Seit dem Sommer 2023 ist Franco Hänle Dozent für Dirigieren und Blasorchesterleitung an der Staatlichen Hochschule für Musik und Darstellende Kunst Stuttgart. Damit ist er auch für die Bläserakademie Baden-Württemberg des BVBW in der Dirigenten-Aus- und Weiterbildung tätig. Im Interview verrät er uns auch, welche spannenden und »wirklich revolutionären« Vorhaben auf seiner Agenda stehen. Klaus Härtel sprach mit Franco Hänle.
Herr Hänle, kann man Dirigieren eigentlich wirklich lernen?
Da muss ich gleich mit einer Gegenfrage einsteigen: Reden wir nur über die Schlagtechnik beim Dirigieren, oder sprechen wir über die ganze Dimension der Orchesterleitung? Mein Grundverständnis hinsichtlich der Schlagtechnik rührt vom Instrumentalunterricht her – da gibt es vergleichbare Gesetzmäßigkeiten: Der erste Einstieg in die Schlagtechnik ist deshalb relativ schnell gemacht. Bei einem Instrument kann ich auch recht schnell die ersten fünf Töne von B-Dur lernen – und so ist es erstaunlich zu sehen, wie schnell die ersten Dirigier-Schritte bei einem Schnupperwochenende gemacht werden. Danach sind dann Personen schon in der Lage, beispielsweise einfache Stücke auf dem Weihnachtsmarkt zu dirigieren.
Auf der anderen Seite hört das Lernen beim Dirigieren – genauso wie beim Instrument nie auf. Es gibt viele Aspekte, die das Profil eines Blasorchester-Leiters komplettieren. Diese kann man vermitteln, kann Impulse geben. Zur Dimension des Leitens gehört sehr viel Persönliches dazu. Mit diesem spannenden Bereich muss man sich auch intensiv auseinandersetzen und es genügt nicht, darüber ein Buch zu lesen. Man kann dafür sensibilisieren und vom Lernenden ist dabei ein hohes Maß an Selbstreflexion nötig.
Ist Dirigieren eine Tätigkeit, die man mit der Erfahrung verbessert? Man ist ja nie »fertig« und wächst mit seinen Aufgaben, oder? Wird man als Dirigent dahingehend auch immer besser? Vorausgesetzt man hat diese von Ihnen erwähnte Selbstreflexion?
Davon bin absolut überzeugt! Man kann immer seine Trockenübungen im Zimmer machen, aber die wertvollen Momente passieren in der Dirigier-Praxis. Deswegen gehört für mich auch immer ein hoher Anteil von Dirigier-Praxis dazu – egal welche Zielgruppe angesprochen ist. Das ist das A und O in der Ausbildung. Je früher man damit beginnt und je länger man es betreibt, desto schneller wächst man.
Ist das dann auch das, was sie persönlich am Dirigieren fasziniert? Dass man eben viele Aufgaben hat, die sich zum Bild des Dirigenten bündeln? Ist das Faszinierende dieses Vielschichtige?
Genau. Das ist das Spannende. Jede Person bringt ihre Stärken und Lücken mit. Man muss dann immer sehen, in welchen Bereichen zunächst die größte Weiterentwicklung nötig ist. Und ganz persönlich finde ich: Je länger ich in diesem Dirigier- und Orchesterleitungs-Kosmos unterwegs bin, desto größer wird die Erkenntnis darüber, was man noch nicht kennt. Ich hoffe, die Neugier und das Interesse hören einfach nie auf.
Was sind die größten Herausforderungen bei Lernenden? »Juckt« es manchmal – wie ein Fahrlehrer etwa –, einzugreifen?
In der Dirigier-Praxis überlasse ich die Situation zunächst einfach demjenigen, der gerade vor dem Orchester steht. Irgendwann aber kommt dann der Moment, in dem man einfach eingreifen, mitmischen oder Feedback geben muss. Aber ich gebe zu, es ist dann auch bisweilen schwer, dann wieder auszusteigen und nicht zu sagen: »So, ab jetzt übernehme ich die Probe!« (lacht)
Die größte Herausforderung im Umgang mit den Lernenden ist gleichzeitig auch der große Unterschied zum Instrumentalunterricht. Als Instrumentalist höre ich den Lehrer, der etwas vorspielt und ich höre sofort den Unterschied zu meinem Spiel. Beim Dirigieren ist vielen erst einmal gar nicht bewusst, welcher Klang mit welcher Bewegung erzeugt wird. Denn es fühlt sich ja erst einmal nicht falsch an bzw. ist nicht hörbar falsch. Das ist aber auch die spannende Dimension in der Dirigier-Praxis. Ich muss eine Person ja erst einmal – vielleicht auch in der Videoanalyse – dafür sensibilisieren, wie eine verbesserte Schlagtechnik zu einem besseren musikalischen Ergebnis führt. Es ist erstaunlich, wie groß manchmal der Unterschied zwischen der eigenen Wahrnehmung und der Wirklichkeit ist. Wenn jemand denkt, ich stehe doch total ruhig vor dem Orchester und sieht sich am Ende auf dem Video »tanzen«. Sich diese Unterschiede bewusst zu machen, ist eine der größten Herausforderungen – eben auch, weil wir nicht sofort im Unterrichtszimmer den klanglichen Unterschied haben.

Franco Hänle
Die Passion für die Orchesterleitung wurde in Franco Hänle schon früh geweckt und gefördert, indem er bereits mit 15 Jahren die erste Dirigierausbildung durch den 1. Kapellmeister am Theater seiner Geburts- und Heimatstadt Ulm (Donau) erhielt.
Er studierte an den Musikhochschulen Nürnberg-Augsburg, Trossingen, Basel und Stuttgart, wodurch ihm die akademischen Grade Diplom-Musiklehrer, Diplom-Musiker, sowie Master of Arts in Dirigieren verliehen wurden.
Ist eigentlich die Herangehensweise in den Kursen des BVBW eine andere als in der Hochschule? Mal abgesehen vom Pensum?
Ich vergleiche die Leitung von Blasorchestern immer mit einem Zehnkampf im Sport. Und zwar egal auf welcher Ebene. Natürlich haben diese zehn Disziplinen je nach Zielgruppe eine andere Intensität und auch eine andere Erwartungshaltung, denn die Rahmenbedingungen und das Setting sind anders. Die Kursstruktur ist im Akademiebetrieb eine andere. Hier bin ich, was Termine betrifft, meist blockweise unterwegs und an der Hochschule innerhalb der Vorlesungszeit wöchentlich. Dort kann darüber hinaus die Erwerbsabsicht eine gewisse Rolle spielen, weil ich das Dirigieren eines Blasorchesters als attraktives Standbein schmackhaft machen bzw. als einen Teil eines mehrspurigen Lebenskonzept etablieren möchte. Und deshalb sind auch Zugangsvoraussetzungen unterschiedlich. Schnupperkurse oder Einsteiger-Wochenenden im Verband sind komplett niederschwellig, und das ist auch gut so. Je weiter es in der Pyramide nach oben geht – bis hin zum Masterstudium –, hat man einfach auch weniger Plätze zur Verfügung, und es wird eine ganz andere Vorbildung vorausgesetzt.
Welche zehn Disziplinen sind das denn, die auf allen Ebenen eine Rolle spielen?
Schlagtechnik und Körpersprache gehören immer dazu, genauso wie Partiturstudium und Analyse. Die Stilkunde ist wichtig, die Geschichte der Bläsermusik, Einblicke in die nationale und internationale Szene, Instrumentenkunde/Instrumentation, Repertoirekunde und Programmgestaltung, das große Feld der praktischen Probenarbeit (Pädagogik, Methodik, Didaktik). Der Bereich der Musiktheorie (Hörschulung, Musikgeschichte, Formenlehre etc.) spielt ebenfalls eine zentrale Rolle. Bei den Verbandskursen werden diese von dem renommierten Arrangeur und Musikwissenschaftler Jörg Murschinksi unterrichtet, innerhalb der Hochschule gehören diese Seminare zu den Pflichtveranstaltungen. An der Hochschule ist für mich zudem ein gewisser Anteil an Kammer- und Ensemblemusik sehr wichtig. Das mag ein persönliches Faible sein, aber ich finde, dass so etwas auch im Musikverein machbar ist.
Jetzt gibt es eine Kooperation zwischen dem Musikzentrum Baden-Württemberg und der Musikhochschule Stuttgart. Wie kann hier jeweils die eine Seite von der anderen profitieren?
Durch diese Kooperation zwischen Akademie und Hochschule können sich Studierende nicht nur in der Hochschule in Seminare einschreiben, sondern auch im Rahmen des Studiums Kurse im Musikzentrum Baden-Württemberg belegen. Das kann auch mal »Bläserklasse« sein oder »traditionelle Blasmusik«. Für die Verbandsseite ermöglicht die Kooperation zum Beispiel die Durchführung der »Plochinger Bläsertage«, die kürzlich stattgefunden haben. Die Dozierenden waren Instrumentaldozenten der Hochschule – aber eben für die Zielgruppe der Vereinsmusiker. Das ist eine ganz tolle Chance!
Beide Strukturen, beide Organismen – also der Verband und die Hochschule – sind eigentlich aufeinander angewiesen oder profitieren voneinander. Der Verband hat den Zugang zum Markt und in der Hochschule gibt es viele potenzielle »Fachkräfte«, die man versuchen möchte, für die Vereinsarbeit zu gewinnen. Und hoffentlich bilde ich künftig nicht nur Personen aus, die schon aus eigener Motivation zu mir gekommen, sondern gelingt es mir, auch Personen für die Blasorchesterleitung zu gewinnen, die mit einer komplett anderen Absicht an die Hochschule gekommen sind.
Ob Plochingen oder Stuttgart: Wer kann sich bewerben? Welche Voraussetzungen muss ich erfüllen? Was muss ich können, um in Plochingen beziehungsweise Stuttgart mitmachen zu dürfen?
Ein wesentlicher Unterschied ist, dass sich der Kursbetrieb im Musikzentrum Baden-Württemberg an Kalenderjahren orientiert. Wir haben im Januar mit den neuen Kursen begonnen und im Herbst kann man sich für die neuen Kurse für 2025 bewerben. Das gilt natürlich für die ganzjährigen Kurse. Für die Kompaktseminare an Wochenenden etwa findet man alles wunderbar über die Homepage des Musikzentrums. Die Angebotsstruktur basiert auf dem BDMV-Rahmenlehrplan. Es besteht die Möglichkeit, mit den verschiedenen Stufen – vom Einsteigerkurs über C1, C2 und C3 – kontinuierlich dranzubleiben und quasi eine mehrjährige strukturierte Ausbildung aus einer Hand zu erfahren. Hier ist eine Stringenz im Kurssystem gegeben.
An der Hochschule gibt es zum einen das sogenannte Wahlfach, das jeder belegen kann, der an der Hochschule ist. Hier kann man mit einem reduzierten Zeitaufwand das Fach Blasorchesterleitung kennenlernen. Und zum anderen gibt es den berufsbegleitenden Weiterbildungsmaster, der ein bereits absolviertes grundständiges Musikstudium voraussetzt und auch eine mehrjährige Berufspraxis als Blasorchesterdirigent. Es gibt formelle Voraussetzungen und dann erfolgt die Einladung zur Aufnahmeprüfung.
„Zwischen diesem Wahlfach und dem Master viel Raum, den wir mittelfristig füllen möchten“
Allerdings ist ja eigentlich zwischen diesem Wahlfach und dem Master viel Raum, den wir mittelfristig füllen möchten, denn ich persönlich finde, dass jeder die Möglichkeit haben sollte, Blasorchesterleitung zu lernen und damit seine Gesamtqualifikation zu erweitern. Warum sollen etwa Schulmusiker ihr Masterstudium »Schulmusik« nicht mit dem Hauptfach »Blasorchesterleitung« machen können? Oder Personen, die schon Kurse in Chorleitung oder klassischer Orchesterleitung besucht und eine gute Vorbildung haben, könnten darauf mit Blasorchesterleitung aufbauen.
Ganz spannend, und das wird wirklich etwas Revolutionäres, ist die aktuelle Entwicklung eines »Kooperations-Studiengangs« zwischen BVBW und Hochschule, der im Rohbau seine ersten Konturen annimmt. Ich suche immer noch ein besseres Wort für »Laien« oder »Amateure«, weil das manchmal eine leicht negative Konnotation hat für jemanden, der zwar im Haupterwerb in einem anderen Beruf steckt, aber doch wirklich ein begnadeter Musiker ist. Die gibt es ja, denn sonst hätten wir nicht so viel tolle Landes-Ensembles und Projektorchester. Diese Personen hatten bislang aber nicht die Möglichkeit, sich als Blasorchesterleiter in dieselbe Liga zu katapultieren wie jemand, der so landläufig als »studierter Musiker« verbucht wird – auch wenn er vielleicht »nur« ein Instrumentalstudium absolviert hat, aber in der Hochschule nie einen Taktstock in der Hand hatte. Und für diese Personen planen wir einen »berufsbegleitenden Weiterbildungsbachelor« für »hybrid Erwerbstätige«. Dabei sollen sie die Möglichkeit bekommen, über 4 Semester an der Hochschule einerseits die selbe intensive Ausbildung zu erfahren, sich andererseits aber auch über die Teilnahme an Akademie-Kursen in Plochingen in ihrem musikalischen Dasein fortzubilden. Am Ende haben sie dann einen musikalischen Studienabschluss als Blasorchesterleiter in der Tasche.
Mein Ziel ist, dass wir das schon zum nächsten Wintersemester anbieten können. Für das sich jetzt im März öffnende Bewerbungsfenster kommt das noch zu früh. Wir arbeiten gerade sehr intensiv daran. Wenn es so weit ist, werden Sie es natürlich aus erster Hand erfahren.