Brass, Orchestra, Wood | Von Doris Angerer und Peter Laib

Mentalcoaching: “Erste Hilfe” bei Anspannung

Erste Hilfe
Foto: adexo_medical auf Pixabay

Mentales Training ist heute auch für Musikerinnen und Musiker ein großes Thema. Die Mentalcoaches Doris Angerer und Peter Laib zeigen praktische Techniken auf, mit denen schwierige Situationen im musikalischen Alltag bewältigt werden können. In diesem Beitrag geht es um “Erste Hilfe” bei Anspannung.

Leo (29) an Doris und Peter: 

“Ich bin grundsätzlich ein Mensch, der eher angespannt als locker ist. Gehe ich auf die Bühne, dann wird dieses angespannt sein sehr schnell viel mehr. Lockerlassen und das Spielen genießen geht dann nicht, ich mache Fehler. Gibt es eine Art ‘Erste Hilfe’-Übung für solche Situationen?”

Lieber Leo, 

wenn du erkannt hast, dass du ein Mensch bist, der eher angespannt ist, dann hast du einen ersten wichtigen Schritt schon gemacht, um das Problem langfristig anzugehen. Wir möchten dir Mut machen, diesbezüglich am Ball zu bleiben und dir Unterstützung zu suchen. Mit diesem Thema bist du definitiv nicht allein. Wir Menschen sind unterschiedlich, der eine hat eine höhere Grundanspannung, der andere weniger.

Gleichzeitig möchten wir auch anmerken, dass ein gewisses Maß an Anspannung nötig ist, um Leistung am Punkt bringen zu können und sie auch als Hinweis dafür gesehen werden kann, dass uns etwas besonders wichtig ist.

Nun allerdings zu deiner Frage nach einer “Erste Hilfe”-Übung. Die können wir mit einem klaren »Ja« beantworten.

Wie kommt Anspannung zustande?

Wenn wir von Anspannung reden, sprechen wir in erster Linie über das vegetative Nervensystem eines Menschen. Es besteht aus dem sympathischen und dem parasympathischen Nervensystem. Während das sympathische Nervensystem, auch Sympathikus genannt, für jene Körperfunktionen zuständig ist, die den Körper in Leistungsbereitschaft versetzen (z. B. erhöhte Herzfrequenz, erweiterte Blutgefäße, erweiterte Bronchien, erweiterte Pupillen), sorgt der Parasympathikus für entgegengesetzte Körperfunktionen (z. B. niedrige Herzfrequenz, enge Pupillen, verengte Bronchien). Das parasympathische Nervensystem ist für die Regeneration des Organismus zuständig, für den Aufbau von Energiereserven und für die Herstellung des inneren Gleichgewichts.

Ist die Grundanspannung zu hoch, dann kommen die parasympathischen Nervenaktivitäten zu kurz, das bedeutet, der Körper hat zu wenig Zeit, um zu regenerieren. Das hat verschiedenste, insbesondere auch emotionale Folgen. Beispielsweise wird die Angst- und Sorgenschwelle schneller überschritten, was Sorgen und Angstgefühle fördert. Diese wiederum sorgen für eine erhöhte Alarmbereitschaft des Körpers, was den Sympathikus aktiviert, wodurch selbstverständlich die parasympathischen Nervenaktivitäten zu kurz kommen. So entsteht ein destruktiver Kreislauf, der Körper ist nicht in Balance.

Was beeinflusst Anspannung?

Es gibt viele Faktoren, die Auswirkungen auf unsere Anspannung haben. Einer, der häufig in Zusammenhang mit Anspannung genannt wird, ist die Zeit bzw. eher der Umgang mit der Zeit. Jeder von uns hat nur begrenzt Zeit zur Verfügung und damit einher geht die Frage, wie damit gut umgegangen werden kann.

Ein weiterer bedeutender Faktor ist das Vorhandensein von Ressourcen. Sind wir uns unserer inneren Potenziale bewusst, stehen sie uns gerade zur Verfügung und können wir mit ihrer Hilfe unsere (An-)Spannung regulieren?

Am Naheliegendsten ist wohl der Faktor Entspannung. Wie sehr beschäftigen wir uns in unserem Leben mit Entspannung, Regeration? Damit untrennbar verbunden ist die Atmung.

Zum einen wird sie vom vegetativen Nervensystem gesteuert und funktioniert ganz automatisch, wenn wir nicht daran denken. Zum anderen können wir sie, als einzige Körperfunktion des vegetativen Nervensystems, bewusst steuern, wenn wir wollen.

Wie kann “Erste Hilfe” aussehen?

Der Schlüssel zur Reduzierung des Anspannungsgefühls liegt im bewussten achtsamen Atmen.

Ein Team von WissenschaftlerInnen der Universitäten Stanford und California beschreiben eine enge Verbindung zwischen Atmungsneuronen und der Hirnregion, die für Erregung (Anspannung) zuständig ist.

Ziel ist es somit, sich am ruhigen Atemmuster zu orientieren, welches aus 3 Phasen besteht: Einatmen, Ausatmen und Atempause. Das Ausatmen und die darauffolgende Pause tragen bereits das Loslassen der Muskulatur physisch in sich. Somit braucht es für einen Spannungs­abbau eine Atemfrequenz, in der die Ausatem­phase länger ist als die Einatemphase.

Praktische Anleitung: Dein “Mental Dope” für diese Situation

Wenn du körperliche oder emotionale Anspannung verspürst, dann…

  1. Mach einen kraftvollen Seufzer! Damit kannst du dich körperlich etwas abreagieren und das bei Anspannung vorhandene Adrenalin abbauen.
  2. Schließ deine Augen! Das unterstützt dich dabei, deine Aufmerksamkeit auf dich und deine Atmung zu lenken.
  3. Befolge die Regel “4711”! Setz oder leg dich bequem hin, atme 4 Sekunden ein und 7 Sekunden aus und wiederhole das 11 Mal.

Integriere diese Mentaltechnik in deinen Alltag!

Nimm dir täglich ein paar Minuten Zeit und beschäftige dich mit deiner Atmung. In einem ersten Schritt beobachte sie nur und nimm wahr, wie sich dein Körper dabei “verhält” (Brustkorb und Bauchdecke heben und senken sich). In einem weiteren Schritt kannst du die “4711” Regel anwenden und beobachten, was das mit dir macht. Werde dir der natürlichen Verbindung von Atmung und (An-)Spannung bewusst, damit du sie in schwierigen und stressigen Situationen zu deinem Vorteil nutzen kannst.

Die Autoren 

Doris Angerer arbeitet als Psychologin (MSc.) im FrauenTherapieZentrum München. Als selbstständiger Mentalcoach hat sie sich auf Sorgen und Ängste von Peak-Performern spezialisiert.

Peter Laib, Mentalcoach (MSc.) für Musikerinnen und Musiker, Diplom-Musiklehrer, Sousafonist bei “Moop Mama” und Tubist bei “Ernst Hutter & Die Egerländer Musikanten – Das Original”.

Bist auch du in einer Situation, in der “Mental Dope” von großem Vorteil wäre? Dann schreib uns eine E-Mail an mentaldope@brawoo.de

(Fotos: Hagen Schnauss, Felix Steiner)