Wood | Von Hans-Jürgen Schaal

Jean-Pierre Rampal – Flötist mit Enthusiasmus

Jean-Pierre Rampal
Jean-Pierre Rampal (Foto: Jim Houghton © Sony Music Entertainment)

1948 erwarb er die einzige historische Flöte aus gediegenem Gold, Baujahr 1869. Seitdem war er bekannt als der “Mann mit der Goldflöte”. Jean-Pierre Rampal (1922 bis 2000) wurde zum führenden klassischen Flötisten seiner Generation. Vor 100 Jahren wurde er geboren.

Natürlich kam er aus Frankreich, dem Land der großen Flötisten. Sein Vater Joseph hatte denselben Flötenlehrer gehabt wie der legendäre Marcel Moyse (1889 bis 1984). “Mein Vater war mein Lehrmeister und mein Held”, verriet Jean-Pierre Rampal in einem Interview. “Noch mit 85 spielte er Flöte. Ich bewunderte auch Marcel Moyse. Das war der Mann, der für so viele meiner Generation die Tür öffnete.” 1944 machte Rampal seinen Abschluss am Konservatorium in Paris. Bereits ein Jahr später sorgte er für erstes großes Auf­sehen: Für eine Rundfunk-Live-Übertragung von Jacques Iberts Flötenkonzert war der 23-jährige Rampal als Solist ausgesucht worden. Danach begann er auf Tournee zu gehen, nur begleitet von Robert Veyron-Lacroix am Klavier. Für ein fes­tes Ensemble war das eine ungewöhnliche Besetzung, fast eine kleine Sensation. Rund 35 Jahre lang gaben die beiden Duo-Konzerte in ­aller Welt. Das Repertoire ging Rampal nie aus. 

Musik des 18. Jahrhunderts

Die neuere französische Flötenmusik (Debussy, Ravel, Françaix, Damase, Poulenc, Jolivet usw.) spielte er vor allem in seinen frühen Jahren. Auch anderen Zeitgenossen widmete er sich gelegentlich, gab 1948 die Westeuropa-Premiere von Prokofjews Sonate in D-Dur und einige ­Jahre später die Premiere von Jindřich Felds Flötenkonzert. Tomasi, Françaix, Jolivet und andere komponierten für Rampal. Khatschaturian bat ihn sogar, für die Flöte sein Violinkonzert zu bearbeiten. Noch 1992 spielte Rampal die Uraufführung des Flötenkonzerts von Penderecki. Nur Boulez’ Sonatine (für ihn komponiert) lehnte er ab – sie war ihm zu abstrakt.

Mehr als alle zeitgenössische Musik liebte Rampal aber seinen Mozart und die Komponisten des Barock. Der Franzose war einer der Ersten, die in den 1950er Jahren die Barockmusik wieder po­pu­lär machten. Sehr deutlich spürte er, dass das Publikum in der Nachkriegszeit ein Bedürfnis nach nüchternen Ordnungen hatte – auch beim Musikgenuss im Konzertsaal. Mozart, Bach und seine Söhne, Vivaldi, Telemann, Händel, Scarlatti – das waren einige seiner Hausheiligen. Auch Haydn, Rameau, Pergolesi, Leclair, Loeillet, Tar­tini, Cimarosa, Sammartini, Benda, Richter und viele andere führte er auf.

Rampal überraschte mit immer neuen Entdeckungen, brachte un­zählige Werke des 18. Jahrhunderts ins Konzertleben zurück – und er scheute sich auch nicht, historisches Repertoire für sein Instrument zu transkribieren oder transkribieren zu lassen. Auf einmal schien die Flöte eine immens wichtige Stimme zu sein. Rampal verhalf ihr, so schrieb Richard Pearson, zu einer “Popularität als klassisches Soloinstrument, die sie seit dem 18. Jahrhundert nicht mehr gehabt hatte”. 

Energische Ausstrahlung

Dass er so erfolgreich war, lag an seinem überragenden Können. Der temperamentvolle Südfranzose blies die Flöte mit frischem Offensivgeist. Das Publikum begeisterte sich für die Farbigkeit und Vitalität seines Vortrags. Sein Produzent Richard Einhorn nannte seinen Flötenklang “extrovertiert”: “Seine Persönlichkeit passte zu seinem Spiel. Er hatte eine dominierende Präsenz – er war gesellig, freundlich, stilvoll und gut gelaunt.” Auch für den Kritiker William Bennett war Rampals Temperament die Schlüsselqualität: “Sein Ansehen kam aus seiner musikalischen Brillanz und der freudvollen Persönlichkeit, die ins Publikum ausstrahlte.” Aktuelle Leben­dig­keit war Rampal wichtiger als zeitlose Perfektion – auch bei Plattenaufnahmen.

Die Kritikerinnen und Kritiker schätzten an seinem Spiel insbesondere die klangfarbliche Varianz. George Day Thorpe sah darin die eigent­liche “Magie” Rampals. “In seinen Händen”, schrieb er, “wird die Flöte zu drei oder vier In­stru­men­ten – dunkel und unheilvoll, hell und idyllisch, heiter und derb, erotisch und klar.” Rampal wusste selbst am besten, wie sehr es auf die Klangstärke des Instruments ankommt: “Die erste Qualität, die du haben musst, um begeistern zu können, ist der Sound. Der Ton, der Sound, die Klangfülle sind am wichtigsten. Fingertechnik allein genügt nicht.”

Anlässlich von Rampals 60. Geburtstag (1982) meinte der Geiger Isaac Stern: “Das Erste, wo­ran man bei ihm denkt, ist ein Lächeln, eine ­hüpfende, energische Ausstrahlung, die aus ­diesem Mann kommt. Jean-Pierre ist einer der enthusiastischsten Musikanten heutzutage.” Da­zu passt, dass Rampal es verstand, das Leben zu genießen. Er war zum Beispiel bekannt für seine Liebe zu gutem Essen. Wo immer auf der Welt er auftrat, bestand er darauf, nur lokale Küche zu speisen – das Dinner nach dem Konzert war für ihn ein Highlight des Tages.

Der Crossover-Flötist

Bei der Suche nach immer neuem Repertoire war Rampal auch offen für Grenzüberschreitungen ins Populäre und Exotische. Er machte ein Weihnachts-Album mit Michel Legrand, ein Kinderlieder-Album mit Maurice André, auch ein ­Album mit Opernmelodien. 1982 spielte er Ragtimes von Scott Joplin ein, begleitet unter anderem von einem Tubaspieler und dem Jazzschlagzeuger Shelly Manne. 1983 entstand ein Gershwin-Album mit Bigband und Synthesizer. Rampal spielte außerdem mit japanischen Musikerinnen und Musikern (an Shakuhachi und Koto) und arbeitete mit dem indischen Komponisten Ravi Shankar.

Am erfolgreichsten waren seine Kooperationen mit dem französischen Jazzpianisten Claude Bolling, der für Rampal eine “Suite für Flöte und Piano” (mit Bass und Drums) schrieb. Dieses Crossover-Werk zwischen Jazz und leichter Klassik verkaufte sich so gut, dass Bolling für Rampal noch zwei weitere Suiten komponierte (1979 und 1986). Eine vierte Suite schuf Bolling für Jazztrio und Orchester – hier war Rampal nicht als Solist dabei, sondern dirigierte die klassischen Musiker.  

Rampal

Zum 100. Geburtstag: Die Jubiläums-Box  

1969 machte Rampal erstmals Aufnahmen für die amerikanische Firma CBS – Anfang der 1980er Jahre wurde er dort Exklusivkünstler. Der begeisterungsfähige, dem Populären zugewandte Flötist war ein Glücksfall für den US-Markt. Dennoch hatte sein Output an Aufnahmen nie etwas Beliebiges, Zufälliges oder Marktschreierisches. Rampals Alben waren programmatisch klar und konzeptionell streng – er mischte nichts durcheinander. Es gab im Laufe der Jahre zwei Alben mit Mozarts Flötenquartetten, zwei Alben mit Mozarts Konzerten, ein Album mit Kammermusik von Mozart.

Es gab ein Album mit Bachs Konzerten, eines mit Bachs Sonaten (mit Trevor Pinnock am Cembalo) und eines mit Konzerten des Bach-Sohns Carl Philipp Emmanuel. Rampal machte auch ein Vivaldi-Album, ein Haydn-Album, ein Telemann-Album, ein Rameau-Album und ein Album mit Musik vom Hof Friedrichs des Großen. Es gab sogar ein Album nur mit Kuhlau-Quintetten, eines nur mit Quintetten von Boccherini, eines mit Musik von Carulli (!) und eines mit der von Pla (!). Rampal war ein großer Entdecker.  

Die eigentliche CBS-Zeit

In seiner eigentlichen CBS-Zeit (ca. 1973 bis 1994) bevorzugte er die Zusammenarbeit mit bestimmten Kolleginnen und Kollegen, mit denen er auch befreundet war. Mehrere Alben machte er nur im Duo mit seinem Pianisten John Steele Ritter, darunter eines mit Mozart-Sonaten, eines mit Weber-Sonaten, eines mit tschechischen Sonaten. Sehr verbunden fühlte er sich dem Geiger Isaac Stern, den er zu etlichen Projekten einlud. Eines war eine Auf­nahme von Mozarts Flötenquartetten in Starbesetzung (1986) – mit Salvatore Accardo (Viola) und Mstislav Rostropovich (Cello). Zu seinen bevorzugten Partnerinnen und Partnern gehörten außerdem Marielle Nordmann (Harfe), Alexandre Lagoya (Gitarre) sowie die Flötenkollegen Claudi Arimany, Wolfgang Schulz und Shigenori Kudo.

Als er in den 1990er Jahren zu dirigieren begann, stellte sich Rampal vor allem in den Dienst seiner Musikerfreunde: Lagoya, Nordmann, Bolling, Stern. Erfreulicherweise bringt die Jubiläums-Box all diese klaren Albumkonzepte nicht durcheinander – jedes originale Album bekommt hier eine CD für sich. Eine angemessene Würdigung.

The Complete CBS Masterworks Recordings (56 CDs); Sony Music