem Blasmusikbereich scheinbar noch viel härter. „Ab Mitte März 2020 war das Geschäft mit Noten – vor allem Blasmusik – tot“, berichtet Bernhard Geiger vom gleichnamigen Musikverlag im fränkischen Kronach. 

Es gibt bereits Verleger, die sich nach Nebenjobs umsehen, um sich über Wasser halten zu können. Das klingt nicht nur dramatisch – das ist es auch. Alexander Knam, Geschäftsführer des ­HeBu-Musikverlags, konkretisiert: „Wir hatten im Januar 2020 einen hervorragenden Jahresstart in puncto Umsatz, und auch andere Kollegen bestätigten mir, dass der Jahresbeginn 2020 herausragend war. Dann kam leider der Lockdown und zu den Vergleichsmonaten des Vorjahres waren Umsatzeinbußen von 60 bis 80 Prozent zu verzeichnen. Der Herbst brachte eine kleine Erholung, die aber nicht mal ansatzweise an die gewohnten Vorjahresumsätze herangekommen ist.“

„Und dann kam der ‚Lockdown #2‘ im November. Aktuell ist es um die Blasmusik in unserem Geschäftsfeld extrem ruhig geworden.“ Das verdeutlicht die Wucht, die das Virus an den Tag legt. Von einem auf den anderen Tag „ist quasi die Geschäftsgrundlage verlorengegangen“, wie auch Thomas Rundel bestätigt. Das sei eine Herausforderung, „wie es sie im Musikverlag Rundel seit der Gründung 1964 noch nie gegeben hat“. 

Claudia Sonnenschein vom Musikverlag Bernd Classen in der Eifel erwartet für 2021 sogar noch einen stärkeren Umsatzrückgang, sollte man den Markt nicht bald öffnen. Das liege auch an der fehlenden Karnevalssaison.

Mehr Übe- und Solo-Literatur?

Live-Auftritte fielen und fallen aus. Spielt dahingehend das Produkt bei der Entwicklung der Verkaufszahlen eine Rolle? Geht Übe- oder Solo-Lite­ratur momentan besser als Orchesterwerke? „Wir versuchen selbstverständlich, unsere Produkte zielgerichtet für unsere Kunden aufzu­bereiten, auch in diesen Zeiten“, erklärt Ernst Hutter, wenngleich er betont, dass HutterMusic nicht der „klassische“ Blasmusikverlag sei. „Wir haben das Glück“, findet Marc Reift aus der Schweiz, „mehrere zehntausend Kammermusiktitel – Solo und kleine Ensembles – im Programm zu haben –, die haben tatsächlich sehr gut funktioniert.“ Auch andere Verleger verspüren einen Zuwachs im Segment der Übe- und Solo-Literatur. Da der Markt für Orchesterwerke quasi zum Erliegen gekommen ist, „funktionierten Play-Alongs und Übe-Literatur wie Etüden oder Methoden 2020 tatsächlich deutlich besser als in den Vorjahren“, staunt Wolfgang Vetter vom ­Label „Deine Blasmusik„. „Aber auch hier kann man nicht von einer Kompensation sprechen.“

Claudia Sonnenschein bemerkt „aber sehr wohl die Tendenz der Vereinsverantwortlichen, Audios zu Übezwecken einzusetzen. Die Anfrage nach – kostenlosen und vollständigen – Hörbeispielen steigt.“ Erich Rinner startete kurz vor und unabhängig von der Pandemie mit einem Download-Projekt, weil er den Noten-Download als ein Produkt für die Zukunft ansieht. „Beim geschlossenen Handel ist er zumindest eine Alter­native!“

Einnahmequelle GEMA

Zahlreiche Verlage profitieren zu einem großen Teil von der Einnahmequelle GEMA. Mancher hat darauf sogar seine Geschäftsgrundlage gebaut. Doch da liegt dann das große Problem: keine Konzerte, keine GEMA. So einfach, so folgenschwer. Dass diese Einnahmen im Jahr 2020 noch geflossen sind, macht die Gesamtsituation nur scheinbar erträglicher. Denn diese Einnahmen betreffen das Geschäftsjahr 2019 und dementsprechend für die Pandemie-Lage in keiner Weise repräsentativ. „Stellen Sie mir die Frage am besten im Juli 2021 noch einmal“, entgegnet Wolfgang Vetter. „Ich fürchte und habe Sorge, dass das sehr krass werden wird.“ Und diese Sorge betrifft hier auch noch das Jahr 2022, „wenn nicht noch ein Wunder geschieht! Wunder werden allerdings von Gott und nicht in Berlin gemacht!“

Bernhard Geiger stimmt zu: „Wir vermuten GEMA-Einnahmeverluste von mindestens 90 Prozent für 2020. 2021 läuft wahrscheinlich auch nicht viel besser.“ Er fasst das Offensichtliche zusammen: „Das ist nicht kompensierbar!“ Auch der HeBu-Verlag kalkuliert „mit einer 0, da wir unsere Einnahmen aus den GEMA-Tantiemen zum überwiegenden Teil aus der Livesparte U beziehen. In Funk und Fernsehen finden unsere verlagseigenen und subverlegten Werke so gut wie nicht statt. Ehrlicherweise ist damit auch in 2022 zu rechnen, da in 2021 vermutlich auch wenige Konzerte bzw. Liveveranstaltungen stattfinden werden.“ Mancher Verleger erwartet deshalb „von der GEMA, dass hier entsprechende Hilfen fließen. Ohne uns Verlage gäbe es doch keine GEMA in dieser Form! Ohne Ausgleich dieser Zahlungen sehe ich nur schwerlich eine Zukunft.“

Der sogenannte Schutzschirm, der eine Vorauszahlung auf künftige Ausschüttungen in den Live- und Wiedergabesparten vorsieht, wird da nicht überall als ausreichend hilfreich angesehen. 

Streams nicht mal ein Tropfen auf den heißen Stein

Die Online-Aktionen und Streams zahlreicher Musikerinnen und Musiker sowie gesamter Orchester können die entgangenen Einnahmen in keiner Weise auffangen. Auch wenn Marc Reift die Downloads und Zugriffe via i-Tunes, Amazon, Spotify, Deezer und Co. auf ungefähr eine halbe Million pro Monat beziffert, ist das mancherorts nicht mehr als ein Tropfen auf den heißen Stein. Thomas Rundel meint: „Mit Streams kann in unserem Bereich niemand nachhaltig und sub­stan­ziell Geld verdienen.“ Da die GEMA momentan die durch YouTube und Google (Mutter­konzert Alphabet) pauschal bezahlten Beträge als Zuschlag verrechnet und diese sich pro Titel im Cent-Bereich bewegen, sei dies noch nicht mal als Tropfen anzusehen, erklärt Alexander Knam. Wolfgang Vetter bricht gar in schallendes Gelächter aus. „Das reicht gerade, um meine Kinder einmal im Quartal zu einem Eis ein­zu­laden…“

Und doch müsse man sich damit beschäftigen, findet Ernst Hutter. Zumal Streams durchaus eine kleine Motivation seien. „Diese lassen uns hoffen, dass auch künftig viele Menschen gemeinsam musizieren wollen“, meint Claudia Sonnenschein. 

Motiviert sollen auch die Komponistinnen und Komponisten bleiben, die zwar nun „mehr Zeit zum Schreiben“ haben, aber aufgrund der Pandemie ihre Werke nicht ans Publikum bringen können. Alle Verlage suchen den regelmäßigen Kontakt zur schreibenden Zunft. „Der Kontakt mit unseren Autoren ist immer sehr intensiv“, bestätigt Thomas Rundel. „Die Kreativität hat sich durch Corona nicht einschränken lassen.“

Werden Neuerscheinungen noch zurückgehalten? 

Spielfilme laufen verschoben in den Kinos an bzw. werden gleich auf Pay-TV-Plattformen versendet. Wie sieht es da mit der Literatur aus? Ganz ähnlich, wie alle Verlegerinnen und Ver­leger unisono bestätigen. „Wir selbst halten Neuausgaben noch zurück, da es momentan einfach sinnlos ist, neue Blasorchesterstücke zu ­bewerben“, sagt etwa Alexander Knam. Es sei schließlich anzunehmen, „dass die Musik­ver­eine momentan noch ungespielte und un­ge­probte Werke haben, die erst mal in einem Konzert aufgeführt werden müssen. Auch deshalb gibt es momentan einen ‚Stau‘. Musikverlage werden wohl noch eine Durststrecke haben, nachdem es Lockerungen geben wird. Das im Frühjahr 2020 gekaufte Material muss ja erst aufgeführt werden, bevor wir wieder neues Material verkaufen werden.“

Bernhard Geiger meint: „Neue Produktionen kosten bekanntlich Zeit und Geld. Zeit ist da, Geld nicht! Deswegen werden nur sehr wenige Notenproduktionen realisiert.“

Und doch schimmert hier und da auch ein wenig Optimismus durch. Denn das Bedürfnis und die Sehnsucht nach Live-Musik ist weiterhin groß. Auch bei den Verlagen scharrt man da mit den Hufen. „Das Ideen-Lager ist bei Rundel immer voll“, bestätigt Thomas Rundel. Auch bei „Meine Blasmusik“ sind „die Köcher voll! Wir warten – ebenso wie unsere Autoren – darauf, dass es endlich wieder losgeht!“