Wood | Von Klaus Härtel

Milan Turković über die verbindende Kraft der Musik

Turković
Milan Turković (Foto: Kmetitsch)

Gleich vorweg: “Pausentöne” ist ein unterhaltsames Buch. Milan Turković fragt sich in seinem Vorwort selbst, ob vor dem Hintergrund des aktuellen Ukraine-Krieges solche “zum Teil lockeren und auch Beiläufigerem zugewandten Texte aus der Zeit gefallen” seien. Das kann man klar verneinen, denn stets schlägt er auch nachdenkliche Töne an. Wir haben den Au­toren telefonisch in Wien erreicht und sprachen mit ihm auch über die verbindende Kraft der Musik.

Sein Deutsch ist wienerisch gefärbt, als er gleich beim zweiten Klingeln das Gespräch annimmt. Sein “Pünktlich wie die Bundesbahn!” lässt einen zunächst stutzen – das hinterhergeschobene “die österreichische!” erklärt den Vergleich. Er lacht. Der 81-Jährige ist sehr gut gelaunt. Offensichtlich unterhält er sich gerne, ohne ein bloßer Unterhalter zu sein. Zu vielen Themen hat er eine klare Meinung. 

Die nachdenklichen Untertöne in “Pausentöne” legen die Frage nahe, ob er ein politisch denkender Mensch sei. “Ich bin kein Politiker – ich bin Musiker!” entgegnet er vehement. Doch trotzdem (oder gerade deshalb) hat er als Musiker eine deutliche gesellschaftspolitische Meinung. Da werden keine Klippen umschifft, um Unbequemes zu meiden, das ist kein “Wischiwaschi”, Turković äußert sich ganz direkt. Dass Donald Trump der “merkwürdigste US-Politiker der jüngsten Geschichte” ist, mag da als Faktum gelten. Er hat eine klare Meinung zur Zukunft der klassischen Musik (“Wir Klassiker lernen ständig dazu, um gehört und gewollt zu werden”), zur Sprache (“Unser wehrloses Opfer”) und zum Internet (“Kommunikationsretter”). “Die Vollbremsung des bis dahin lebendigen Lebens­flusses im März 2020 regte an, zusätzlich über die schönen und weniger guten Entwicklungen unseres gesellschaftlichen Zusammenlebens nachzudenken.”

Pausentöne als Ergebnis von Corona

Und so ist “Pausentöne” – Turković’ sechstes Buch – auch ein Ergebnis von Corona. “Mitten im regen Treiben des Konzertlebens kam der plötzliche Stillstand”, erklärt er. Professionelle Musikerinnen und Musiker seien in der Regel auf das Reisen angewiesen, doch jetzt war man plötzlich zu Hause. Was kann man da tun? “Daumen drehen, Balkonkonzerte geben, sich Ge­danken machen, Bücher schreiben.” Das Reisen an sich, erzählt er, habe er erst einmal gar nicht vermisst. Erst nach einer Weile habe sich ein gewisses Fernweh eingestellt. Er gibt zu: “Mir ging es aber auch gut – mit meinem Garten und meiner Gelassenheit, die vermutlich dem Lebensalter geschuldet ist. Es war ja ein schönes, ein warmes und ein trockenes Frühjahr.”

Milan Turković denkt an die vielen jüngeren Musikerinnen und Musiker, die es nicht so gut hatten. Denn gerade die seien auf Konzerte angewiesen – “nicht nur aus finanziellen Gründen, sondern auch um auf der musikalisch-kulturellen Landkarte zu bleiben”. Er habe Freunde in den USA, die von der Metropolitan Opera “vom einen auf den anderen Tag entlassen wurden. Da war es ja fast schon angenehm, wenn man wie die Münchner Philharmoniker ‘nur’ in Kurzarbeit musste.” 

Doch je länger Turković seinen Garten genießen durfte, desto mehr dachte er über das Reisen nach. “Normalerweise steht da ein Koffer herum, der immer halb gepackt ist. Nun war gar kein Koffer mehr nötig…” Er erzählt und schwärmt (und schreibt davon auch ausführlich in seinem Buch) von seinen zahlreichen Auslandserlebnissen. Er berichtet von “merkwürdigen Konstellationen” in China oder von einer Nordamerika-Tour, als er “binnen 30 Tagen 25 Konzerte in 25 Städten” spielte.

Kann Musik die Welt verändern? “Nein!” sagt Turković

In Japan kam es fast zur diplomatischen Irritation, weil ein Tenor krank war und trotzdem singen sollte. “Ich war wütend, denn als Dirigent lag die Hauptverantwortung schließlich bei mir. Und ich schlug – wie man so schön sagt – einen Krach. So etwas macht man in Japan nicht! Solches Verhalten – sollte es nur ein Minimum an Berechtigung besitzen – impliziert den oft zitierten Gesichtsverlust auf der anderen Seite.”

Auf die Frage, ob denn Musik die Welt verändern könne, antwortet Milan Turković sehr schnell: “Nein! Leute, die so etwas behaupten, geben sich einer Illusion hin. Leider ist es eine Utopie, wenn man meint, Kultur könne bahnbrechend Frieden zwischen den Nationen stiften.” Und doch wird deutlich, – wenn vielleicht auch zwischen den Zeilen – welche große gesellschaftspolitische Bedeutung der Musik beigemessen werden kann. Natürlich sei “Musik dazu im­stande, Völkerverständigung zu realisieren, das Verständnis füreinander aufzubauen – wenn man sich an die Spielregeln hält”. 

Doch das ist für den 81-Jährigen keine neue Erkenntnis. “Das lehrt uns die Musikgeschichte ohnehin! Wenn Joseph Haydn in London wirkt, Wolfgang Amadeus Mozart nach Mannheim reist oder Lorenzo da Ponte nach New York – dann ist das nicht nur bemerkenswert mit dem Wissen der heutigen Technologie und den Reise­möglich­keiten, sondern zeigt auch die verbindende Kraft der Musik.” Oder wenn er als Wiener daran denke, welche weltumspannende Bedeutung das Neujahrskonzert der Wiener Philharmoniker hat. Utopie hin, Illusion her – »es ist ein Faktum, dass Musik – gehört und gespielt – Glückshormone ausschüttet«. Und dementsprechend im Menschen etwas auslöst.

Dabei ist es zunächst einmal zweitrangig, über welche Musik man spricht. Und auch wenn ­Milan Turković manche Entwicklungen kritisch sieht, über die Zukunft der Klassik macht er sich keine Sorgen: “Die Klassik ist so vielfältig wie nie zuvor!” Allein den Umgang mit der Sprache bedauert er. Dialekte verschwinden, selbst “öster­reichisches Hochdeutsch”. Mit manchen Anglizismen hat er ebenfalls so seine Probleme. Der BRAWOO – noch so ein Anglizismus! – hat er trotzdem sehr gerne ein Interview gegeben. Er lacht.