Am Weltfrauentag treffen wir die Trompeterin Matilda Llyod in München. Trompete spielende Frauen sind heute beileibe nichts ungewöhnliches mehr, Stars wie Alison Balsom oder Tine Thing Helseth haben da Wege geebnet. Trotzdem erwähnt die Engländerin, dass es ihr sehr wichtig war, dass auf ihrem kommenden Album „Casta Diva“ (Label: Chandos) auch eine Komponistin Gehör findet: Pauline Viardot, führende französische Mezzosopranistin und Komponistin des 19. Jahrhunderts.
„Casta Diva“ heißt das Album, titelgebendes Stück ist natürlich die bekannte Arie aus Bellinis Oper „Norma“. Und doch fragen wir die Musikerin: Ist die Trompete eine Diva, weil sie – das weiß das Lexikon – durch „exzentrische Allüren und Launenhaftigkeit auffällt“? Matilda Lloyd lacht und zuckt mit den Schultern. „Vielleicht …?“, antwortet sie fragend. „Vielleicht müssen aber auch die Frauen, die Trompete spielen, ein bisschen divenhaft sein? Sie müssen stark sein, selbstbewusst, Ausstrahlung haben …“
Eigenschaften, die auf Matilda Lloyd zutreffen, sobald sie die Bühne betritt. Abseits der Bühne hat die Engländerin so gar nichts divenhaftes. Im negativen Sinne schon mal erst recht nicht. Die englische Times nannte sie einst „eloquent“. Im Gespräch wirkt sie zunächst fast schüchtern. Was aber auch daran liegen mag, dass sie ihr erstes Interview auf Deutsch gab, wie sie danach via Instagram jubelte. Und sie spricht ein ausgezeichnetes Deutsch, wenngleich sie es selbst natürlich für nicht besonders gut hält – typisches englisches Understatement eben. Nur, wenn sie emotional wird, euphorisch, fällt sie beinahe automatisch ins Englische.
Emotional ist sie beim Thema Musik definitiv. Erst recht bei ihrer neuen CD. Ausgangspunkt für das Album waren die technischen Norma-Variationen von Jean-Baptiste Arban (Trompeter wissen, wer Arban war …). Und von „Casta Diva“ ausgehend stöberte Matilda Lloyd durch zahlreiche weitere Arien. „Viele Leute denken bei Trompete an laute und militärische Fanfaren. Ich will zeigen, dass sie aber auch lyrisch sein kann und der menschliche Stimme sehr nahekommt. Deshalb die Arien.“ Auf dem Album sind bekannte Arien von Rossini, Donizetti, Bellini versammelt, aber auch unbekanntere von Mercadante oder Luigi Ricci. „Die Arien sind melodisch, lyrisch, dramatisch, traurig.“ Um den Klang der verschiedenen Stimmen zu transportieren, spielt Matilda Lloyd auf der CD verschiedene Instrumente, verschiedene Trompeten sowie das Flügelhorn. Begleitet wird sie von Britten Sinfonia unter dem Dirigat von Rumon Gamba.
„Ich liebe es, im Rampenlicht zu stehen!“
Im Rampenlicht steht meistens die Trompeterin, die schon vor fast zehn Jahren die Auszeichnung „BBC Young Musician of the Year“ erhielt und ihr BBC Proms-Solo-Debüt 2016 mit dem BBC Philharmonic Orchestra gab. Solist sein zu wollen, dürfte auch eine Typfrage sein. Wann hat sie gemerkt, dass sie Solistin sein möchte? „Ich mag es, mich zu präsentieren. Ich spreche gerne mit dem Publikum über die Musik. Aber das sollte keine Einbahnstraße sein, ich mag das Feedback und die Verbindung mit dem Publikum.“ Wenn man im Orchester sitze, sei das nicht so gut möglich. Um aber keine Missverständnisse aufkommen zu lassen, schwärmt sie fast gleichzeitig auch von der großartigen Orchestermusik, die sie schon gespielt hat. „Ich habe, als ich 17 oder 18 war, mit dem National Youth Orchestra ›Mahler 5‹ im Barbican Centre in London gespielt. Es war fantastisch, ich habe es geliebt!“
Auch durch die vielen Wettbewerbe, die Matilda Lloyd gespielt und gewonnen hat, „habe ich gemerkt, wie sehr ich diese Art der Musik liebe. Ich habe es genossen, meine eigene künstlerische Stimme einzubringen. Ich will meine eigenen Emotionen demonstrieren und teilen.“ Sie schwärmt. Es sei nie Ziel gewesen, einen Wettbewerb zu gewinnen. Planen könne man das ohnehin nur sehr schwer. „Für mich ist die Herausforderung der Prozess der Vorbereitung. Ich will mein Trompetenspiel auf ein höheres Level bringen. Und ich habe die Möglichkeit, so viel neues Repertoire kennenzulernen! Für mich ist ein Konzert weit weniger stressig als ein Wettbewerb.“ Sie klingt begeistert, wechselt in ihre Muttersprache: „You have to push yourself out of the comfort zone.“

Ob sie ehrgeizig ist? „Was heißt das?“, will sie wissen. „Ambitious? Das bin ich schon, ja.“ Perfekt sein zu wollen, könne sich aber auch negativ auswirken. „Aber in die Richtung muss es schon gehen. Es sollte dein Ziel sein, heute besser zu sein, als du gestern warst!“ Sie lacht.
Lampenfieber? Kennt Matilda Lloyd gut. „Ich denke, jede Musikerin, jeder Musiker hat es in unterschiedlicher Ausprägung. Bei mir hängt das auch von der Situation und dem Ort ab. Live-Radio beispielsweise ist immer ein bisschen stressig für mich. Da habe ich mehr Angst.“ Paradoxerweise also in einer Situation, in der sie das Publikum nicht sieht. „Schon wenn ich auf die Bühne gehe, hilft mir der Blick ins Publikum. Ich mag es, die Zuschauer zu sehen, in nonverbale Kommunikation zu treten.“ Und allerspätestens, wenn die ersten Passagen der Musik erklungen sind, ist sowieso alles gut.
Wichtig sei für sie, ihren Körper dementsprechend auf aufsteigende Auftrittsangst vorzubereiten. „Man muss auf den Körper hören, eine Strategie finden, das Lampenfieber zu bekämpfen. Ich muss beim Konzert meine Haare hochstecken, damit mein Nacken nicht schwitzig wird. Mir ist immer heiß auf der Bühne – die Lichter verstärken das noch. Als ich jünger war, hatte ich oft zittrige Beine. Stilettos gingen also gar nicht.“ Matilda Lloyd lacht. Vor dem Auftritt gehe sie meist im Gang auf und ab, versuche so, zur Ruhe zu kommen. „Ich habe so meine Rituale.“
Aufgewachsen ist Matilda Lloyd im Südosten Englands, in der Grafschaft Kent. Hier hat sie im Alter von acht Jahren die alte Trompete ihres Vaters im Kleiderschrank gefunden – und ihr auf Anhieb einen Ton entlockt. Es war also Zufall – oder Schicksal – dass das Mädchen zu Trompete kam. Seitdem ist die Trompete ihr Lebensmittelpunkt. Sie besuchte zunächst das Junior Conservatoire, studierte erst in Cambridge, dann in London. Mit den aus Englands Norden stammenden Brassbands ist sie übrigens erst später in Berührung gekommen, als sie als Solistin Bearbeitungen von Haydn, Hummel und Arutjunjan spielte.
Matilda Lloyd liebt diese Klassiker. Diese zu spielen sei in gewisser Weise auch ein „coming home“, hier fühlt sie sich wohl. „Und ich spiele sie jedes Mal anders. Man kann so viel damit machen! Sie werden nie langweilig – deshalb sind es ja Klassiker!“
„Ich will die Möglichkeiten der Trompete demonstrieren!“
Die Musikerin hat aber auch den leidenschaftlichen Wunsch, die Möglichkeiten ihres Instruments zu demonstrieren und arbeitet regelmäßig mit Komponisten und Musikern zusammen. Ihr Repertoire reicht von Haydn bis Tomasi, von Bach bis Ligeti. Sie engagiert sich für die Erweiterung des Trompetenrepertoires und hat mehrere neue Werke uraufgeführt, darunter etwa John Woolrichs „Hark! the echoing air“ (2021) oder Alissa Firsovas „Stages“ (2022). Der junge Brite Robin Haigh schreibt ihr gerade ein Trompetenkonzert, das in der Saison 2024/25 uraufgeführt werden soll. „Ich liebe es, mit den Komponisten zusammenarbeiten, denn ich komponiere selbst nicht“, erklärt Matilda Lloyd.

Diese Werke dann aber auch wirklich zu etablieren, sei nicht ganz einfach, gibt sie zu. Premieren zu organisieren funktioniere meist ganz gut, weil diese Werke für alle erst einmal „exciting and new“ seien. Aber danach wird’s dann schwer. Nicht nur deshalb lebt sie heute in München, nicht nur, weil Musik und Kultur in Deutschland mehr geschätzt seien. Matilda Lloyds Freund ist Deutscher, in Cambridge hatte der Economics studiert. Der Brexit ließ damals die Entscheidung reifen, aus Großbritannien wegzugehen. Matilda Lloyd spricht den Brexit mit deutlicher Abneigung aus.
Als Musikerin liebt sie das internationale Flair und das Reisen. Sie spielt überall. Demnächst tritt ihr Freund eine Stelle in Berlin an, sie wird mitgehen – ihrer musikalischen Karriere wird das selbstredend keinen Abbruch bedeuten. Die Engländerin macht allerdings keinen Hehl daraus, so schnell wie möglich nach München zurückzuwollen. Sie liebt die bayerische Landeshauptstadt. „München ist wie Kensington – während Berlin etwas von Shoreditch hat …2 Sie lächelt, doch wie man diesen Vergleich wertet, überlässt sie jedem selbst.
Sie liebt München und die Umgebung. Sie mag es, in der Natur zu sein: am Starnberger See, am Tegernsee. Matilda Lloyd wandert in den Bergen und fährt gerne Ski. Sie schwimmt und fährt mit dem Kajak. „Als Musiker sitzt man viel in geschlossenen Räumen, deshalb tun viel Bewegung und frische Luft ja so gut!“ In der Natur kann die Trompeterin abschalten. Wobei: „Ich habe immer Musik in meinem Kopf. Ich höre Popmusik, Folkmusic aus Schottland und Irland und Jazz. In meinem Kopf ist ein Radio.“
Matilda Lloyd
Als Absolventin des Trinity College in Cambridge und der Royal Academy of Music in London studierte Matilda Lloyd auch bei Håkan Hardenberger an der Malmö Academy of Music. 2014 gewann Matilda das Brass-Finale „BBC Young Musician of the Year“ und gab zwei Jahre später ihr Solodebüt bei den BBC Proms mit dem BBC Philharmonic Orchestra. Matilda Lloyd hat viele Preise bei internationalen Wettbewerben gewonnen, etwa 2017 den ersten Preis beim Eric Aubier-Wettbewerb in Rouen, Frankreich. Matilda Lloyd spielt Yamaha. Am 27. April präsentiert sie in Wigmore Hall in London ihr aktuelles Album „Casta Diva“.
www.matildalloyd.com
Instagram: @matildalloydtrumpet
