Orchestra | Von Cornelia Härtl

Michael Euler über die Ausbildung im Militärmusikdienst

Euler
Foto: Bundeswehr / Petra Leusmann

Werden junge Menschen zukünftig lieber etwas »Vernünftiges« lernen anstatt Musik zu ihrem Beruf zu machen? Diese Befürchtung hat Oberstleutnant Michael Euler, Leiter des Ausbildungsmusikkorps, nicht. Der aktuelle Ausbildungsbetrieb unter Corona-Auflagen ist für ihn dennoch eine Katastrophe. Wir sprachen mit ihm über die aktuelle Situation, die Sorgen seiner Studierenden und die Auswirkungen des vergangenen Jahres auf das Land der Dichter, Denker und Künstler.

Wie haben Sie das vergangene Jahr erlebt? Wie hat Corona den Betrieb beim Ausbildungsmusikkorps verändert? 

Das war das schlimmste Jahr, das ich je erlebt habe – eine reine Katastrophe! Ich war mehr damit beschäftigt, Hygienekonzepte zu verfassen und zu versuchen, den Dienst- und Ausbildungsbetrieb einigermaßen aufrechtzuerhalten, als mit musikalischen Dingen. Angefangen hat alles vor genau einem Jahr am Ende der Generalprobe für unsere jährlich stattfindende Konzertreise. Die Probe konnten wir noch durchführen, danach wurde uns mitgeteilt, dass alle Konzerte abgesagt werden. In unserer Ausbildung zum Orchestermusiker ist die Orchesterarbeit natürlich essenziell. Seit über einem Jahr haben wir jetzt keine Orchesterarbeit mehr machen können. Das ist katastrophal. 

Nach dem Lockdown im März 2020 war dann mein erster Schritt, zu überlegen, wie schnell und unter welchen Voraussetzungen man wieder hochfahren kann, damit die Studierenden in Uniform zumindest wieder einigermaßen unterrichtet werden können. In enger Abstimmung mit der Robert-Schumann-Hochschule in Düsseldorf haben wir zunächst auf Online-Unterricht umgestellt. Später, nach Umsetzung der ersten Hygienekonzepte, konnten die Studierenden teilweise auch wieder abwechselnd Präsenz-Unterricht wahrnehmen. Es folgte Kammermusik – natürlich mit Luftreiniger, Trennscheiben und allen möglichen anderen Vorsichtsmaßnahmen. 

Natürlich haben wir unseren Ausbildungsbetrieb in den letzten zwölf Monaten immer wieder den aktuellen Begebenheiten anpassen müssen. Zurzeit bieten wir hier vor Ort die Möglichkeit, Präsenz-Unterricht wahrnehmen zu können.

Die Ausbildung der Musikstudierenden, die eigentlich jetzt im Sommer ihren Abschluss machen würden, haben wir mittlerweile um ein Semes­ter verlängert. Wer möchte und sich dazu in der Lage fühlt, kann jedoch den Abschluss auch im Sommer machen, aber guten Gewissens empfehlen kann ich das nicht. Damit haben wir uns den Vorgaben der Musikhochschule ­angepasst. Schließlich haben alle Studierenden seit einem Jahr keine Orchesterproben mehr, kein Ensemble und keine Kammermusik. Und wenn ich Orchestermusiker werden möchte, dann ist die Orchester- bzw. Ensemblearbeit entscheidend – und nicht nur, dass ich das Klarinettenkonzert von Mozart spielen kann. 

Wie sieht der studentische Alltag aus?

Die Musikhochschule Düsseldorf hat vorgegeben, dass Einzelunterricht in gegenseitigem Einverständnis wieder stattfinden kann. Da wir von der Infrastruktur und den Räumlichkeiten hinsichtlich Hygienekonzept in der Waldkaserne in Hilden nahezu optimal aufgestellt sind, hat die Hochschule dem Lehrpersonal sogar empfohlen, die Studierenden hier zu unterrichten. Konkret bedeutet das: Momentan haben wir vier Jahrgänge in der Ausbildung hier vor Ort. Die “Kleinen”, die sich gerade auf die Eignungsprüfung vorbereiten, habe ich komplett in Präsenz hier. Die höheren Jahrgänge sind nach Absprache mit ihrem Lehrer oder ihrer Lehrerin für den Hochschulunterricht hier vor Ort und befinden sich ­ansonsten im Homeoffice, also zu Hause beim Üben.

Theorie- und auch alle anderen Gruppenunterrichte finden online statt. Dadurch, dass wir hier für zurzeit 90 Studierende 60 Einzel-Übe­räume und 33 Unterrichtsräume haben, sind manche aber auch unabhängig vom Unterricht gerne hier – denn hier stören sie beim Üben keine Nachbarn. Die Bedingungen sind optimal: Wir haben zig Plexi­glas­scheiben gekauft, literweise Desinfektionsmittel, Luftreiniger mit HEPA-H14-Filtern und im Kammermusiksaal sowie im großen Probenraum haben wir eine Lüftungsanlage, die absolut coronakonform funktioniert.

Was sind die Sorgen und Nöte Ihrer Studierenden?

Die größte Sorge ist tatsächlich, dass sie nicht in der Gemeinschaft musizieren können und dass sie das vielleicht sogar verlernen. Das Thema Einzelunterricht funktioniert wunderbar. Aber das, was der Kern unserer Ausbildung ist – nämlich die Orchester- bzw. Ensemblearbeit –, fällt ja im Moment weg. Und darunter leiden sie – sowohl musikalisch als auch menschlich. Der Wunsch, in der Gruppe zu musizieren, ist unglaublich groß. Meine Studierenden haben mich während des Lockdowns regelrecht bekniet, ob es vielleicht nicht doch eine Möglichkeit gäbe, im Ensemble zu musizieren. Für die Musik ist dieser Zustand momentan eklatant, denn Musik macht man nicht allein, sondern immer in der Gemeinschaft. Musik ist ein Gemeinschaftserlebnis. Und das geht uns gerade massiv verloren. Es wird lange dauern, bis wir das wieder neu erlernen. Deutschland war immer ein Land der Dichter, Denker und der Künstler. Und was ist Deutschland jetzt? Ich weiß es nicht… 

In einer der ersten Corona-Verordnungen des Landes Nordrhein-Westfalen war im Anhang eine Reihenfolge zu lesen, welche Maßnahmen wen wann und wie betreffen. Die Kultur kam ganz am Ende dieser Liste, nach Tattoo- und Piercing-Studios sowie Bordellen. Das hat mich wirklich schockiert. Da muss man sich doch auch überlegen, was wichtig ist für die Seele… Der Weg, den wir da gerade gehen, ist aus meiner Sicht sehr gefährlich. Man mag viele Menschen vor dem Tode retten, aber was mit unserer Psyche passiert, was mit unserer Seele, das mag ich mir gar nicht vorstellen.

Glauben Sie, dass diese Krise junge Menschen künftig davon abschrecken wird, Musik zu ihrem Beruf zu machen?

So weit möchte ich nicht gehen. Wenn ich Musik zu meinem Beruf mache, dann weiß ich, dass ich mich auf etwas einlasse, das mich sieben Tage die Woche fesselt – natürlich auch fordert, aber vor allem fesselt! Wenn ich eine so leidenschaftliche Entscheidung getroffen habe, also wenn ich aus tiefstem Herzen Musikerin oder Musiker werden möchte, dann kann mich nichts davon abhalten. 

Was ich viel schlimmer finde, ist, dass durch diese Entwicklung das breite Musik-Angebot in Form von Musikschulen oder Musikvereinen kaputt gemacht wird, also vor allem der Amateurmusikbereich. Durch die aktuellen Maßnahmen – die ja mög­licher­weise auch tatsächlich nötig sind, das vermag ich nicht zu beurteilen – werden die Vereinslandschaft, die Musikschulen und das private Musizieren einen erheblichen Schaden nehmen. Da sollte man in der Politik meiner Meinung nach den Kultur­bereich schon gesondert betrachten und ihm endlich viel mehr Beachtung schenken!

Inwiefern? 

Letztendlich ist es doch so: Überall dort, wo Menschen sich an die Regeln halten, ist das Infektionsrisiko relativ gering. Wo Menschen sich nicht daran halten, ist es sehr hoch. Wenn ich also wirklich ein vernünftiges Hygienekonzept habe, sollte es doch möglich sein zu öffnen, oder etwa nicht? Also warum gebe ich die Verantwortung nicht einfach weiter? Wenn der Leiter einer Musikschule die Möglichkeiten hat, Präsenz-Unterricht unter Corona-Auflagen durchzuführen, sollte er das doch tun dürfen. Und wenn es an einer anderen Musikschule nicht möglich ist, kann man dort natürlich auf Online-Unterricht umsteigen. Zwar werden dann nicht alle Schülerinnen und Schüler gleich behandelt, aber so wäre zumindest für alle Beteiligten in jeder Situation die beste Lösung geschaffen. Wir müssen alle Verantwortung übernehmen! Und wenn das jeder wirklich tut und nach bestem Wissen und Gewissen handeln würde, wäre sehr viel mehr möglich.

Sie kooperieren ja mit der Robert-Schumann-Hochschule in Düsseldorf. Lassen sich an der Zahl von Neueinschreibungen bereits Auswirkungen der Corona-Krise erkennen?

Bei uns im Ausbildungsmusikkorps leider ja, wir haben tatsächlich einen Rückgang an Bewerberinnen und Bewerbern zu verzeichnen. Ich hätte gedacht, dass vor allem vor dem Hintergrund dieser Krise der Militärmusikdienst als sicherer Arbeitsplatz sogar deutlich an Attraktivität gewinnt. Hinzu kommt ja, dass man bei uns das komplette Studium bezahlt bekommt und zusätzlich von Anfang an ordentlich Geld verdient. Man bekommt jedes Instrument zur Verfügung gestellt, das man haben möchte, und man bekommt einen tollen Unterricht, der weit über das klassische Studium hinausgeht. Beispiel: Jemand, der bei uns klassische Trompete studiert, erhält außerdem Unterricht in Jazz-, Bigband- und Egerländer-Stilistik. Außerdem unterrichten wir Entspannungsübungen wie Yoga, Alexandertechnik und vieles mehr. 

An der Robert-Schumann-Hochschule insgesamt sehen wir solche negativen Entwicklungen nicht, das lässt sich aber auch nicht vergleichen, weil hier ja auch viele Bewerberinnen und Bewerber aus dem Ausland kommen. Weltweit gilt in dieser Branche immer noch: Wer etwas auf sich hält, studiert in Deutschland.

Inwiefern sind die Orchester der Bundeswehr allgemein von der Krise betroffen? Befürchten Sie größere Sparmaßnahmen?

Da müssen Sie unseren Bundesfinanzminister Olaf Scholz fragen. Mich wundert es natürlich – wie viele andere auch –, wie viel Geld wir plötzlich zur Verfügung haben. Aber ob das Auswirkungen auf den Militärmusikdienst haben wird, kann ich Ihnen nicht sagen. Momentan sind wir sehr gut aufgestellt, vor ein paar Jahren haben wir mit dem Marinemusikkorps Wilhelmshaven ja sogar noch ein Orchester dazubekommen. Wir können uns momentan also wirklich nicht be­klagen, ich würde sogar behaupten, dass der Militär­musik­dienst noch nie so gut dastand wie jetzt. Ich könnte mir schon vorstellen, dass wir nach Corona an der ein oder anderen Sparschraube drehen müssen, aber das wird dann vermutlich nicht nur den Militärmusikdienst betreffen. 

Was würden Sie sich wünschen? Von der Politik, aber auch ganz im Allgemeinen…

Von den Politikerinnen und Politikern wünsche ich mir, dass sie mit Augenmaß und gesundem Menschenverstand diese Krise bewältigen. Der gesunde Menschenverstand geht mir gerade ­immer mehr verloren – allerdings nicht nur in der Politik. Ich persönlich wünsche mir, dass ich so schnell wie möglich wieder vor meinem Orchester stehen kann, und zwar unter einigermaßen normalen Bedingungen – vielleicht mit Abstand und Luftfilter, aber ohne Plexiglasscheibe, ohne Ploppschutz, ohne Mundschutz. Das ist mein aller­größter Wunsch. Ich möchte wieder ins Konzert gehen, ins Theater, ich möchte das erleben, was Deutschland groß gemacht hat, was Deutschland ausmacht – nämlich Musik, Kunst und Kultur! Das ist Deutschland, das hat Deutschland immer besonders gemacht und das möchte ich wieder erleben.