Orchestra | Von Renold Quade

„London Proms Overture“ von Francois Glorieux

Foto: Chris Christodoulou

Mit 15 Jahren besuchte der junge Belgier François Glorieux die Stadt London. Während dieser Reise ein Konzert der Reihe „London Proms“. Auch er war hellauf begeistert, gar tief beindruckt, von der besonderen Atmosphäre, die dieses Konzertformat – auch heutzutage noch – auf sein Publikum ausstrahlt. Und das nicht nur bei der berühmten „Last Night Of The Proms“. Viele Jahre später verarbeitete er seine lebendigen Erinnerungen in der Komposition „London Proms Overture„. 

So entstand, wenn man so will, auf musikalischem Wege eine belgische Wertschätzung britischer Konzertkultur. Sehr persönlich zudem noch mit einer Widmung an den Dirigenten Sir Henry Wood, dem Begründer dieser berühmten Londoner Konzertreihe. Anlässlich der „Last Night Of The Proms“ wird auch heute noch in jedem Jahr seine Büste in der Royal Albert Hall mit Lorbeer bekränzt.

Der Komponist 

Von François Glorieux, geboren 1932 in Kortrijk (Belgien), wird berichtet, dass er wohl an die 6000 Konzerte in rund 60 Länder für sich verbuchen kann. Als Pianist, Komponist Dirigent, Kommentator, Entertainer, Honorarprofessor für Kammermusik am Königlichen Musikkonservatorium Gent, Gastprofessor an der Yale University (USA) und Direktor der International Piano Master Class in Antwerpen ist er wahrlich auf der ganzen Welt herumgekommen. 

  • Die „London Proms Overture“ ist eine belgische Wertschätzung britischer Konzertkultur.
  • Das Werk hat mit rund vier Minuten eine überschaubare Länge und ist somit eine klassische Eröffnungsmusik. 
  • Mit 46 Orchesterstimmen schöpfen die Herausgeber aus dem Vollen.
  • Was für die Zuhörer spielerisch leicht daherkommen kann und soll, ist harte Arbeit für die Musiker. 
  • Aber die Mühen sind lohnend, denn das Werk klingt nicht von der Stange und setzt ganz eigene Akzente.

Er arbeitete mit der „Stan Kenton Big Band“, mit Michael Jackson, mit dem „Locke Brass Consort of London“. Mit dem BBC Radio Orchestra, der „New Tokyo Symphony“, dem „Kiev Chamber Orchestra“, dem „Mainzer Kammerorchester“, der Brassband des Zentralorchesters der Armee der Tschechischen Republik und vielen mehr. Seine Diskographie umfasst rund fünfzig CDs und LPs. 

Mehr als 300 Werke aus seiner Feder sind bekannt. Für Blasorchester komponierte er unter anderem eine Fantasie und ein Konzert für Eufonium, die Werke „Skizzen“ und „November“ mit der Posaune als Soloinstrument, oder auch die Märsche „Regis Glorieux“ und „De Gilde“. Im Jahr 2009 erschien die „London Proms Overture“ bei HAFABRA Music. Die Belgier Bart Watté (Klarinettist, Komponist und Dirigent) und Dieter Boffé (Trompeter und Dirigent) gaben dem aktuellen Arrangement den letzten Schliff.

Die Idee

Das Werk hat mit rund vier Minuten eine überschaubare Länge und ist somit eine klassische Eröffnungsmusik. Die Royal Albert Hall vor Augen, ein überall auf der Welt mögliches Konzert im Sinn, verbindet Glorieux hier wohl persönliche Erinnerungen mit dem Wunsch, einem nachfolgenden Konzertereignis eine stimmungsvolle, festliche und Erwartungen schürende Eröffnung zu geben.

Aufbau 

Im notierten 12/8-Takt, der gefühlt zunächst aber eher ein 4/4-Takt ist, beginnen solistische Pauken frech und vorantreibend über sechs Takte. Ab A erklingt, unisono in Trompeten und Posaune, die klar in Triolen gefühlte Eröffnungsfanfare. Akkordische Gegenschläge der Orchesterkollegen flankieren komplementär und mit vorantreibender Energie. Und das in der zweiten Hälfte der achttaktigen Fanfare etwas weniger streng als in der ersten. 

Den zweiten Aufgriff der Fanfare (B) prägt eine Solotrompete mit voller Unterstützung des Klarinettenregisters im unisono. In der Begleitung sind nun harmonisch ausgesetzte Achtelgruppen das Mittel der Wahl. Dynamik und vorantreibende Energie nehmen weiterhin nicht ab. Beide Teile präsentieren sich grundsätzlich in großer Orchesterbesetzung. Einzelne Gruppen wie zum Beispiel hohes Holz, Hörner oder Posaunen werden auch einmal klug für wenige Takte aus dem Rennen genommen und das Schlagwerk weiterhin lediglich auf die Pauken beschränkt wird.

Ab C wechselt das Werk nun in den 4/4-Takt und präsentiert einen neuen Gedanken, quasi einen ersten Mittelteil. Gestaltet wird er von Trompeten, Kornetten und Posaunen mit sparsamen Pauken. Sie zelebrieren in „Bigband-artiger Mehrstimmigkeit“ ein mitreißendes, Fanfaren-ähnliches „Riff“, welches alle Beteiligten in die oberen Gefilde ihres Ambitus führt. Dem schließt sich in D – melodisch und harmonisch milder im Charakter, aber durchaus auch spektakulär – ein unisono Hornsolo an, das weich in einen tiefen Holz-Satz eingebettet ist. Nach vier Takten übernehmen die Kornette von den Hörnern. Die Tonhöhen der Begleitung schrauben sich ein wenig nach oben, gewinnen rhythmisch ein wenig mehr an Unruhe und führen in E zurück zum etwas dichter instrumentierten Wiederaufgriff der „Riff-Idee“ von C.

Entspannung bahnt sich an

Etwa eine Minute dreißig sind nun vorbei, und es gab bislang keine Zeit zur Entspannung. Diese bahnt sich nun in F an. In neuer Tonart, leicht reduziert im Tempo und mit dezenter harmonischer Begleitung in Harfe und Stabspielen, präsentieren Soloklarinetten, Altsaxofone und Flügelhorn unisono eine neue melodische Idee in sanfter Altlage: Sie bemüht motivisch durchaus Substanzverwandtes, verbreitet aber eine neue lyrische, gar suchende Stimmung. In G wird dieser Gedanke weitergesponnen. Klarinetten und Flügelhorn fallen weg, Hörner und Tenorsaxofon nuancieren das Klangbild. Sie führen melodisch verspielt und motivisch mit zunehmend abschließendem Charakter in tiefere Lagen. In diesem Zusammenhang reduzieren sie außerdem alle zwei Takte die Dynamik.

Ein kurzes, überraschendes Fortissimo von zwei Schlägen sowie ein Takt „decrescendo“ in den Bässen schrecken ein wenig auf, ohne jedoch Härte zu verbreiten, und leiten in H über zur Reprise. 

Posaunen, Tenorsaxofone und Klarinetten bauen Schritt um Schritt harmonische Begleitung auf.

Wieder in der Ausgangstonart präsentieren die Fagotte leise die Eingangsfanfare auf ihre Art und Weise. Die Begleitung lässt ihnen genug Raum. Lediglich milde Posaunen, Tenorsaxofone und tiefe Klarinetten bauen Schritt um Schritt harmonische Begleitung auf. I erklingt im Mezzopiano und J nimmt im Mezzoforte langsam wieder Fahrt auf. Es brodelt und der Themenkopf erscheint nun, zweimal solistisch wahrnehmbar, in den Querflöten und Posaunen. K wirkt stauend. Das Blech bringt über vier Takte im Fortissimo triolische und synkopierende Motivik, die an Teil D erinnert. In L und M, bewusst im 12/8-Takt notiert, blüht dann die Reprise – analog zu A und B – vollends in neuer Instrumentierung auf. 

N ist dynamisch effektvoll zunächst im Mezzoforte zurückgenommen und leitet die Coda ein. Die bereits etablierten Motive purzeln auf engem Raum noch einmal aufblitzend durch das Orchester. Und zu Beginn des siebentaktigen Teils P melden sich zweitaktig auch noch einmal die Solopauken zurück. Danach klingt das Werk in wuchtigen Einzelschlägen im Tutti aus. 

Instrumentation

Mit rund 46 möglichen Orchesterstimmen schöpfen die Herausgeber aus dem Vollen. Die Abbildung der Musik mit allen in der Partitur vorgesehenen Färbungsmöglichkeiten eröffnet dem Werk sicherlich besondere Perspektiven. Die Option, beispielsweise drei Oboen-Stimmen, zehn Klarinettenstimmen oder auch sechs Stimmen der Trompetenfamilie (Kornett, Trompete, Flügelhorn) besetzen zu können, bietet üppige Gelegenheiten zu registrieren. Von der kompositorischen Substanz ist das sicherlich nicht immer zwingend notwendig, von den angebotenen Klangideen aber nachvollziehbar. 

Stabile technische und bläserische Fähigkeiten sind übrigens überall im Werk vonnöten. In der 1. Trompete in B ist beispielsweise auch einmal ein d3 notiert und die Stimmkollegen bewegen sich ebenfalls recht häufig in höheren Registern. Hinzu kommt die Tatsache, dass immer wieder kammermusikalische Passagen herausstechen, die die jeweiligen Instrumentengruppen abwechslungsreich präsentieren den Musikern und somit ihnen auch solistische Qualitäten abverlangen. 

Fazit

Einem Paukensolo folgen dynamische Fanfaren. Festliche wie auch jazzige Klänge prägen das Geschehen. In der Mitte steht ein eher kurzes lyrisches Intermezzo – die „London Proms Overture“ sprudelt energetisch los und gibt eine durchaus aufgeregte wie auch aufregende Eröffnungsmusik. 

Was für die Zuhörer spielerisch leicht daherkommen kann und soll, ist für die Musiker ohne Frage harte Arbeit. Wenn das Stück auch lediglich gut vier Minuten dauert, sind etliche Musiker im Orchester herausgefordert. Man muss in der Lage sein, auf kurzer Strecke überzeugend abzuliefern. Aber die Mühen lohnen sich, denn das Werk klingt nicht wie „von der Stange“ und setzt ganz eigene Akzente.