Brass | Von Klaus Härtel

Joo Kraus: „Nach der Krise werde ich besser sein!“

Joo Kraus

„We are doing well“ – uns geht’s gut. Das muss man als Statement ansehen. Gerade in dieser Zeit. Der Ulmer Joo Kraus veröffentlicht ein neues Album. Aus dem Titel spricht der Optimismus. Und die Musik verbreitet den allemal. Wir haben mal rein- und dem Trompeter zugehört.

Ursprünglich war der Titel so nicht gemeint, klärt Joo Kraus gleich auf. Der sei nämlich schon vor Corona im Kasten gewesen. Und der Text von „We are doing well“ spricht ja auch eine andere Sprache: „There’s
a hurricane in my living room. I’m gonna do ­nothing cause I’m leaving soon.“ Und ist aktueller denn je. Während um uns herum der Hurrikan wütet, ist scheinbar alles gut.

Joo Kraus spricht die „Fridays for Future“-Bewegung an, den Klimawandel und dass die Generation seiner Kinder sich Sorgen macht – während die ältere sich „den einen SUV noch“ leistet. „Das bin auch ich“, gibt der 54-Jährige selbstkritisch zu. Doch er hat die Botschaft verstanden: „Ich habe allergrößten Respekt vor Greta Thunberg und Co. Sie hat einen Nerv getroffen und viele Menschen wachgerüttelt.“ Das betrifft die Klimakrise.

Derzeit stellt vor allem die Pandemie die Menschen auf eine harte Probe. Allen voran natürlich die Musiker, die seit beinahe einem Jahr auf fast alle ihre Auftritte und die ­damit verbundenen ­Ein­nahmen verzichten müssen. Joo Kraus weiß das und trotzdem schwört er auf „Zuversicht und Flexibilität. Also Eigenschaften, die man als Jazzer ja ohnehin hat…“ Er lacht. Der Trompeter ­bezeichnet sich als durchaus „optimistischen Realisten. Denn Corona wird vorbei­gehen!“ Und so langsam reiche es ja auch mit den zahlreichen Streaming-Konzerten, findet er. „Manche sind tatsächlich sogar sehr gut, aber die Leute sind heiß auf Live-Erlebnisse. Ich sowieso!“

Joo Kraus

Joo Kraus versucht, das Beste daraus zu machen. „Ich habe mit Sicherheit mehr geübt“, merkt er an. Gerade vor dem Interview hat er schnell noch eine Einheit eingeschoben. Er werde gestärkt aus der Krise hervorgehen: „Ich habe mir vorgenommen, besser zu werden“, lacht er. „Diese Krise ist eine Prüfung für alle Musikerinnen und Musiker, aber auch eine große ‚Trainingsphase‘ für mich.“ Wissend, dass auch Sportler nur trainieren, wenn sie sich irgendwann mal im Wettkampf messen dürfen. Joo Kraus will auf die Bühne. 

Der Albumtitel „We are doing well“ passt schon ganz gut, um seine Zuversicht zu untermauern. Und die Musik allemal. Die Fertigstellung des Tonträgers ging wesentlich schneller als sonst, erzählt der Ulmer Musiker. Wegen der vielen Konzertabsagen hatte er nämlich sehr viel Zeit. Die Produktion der CD „ging völlig ohne Druck und Stress ab“. Während man normalerweise zwischendurch mal nur zwei oder drei Stunden Zeit hat, weil der Kollege gleich wieder weitermuss, war es diesmal völlig entspannt. „Es war einfach mehr Vorbereitungszeit vorhanden als sonst.“ Wenn man also überhaupt etwas Posi­tives aus der Pandemie herausziehen möchte, dann das.

In dieser langen Phase hat Joo Kraus viel Trompete gespielt und zahlreiche Pläne in seiner Ideenschublade gesammelt. Einiges davon dürfte sich auch in der übernächsten Produktion nieder­schlagen. Doch zunächst einmal wird „We are doing well“ auf den Plattentellern landen. Was für ein Album kommt da? Sicherlich keines, das sich wunderbar in eine Schublade einordnen lässt – etwas, das Musikjournalisten ja so ­mögen. „Das tut mir ja auch leid!“, lacht er. Tut es natürlich nicht. Aber was soll er machen? Der rote Faden, den man sucht – das sind die vier Protagonisten. Neben Joo Kraus sind das Schlagzeuger Torsten Krill, der auch für Produktion, Recording, Mixing und Mastering (mit)verantwortlich zeichnet, Kontrabassist Veit Hübner und Pianist Ralf Schmid. „Jeder erzählt etwas von sich“, erklärt der Bandleader. 

Die Band, mit der der Ulmer Trompeter seit über 15 Jahren unterwegs ist, ist eine sehr persön­liche Angelegenheit. „Ein Riesen-Luxus“, nennt Joo Kraus das Quartett. „Mit denen werde ich alt. Bisweilen kommt man sich vor wie auf einer Jugendfreizeit, bei der man wunderbar Quatsch machen kann. Wir lachen miteinander, aber nie übereinander. Und das ist mir fast noch wich­tiger, als dass das gute Musiker sind. Was sie natürlich sind…“ Wenn das dynamische Quartett zusammenspielt, „wird’s richtig elektrisch, und es passiert etwas, das über uns vier hinausgeht“«, erzählt Joo Kraus.

Und auch jeder Song hat seine eigene Dynamik, weckt Vorstellungen und führt an durchaus seltsame Orte. Bei „Count to 4“ geht es mit Vollgas ins Hippie-Speedjazz-Wah-Wah-Wonderland – mit Frank Zappa als Beifahrer und 70er-Progrock im Radio. „Elvis in Paris“ dagegen gleicht einer Spazierfahrt durch Toontown – die Häuser schief, die Straßen krumm, das Leben bunt und ziemlich schräg. Und das ist erst der Anfang der Sightseeing-Tour durch „Jootopia“: Mit „Space Glider“ verlässt man als Hörer endgültig alles Feste und Gewisse. Orientfarbene Melodiefragmente fließen, vergessene Träume tauchen am Wegesrand auf, eventuell startet eine Pilgerfahrt ins Unterbewusstsein. So mehrdeutig wie der Sound ist auch die Botschaft. 

„Ich liebe es, schnell und hoch zu spielen“, erzählt Joo Kraus. „Aber ich mag auch die lang­samen und leisen Töne. Ich schwärme für brasilianische Rhythmen und dann stoße ich auf eine begeisternde 80er-Jahre-Funk-Nummer.“ Der Musiker, der damals bei der „Ulmer Knaben­musik“ sein Trompetenhandwerk gelernt hat, kennt keine Genregrenzen. Das sei beim Essen ja genauso. „Man mag nicht immer das gleiche. Mal mediterran, mal exotisch – und natürlich muss der Schwabe ab und an seine Spätzle bekommen“, lacht er. 

Vorerst 20 Termine hat die Combo ab Mai einmal geplant. Noch weiß natürlich niemand, ob das alles auch zustande kommt. Corona schwebt über allem wie ein Damoklesschwert, „doch ich habe die große Hoffnung, dass die Rechnung aufgeht“, sagt Joo Kraus. Da ist er wieder, der Optimist.