News | Von Redaktion

Joseph Horovitz. Ein Nachruf

Horovitz
Joseph Horovitz (Foto:Wolfgang Jud)

In einem Clarino-Interview hat Joseph Horovitz einmal gesagt: “Wenn jemand sagt, alles muss perfekt sein, dann wird man sehr traurig in der Welt. Und speziell der Humor sagt mir, es kann nicht so perfekt sein. Sonst würde ja niemand lachen. Denn über etwas Perfektes lacht man ja nicht. Man lacht nur, wenn etwas kleine Haken hat. Ecken und Kanten eines Menschen machen das Leben ja aus.” Er hatte einen sehr feinen Humor, er hatte Ecken und Kanten. Und vor allem war er ein wunderbarer Komponist und Mensch. Joseph Horovitz ist nun im Alter von 95 Jahren gestorben. Was bleibt, sind die Erinnerungen und natürlich seine Musik.

Joseph Horovitz wurde am 26. Mai 1926 in Wien geboren. Als Sohn eines jüdischen Kunstbuchverlegers wuchs er im 1. Bezirk in einer traditionellen jüdischen Familie auf. Philosophie, Geschichte, Kunst und Literatur der Klassik und Moderne besaßen in seinem Elternhaus einen hohen Stellenwert. Seine Mutter spielte Klavier. Er besuchte in seiner Heimatstadt das Aka­de­mische Gymnasium am Beethovenplatz und war zudem Schüler am Wiener Konservatorium. Nachdem die Wehrmacht in Österreich einmarschiert war, wurde er, ebenso wie eine Vielzahl seiner Mitschüler, im März 1938 aufgrund seiner jüdischen Abstammung unter dem zynischen Begriff “Umschulung” der Schule verwiesen. Sicher­lich nicht unvorbereitet flüchtete er um­gehend über Villach, Meran, Zürich, Antwerpen und schließlich Anfang Mai Dover erreichend mit seinem Vater nach England. Die Mutter und seine beiden Schwestern folgten ihnen im Juni.

An der privaten Londoner Regent’s Park School wurde er gemeinsam mit weiteren deutschsprachigen Flüchtlingskindern auf ein Leben und eine berufliche Ausbildung in England vorbereitet. Der nach London transferierte Phaido-Verlag des Vaters sicherte den Lebensunterhalt der Familie. Ein Umstand, der den klugen und sorgenden Weitblick des Vaters in jenen ­Tagen unterstrich. An der Oxford University studierte Joseph Horovitz neben Musik zunächst auch noch moderne Sprachen. Es zog ihn, der Musik wegen, aber weiter. 1948 nach London zu Gordon Jacob ans Royal College of Music und 1949 nach Paris, wo er schließlich bei Nadia Boulanger seine Kompositionsstudien fortsetzte. 

1950 kehrte er schließlich wieder nach England zurück

Den Aufenthalt in Paris finanziert er unter anderem durch gelegentliche Porträtmalerei. In diesen intensiven Studienzeiten war er zudem längst am Dirigieren interessiert, nahm immer wieder professionellen Unterricht und leitete bereits kleinere Orchester. 1950 kehrte er schließlich wieder nach England zurück. Er wurde musikalischer Leiter der Old Vic Theater-Company in Bristol, dirigierte, komponierte und arbeitete als Begleiter und Korrepe­titor. Schließlich war er als Ballett- und Opern­dirigent bei verschiedenen internationalen Gesellschaften tätig, mit denen er Tourneen durch Europa und die USA unternahm. 1961 wurde er an das Royal College of Music London als Professor für Komposition und musikalische Ana­lyse berufen, ab 1981 lehrte er dort als Fellow. (In sogenannten “Think Tanks” entwickeln “Fellows” Ideen, wie gute Lehre noch stärker in akademischen Fakultäten zu verankern ist.)

Vielseitigkeit und Flexibilität

Er widmete sich nun fast ausschließlich dem Komponieren, schrieb aber nicht nur Opern- und Ballettmusiken. In seiner außergewöhnlichen Vielseitigkeit und Flexibilität bediente er auch Genres und Gattungen wie Instrumentalmusik, Solokonzert, Kammermusik, Musik für Solo­instrumente, Chormusik und angewandte Musik (Gebrauchsmusik). Im zuletzt aufgezählten Genre erlangte er, nicht zuletzt wegen seiner Filmmusiken zu verschiedenen TV-Serien, beachtliche internationale Bekanntheit. 

Eindeutig an traditionellen Formen und Kompositionsweisen orientiert, schrieb er sowohl reine “ernste” Musik mit sinfonischen Strukturen als auch eben solche, die zudem mit programmatischen Inhalten angereichert waren. Diese brachten die rein sinfonischen Techniken auch gerne einmal mit Elementen der U- und E-Musik sowie mit Elementen der Folklore zusammen. Schon 1965, also noch bevor er 1974 begann, das Divertimento “Bacchus on Blue Ridge” für Orchester und bis Ende 1983 für Blasorchester zu schreiben, war er mit einem vielbeachteten Cembalo-Jazz-Konzert aufgefallen. Das gilt auch für sein nicht nur ob seiner Bi­tonali­tät der zeit­genössischen Musik sehr nahestehendes Ora­torium “Samson” für Bariton, Chor und Blechblasorchester. Seine ab etwa 1965 eher zufällig begonnene Zusammenarbeit mit Brassbands und mehr und mehr darüber hinaus mit Blechblas- und sinfonischen Bläser­ensem­bles setzte zunehmend neue Maßstäbe. Kompositionen wie “Sinfonietta” (1968), das “Euphonium-Konzert” (1972) oder sein traditionell dreisätziges “Concertino Classico” für zwei Solo-Trompeten (Kornette) und Band (1985) sind beredte Zeugen.

Der Dialog mit dem Publikum

Analytiker sagen seinen Kompositionen nach, dass sie bewusst Melodien anbieten, die das ­Publikum in einem Dialog mit jenen halten. Was zudem gelegentlich wie Improvisation anmutet, ist eher als ein bis ins kleinste Detail solide ausgearbeitetes Handwerk zu verstehen. Auch das machte ihn, wenn immer er es angestrebt hatte, zu einem Meister der musikalischen Parodie. So ist es nicht verwunderlich, dass er seine Kantate “Captain Noah and his Floating Zoo” für Chor, Klavier und Rhythmusgruppe (ad. lib.) (1970), weltweit in sechs verschiedenen Sprachen verbreitet, gerne augenzwinkernd als »seinen größten Hit« bezeichnet.

Als Randbemerkung sei vielleicht noch festzuhalten, das Horovitz in seinem fünften Streichquartett, uraufgeführt 1969 vom Amadeus-Quartett, auch einmal zurückblickt. Er kombiniert dort unter anderem das Wiener Lied “Mei Muatterl war a Weanerin” mit dem “Horst-Wessel-Lied”. Im selben Jahr besuchte er nach 31 Jahren zum ersten Mal nach seiner überstürzten Flucht seine Heimatstadt Wien. Neben vielen anderen Auszeichnungen wurde er 2007 mit dem Österreichischen Ehrenkreuz für Wissenschaft und Kunst 1. Klasse ausgezeichnet. Seinen Lebensabend verbringt er in Londons Westen, unweit des Hyde Parks und der Royal Albert Hall, im als aristokratisch und “königlich” geltenden Londoner Stadtteil Kensington. Schon seit 1946 galt er nicht nur formal als britischer Staatbürger, sondern auch in der Tiefe seiner Seele als passionierter und bekennender Brite. 

Ein Klassiker ist mittlerweile “Bacchus on Blue Ridge“, ein Werk, über das er selbst sagte: “Ob mich das stolz macht? Irgendwie ja. Ich freue mich, dass ein Werk Fuß gefasst hat.”