Michael Geiger, Generalsekretär der WASBE Deutschland, reiste im Dezember zur Midwest Clinic. Nach seiner Rückkehr haben wir ihn zu seinen Erlebnissen befragt. Die Midwest Clinic – International Band and Orchestra Conference – ist eine Konferenz zur Instrumentalmusikausbildung und zieht jährlich etwa 17 000 Teilnehmerinnen und Teilnehmer aus allen US-amerikanischen Bundesstaaten und aus bis zu 40 Ländern an. Sie findet jedes Jahr im Dezember in der Innenstadt von Chicago statt.
Was sind die ersten Gedanken, die einem in Chicago durch den Kopf gehen?
In Chicago leben 2,7 Millionen, in der Metropolregion 9,6 Millionen Menschen. Vom Restaurant im obersten Stock des Hancock Towers aus beispielsweise wird das Ausmaß einer solchen Megacity deutlich. Gerade bei Nacht kann man ein eindrucksvolles Lichtermeer so weit das Auge reicht mit dem Lake Michigan im Osten, der eher einem Meer als einem See gleicht, bestaunen. Die kulturelle Vielfalt der Menschen erzeugt ein riesiges Angebot. Institutionen wie das Chicago Symphony Orchestra, das Chicago Theater oder das Art Institute of Chicago sind Leuchttürme der nationalen und internationalen Hochkultur. Aber auch bis zur Kleinkunstbühne, die kulturelle Nischen bedient, ist hier für jedermann etwas dabei. Historisch betrachtet spielt der Jazz in Chicago eine große Rolle und es gibt zahlreiche Jazz-Clubs. Wenn man sich für Kultur interessiert, kann man schon neidisch werden.
Die Midwest Clinic ist groß. Hatten Sie sich etwas Konkretes vorgenommen, als Sie dort hingereist sind?
Ich war zum ersten Mal 2019 dort und hatte alles noch gut in Erinnerung. Daher wusste ich in etwa schon, welche Clinics oder Konzerte für mich sinnvoll sind. Während ich 2019 versucht habe, möglichst viele Clinics zu besuchen, habe ich mich im vergangenen Jahr auf deutlich wenigere mit internationalen Größen der Blasmusik- und Jazzszene beschränkt. Es ist schlichtweg nicht möglich, alle Clinics, die einen interessieren, zu besuchen. Auf der anderen Seite habe ich auch mehr versucht, mit Kollegen ins Gespräch zu kommen. Internationaler Erfahrungsaustausch ist immer eine tolle Sache!
In welcher Funktion sind Sie dort hingereist? Als studierter Trompeter, als Pädagoge, als Dirigent, als Arrangeur oder als WASBE-Funktionär?
Von allem ein bisschen! Man kann das nicht trennen. Ich bin Musiker. Man trifft dort Gott und die Welt. Aus Sicht eines Trompeters und Trompetenlehrers gibt es alleine schon jede Menge zu sehen. Dort tummeln sich internationale Größen der Szene und es gibt Clinics für jede Leistungsstufe des Instruments. Dasselbe gilt für Dirigenten und Arrangeure. Wobei man auch immer dazu sagen muss, dass diese Clinics sehr allgemein gehalten sind. In der Kürze der Zeit und bei dem breiten Publikum, das angesprochen werden soll, ist das aber auch nachvollziehbar. Als Generalsekretär der WASBE-Sektion Deutschland habe ich auch mal einige internationale Funktionäre und Mitglieder kennengelernt.
Was können Sie ganz konkret nennen?
Im vergangenen Jahr gab es eine Clinic mit Jamie Aebersold, einem der wichtigsten Jazz-Pädagogen. Nachhaltig beeindruckt haben mich die sogenannten “Special Events”: Konzerte und Clinics mit der Count Basie Big Band und der Brass Band of Battle Creek. Es gab aber auch Überraschungen wie die Konzerte eines College-Orchesters, das auf einem hervorragenden musikalischen und technischen Niveau »Le sacre du printemps« gespielt, oder das Chicago Jazz Philharmonic, das Jazz und Klassik auf eindrucksvolle Weise vereint hat.
Können wir in Mitteleuropa etwas von den Amerikanern lernen? Oder die von uns?
Die musikalische Ausbildung findet in den USA größtenteils an den Schulen und Universitäten statt. Es ist schwierig, aus zweiter Hand zu beurteilen, ob es sinnvoll und möglich wäre, dieses System teilweise oder gänzlich auf unser Schulsystem zu übertragen. Diese Fragestellung wäre für ein kurzes Interview auch zu komplex. Ich kann mich nur auf die Berichte der dortigen Kollegen und das, was ich in Chicago gehört und gesehen habe, stützen. Voll besetzte Schulorchester in allen Leistungsstufen wären bei uns natürlich auch erstrebenswert.
Ich habe einige Highschool-Blasorchester (nicht College!) gehört, die sich vor unseren besten Amateur-Blasorchestern nicht verstecken müssen. Das muss doch bei uns auch flächendeckend möglich sein! Aber das ist sicherlich auch in den USA nicht repräsentativ. Und ich denke, dass unser System mit öffentlichen Musikschulen und Vereinen auch seine Vorteile hat. Letztendlich wäre wohl eine Mischung der beiden Systeme, also eine bessere Zusammenarbeit zwischen den Institutionen bei uns in Deutschland, wünschenswert.
In den Clinics wurde aber auch deutlich: Die Amerikaner kochen auch nur mit Wasser. Gerade in Bezug auf den Instrumentalunterricht konnte ich die angesprochenen Probleme immer eins zu eins nachvollziehen.
WASBE-Generalsekretär Michael Geiger
Michael Geiger (*1988 in Wertheim am Main) studierte Jazz-Trompete (künstlerisch undkünstlerisch-pädagogisch) bei Prof. Hans-Peter Salentin an der Hochschule für Musik Würzburg sowie Blasorchesterleitung (Master) bei Prof. Ernst Oestreicher und Dr. Frank Elbert ebenda.Er ist Schulleiter der Musikschule Werbach e.V., unterrichtet Blechblasinstrumente an der Städtischen Musikschule Wertheim, leitet mehrere Bläserklassen und Jugendorchester, die Musikkapelle Dertingen sowie das Sinfonische Blasorchester Lengfurt. Außerdem ist er als Arrangeur tätig.Sein besonderes Interesse gilt der Neuen Musik. Im Jahr 2018 initiierte er gemeinsam mit demKomponisten Hubert Hoche in Kooperation mit der Städtischen Musikschule Wertheim das wohleuropaweit einzigartige Blasorchester „NEW EARS“, das sich ausschließlich zeitgenössischerBlasorchesterliteratur widmet.