Orchestra, Szene | Von Hans-jürgen Schaal

Jazz-Sensationen im Sommerloch: Die Sauregurkenzeit 2018

Wenn die Medien die »Sauregurkenzeit« beklagen, dann haben ganz seltsame Wesen plötzlich Hochkonjunktur. Etwa das Ungeheuer von Loch Ness, der Problembär Bruno – oder gar ein Jazz-Saxofonist. Ein Rückblick auf den Supersommer 2018.

Die Politiker weilen im Urlaub, die Theater- und Konzerthäuser sind geschlossen, Touristenströme wälzen sich durch Europa, selbst die Fußballspieler machen Pause. Die Medien sprechen da – seit den 1970er Jahren schon – vom »Sommerloch«, früher nannte man es die »Sauregurkenzeit«.

Kuriose Meldungen in den Sommermonaten

In der Regel gibt es in den Sommerwochen einen Mangel an Ereignissen und Nachrichten. Deshalb kommen da auch Dinge zur Sprache, die übers Jahr gar keinen Raum fänden. Kuriose Meldungen etwa, mysteriöse Wundertiere, nicht zuletzt Zeitungsenten. Jeweils zur Sommerzeit wurden bei uns prominent: der Brillenkaiman Sammy, der Problembär Bruno, der Schwan Petra, die Kuh Yvonne, das Krokodil Max oder der Hund Flecki.

Im Jahr 2005 schaffte es auch einmal eine statistische Erhebung zum Musikkonsum in die allererste Reihe der Sommer-Meldungen. Das liest sich dann so: »Erkenntnissen des Marktforschungsinstituts ›The Leading Question‹ zufolge hören Musikinteressierte mehr Musik als Menschen, die sich nicht so sehr für Musik begeistern.« Eine Meldung, deren Sinnlosigkeit dem jährlich wiederkehrenden Sommerloch wahrlich zur Ehre gereicht.

Schlaue Zeitgenossen nutzen die Sommerflaute, um mit cleveren bis ungeheuerlichen Ideen, die im Normalfall niemanden interessieren, endlich einmal in die großen Medien zu kommen. Ein CSU-Politiker schlug einmal vor, die Insel Mallorca zu kaufen und zum 17. Bundesland Deutschlands zu machen. Das war kein Aprilscherz – das war Hochsommer. Eine SPD-Politikerin forderte dagegen das Wahlrecht für alle – einschließlich der Kinder, sogar der Neugeborenen. Auch darüber lässt sich wunderbar blödsinnig diskutieren, gerade in den Sommerwochen.

Der Retter des Jazz: Kamasi Washington

Zu den seltsamen Kuriositäten des Sommers gehören zuweilen auch neue Jazzalben. Normalerweise ist Jazz ein Thema der Musikmagazine, das heißt: nur für ein spezielles Publikum interessant. In der Sauregurkenzeit zwischen Mitte Juni und Mitte September ändert sich das aber.

Die großen Feuilletons, hungrig nach besonderen Meldungen, stürzen sich auf jede Chance, etwas zur Sensation hochzuschreiben – notfalls auch eine Jazzplatte. Der Sommer 2018 lieferte ihnen da gleich mehrere Gelegenheiten.

Am 22. Juni erschien das neue Album des amerikanischen Saxofonisten Kamasi Washington: »Heaven And Earth«. Der Spiegel, Die Zeit, die Frankfurter Allgemeine, die Süddeutsche Zeitung usw. schienen einander mit dieser Sensation überbieten zu wollen.

Der Saxofonist Kamasi Washington, konnte man da lesen, sei der »Retter des Jazz« und sein »politisches Gewissen«. Sein neues Album sei »gigantisch gut«, die Musik darauf »hypermodern«. Kurzum: ­Kamasi Washington bringe endlich den Jazz zurück – strahlend, schimmernd und schön.

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