Brass, Wood | Von Hans-Jürgen Schaal

Jazzbläser unterm NS-Regime

NS
Walter »Dob« Dobschinski (Foto: Deutsche Fotothek, CC BY-SA 3.0 de, https://commons.wikimedia.org/w/index.php?curid=6536215)

In der Zeit des Nationalsozialismus, unterm NS-Regime galt der Jazz in Deutschland als unerwünscht. Dennoch gab es beachtliche Bläsersolisten mit großem Jazz-Talent. Viele von ihnen haben nach dem Krieg auch in den westdeutschen Tanz- und Radio-Orchestern gearbeitet.

Schon 1935 wurde ein »endgültiges Verbot« des Jazz für den deutschen Rundfunk ausgesprochen. Ein Jahr später, als die Welt auf die Olympischen Spiele in Berlin schaute, galt zwar kurzzeitig der neuartige »Swing« als Überwinder des »primitiven Jazz« und wurde vom Regime toleranter behandelt. »Die Olympiade brachte für uns Musiker die Illusion künstlerischer Freiheit in Deutschland« (Teddy Stauffer). Doch kaum waren die Spiele vorbei, wehte wieder ein ganz anderer Wind. Ab 1937 wurden für zahlreiche Städte und Gaue strenge Jazz- und Swing-Verbote erlassen. Schallplattenmatrizen wurden beschlagnahmt. Eine sogenannte »Reichsmusikprüfstelle« begann sogar die Notenblätter der Tanzbands zu kontrollieren. Auftritte, Aufnahmen und Stücke »nicht-arischer« Musiker waren ohnehin schon generell verboten.

Dennoch wurde auch in NS-Deutschland immer Jazz gespielt, vor allem in Berlin. Bei Schallplattenaufnahmen mussten sich die Musiker zwar zügeln, aber im Konzert »hotteten« sie gerne los, sofern keine »Musikspione« in der Nähe waren. Um die Kontrolleure zu täuschen, hat man auf Notenblättern die Komponistennamen weggeschnitten oder durch Fantasie-Namen ersetzt. Jazz-Standards erhielten fiktive deutsche Titel – der »St. Louis Blues« wurde zum »Lied vom Blauen Ludwig«, der »Tiger Rag« zum »Schwarzen Panther«. Als die Wehrmacht 1939 begann, die Nachbarländer zu überfallen, brachten die deutschen Soldaten von dort wieder jede Menge Jazzplatten ins Land – bei den Soldaten drückte das Regime oft ein Auge zu. Man erlaubte auch Gastspiele ausländischer (aber nur »arischer«) Jazzbands in Deutschland und initiierte sogar Jazzaufnahmen deutscher Musiker – zu Propagandazwecken (etwa »Charlie and his Orchestra«). 

Die Meister: Höllerhagen und Henkel

Ernst Höllerhagen (1912 bis 1956) hatte das Rückgrat, den Nationalsozialisten seine Verachtung zu zeigen. Am Altsaxofon galt er als führend in Deutschland, an der Klarinette sogar als der »europäische Benny Goodman«. Wegen seines Talents wurde er für die »Goldene Sieben« ausgewählt, eine Elite-Formation, die im Auftrag des NS-Regimes eine brave, deutsche Alternative zum Jazz präsentieren sollte (aber oftmals über die Stränge schlug). Höllerhagen war außerdem der Star-Solist bei Teddy Stauffers Original Teddies, der besten Jazzband in Deutschland, und ging mit ihnen regelmäßig international auf Tournee.

Als 1939 der Krieg begann, kehrten alle deutschen Musiker der Teddies ins Vaterland heim – bis auf Höllerhagen, der in der Schweiz blieb. Grüßte man ihn mit »Heil Hitler!«, soll er mit »Heil Benny Goodman!« geantwortet haben. »Lieber mit Goodmans Musik sterben als mit Marschmusik leben«, war sein Leitspruch. In der Schweiz blieb er bis 1946 Mitglied der Teddies, dann wechselte er ins Hazy-Osterwald-Orchester. Osterwald nannte ihn sein »heimlich ver­ehrtes Musik-Idol«. 1949 traf Höllerhagen auch Charlie Parker beim Jazzfestival in Paris.

Was Höllerhagen am Altsaxofon war, war Eugen Henkel (1909 bis 1978) am Tenor. Spätestens 1936 galt Henkel, der an Dr. Hoch’s Konservatorium in Frankfurt studiert hatte, als Deutschlands führender Tenorsaxofonist. Sein großes Vorbild war Coleman Hawkins, der als Afroamerikaner schon 1934 nicht mehr nach Deutschland einreisen durfte. Jack Hylton, der englische Bandleader, mit dem Hawkins unterwegs war, soll Henkel daraufhin Hawkins’ Posten angeboten haben. Wie Höllerhagen gehörte Henkel zu Stauffers Teddies und zu verschiedenen Studiobands für Schallplatte und Radio. Da er bei den Nazis als »nicht rein arisch« galt, war er aber ständig von Berufsverbot bedroht. Aus Lutz Templins Bigband, die auch Propaganda-Orchester war (»Charlie and his Orchestra«), hat man Henkel 1942 dann tatsächlich ausgestoßen und in die Wehrmacht gesteckt – als Kanonenfutter waren auch »Halbjuden« willkommen. Nach dem Krieg spielte Henkel wieder bei seinen alten Kollegen (Brocksieper, Berking) und leitete ein eigenes Sextett beim Hessischen Rundfunk.

Drei Trompeter: Hohenberger, Berry, Tabor

Der führende Trompeter in den deutschen Tanz- und Swingbands der NS-Zeit war Kurt Hohenberger (1908 bis 1979) aus Stuttgart, der sich das Trompetenspiel schon als Kind beigebracht hatte. Natürlich wurde Hohenberger der Elite-Band der »Goldenen Sieben« zugeteilt – auch bei den Teddies spielte er mit. Von 1937 an leitete er sein eigenes kleines »Solisten-Orchester« im recht vornehmen »Quartier Latin« in der Kurfürstenstraße. Ernst Höllerhagen und Fritz Schulz-Reichel (Piano) gehörten mit zur Band. Hohenberger, der auch Ventilposaune und Basshorn spielte, war kein expressiver Hot-Trompeter, sondern liebte als Solist eher die dezenten, lyrischen Töne. Seine Band bestand fast bruchlos nach dem Krieg weiter – bis in die 1960er Jahre. 

Ein echter Hot-Solist war dagegen Hans Berry (1906 bis 1984), der aber als sogenannter »Vierteljude« schon 1935 Berufsverbot erhielt. Angeblich spielte er heimlich weiterhin (etwa bei Kurt Widmann oder bei den Lanigiros) und wurde dabei auf der Bühne ein wenig »versteckt«. Dann jedoch wich Berry lieber ins nahe Ausland aus, wo er auch mit gastierenden Jazzstars wie Coleman Hawkins, Benny Carter oder Rex Stewart auftreten konnte. Für viele Fachleute war er damals der beste deutsche Jazztrompeter. 1943 wurde Berry in Belgien von den deutschen Besatzern aufgetrieben und daraufhin noch zum Kriegsdienst eingezogen. Nach dem Krieg gehörte er 25 Jahre lang dem RIAS Tanzorchester an.

Ein bemerkenswerter Jazzsolist war auch der etwas jüngere, aus Wien stammende Charly Tabor (1919 bis 1999), der sich den Swingtrompeter Harry James zum Vorbild genommen hatte. Tabor spielte bei Stauffers Teddies und in Berliner Studiobands, auch bei Lutz Templin und »Charlie and his Orchestra«, bis er 1941 zur Wehrmacht eingezogen wurde. Nach dem Krieg war der »Startrompeter« (so Friedel Keim) vor allem in Clubs, Studios und Bands in München tätig, etwa bei Freddie Brocksieper, Max Greger und Peter Thomas.  

Dob, Willy, Funny und Teddy 

Zu den gefragtesten Jazz-Posaunisten in der NS-Zeit gehörten Walter Dobschinski und Willy Berking. Walter »Dob« Dobschinski (1908 bis 1996), der am Berliner Konservatorium studiert hatte, war der Posaunist der ersten Wahl in den Bands von Teddy Stauffer und Kurt Hohenberger. Er gehörte außerdem dem Orchester von Lutz Templin an und damit auch der Propaganda-Formation »Charlie and his Orchestra«. Nach dem Krieg stellte er eine eigene Jazzband zusammen, vor allem mit Musikern des Ostberliner RBT-Orchesters. 

Willy Berking (1910 bis 1979) wurde vor allem als Bandleader bekannt. Schon 1928 (mit 18 Jahren!) hatte er ein eigenes Jazzorchester. 1934 kam er nach Berlin, wurde als Posaunist für die »Goldenen Sieben« ausgewählt, spielte mit den Lanigiros, bei »Charlie and his Orchestra« und bei Heinz Wehner, dessen Orchester im Berliner »Delphi« residierte. Nach dem Krieg übernahm Berking die Leitung des HR-Tanzorchesters und war mit ihm häufig in Rundfunk und Fernsehen zu hören.

Erhard Bauschke (1912 bis 1945) starb mit nur 33 Jahren bei einem Unfall. Im Orchester des Berliner »Jazzkönigs« James Kok war Bauschke der Star-Saxofonist und Bühnenclown (»Funny«) gewesen. 1934 allerdings wurde der Rumäne Kok denunziert und musste bald darauf wegen seiner jüdischen Abstammung Deutschland verlassen. Bauschke übernahm damals die Leitung der Band und machte sie zum Hausorchester im Tanzpalast »Moka Efti«, bis er 1940 zur Wehrmacht eingezogen wurde. Bauschke geriet in amerikanische Kriegsgefangenschaft und spielte sein Saxofon nach dem Krieg noch in amerikanischen Army-Clubs. 

Franz »Teddy« Kleindin (1914 bis 2007) war eigentlich klassischer Klarinettist. Schon mit 17 Jahren begann er, in Film-, Tanz-, Sinfonie- und Opernorchestern zu arbeiten. 1936 kam er zu Teddy Stauffers Teddies und war bald danach bei vielen Berliner Jazzorchestern gefragt. Kleindin spielte bei Kurt Widmann, Heinz Wehner, Willy Berking, Ernst van’t Hoff, auch bei den »Goldenen Sieben« sowie bei Lutz Templin und »Charlie and his Orchestra«. Als Jazzklarinettist bewunderte er Benny Goodman und Artie Shaw – er hatte eine eigene Band nach dem Vorbild des Goodman-Trios. Nach dem Krieg arbeitete Kleindin in Tanz- und Sinfonieorchestern in München. Hans-Jürgen Schaal z