Spieltechnisch anspruchsvoll, aber mit charmantem Frohsinn: Jean Françaix attestierte seiner Musik eine “wohlüberlegte Scherzhaftigkeit”. Vor allem das Repertoire für Klarinette, Flöte und Saxofon profitiert davon.
Er war der Meister einer virtuosen Leichtigkeit. Der Komponist Jean Françaix (1912 bis 1997) kokettierte sogar ein wenig mit dem fehlenden “Ernst” in seiner Musik. Abseits der Avantgarde-Kämpfe in der Musikwelt des 20. Jahrhunderts konzentrierte er sich auf die altmodische Idee geistreicher Unterhaltung – ohne bemühten Tiefgang, ohne ein Schwelgen in romantischen Längen und sinnreicher Bedeutung. Seine Musik solle einfach nur Freude bereiten, sagte er: “musique pour faire plaisir”. Komplexe Kompositionstechniken überließ er anderen: “Beim Komponieren sind die schönen Theorien das Allerletzte, woran ich denke.”
Gerne sah sich Françaix als ein Nachfahre von Mozart und Haydn. Dissonanzen gab es bei ihm nur als witzige Effekte. Humorlose Kritiker haben ihm daher gelegentlich seine fehlende Seriosität vorgeworfen, seinen stilistischen Eklektizismus, seinen leichtfertigen Neoklassizismus. Doch das schien ihn wenig zu kümmern. Françaix komponierte “ohne Moden oder Snobismus”, wie er es nannte – eine undogmatische Spielmusik.
Jean Françaix ist “wissend geboren”
In die Welt der organisierten Töne wurde er praktisch hineingeboren – Musik war seine zweite Natur. Der Vater leitete das Konservatorium in Le Mans, wo Jean bereits mit 10 Jahren Aufnahme fand. Er studierte dort Komposition und Klavier, aber kein Lehrer wagte es, seine Naturbegabung zu verbiegen. Maurice Ravel hatte dem Jungen schon früh das “fruchtbarste Talent, das ein Künstler besitzen kann”, attestiert, nämlich die Neugierde. Die Kompositionslehrerin Nadia Boulanger hielt ihn für ihren besten Studenten. Harmonik und Kontrapunkt beherrsche er quasi “instinktiv”. “Er ist wissend geboren.” Für Jean Françaix begann die Musik als ein Kinderspiel – und sie blieb ihm zeitlebens eine fröhliche, spielerische Beschäftigung. Er liebte Stilübungen in der Musiksprache eines Schubert, Weber, Chopin, Chabrier, Poulenc, Boccherini, Haydn, Mozart. Er schrieb für Film und Tanztheater, öffnete sich auch Einflüssen von Varieté und Jazz.
Das Meiste, was er komponierte, hat Suitenform. Es sind Kollektionen kurzer, tanzartiger Stücke, Abfolgen eleganter oder kurioser Einzelsätze. Es sind Sammlungen von fünf, sieben oder acht Tänzen, von sieben Impromptus oder sechs Märschen, von sechs Vorspielen oder fünf Zugaben, von neun Charakterstücken, fünf Porträts oder 15 Porträts, acht oder elf Variationen. Für Françaix waren diese vielsätzigen Suiten wie “Spaziergänge in einer abwechslungsreichen Landschaft”. Sie sind kurzweilig in jedem Sinn – Divertimento und Divertissement zugleich. Diese Musik klingt immer elegant und charmant. Sie hat einen beschwingten, federnden, quasi barocken Rhythmus. Sie besitzt Lebensfreude und oft einen fast kindlichen Humor. Dabei ist sie durchaus technisch anspruchsvoll und manchmal sogar “faszinierend schwer” (so die Musiker des Ensembles variation5).
Zu hohe Hindernisse
Kleine Kammer-Ensembles sind die Idealbesetzung für Françaix’ leicht-schwere Musik. Insbesondere liebte er das Klangfarbenspiel der Blasinstrumente, obwohl er selbst am Klavier ausgebildet war. Ein frühes Kammerstück für Bläser entstand 1933, am Ende seiner Ausbildung in Le Mans. Dieses viersätzige Bläserquartett (für Flöte, Oboe, Klarinette, Fagott) schrieb er für die vier Holzbläser-Professoren des Konservatoriums. Eigentlich war ein klassisches Bläserquintettstück geplant gewesen, doch weil der Professor für Horn im Ruf stand, mehrere Töne gleichzeitig spielen zu können, war er dem jungen Komponisten etwas suspekt – also ließ der das Horn einfach weg. Erst 15 Jahre später komponierte Françaix sein erstes “vollzähliges” Bläserquintett, besonders dicht gepackt mit cleveren Einfällen und technischen Schwierigkeiten. Françaix musste bald einsehen: “Es war ein Hindernislauf mit zu hohen Hindernissen. Sechs Jahre lang hat sich niemand die waghalsige Interpretation zugetraut.” 1954 fand dann doch die Uraufführung statt – durch das Bläserquintett des Pariser Nationalorchesters. (Ein zweites Bläserquintett entstand 1987.)
Als sein Meisterwerk für diese Besetzung gelten die Neun charakteristischen Stücke für 10 Bläser
Etliche späte Kammerstücke schrieb Françaix für das Bläser Ensemble Mainz, das 1969 von Klaus Rainer Schöll (1931 bis 2021) gegründet wurde. Diese Formation hat die Oktettbesetzung der “Harmoniemusik” neu belebt, sie aber nach Bedarf variiert und erweitert. Françaix bevorzugte das Tentett-Format, das einem doppelt besetzten klassischen Bläserquintett entspricht, also: 2 Flöten, 2 Oboen, 2 Klarinetten, 2 Hörner, 2 Fagotte. Als sein Meisterwerk für diese Besetzung gelten die Neun charakteristischen Stücke für 10 Bläser, die das Mainzer Ensemble 1974 uraufgeführt hat. Wichtige Werke für Schöll und seine Mainzer waren außerdem die Sieben Tänze (1970) nach einer früheren Ballettmusik, die Elf Variationen über ein Thema von Haydn (zum Haydnjahr 1982, für 9 Blasinstrumente und Kontrabass) oder die Hommage à l’ami Papageno (1984, für Klavier und 10 Blasinstrumente), eine Art Dialog mit Mozarts “Zauberflöte”.
Auch seine acht Exotischen Tänze, die ursprünglich für zwei Klaviere komponiert waren, bearbeitete Françaix für Schöll und zwar für 11 Blasinstrumente und Perkussion (1981): »Wohl kaum eine Instrumentierung stellt an die Musiker höhere Anforderungen«, meinte der Komponist. Und nachdem er früher bereits Musik des verehrten Kollegen Francis Poulenc neu instrumentiert hatte, ließ er sich überreden, einige von dessen Klavierstücken auch fürs Bläsertentett zu bearbeiten: Musique pour faire plaisir (1984).
Die Klarinette im Kunstflug
Die Blechbläser kommen bei Françaix eindeutig zu kurz. Doch immerhin schrieb er beispielsweise für die Posaune ein Konzert mit Orchester (1983), für die Trompete eine Sonatine mit Klavierbegleitung sowie das dreisätzige »Le gay Paris« mit Bläserensemble (1974) und fürs Horn ein Divertimento mit Orchester (1959) und ein Hornquartett-Notturno (1987). Anders als die Blechbläser hat Françaix die Flöte mit einer großen Zahl von Werken bedacht – mit Klavierbegleitung oder mit Orchester (Konzert 1966, Divertimento 1974 u.a.) oder in diversen Duo- und Trio-Kombinationen. Zu den apartesten Besetzungen gehören ein Trio für Flöte, Harfe und Violoncello (1971) und ein Quintett für Flöte, 2 Violinen, Violoncello und Cembalo (1988).
Die Klarinettisten beschenkte Françaix ebenfalls reichlich. Am bekanntesten wurde das Klarinettenkonzert, das Jacques Lancelot 1968 uraufgeführt hat. Dennoch galt es lange Zeit als unspielbar, weshalb der große Jack Brymer es “ein Konzert für die Zukunft” nannte, “wenn das Instrument oder die menschliche Hand weiter entwickelt sein werden”. Françaix selbst befand sein Konzert als “schrecklich für den Solisten”: “eine Art Kunstflug-Vorführung für das Ohr, komplett mit Loopings, Flügeldrehungen und Sturzflügen”. Ebenfalls für die Klarinette entstanden beispielsweise ein Quintett mit Streichern (1977), ein Trio mit Bratsche und Klavier (1990), ein Quartett für Klarinette, Bassetthorn, Bassklarinette und Klavier (1994) sowie ein Variationenwerk mit Klavier.
Jean Francaix zählte die Klarinette und das Fagott zu den “schnarrenden Hölleninstrumenten”
Gelegentlich hat Françaix die geliebten Holzbläser in kleinen Besetzungen miteinander kombiniert, etwa Flöte mit Klarinette (und Klavier), Oboe mit Fagott (und Klavier) oder Flöte mit Fagott. Bereits 1947 entstand ein originelles viersätziges Divertissement fürs sogenannte Holzbläsertrio (Oboe, Klarinette, Fagott), das damals in Paris in Mode war. Der Komponist zählte die Klarinette und das Fagott übrigens zu den “schnarrenden Hölleninstrumenten”. Das Komponieren für sie schien ihm besonderen Spaß zu machen.
Auch bei den klassischen Saxofonistinnen und Saxofonisten steht Françaix hoch im Kurs. Das verdankt sich er vor allem seinem dreisätzigen Kleinen Saxofonquartett, das 1935 für das Ensemble von Marcel Mule entstand. Es gehört zusammen mit den Quartettstücken von Desenclos, Bozza, Rivier, Pierné, Schmitt usw. zu den legendären französischen Saxofonquartetten aus jener Zeit. Da im Mittelsatz (“Cantilène”) das Sopran aussetzt, wird dieser gelegentlich auch von Saxofontrios als Einzelstück aufgeführt. Genau 50 Jahre später schrieb Françaix im Auftrag des Quatuor de Saxophones de Versailles ein zweites Saxofonquartett mit dem Titel “La Suite”. Ein beliebtes Repertoirestück bei Saxofonisten sind außerdem die Exotischen Tänze, eine Auswahl von fünf der ursprünglich acht Sätze für zwei Klaviere. Die Bearbeitung für Saxofon und Klavier entstand ebenfalls für Marcel Mule.