News | Von Kristin Thielemann

Klimaprotest in der Elbphilharmonie: “Letzte Generation” goes Klassik

Elbphilharmonie
Der Große Konzertsaal der Elbphilharmonie. (Foto: Michael Zapf)

An „Klima-Kleber“ auf Flughäfen und auf Straßen haben wir uns beinahe gewöhnt, auch Tomatensuppe-werfende Protestierende in Museen sind uns bereits geläufig, doch eine der jüngsten Aktionen der Gruppe Letzte Generation führte zwei junge Menschen der Protestbewegung auf eine außergewöhnliche Bühne: Das Podium der Elbphilharmonie. Doch der Auftritt endete aus Unkenntnis von Sinfoniekonzerten deutlich früher als beabsichtigt. 

Was ist passiert? Für die Staatskapelle Dresden steht am 23. November ein Gastspiel in der Hamburger Elbphilharmonie mit Beethovens Violinkonzert unter der Leitung von Tugan Sokhiev auf dem Programm, nach der Pause soll es mit Brahms 1. Sinfonie weitergehen. Solistin des Abends ist die Star-Geigerin Julia Fischer. 

Das Orchester hat bereits Platz genommen und eingestimmt, als aus der ersten Reihe zwei Personen mit orangen Warnwesten bekleidet das Podium betreten und sich die Hände an die Stange des Dirigentenpults festkleben. Diese Stange soll den Dirigenten an einem Sturz ins Publikum hindern, wird von manchen, vor allem stark schwitzenden Maestros, aber auch schon mal genutzt, um – ähnlich wie im Fitnessstudio – theatralisch ein Handtuch aufzuhängen. 

Violinistin Julia Fischer fordert die Aktivisten zum Sprechen auf

Die Musikerinnen und Musiker der Staatskappelle schauen verdutzt, als die beiden jungen Protestler – ein Mann und eine Frau – innerhalb von wenigen Sekunden an dieser Stange kleben. Im Saal gibt es zunächst nur reges Gemurmel, was aber rasch anschwillt und vornehmlich aus den Rufen “Nein!” und “Raus!” besteht. Die in der Nähe des Dirigentenpults stehende Violinisten Julia Fischer tritt einige Schritte beiseite. Ihrer Gestik kann man entnehmen, dass sie die jungen Aktivisten auf ihrer Bühne zum Sprechen auffordert, um dann endlich ihren Beethoven spielen zu können. Die Aktivistin beginnt zu sprechen, doch das Publikum wird immer lauter und so gehen große Teilen Ihrer Ansprache in den Rufen nach Ruhe und Abbruch der Aktion unter. 

Auf der Webpräsenz der Gruppe “Letzte Generation” findet sich ein Video, in welchem der Text nachträglich von der Aktivistin eingesprochen wurde. Der Inhalt: Die Klima-Katastrophe wird von der Allgemeinheit verdrängt und verharmlost. Der nächsten Generation wird durch dieses Verhalten ein Leben in Sicherheit und Frieden unmöglich gemacht. Es wird desweiteren zu aktivem zivilen und friedlichen Widerstand aufgerufen, um unseren Planeten zu retten. Auch wird gemutmaßt, dass es keine Elbphilharmonie mehr geben könnte, wo wir Beethoven genießen können, wenn Hamburg unter Wasser steht.

“Es gibt nur eine Erde, genau wie es auch nur ein Violinkonzert von Beethoven gibt”

Als Forderung hebt die Gruppe auf ihrer Webseite hervor, dass ein Tempolimit von 100 km/h auf deutschen Autobahnen hermuss und durch die Weiterführung des 9-Euro-Tickets der öffentliche Personennahverkehr gestärkt werden soll. Wer nichts tut, trägt Mitschuld – so die Aussage der Protestbewegung. 

Es gibt schließlich nur eine Erde, genau wie es auch nur ein Beethoven Violinkonzert gibt, so die Begründung von “Letzte Generation”, für die Wahl des Protestortes. 

Doch offenbar waren die beiden jungen Aktivisten nicht ganz klassikaffin und es war ihnen nicht bewusst, dass die Stange hinter dem Dirigentenpult dort nicht festgewachsen ist. Bühnen in Konzerthallen sind in aller Regel sehr dynamische Orte und müssen je nach Bedürfnissen der Künstler und Ensembles rasch umbaubar sein. 

Genauso rasch endete diese Protestaktion auch, als unter dem Gejubel des Publikums der Orchesterwart auf die Bühne trat, mit geübten Griffen die nur gesteckte Metallstange aus der Verankerung hob und die beiden daran festklebenden Aktivisten unter Applaus aus dem Saal zog. Geradezu hämisch gefeiert wurde ein Foto der beiden jungen Leute, welches wenige Stunden nach dem Konzert in den Social Media viral ging und die unglücklichen Aktivisten in einer Ecke abgestellt und immer noch an die Dirigentenpult-Stange geklebt zeigte. 

“Kulturbanausen!”, ruft da die Twitter-Gemeinde und “Rostet euch doch los!”, spottet man auf Instagram.  

Wie großartig dieser Abend aber für alle Beteiligten hätte enden können, wenn die Protestler ihre Forderung ungestört hätten vortragen können und dann ans Pult festgeklebt diesem großartigen Werk hätten lauschen dürfen, denke ich einige Tage nach diesem misslungenen Protest, den auch ich zunächst belächelt habe. In der Pause hätten sie bei Sekt und Schnittchen mit den Konzertbesuchern und Künstlern diskutieren können.

Und möglicherweise wären sie danach überzeugt gewesen, dass die Klassikszene schon seit geraumer Zeit in vielen Punkten nachhaltig arbeitet, ohne daraus einen “Big Deal” zu machen: Seit Jahrzehnten berechtigt der Ticketkauf zu den allermeisten Konzerten in der Hansestadt Hamburg zur kostenfreien An- und Abreise mit den öffentlichen Verkehrsmitteln. Die Parkplätze in der Elbphilharmonie und dem Stadtteil Hafencity sind so teuer, dass selbst eingefleischte Autofans mit den “Öffis” ins Konzert kommen und die Staatskappelle Dresden ist zu diesem Konzert (wie auch zu vielen weiteren) mit der Deutschen Bahn angereist. Auch gibt es in der Klassikszene seit 2020 die bereits gut vernetzte Organisation “Orchester des Wandels“, die sich aktiv für Klimaschutz einsetzt. 

Einzigartig, aber nicht der einzige Komponist mit nur einem Violinkonzert 

Natürlich könnten wir nun noch viel mehr Klima-Kleber in Konzerten erwarten, denn genau wie es nur ein Beethoven Violinkonzert gibt, haben auch Robert Schumann, Johannes Brahms, Peter Tschaikowsky und Erich Wolfgang Korngold nur ein einziges Konzert für die Geige geschrieben. Auch würden Haydns Oratorium “Die Schöpfung”, die Bach-Kantate “Aus tiefster Not schrei‘ ich zu dir!” oder der letzte Akt von Wagners “Götterdämmerung” dankbare Aufhänger für eine Klebe-Aktion geben. Die Deutsche Oper Berlin hat noch eine spannende Produktion des dänischen Komponisten Rued Langgaard zum Thema Klimakrise und Apokalypse im Programm: Antikrist (Premiere war im Januar 2022, weitere Aufführungen im Februar 2023). Rued Langgaard – übrigens noch ein Komponist mit nur einem einzigen Violinkonzert! 

Also, liebes Team von „Letzte Generation“: Kommt doch ruhig häufiger in unsere Konzerte. Bei den allermeisten deutschen Orchestern benötigt ihr seit Jahren hierfür nicht einmal das 9-Euro-Ticket! Es gibt bis zum Weltuntergang noch viel Lohnenswertes zu entdecken und kreative und offene Menschen, die sicher gerne mit euch diskutieren und mit denen ihr viel mehr gemeinsam habt, als beide Seiten auf den ersten Blick vermuten würden.