Man bekomme in diesen Tagen leider weniger zu sehen als im »Normalbetrieb«, kündigt Adele Kühnl beim Betreten der Instrumentenfertigung an. Es ist Anfang Juni: Urlaubszeit bei Kühnl & Hoyer im mittelfränkischen Markt Erlbach. Ohnehin geht es in der Fertigung heutzutage weitaus ruhiger zu als zu der Zeit, in der bei Kühnl & Hoyer bis zu 70 Beschäftigte ihrer Arbeit nachgingen.
Emsiges Treiben sucht man heute vergebens. Stattdessen trifft man auf Menschen, die mit Bedacht und viel Know-how von früher und heute dem Slogan und dem Qualitätsmerkmal »Handmade in Germany« Leben und Musik einhauchen.
Vom Schießrohr zum Blasrohr
Adele Kühnl blättert in der Firmenhistorie, bleibt immer wieder schmunzelnd an alten Zeitungsartikeln über Kühnl & Hoyer hängen. »Früher waren es Schießrohre, jetzt sind es Blasrohre«, titelte einst eine Tageszeitung und spielte darauf an, dass die Firma im Jahr zuvor im »alten Schießhaus« der Schützengesellschaft ihren Betrieb aufgenommen hatte: Die Firmengründer Adolf Kühnl und Emil Hoyer mit Juniorchef Josef Kühnl zusammen mit acht Fachkräften, sechs Graslitzer Facharbeitern und zwei Lehrlingen.
Von »diffiziler Arbeit ohne Schablonen« ist zu lesen und davon, dass »Augen, Finger und das Gefühl für Stärke und Form Maßstab für das Ausschleifen, das Rillenbohren, das Gewindeeindrehen und den Zusammenbau« gewesen seien.
Schon zuvor waren die Altmeister Kühnl und Hoyer in der alten Heimat tätig: »Hoyer hat Périnetmaschinen gebaut, Adolf Kühnl hat die Instrumente gefertigt«, informiert Adele Kühnl, »in einer kleinen Werkstatt in der Nähe von Graslitz, die 1938 noch gebaut wurde, wie wir herausgefunden haben.« Nicht viel später wurde die Instrumentenfertigung stillgelegt und alles in Kriegsdienst gestellt.
Die Neufirmierung der aus dem Sudetenland vertriebenen Herren Kühnl und Hoyer in Markt Erlbach ist datiert auf den 25. Mai 1948. »Und als auch noch ein alter Elektromotor aufgetrieben wurde, konnte man mit der Arbeit beginnen«, so umschreibt ein Autor 1949 die Aufbruchsstimmung bei Kühnl & Hoyer und den Willen, Neues zu erschaffen.
Ausbau der Produktionspalette
Nachdem man sich zunächst auf die Reparatur von Instrumenten und die Herstellung von Périnet-Trompeten beschränkte, wuchs in den 50er Jahren die Produktionspalette. Am heutigen Firmenstandort in der Neuen Straße entstand 1952 ein Neubau, der aufgrund der starken Expansion bereits 1957 erweitert werden musste. Ab 1962 wurde der Betrieb von Adolf und Josef Kühnl alleine geführt. Der Name »Kühnl & Hoyer« war jedoch schon damals ein Begriff, sodass keine Umfirmierung stattfand.
Dass die Welt eine kleine gewesen sein muss, wenn man im Sudetenland aufwuchs, erwähnt Geschäftsführer Dieter Kühnl, als er sich einklinkt. Mit wem sein Vater Josef, der Sohn des Firmengründers Adolf, seinerzeit im Schulorchester musizierte? »Mit Ernst Mosch – 25er-Jahrgang, wie mein Vater«. Rund 60 Jahre später, 1990, übernimmt Dieter Kühnl das Geschäft von seinem Vater, als dieser verstarb.
Tradition und Moderne greifen Hand in Hand
Seit dieser Zeit hat sich vieles verändert. Stillstand bedeutet Rückschritt, oder wie Dieter Kühnl sagt: »Man muss investieren, sonst geht es irgendwann nicht mehr weiter!« Nach diesem Grundsatz wird bei Kühnl & Hoyer stets gehandelt – oder muss gehandelt werden, wenn neue Vorschriften oder Arbeitsabläufe es verlangen.
So wurde beispielsweise schon 1993 von der Metallteilreinigung mit dem giftigen Trichlorethen – in Fachkreisen kurz »Tri« genannt – auf umweltfreundliche wasserbasierte Reinigung umgestellt. Auch im Bereich der Fertigung wurde und wird immer wieder investiert. So werden seit 2003 CNC-Maschinen zur Teileproduktion eingesetzt. Auf diese Stelle im Haus sind die Kühnls besonders stolz, denn »als wir auf CNC umgestellt haben, mussten alle zu fertigenden Teile erst einmal für die Maschine programmiert werden«.
Wie eng Tradition und Moderne in der Instrumentenfertigung wirklich ineinandergreifen, verdeutlicht Folgendes: In einer Fertigungshalle wurde erst Ende Mai eine Maschine, eine Glühanlage, installiert, mit der Schallstücke zwischen den verschiedenen Arbeitsschritten »geglüht«, sprich weich und damit formbar gehalten werden.
Nur wenige Meter entfernt von dieser neuen Sonderanfertigung steht – neben vielen anderen alten Vorrichtungen – auch »die erste Drückbank der Firma Leifeld aus den frühen 60er Jahren«, wie der Chef im Vorbeigehen informiert. Dieses Schmuckstück steht beileibe nicht nur zur Zierde in der Werkstatt – vielmehr als funktionstüchtiger Fels in der Blechbrandung.
Die Branche wandelt sich
Dass früher mehr Betrieb im Betrieb herrschte, liegt schlussendlich an der Marktentwicklung, wie Adele Kühnl alten Unterlagen entnimmt: In den 60er Jahren erlebte man einen regelrechten Aufschwung. 1967 wurden rund 10 000 Instrumente gefertigt, in späteren Jahren verließen sogar bis zu 24 000 Stück die Werkstätten. So kam man in den 70er Jahren auf einen Mitarbeiterstand von rund 70 Beschäftigten.
Doch bald schon sollte sich die Branche wandeln, verschiedene Hersteller drängten auf den europäischen Instrumentenmarkt. In Markt Erlbach reagierte man darauf nach und nach mit der Spezialisierung auf Instrumente für Profis und ambitionierte Amateure – oder eben Kunden, denen das Prädikat »Handmade in Germany« mehr wert ist als die Ersparnis beim Kauf eines günstigen Fernost-Instruments.
Heute beschäftigen die Kühnls 25 Mitarbeiter, davon 14 Instrumentenbauer. »Und jeder, der bei uns ein Instrument baut«, betont Adele Kühnl, »ist auch gelernter Instrumentenbauer, hat alle Abteilungen des Instrumentenbaus durchlaufen – vom Rohr bis zum fertigen Horn.« Auch darauf, dass die meisten sogar hier ausgebildet wurden (»und die zwei, die in anderen Betrieben ausgebildet wurden, auch schon Jahrzehnte bei uns arbeiten«…), ist man stolz.
Übrigens: »Handmade in Germany« bezieht sich nicht nur auf den Zusammenbau der Einzelteile, sondern auch auf deren Herstellung, wie Adele Kühnl betont: »Das ist ja das, was viele nicht glauben – dass wir die Périnetmaschinen für unsere Trompeten oder unsere Posaunenzüge selbst herstellen…«
Die Arbeitsplätze, an denen besagte Périnetmaschinen zusammengesetzt und Posaunenzüge mit der Maschine nach eigenen Maßen und Vorgaben gezogen werden, liefern den Beweis.
Vertrauensvolle Zusammenarbeit mit Musikern
Einen wichtigen Beitrag zu verschiedenen Modellreihen liefern jedoch nicht zuletzt auch die Musiker, denen die Firma seit Jahren partnerschaftlich verbunden ist. Die Liste der Spitzenmusiker ist lang, die den Instrumentenbauern mit Ideen und Anregungen im Bereich der Weiterentwicklung zur Seite stehen:
Da sind zum Beispiel die Posaunisten Bart van Lier, Branimir Slokar, Benjamin Appel – oder gleich das ganze Posaunenregister der Big Band der Bundeswehr – die auf Kühnl & Hoyer zählen. Da sind die Bläser von »Philharmenka«, die die Instrumente mit dem goldenen Dreieck nicht nur im traditionellen Bereich, sondern beispielsweise auch an der Staatsphilharmonie Nürnberg erklingen lassen – ganz zu schweigen vom Baritonisten Engelbert Wörndle, der sein »open flow«-Bariton nicht mehr missen möchte.
Nun ist es so, dass bei der Endkontrolle grundsätzlich jedes Instrument angespielt wird. Einer jedoch lässt es sich nicht nehmen, die Trompeten seiner »Signature«-Serie auch selbst anzuspielen: Malte Burba. Der Trompeter, Musikwissenschaftler, -pädagoge und begehrte Workshopdozent fährt regelmäßig nach Markt Erlbach, wenn ein Schwung neuer Trompeten seiner »Malte Burba-Edition« gefertigt wurde. »Von Meisterhand geprüft«, sagt Adele Kühnl schmunzelnd und fügt an: »Alle Trompeten, die seinen Namen tragen, hat er auch persönlich angespielt. Das ist ihm ein Anliegen!
Ein anderer, dessen Name zwar keine »Signature«-Serie ziert, der sich jedoch maßgeblich bei der Entwicklung einer Erfolgsserie ein klingendes Denkmal gesetzt hat, ist Jürgen Zellner. Bis 2011 war er über 30 Jahre lang Posaunist im Philharmonischen Orchester in Nürnberg. Und fast genauso lang arbeitet er bereits in der Posaunenentwicklung mit Kühnl & Hoyer zusammen. »Die Posaunenserie ›Bolero‹ geht auf ihn zurück«, würdigt Adele Kühnl die Mitarbeit Zellners, »und als er 2000 im Orchester die Bassposaunenstelle übernommen hat, trieb er bei uns auch die Bassposaunenentwicklung voran!«
Doch was nützen die besten Einfälle für die Optimierung eines Instruments, wenn es nicht auch den Profi im handwerklichen Bereich gäbe. Und hier ist es Industriemeister Ingo Bauer, seit 40 Jahren federführend in der Entwicklung bei Kühnl & Hoyer, der die Anregungen von Musikern an der Werkbank umsetzt.
Preise und Auszeichnungen als Qualitätsmerkmal
Der Anspruch, nicht nur einen Qualitätsstandard halten zu wollen, sondern seine Produkte stetig zu verbessern, wurde erstmals 1991 mit dem Deutschen Musikinstrumentenpreis ausgezeichnet – noch fünf weitere Preise sollten bis heute folgen. »Jeder dieser Preise hat unseren Namen wieder ins Bewusstsein der Musiker gerückt«, sagt Adele Kühnl stolz, als sie zum Plakat aufblickt, auf dem alle Auszeichnungen verewigt sind.
»Ob das jeweilige Instrument natürlich für jeden Musiker das Beste ist, ist fraglich, aber: es ist ein grundsätzliches Qualitätsmerkmal.« Und dass bei den eingehenden Tests im Vorfeld der Vergabe nicht nur der beeinflussbare Faktor Mensch in Form der Juroren ausschlaggebend ist, bemerkt Dieter Kühnl: »Die Instrumente, die getestet werden, müssen natürlich die Fachjury handwerklich und musikalisch überzeugen. Jedoch durchlaufen die Anwärterinstrumente auch computergesteuerte Messsysteme.« Und gerade diese würden eine eindeutige Sprache sprechen, so der Firmenchef.
»Der Mensch. Das Mundstück. Das Instrument.«
Große Feierlichkeiten sind es nicht, die den Kühnls zum Jubiläum vorschweben. Stattdessen wird die Energie in anstehende Projekte gesteckt. Ein schmucker Ausstellungs- und Testraum wurde zum Beispiel eingerichtet. Hier sollen bald schon die ersten Töne erklingen, wenn man zu Workshops mit erstklassigen Musikern ins beschauliche Markt Erlbach einlädt.
Ansonsten wird bei Kühnl & Hoyer weiterhin mit Bedacht und viel Know-how von früher und heute an der optimalen Zusammenführung dreier Variablen gearbeitet, die Dieter Kühnl wie ein Mantra ausspricht, sie wiederholt und damit fast greifbar in den Raum stellt: »Der Mensch. Das Mundstück. Das Instrument. Darauf kommt es an!«