Die „Ukrainian Rhapsody“ ist eines der ganz frühen Werke von Franco Cesarini. Und es dauerte 14 Jahre, bis die gedruckte Version schließlich erschien. Impulsgeber für das Werk war die Volksmusik der Ukraine.
Der Komponist
Geboren 1961 in Bellinzona, im Schweizer Kanton Tessin, begann Franco Cesarini seine musikalische Berufsausbildung am Konservatorium Giuseppe Verdi in Mailand, wo er zunächst Flöte und Klavier studierte. Später setzte er seine Studien am Baseler Konservatorium fort. Peter-Lucas Graf (Flöte), Robert Suter und Jaques Wildberger (Theorie und Komposition) sowie Felix Hauswirth (Blasorchesterleitung) zählen zu seinen Lehrern.
Seit 1998 ist er beständig Dirigent des Sinfonischen Blasorchesters »Civica filarmonica di Lugano« und seit 2011 auch aktiv beim „Blasorchester der italienischen Schweiz (Ofsi)“.
Als Komponist und Arrangeur ist er hauptsächlich in der Blasorchesterszene tätig. Sein Schaffen für Kammerensembles, für Solo-Instrumente, Gesang, Klavier, Streichquartett und Sinfonieorchester sollte dabei aber nicht unerwähnt bleiben.
Er engagierte sich in der WASBE, unterrichtet Blasorchesterdirektion, und Gastdirigate sowie Musikwettbewerbe führten ihn über die Schweiz hinaus in zahlreiche Länder Europas, Nord- und Südamerikas.
Die Idee zum Stück „Ukrainian Rhapsody“
Die „Ukrainian Rhapsody“ ist eines der ganz frühen Werke von Franco Cesarini. Die erste Version, die „Rhapsodia Ukraina“, stammt aus dem Jahre 1979 und wurde von der „Civica Filarmonica Bellinzona“ unter der „Direzione: Carlos Julio Pezzuto“ uraufgeführt. Eine zweite Fassung erstellte er im Jahre 1984. Die endgültig gedruckte Version entstand im Jahr 1993. Das Werk hat somit einen 14-jährigen Reifungsprozess durchlebt.
Die Verlagswelt macht, knapp zusammengefasst, wie folgt Appetit auf das Werk: „Die Ukraine ist ein Land, in dem folkloristische Musik zu allen Zeiten eine wichtige Rolle spielte. Sie erstreckt sich über eine enorme Fläche. Im Norden gibt es weitläufige Wälder, im Westen malerische Berge und Täler und in der Mitte und im Süden liegt die berühmte Steppe mit ihrem fruchtbaren schwarzen Boden.
Der Fluss Dnjepr teilt das Land in westliche und östliche Regionen, die jeweils ihre eigenen folkloristischen Traditionen haben. Diese Vielseitigkeit bildet die musikalische Basis dieses dreisätzigen Werks.“
Franco Cesarini ergänzt auf Nachfrage: „Ja, die Volksmusik der Ukraine war eindeutiger Impulsgeber. Das erste und das letzte Drittel zitieren originale Volksweisen, der ruhige Mittelteil ist rein von mir komponiert. Hier hatte ich, optisch und plakativ, zum einen die großen Felder und die einfache Landwirtschaft vor Augen.
Zum anderen aber auch, eng damit verbunden, emotional und stimmungsbestimmend, den Ausdruck von tiefer Melancholie bei entbehrungsreichem Leben im Sinn.“
Der Aufbau
Ein fanfarenartiger Ruf (Trompeten/Posaunen) eröffnet über vier Takte. Ihm folgt über weitere vier Takte eine sanfte Weiterführung im Holz und, beginnend mit der enggeführten Vorwegnahme des in A folgenden Kopfmotivs der ersten Volksweise, die Schlussphase der Einleitung.
A, B und C präsentieren nuancenreich in Tempo und Instrumentation eine erste muntere, tänzerische Volksweise. Charmant das Dialogisieren der Register. Dynamik und Artikulation tun ihr Übriges. Der „Tanz“ ist sofort nachvollziehbar.
Das eigentlich viertaktige Lied „The Young Girl Was Married Off“ – was so viel bedeutet wie: die junge Dame soll (aus wirtschaftlichen Gründen) recht früh verheiratet werden – nimmt ab D Raum ein. Nach eintaktiger Einleitung, lediglich einer kurzen rhythmischen Standortbestimmung, folgt eine agogisch geschickt über fünf Takte (mit Taktwechsel) angelegte erste Präsentation, gefolgt von einer vollkommen anders instrumentierten Wiederholung dieses Gedankens, nun über lediglich vier Takte.
E lässt das „Tanzmotiv“ von A wiederaufleben und lässt es ab F, charakterlich verändert, in neuem, eher melancholischem Licht erscheinen. Hier findet die Stimmung, die Cesarini ab G mit seiner Eigenkomposition im Adagio anstrebt, eindeutige Vorbereitung. Zum Beispiel der Einsatz von »Herdenglocken« in der Percussion unterstreicht diesen Eindruck, fußend auf Cesarinis bereits im Vorfeld angekündigter Intension.
Die zweite Hälfte von F reduziert sich melodisch auf ein kleines Motiv und führt das Werk „calmando“ in den langsamen Mittelteil. Der beginnt bei G mit Tonartwechsel. Nach kurzer zweitaktiger Einleitung folgt ein dorisch geprägter Zwischenteil, der nun endgültig das, bislang zumindest, als heiter zu bezeichnende Stimmungsbild spürbar verändert, gar intensiv eintrübt.
In H folgt dann das eigentliche Hauptthema in der Oboe (auch Englischhorn möglich) über acht Takte mit kurzem, aufhellendem Nachspiel und ab I kurzem aufhellendem Vorspiel, bevor sich die Hörner wieder des Themas annehmen. In L wird dann die dritte Wiederaufnahme im dichten Partiturbild (bei mäßiger Dynamik) deutlich, aber harmonisch sicher „depressivster“ Ausdeutung.
Die Fortführung ab M wirkt dann, unterstrichen von der dynamischen Steigerung, erlösend und hoffnungsstiftend, bevor dieser Teil dann ruhig und, wenn man so will, in Demut ausklingt.
N und O lassen dann aber schnell die Melancholie des Mittelteils vergessen. Fröhliche Triangelschläge und ein Trommelwirbel eröffnen ein „allegro“, welches zweimal, unterschiedlich instrumentiert, ein heiteres, zweiteiliges Lied präsentiert, das im ukrainischen Liederbuch mit „Il pastore“ (Der Hirte) bezeichnet wird.
Dem schließt sich, nicht minder heiter, ein weiteres Lied, „La rana e la cavalletta“ (Der Frosch und die Heuschrecke), in P an. Im Original ist dies ein Dreiertakt, der aber hier im Zweiertakt aufgearbeitet auch seine Wirkung entfalten kann.
Q bremst mit „meno mosso“ und Wiederaufnahme von „Il pastore“ das Geschehen noch einmal ein. Ein „Zwischenatmen“, bevor es dann ab S (allegro) in die eigentlich finalen Runden des Werks geht. Ein munterer Mix aus „Il pastore“ und „La rana e la cavalleta“ bestimmt die noch ausstehenden rund 80 Takte.
Wenn auch die Idee des tänzerischen Gopaks klar dominiert und das Tempo sich grundsätzlich immer wieder leicht steigert, ist noch ein wenig Geduld und Raffinesse gefragt. Abwechslungsreich gesteuert durch Motivik, Dynamik und Wiederholung, dauert es noch ein wenig, bevor das Werk dann schließlich recht furios und eindeutig ausklingt.
Die Instrumentierung
Die „Ukrainian Rhapsody“ ist im Level 4, also in der anspruchsvollen Mittelstufe bzw. Oberstufe, angesiedelt und gehört da auch hin. Jedes Register kommt zu seinem Recht und hat durchweg reizvolle Aufgaben.
Die Darstellung der folkloristischen Melodien ist jederzeit gut durchdacht, immer wieder „anders“ und somit immer wieder interessant. Bis hin zu Kurzeinsätzen, zum Beispiel von Dämpfern für die Trompeten und die Posaunen oder etwa Tremoli in den Hölzern oder Stopftechniken in den Hörnern, zieht Cesarini etliche Register, die Instrumente vielfarbig einzusetzen.
Fazit
Das Werk ist aus meiner Sicht raffiniert und durchdacht komponiert. Die Darstellung der folkloristischen Melodien ist immer wieder abwechslungsreich und die Kraft der Instrumentation hat in dieser Komposition ein gewichtiges Pfund.
Der lange „Reifungsprozess“ hat sich sicher gelohnt. Es gelingt, neben den tänzerischen Anteilen, die in der Regel eher leichter abzubilden sind, auch die „melancholischen“ Anteile, die hier einen großen Raum haben, nachvollziehbar anzubieten.
Melancholie ohne „Spannungsabfall“ darstellen zu wollen ist sicher keine leichte Aufgabe. Bewusst langsame Teile und auch minimale Temponuancen bedürfen immer einer durchweg präsenten Grundspannung und großer bläserischer Intensität.
Kluge Steuerungsvorschläge bieten stets fließende Umsetzung an. Und auch im scheinbar trüben Herbst blinzelt immer wieder noch einmal die Sonne durch.
In der angehängten PDF-Datei finden Sie praktische Hinweise zum Stück (nicht nur) für Dirigenten: