Brass, News, Orchestra, Wood | Von Klaus Härtel

Michael T. Otto und die Muschel aus dem Drucker

Muschel

Michael T. Otto ist Pädagoge, Komponist, Arrangeur und Gründer von “Stubenjazz”. Seine Leidenschaft gilt darüber hinaus dem Tüfteln und Basteln. So entwickelt er zum Beispiel mit dem Musikinstrumentenbauer Fritz Lüttke Trompeten und Flügelhörner, ist Erfinder unter anderem des Whisper-Penny, eines Dämpfers aus Bierflaschen, eines Reise-Didgeridoos… Sein neuester Clou: eine Muschel aus dem 3-D-Drucker, die sogar der “Muschelpapst” Steve Turre hellhörig werden ließ. Samt Muschel besuchte Michael T. Otto nun die Redaktion.

Muschelhörner (oder zoologisch korrekt Schneckenhörner) werden schon seit der Jungsteinzeit geblasen. Eher als Signalhörner oder im Rahmen religiöser Ri­tuale denn als Musikinstrument der Musik wegen. Der Klang ist eigen, im Piano durchdringend und der Kenner Steve Turre schreibt, er ähnele dem der menschlichen Stimme. Michael T. Otto greift mit der rechten Hand ins Innere des Gehäuses, setzt das Instrument an die Lippen und gibt eine akustische Kostprobe, demonstriert schnelle Ton­folgen, Dynamik, spielt mit der Luftführung. Wenn man nicht wüsste, dass diese Muschel zunächst in Ottos Fantasie und dann am Com­puter und schlussendlich im 3-D-Drucker entstanden ist, würde man sie für “echt” halten, ­erstanden vermutlich auf irgendeinem Basar in Fernost. 

Otto
Michael T. Otto

Otto nämlich hat seine Muscheln bislang auf Reisen erstanden, in Spanien etwa oder in Südfrankreich. Und ständig hatte er dann Probleme mit dem Zoll. “Artenschutz ist wichtig und richtig”, findet der Musiker. Das bedeutet aber auch, “wenn du mit so einer Muschel auf der Bühne stehst, kann es gefährlich werden. Sie ist ein Eyecatcher.” Viele Leute, die Muscheln kaufen, wissen nicht, dass die meisten unter Artenschutz stehen. “Und das ist kein Kavaliersdelikt”, weiß Otto. “Wenn du Muscheln im Handgepäck hast, kann dich das schnell 7000 Euro Strafe kosten, in manchen Ländern kommst du gleich in den Knast…” Und deshalb war der Haupt­aspekt für die Entwicklung der “künstlichen ­Muschel” eben der Artenschutz. “Ich war beispielsweise in den USA und hätte gerne die ­Muscheln mitgenommen. Das war undenkbar.”

Ein Jahr lang hat Otto getüftelt, gemacht, getan

“Und dann ging es los”, lacht er. Und schränkt gleich ein: “Schnell geht da natürlich gar nichts.” Ein Jahr lang hat Otto getüftelt, gemacht, getan. Die Idee, einen 3-D-Drucker zu verwenden, kam dem 52-jährigen Musiker recht schnell. Zumal solch ein Schneckengehäuse von außen betrachtet relativ einfach gestaltet ist. “Das scanne ich einfach ab und das Innenleben bastel ich mir.” Er habe sich sich dabei eine Art Mini-Travel-Didgeridoo vorgestellt. “Funktionierte nur bedingt…” Otto lacht. 

Ein Bekannter, der gelernte Industriemechaniker und 3-D-Druck-Experte Manuel Brombeis (“Die Welt des 3-D-Drucks ist unsere Heimat”) fand: “Du musst für das Innere die Natur als Vorbild nehmen.” Denn die Charakteristik einer solchen Muschel sei einzigartig. Das klang zwar einfach – war es aber nicht. Am Ende der Überlegungen wurde schließlich das Original geröntgt. “Das war eine ziemlich aufwendige Geschichte”, erklärt Otto. Für eine halbe Stunde kam die “Mutter-Muschel “also “in die Röhre und wurde von allen Seiten duchleuchtet. Nach einer halben Stunde Kernspin bekommst du eine echt mäch­tige Datei – unser Kapital.”

Muschel

Mit diesen Daten wird dann gedruckt. 20 Stunden lang. Schicht für Schicht wird das Acrylnitril-Butadien-Styrol-Co­polymer aufgetragen. Dass das das gleiche Material ist, aus dem die Lego-Steine gefertigt werden, mutet beim Bastler und Tüftler Otto fast logisch an. Fertig ist das Musikinstrument dann aber noch ­lange nicht. Denn jetzt erst gehts an die Veredelung. “Das Muschelhorn wird mit einem exklusiven Verfahren geglättet”, heißt es auf der Website der “Flüsterei”, über die Ottos Produkte vertrieben werden. Was da genau passiert, wird natürlich nicht verraten. 

Die Haptik der Muschel ist beeindruckend

Die Haptik ist beeindruckend. Leicht glänzend und mit der glatten Oberfläche liegt das Instrument sehr gut und angenehm in der Hand. Anders als es das Roh-Instrument bereithält, braucht man zum Spielen eine gewisse Masse. “Das ist tricky und nicht zu unterschätzen”, erklärt der Bastler. Denn natürlich verändern sich Klang und Ton mit der Veredelung. Vorteil der künstlichen Muschel: Man kann sie stimmen – beim Naturprodukt nur schwer machbar, weil man diese ja oben irreversibel kappt, um auf ihr spielen zu können. Die 3-D-Muschel kann Michael T. Otto in den Stimmungen vom e¹ bis zum c² anbieten. Ein weiteres Plus: Man kann die “Mutter­-Muschel” spiegeln und somit eine Linkshänder­muschel erstellen. Farblich, gesteht der Tüftler, sei er eher spießig: “Das Ding muss weiß sein.” Er lacht. “Natürlich kann die Muschel auch in Blau, Grün oder Violett hergestellt werden – das kostet dann aber extra…”

Die 3-D-Muschel ist ein bisschen leichter als die Natur­muschel, aber auch hier gibt es Möglichkeiten der Bearbeitung. Ein schwereres Pro-Modell wird ebenfalls bald erhältlich sein. Der Klang ist mit dem einer Naturmuschel nahezu identisch. In Serie geht Michael T. Otto vorerst nicht. Er liefert auf Bestellung und fordert Interessentinnen und Interessenten auf, das Instrument zu testen. 

Wo wird das Instrument eingesetzt?

Es sei aber zum Schluss noch die Frage gestattet: Welchen Einsatzbereich haben Muschel- oder Schneckenhörner? Es gebe Muschelchöre, ganze Orchester, Wettbewerbe, erzählt Otto. Steve Turre hat die Muschel als ernstzunehmendes In­stru­ment im Jazz in völlig neue Sphären gehoben. Genregrenzen gibt es keine – und nun völlig neue Möglichkeiten. Als Gag oder zusätzliche musikalische Note ist eine Muschel immer einsetzbar. Bei Konzerten mit “Stubenjazz”, weiß Otto, “werden beim Einsatz der Muschel die meisten Handys gezückt.”

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