Brass | Von Klaus Härtel

Ludwig Güttler beendet seine aktive Laufbahn

Güttler
Foto: August Stark

Jetzt ist es amtlich: Ludwig Güttler ist Rentner. Natürlich, das Rentenalter hatte er ohnehin schon erreicht. Das aber war kein Kriterium für den Spitzentrompeter aus dem Erzgebirge. Nun hängt er seine Trompete aber tatsächlich an den Nagel. Das Konzert in der St. Bar­tholomäuskirche in Röhrsdorf bei Meißen am 29. Dezember wird sein Allerletztes gewesen sein. Als Vermächtnis ist kürzlich das Album “In allen meinen Taten” inklusive DVD bei Berlin Classics erschienen.

Im Juni wird er 80 Jahre alt. Oder jung. Denn schließlich merkt man Ludwig Güttler in keiner Weise an, dass er das Renteneintrittsalter längst überschritten hat. Es muss also doch etwas dran sein an der Weisheit, dass Musik jung hält. Ein Rezept? Nein, eigentlich nicht. Er sei über seine gesamte Karriere, die damals in der DDR so richtig Fahrt aufnahm, aber auch nach der Wiedervereinigung nicht an Geschwindigkeit verlor, “dem Trompetenspiel treu geblieben. Meine Rente habe ich einfach überspielt.” Er lacht. “Ich hatte schlichtweg keinen Grund, in Rente zu gehen.” Und noch genug Musik, die gespielt werden “musste”.

Aber jetzt ist Schluss als Profitrompeter. “Ich gehe in grenzenloser Dankbarkeit”, erklärt Ludwig Güttler. “Ich habe in den vergangenen Jahrzehnten alles darangesetzt, alles unternommen, dass es mit dem Musizieren so lange klappt. Aber eine Garantie gibt es dafür ja nicht”, weiß er. “Ich besitze nicht die Infantilität zu glauben, dass die Funktionen unbegrenzt sind. Und ja: Es war auch bisweilen Glück dabei.”

Die Trompete zum Glücklichsein

Heute weiß er, dass er die Trompete “nicht mehr zum Glücklichsein” braucht. Heute könne er aus dem Fenster schauen und erkennen, dass ich “dort an dem Baum noch einen Meisenkasten aufhängen muss”. Auch das ist für Güttler eine Form des Glücks. Und klar, früher sei ein glück­liches Leben ohne die Trompete kaum denkbar gewesen. Wobei er dies auf die Musik im Allgemeinen bezieht, indem er Friedrich Nietzsche zitiert: “Ohne Musik wäre das Leben ein Irrtum.” 

Güttler

Nun legt Güttler eine Box mit einer CD und einer DVD vor. Als Vermächtnis sozusagen, als Schlusschoral einer großen Diskografie. “In allen meinen Taten” heißt sie. So beginnt ein Kirchenlied von Paul Fleming, das durch Johann Sebastian Bachs gleichnamige Choralkantate überaus bekannt ist. Ludwig Güttler hat gemeinsam mit dem Organisten Friedrich Kircheis das Choralvorspiel im Frühsommer 2022 in der Frauenkirche Dresden aufgenommen. “Das ist ein Stück Bekenntnis, ein Stück Zuversicht, das ist – umgangssprachlich – nicht zu toppen.”

Auf dem neuen Tonträger, das war der große Wunsch von Ludwig Güttler, sollten alle Ensembles vorkommen, mit denen er musiziert hat. Leicht war das nicht, gibt er zu. Schließlich liegen mehr als 100 Tonträger mit ihm als Trompeter, als Bläser des Corno da caccia und Dirigenten vor. “Ich habe kürzlich mit einem Journalisten gesprochen, der gar sogar 212 Tonträger gesammelt, auf denen ich verewigt bin. Davon kannte ich selbst nicht alle!” Er lacht.

Aufnahmen der musikalischen Wegbegleiter

Auf dem neuen Tonträger sind Aufnahmen mit seinem langjährigen Musizierpartner Friedrich Kircheis, mit den von Güttler gegründeten Formationen “Leipziger Bach-Collegium”, “Virtuosi Saxoniae”, dem sowie “Blechbläserensemble Ludwig Güttler” versammelt sowie Produktionen mit Sopranistin Christiane Oelze, Tenor Peter Schreier, Bariton Andreas Scheibner, mit dem Rundfunkchor Leipzig, den Hallenser Madrigalisten, dem Thüringischen Akademischen Singkreis, dem Sächsischen Vocalensemble, Concentus Vocalis Wien. Der Blick reicht zurück bis in die 1970er-Jahre. Damals spielte Güttler als Solotrompeter der Dresdner Philharmonie und war so an den jährlichen Aufführungen des Weihnachtsoratoriums mit dem Dresdner Kreuzchor beteiligt.

Auf dem Tonträger versammelt Güttler vor allem Choräle – von Bach, Reger, Jacobi, Crüger und Co. Warum? “Sehr viele Komponisten haben es vermocht, diese Choräle ans Ende ihrer Werke zu setzen und scheinbar einfach darzustellen. Das hat mich viel beschäftigt, das hat mich fasziniert. Und diese Chroräle habe ich in meiner Weise interpretiert.” Güttler ergänzt: “Wenn etwa Bach ein so erlebnisreiches und theatralisches Werk wie das Weihnachtsoratorium mit einem Choral abschnittsweise und in summa beendet, dann verleiht es Letzterem eine ganz andere Würde und Wichtigkeit.” Güttler gibt aber zu bedenken: “Womöglich besteht die Gefahr, dass dies dennoch nicht so wahrgenommen wird, gerade wegen seiner Schlichtheit und Ruhe, die der Choral ausstrahlt.”

Eigentlich waren alles Highlights

Wer so viele Tonträger veröffentlicht hat, wer so viele Konzerte in aller Welt gegeben hat – gibt es trotzdem so etwas wie ein “Highlight der Karriere”? Ludwig Güttler überlegt tatsächlich lange. Und kommt am Ende doch zu keinem Ergebnis. “Das ist eine Aufgabe, an der ich scheitere”, gesteht er. Vermutlich, weil es wirklich so viele Erlebnisse gibt, vielleicht auch, weil er diese nicht in solchen Kategorien einordnet. Ein jedes Konzert ist dem Trompeter stets wichtig gewesen. 

Und doch gibt es eine Sache, die untrennbar mit dem Namen Ludwig Güttler verbunden ist: der Wiederaufbau der Dresdner Frauenkirche. Dass er darauf stolz sei, weist er zunächst von sich. “Dankbar ist das Wort, das besser passt”, findet er. Und doch gibt er zu, dass er damals eine gewisse Genugtuung verspürt habe, “es den Bedenkenträgern und Skeptikern gezeigt” zu haben. Das “Ätsch!” entfährt ihm auch 30 Jahre später noch und er freut sich wie ein kleiner Junge. Er gibt aber auch zu, dass er die damals vorherrschenden Bedenken schon auch nachvollziehen kann. 

Ludwig Güttler sammelte auch und vor allem mit der Musik einen Teil der benötigten Gelder. Eine der Ideen: Eine weihnachtliche Vesper am Vorabend von Heiligabend im Jahr 1993. Als der Trompeter dem damaligen Landesbischof Johannes Hempel seinen Plan von der musikalischen Spendensammelaktion für den Wiederaufbau am 23. Dezember erläuterte, war der zunächst skeptisch. “Da kommt doch keener …” Doch dann versammelten sich 1993 rund 50 000 Menschen vor der Ruine der Frauenkirche. Lange ist der Aufbau der Frauenkirche abgeschlossen, an der Beliebtheit der Vesper änderte das nichts. Die nun veröffentlichte DVD enthält übrigens das Festkonzert zur Einweihung der Frauenkirche Dresden vom 22. November 2005. 

Das Solo in “Penny Lane”?

Ein Werk, das der Trompeter Ludwig Güttler übrigens nicht eingespielt hat, war das Trompetensolo im Song “Penny Lane” von den Beatles. Noch immer hält sich das Gerücht hartnäckig unter vielen Fans. Statt Güttler war es jedoch der Engländer David Mason, der das Solo spielte (in Anlehnung an Bachs 2. Brandenburgisches Konzert). “Nein, das war ich nicht”, klärt Güttler auf. Um dann aber einzuwenden: “Ich hätte es gemacht!” Er lacht. 

Nun also der Ruhestand. Was sind seine Ziele? Dass Güttler seine Trompete tatsächlich an den Nagel hängt, scheint so gut wie ausgeschlossen. Das naheliegendste Ziel aber sei die Erholung, erzählt er. “Das ‘Muss’ fällt weg!” Im Februar gleich wird die Trompete wieder in Aktion sein: “Meine Nachbarin wird 100. Und natürlich spiele ich da ein Ständchen!” Und vielleicht werde er in Zukunft auch noch ein bisschen unterrichten. Er nimmt die Dinge, wie sie kommen.

Reisen wird er sicherlich. “Ich werde vor allem erst einmal Deutschland und Europa bereisen, meine nähere Umgebung zu meiner eigenen machen.” Denn während der Karriere sei natürlich viel am Rande geblieben. Der Fokus habe immer auf dem Konzert gelegen, nicht auf den Sehenswürdigkeiten der jeweiligen Konzertorte. “Ob ich das alles nachholen kann?” Ludwig Güttler lässt diese Frage im Raum stehen. Aber er hat sich auf jeden Fall viel vorgenommen.