Was mache ich, wenn vorher alles »gut« war und mich beim Auftritt selbst die Nervosität erwischt und blockiert? An unserem Mentaltraining-Stammtisch sitzen die Experten Mona Köppen, Peter Laib und Leonhard Königseder, die mit ihrem Wissen und ihrer Erfahrung wertvolle Einblicke geben werden und aus unterschiedlichen Winkeln auf die Materie schauen. Seien Sie dabei, wenn wir in die faszinierende Welt des Mentaltraining eintauchen und praxisnahe Tipps und Techniken vorstellen, die helfen, das volle Potenzial zu entfalten. In jeder Ausgabe wollen wir eine drängende Frage erörtern, zur Diskussion stellen, Tacheles reden – und zwar ganz ohne Stammtischparolen.
Was mache ich, wenn vorher alles gut war und mich beim Auftritt selbst die Nervosität erwischt und blockiert?
Peter Laib
Kurz gesagt: Um die Kontrolle schnell wieder zurückzugewinnen – Atmen!
Nervosität entsteht durch eine erhöhte Aktivierung des sympathischen Nervensystems, das den Körper in Alarmbereitschaft versetzt: Der Puls steigt, die Atmung wird flach und die Muskeln spannen sich an. Zu viel davon kann blockierend wirken. Der Parasympathikus, der Gegenspieler des Sympathikus, sorgt normalerweise für Entspannung. Kommt dieser zu kurz, kann das System aus dem Gleichgewicht geraten, und es entsteht das Gefühl, die Kontrolle zu verlieren.
Dabei ist Nervosität nicht grundsätzlich negativ. Sie kann sogar zu Höchstleistungen verhelfen. Entscheidend ist, die Balance zwischen optimaler und blockierender Nervosität zu finden. Genau hier kommt die Atmung als Werkzeug ins Spiel, um die Anspannung zu regulieren. Die Atmung läuft automatisch, kann von uns aber bewusst gesteuert werden. Genau darin steckt die große Chance: Langsames, gezieltes Atmen entspannt und hilft, den Körper aus dem Alarmzustand zu holen.
Folgende Atemübung kann hier helfen:
- Einen kraftvollen Seufzer machen, um überschüssige Spannung abzubauen.
- Die Augen schließen und die Aufmerksamkeit ins Innere und auf die Atmung lenken.
- 4711-Atemtechnik anwenden: 4 Sekunden durch die Nase einatmen und 7 Sekunden durch den Mund ausatmen. Dies 11 Mal wiederholen.
Das verlängerte Ausatmen signalisiert dem Nervensystem, dass keine Gefahr besteht, und hilft, den Körper zu entspannen. Allerdings fehlt während eines Konzerts oft die Zeit für eine vollständige 4711-Session. Alternativ helfen anstatt 11 Wiederholungen auch schon ein paar wenige dieser verlängerten Ausatmungen (4 Ein, 7 Aus). Diese passen so gut wie immer zwischen zwei Musikstücke oder in Pausen während eines Stückes. Dies genügt oft schon, um Nervosität etwas zu reduzieren, ohne dass das Publikum es bemerkt.
Damit die 4711-Atemtechnik in einer schwierigen Situation gut funktioniert, sollte man sie regelmäßig trainieren. Optimalerweise integriert man diese Technik zum Beispiel fest in den Musikalltag und atmet zum Beispiel vor dem Üben, in einer Übe-Pause oder vor der Orchesterprobe.
Mona Köppen
Der erste Schritt ist zu überprüfen, ob es tatsächlich vorher gut war oder nur »okay«.
Hat man das, was man zeigen wollte, so gespielt, dass es technisch sicher war? Kurz: Hat man es im Übungsraum wirklich gekonnt? Mentaltraining hilft zwar, besser zu lernen und abzurufen, aber ich wiederhole mich gerne: Es ersetzt leider nicht das Üben.
Man kann sich selbst einfach überprüfen, indem man auf einer subjektiven Skala des inneren Wohlbefindens von -10 (kein gutes Gefühl) bis +10 (mega Gefühl), (0 = es ist ok) einordnet. Wo war man vor dem Auftritt? Wenn das Wohlbefinden vor dem Auftritt im Plusbereich lag und das Stück technisch sicher war, aber dennoch die Nervosität überwältigt, sollte man die Chance nutzen, die Situation nachträglich im Mentaltraining zu bearbeiten und zu analysieren – am besten unter Einbeziehung aller Aspekte des Bühnenauftritts. Das hilft dann, sich besser kennenzulernen, in Zukunft auf verschiedene Aspekte zu achten, und vor allem Techniken zur Emotionsregulation und Ressourcenstärkung zu erlernen.
Ich empfehle außerdem sehr, egal ob man sich gut fühlt oder nicht, ein mentales Warm-up vor dem Auftritt einzuplanen und es auch vor dem jeweiligen Üben als Routine zu etablieren.
So kann man sich im Ernstfall schnell regulieren, seine Ressourcen aktivieren und wieder in die Handlungskompetenz kommen. Das nennt man dann emotionale Resilienz.
Wie beim Spielen eines Instruments erfordert das allerdings auch ein gewisses Training.
Wenn die Nervosität dennoch zuschlägt, gibt es zusätzlich verschiedene SOS-Übungen, die man direkt auf der Bühne anwenden kann, um das Stresslevel zu senken.
Übung: Nah-Fern-Schauen
- Schaue fünf Sekunden lang auf die Lyra deines Notenständers oder alternativ auf einen Punkt in deiner Nähe (Effekt: Pupillen verengen sich).
- Richte dann deinen Blick fünf Sekunden lang durch die Lyra hindurch in die Weite (Effekt: Pupillen weiten sich).
- Denke dabei bewusst an deine »blockierende Nervosität« und die dadurch entstandenen Gedanken und Körperphänomene.
- Kombiniere diese Übung gerne mit der Resonanzatmung: Atme fünf Sekunden lang ein, während du in die Weite schaust, und fünf Sekunden lang aus, während du in die Nähe schaust.
- Das kannst du abwechselnd so lange machen, wie du die Zeit findest, etwa in einer Moderationspause.
Wer wissen will, warum diese Technik funktioniert, wer weitere SOS-Übungen oder ein ausführliches Mentaltraining braucht, um ein starkes Ressourcennetzwerk aufzubauen und das Emotionsmanagement zu verbessern – meldet sich gerne.
Leonhard Königseder
Nicht sofort denken, dass das nicht sein darf. Es ist völlig normal, dass wir in manchen Momenten auch mal mehr aufgeregt sind als sonst. Beim Thema Nervosität spielen viele Faktoren eine Rolle, sodass es gar nicht möglich ist auszuschließen, dass eines Tages plötzlich Nervosität aufkommt. Auf den ersten Blick oft auch ohne Grund. Also kämpfe nicht dagegen an, sondern akzeptiere es und arbeite mit der Nervosität, schließlich gibt sie dir Energie! Zudem finde ich wichtig, in solchen Situationen nicht zu erwarten, eine absolute Bestleistung abzurufen. Wenn dich die Nervosität eiskalt erwischt, gehe Kompromisse ein und sei nicht so streng zu dir. Spiele zum Beispiel lauter als sonst. Was immer das Spielen einfacher für dich macht, tu es!
In Momenten des Stresses kann es sein, dass du in eine Art »Schockstarre« verfällst. Das ist nicht optimal, weil du sehr fest wirst und auch wichtige Bewegungen vergisst. Tennisspieler:innen zum Beispiel bewegen ihre Beine nicht mehr, was eine Vielzahl von negativen Konsequenzen mit sich bringt. Bei Blasmusikerinnen und -musikern ist es die Luftführung, die wegbricht. In der Folge zittert der Ton, die Artikulation gelingt nicht oder hohe Töne sind nicht möglich. Denk also im Stress daran, viel Luft zu geben und locker zu sein. Versuche aktiv mit Bewegung gegen die Schockstarre zu arbeiten!
Folgende Fokusübung könnte dir auch helfen, dich im Moment zu beruhigen:
Stell dir vor, du sitzt in einem riesigen Konzertsaal, und in der letzten Reihe sitzt eine Person, die dich beruhigt. Sende dein Spiel dorthin! Weit weg, in die letzte Reihe dieses großen Saales. Vielleicht hilft es dir, dich auf etwas weit in der Ferne zu fokussieren. Damit lenkst du deine Aufmerksamkeit weg von deinem Körpergefühl und jeder Kleinigkeit deines Spiels.
Als Abschluss eine einfache, aber effektive Atemübung für Stresssituationen:
Atme tief durch die Nase ein und langsam durch den Mund aus. Wichtig ist, dass du nicht Brustatmung, sondern Zwerchfellatmung machst. Du machst es richtig, wenn sich nicht nur dein Brustkorb hebt, sondern zuerst der Bauch nach außen geht, weil du bis in den untersten Teil deiner Lunge atmest. Atme locker und versuche länger aus- als einzuatmen (Ausatmen aktiviert dein Beruhigungssystem). Wenn du magst, kannst du auch zählen: 4 Schläge einatmen, 12 Schläge ausatmen. Versuche, dies für 10 bis 15 Minuten zu machen und du wirst sehen, der Stress wird sich nicht mehr so intensiv anfühlen. Je mehr du Atemübungen übst, desto besser wird sie dir in Stresssituationen helfen. Dann reichen 2 bis 3 tiefe Atemzüge und du wirst ruhiger. Sollte es öfter vorkommen, dass du viel nervöser vor oder während deiner Auftritte bist, empfehle ich dir, dich zu fragen, wie es dir aktuell geht. Die Bühne gibt dir gerne ein Feedback, wie es dir als Mensch geht. Wenn du also häufig unter Nervosität leidest, würde ich dir empfehlen, genauer hinzuschauen, ob du auch privat viel Stress empfindest.
Haben Sie Fragen an unsere Experten? Allgemein zum Thema Mentaltraining oder auch ganz konkret zu einem Problem? Immer her damit – die Fragen werden natürlich vertraulich behandelt: mental@brawoo.de
Mona Köppen
In ihrer Akademie bildet Mona Köppen schwerpunktmäßig und spezialisiert Musiklehrer zum »Mentaltrainer für Musiker« aus. Im 1:1 Training bereitet sie Musikstudentinnen und -studenten mental auf Probespiele, Prüfungen und Auftritte vor und arbeitet mit ihnen an einer authentischen Wirkung beim Auftritt. Ihre Erfahrung als Metallblasinstrumentenmacherin und Musikerin runden ihr Spektrum für ein tiefes Verständnis über die Bedürfnisse der Musikerinnen und Musiker ab. Sie ist Therapeutin für Psychotherapie. (Foto: Eilert Akademie)


Peter Laib
Mentalcoach (MSc.) für Musikerinnen und Musiker, Diplom-Musiklehrer, Sousafonist bei »Moop Mama« und Tubist bei »Ernst Hutter & Die Egerländer Musikanten – Das Original«. (Foto: Jonas Becker)
Leonhard Königseder
Leonhard Königseder unterrichtet Schlagwerk und Drumset an der Musikuniversität Graz, sowie Mentaltraining an der Musikuniversität Wien. Er ist Psychologe, Sportpsychologe sowie Dipl. Mentaltrainer und Dipl. Fitnesstrainer. (Foto: Stefan Sukic)
