In den vergangenen 16 Monaten ist im Musikleben des Matthias Anton eine ganze Menge passiert. Obwohl coronabedingt in Wirklichkeit nichts passiert ist. Paradox? Schon. Aber der 42-jährige Saxofonist wurde in dieser Zeit zunächst Leiter der Bosch Big Band (2020) und schließlich Professor für Saxofon und Bigband-Leitung in Trossingen (2021).
Die Auftrittssituation stellte sich Matthias Anton genau so dar wie allen anderen Musikerinnen und Musikern auch. „Die Auftragsbücher sind mehr oder weniger leer. Ich habe Anfang 2020 noch ein paar Konzerte gespielt und dann wurde alles abgesagt.“ Das letzte Konzert auf seiner Website datiert vom 2. Februar 2020. Bigband-Leiter wurde er kurz davor. Und natürlich „habe ich mich sehr gefreut!“. Schon die ersten Proben ließen erahnen, dass hier eine „Bigband voller toller Mitspielerinnen und Mitspieler“ existiert. Doch dann kam der Lockdown.
Den Kopf in den Stand zu stecken, sei keine Option gewesen, führt Matthias Anton aus. „Was tun wir denn jetzt?“ Es gab nur eine Möglichkeit: digital weitermachen. Zwei Musiker nahmen sich der technischen Herausforderung an, tüftelten, probierten aus. Schließlich landete man bei „Jamulus“, der vernetzten Open-Source-Musik-Performance-Software. Zunächst startete man mit einer kleineren Gruppe. „Seit über einem Jahr machen wir jede Woche am Mittwochabend mit bis zu 18 Leuten über diese Software eine Bigband-Probe!“ Matthias Anton kann seinen Stolz nicht ganz verhehlen. Natürlich sei das nicht das Gleiche, wie wenn man nach Stuttgart fahren würde, wo man alle sehen und diese Kraft und Energie der Menschen und dieser Band fühlen würde. „Aber es ist so viel besser als nichts zu machen!“
Das Digitale wird bleiben
Heute ist Matthias Anton schon ein Fan dieser digitalen und technischen Errungenschaften. Natürlich steht er lieber „in echt“ auf der Bühne und vor der Band – doch die positiven Aspekte wiegen schwer. Man müsse allerdings einige Dinge beachten, Dinge, „die nicht verhandelbar sind. Man braucht unbedingt eine LAN-Verbindung, weil WLAN nicht stabil genug ist. Zudem sollte entweder ein USB-Mikrofon oder ein Interface mit einem Mikrofon zur Verfügung stehen, und man sollte Kopfhörer haben.“ Das seien – in Kurzform – die Must-haves.
Es gebe „zig Hersteller, die dieses und jenes anbieten, und da soll auch jeder das benutzen, was er gerne möchte. Aber wenn ich in meinem Wohnzimmer sitze, über WLAN mit dem Tablet verbunden bin und über das Tablet-Mikrofon Tuba oder Piccoloflöte spiele… Nein! Niemals!“ Matthias Anton lacht. Am Anfang brauche man ein bisschen Zeit und dürfe nicht die Motivation und den Mut verlieren, wenn es nicht sofort klappe. „Doch wir proben mittlerweile auch ‚La Fiesta‘ im Arrangement von Peter Herbolzheimer. Ich hätte niemals gedacht, dass das möglich ist.“
Eine Online-Probe ist immer nur Ersatz für die echte Probe
Trotz allen digitalen Enthusiasmus ist eine Online-Probe immer nur ein Ersatz für die echte Probe, für die echten Konzerte. Das weiß auch Matthias Anton. Und deshalb stellt sich die Frage: Wird es nicht mit jeder digitalen Probe schwieriger, die Leute bei Laune zu halten? Vor allem bei der enormen Dauer des Lockdowns? „Interessanterweise überhaupt nicht.“ Der Bigband-Leiter scheint sich selbst ein wenig zu wundern. „Es macht uns wirklich jeden Mittwoch Spaß.“ Deshalb wird er die Online-Probe als Joker, als Backup definitiv beibehalten.
„Stell dir vor, es kommt ein extremer Wintereinbruch! Bevor jetzt die ganze Bigband im wahrsten Sinne des Wortes aufs Glatteis geführt wird, könnte man ganz entspannt sagen: Das Risiko ist zu groß, wir machen heute mal wieder eine Jamulus-Probe!“ Natürlich nerve das mittlerweile, den ganzen Tag vor dem Bildschirm zu hocken. „Aber manchmal denke ich auch: ‚Um Gottes willen, was sind wir da mit dem Auto herumgefahren! Das kann man doch wunderbar online regeln.‘ Ich habe da noch keine Zoom-Fatigue:“
Zoom und andere Online-Konferenz-Tools begleiten Matthias Anton derzeit auch in seiner neuen Funktion als Professor für Saxofon und Big-Band-Leitung in Trossingen. „Ich konnte meine Saxofon-Klasse relativ schnell davon überzeugen, dass ‚digital‘ auch wunderbar geht.“ Und er freut sich, dass seit diesem Semester durch Auflagen und ein sehr strenges Hygienekonzept bis zu einer gewissen Gruppengröße auch wieder Präsenzunterricht möglich ist. „Ich habe eine Plexiglaswand in meinem Unterrichtsraum und selbstverständlich wird nicht mal eben das Instrument gewechselt.“ Den Online-Unterricht wird Anton als Option auf jeden Fall beibehalten – wie als Leader der Bosch Big Band eben auch.
Vielseitigkeit als Professor
Vor 2021 war der 42-Jährige schon Honorar-Professor und ist nun sozusagen den nächsten Schritt auf der Karriereleiter geklettert. „Ich habe mich beworben wie vermutlich einige andere auch. Und ich freue mich, das Glück gehabt zu haben, überzeugen zu können.“ Nun ist er nach vielen Jahren „im eigenen Haus“ ordentlicher Professor, nachdem er bereits seit 2005 Dozent war. Viel geändert habe sich bis dato eigentlich nicht, lacht er. Das Anstellungsverhältnis sei ein anderes. Matthias Anton unterrichtet weiterhin in den unterschiedlichsten Studienbereichen und Studiengängen. Er ist im Bereich Schulmusik ebenso tätig wie im Bachelor- und Masterstudiengang „klassisches Saxofon“.
Diese Vielseitigkeit schlägt sich nicht nur in der Lehre nieder, sondern auch in der Person Matthias Anton. Der Saxofonist ist nur schwer in eine Schublade zu stecken. Das klassische Saxofon liebt er genauso wie die Avantgarde, den Pop oder den „straighten“ Jazz. Diese Vielseitigkeit kommt letztlich auch den Studierenden zugute – ohne dass Matthias Anton ihnen diese ebenfalls „aufdrängen“ will. „Wenn ich mich als künstlerisch-pädagogisch wirkenden Musiker sehe, der einen Teil seines Seins in der Lehre sieht, dann ist es sicherlich von großem Vorteil, breiter aufgestellt zu sein. Wenn ich eine Karriere als Pop- oder Jazz-Player oder als klassischer Virtuose anstrebe, ist es vielleicht nicht so gut, sich zu breit aufzustellen.“ In Trossingen sei beides möglich, betont er.
Matthias Anton will endlich mal die Antrittskonzerte spielen!
Matthias Anton brennt darauf, endlich wieder „richtig“ loslegen zu dürfen. Zwei Ereignisse sind bis heute immer noch nicht über die Bühne gegangen: „Ich würde gerne bald einmal mein Debüt-Konzert als Bandleader der Bosch Big Band geben. Und ich freue mich auch auf das Antrittskonzert an der Hochschule.“ Und auch darüber hinaus gibt einige Projekte, die seit über einem Jahr in der Schublade liegen.
Auch nicht unwichtig dabei: „Ich vermisse die Menschen. Ich will Menschen treffen und für Menschen Musik machen. Mir fehlt auch die Atmosphäre einer anderen Stadt, eines Clubs oder eines Konzertsaals.“ Die Sehnsucht ist groß, gibt der Musiker zu. Diese Sehnsucht betreffe ja nicht nur Musikerinnen und Musiker. Alle Menschen, die in Konzerte gehen, in Museen, ins Theater, ins Kino, sehnen sich danach. Matthias Anton ist optimistisch. „Das Live-Erlebnis wird wieder wichtig sein in Zukunft. Vielleicht gibt es ja hier eine kleine Renaissance!“