Der Bassist Charles Mingus war einer der fantasievollsten Komponisten in der Geschichte des Jazz. Schon auf seinen frühen Platten in den 1950er Jahren brauchte er meistens drei, manchmal sogar sechs Bläser in der Band, um alle Ebenen seiner Stücke klanglich umzusetzen.
Ständig fielen ihm dann noch weitere Gegenstimmen ein, die er in die Musik einbauen wollte. Manchmal sang er eine plötzliche Idee auch mitten in der Aufführung eines Stücks, und einer seiner Bläser musste sie spontan aufgreifen.
Als einmal ein anderer Bandleader Mingus’ Kompositionen einspielte, tauchte Mingus im Studio auf und instruierte die Bläser. Der Saxofonist Zoot Sims erzählt: »Er rannte herum, raunte uns zu, was wir tun sollten. Er kam zu den Saxofonen herüber und summte uns leise etwas vor: ›Und das spielt ihr hier hinter der Posaune.‹«
Auch seine Arrangeure hatten es nicht leicht mit ihm. Der Pianist Sy Johnson erinnert sich: »Mingus wollte Schichten um Schichten von Material, die ich über die originale Musik drüberlegen sollte.«
Charles Mingus´ musikalisches Erbe lebt auch in anderen Formationen weiter
Mingus’ Kompositionen sind jedenfalls vielstimmig und vielfältig genug, um Generationen von Bläsern weiter zu beschäftigen. Nach seinem Tod (1979) haben sich gleich mehrere Ensembles ganz dieser Musik gewidmet, darunter eine »Big Band Charles Mingus«, die Formation »Mingus Dynasty« (mit vier Bläsern) und die bis heute bestehende, von Mingus’ Witwe geförderte »Mingus Big Band«.
Die bislang umfangreichste Aufarbeitung seiner Musik bot Gunther Schullers Projekt »Epitaph« (1990), bei dem teilweise 22 (!) Bläser zum Einsatz kamen. Daneben gab und gibt es auch jede Menge einzelner Projekte, die Mingus’ Bläser-Visionen auf ihre jeweils eigene Art umsetzen – der Fantasie sind da keine Grenzen gesetzt.
Bläsersextett von Roberto Ottaviano
Eines der originellsten Mingus-Projekte war ein Bläsersextett, das der italienische Jazzsaxofonist Roberto Ottaviano 1988 zusammenstellte. Die Kombination der Blasinstrumente dürfte dabei ziemlich einmalig sein: Oboe, Klarinette, Saxofon, Posaune, Horn und Tuba.
Die sechs Musiker setzen neben ihrem Hauptinstrument auch noch Zweitinstrumente ein: Bassklarinette, Flöte und Zugtrompete. Eine Rhythmusgruppe war nicht nötig, Puls und Harmonie lieferten die Blasinstrumente selbst.
Die acht Arrangements, die sich das Sextett selbst geschrieben hat, bewegen sich stilistisch zwischen Choral, klassischem Satz, Swing und Free. Grenzüberschreitungen vom Seriösen ins Schrille und wieder zurück haben hier Methode.
Mingus und die Satire
Auch ein Hauch italienischer Commedia dell’Arte spielt herein: klangfarbliche Übertreibungen, extreme Gegensätze, bizarre Instrumentationen, satirischer Humor.
Besonders geeignet für die Satire sind Mingus’ bissig-ironische Komposition »Fables Of Faubus« oder die Blues-Nummern »Nostalgia In Times Square« und »Boogie Stop Shuffle«, deren Zwölf-Takt-Traditionalismus hier komisch verfremdet wird. Die wichtigsten Solisten sind Roberto Ottaviano selbst (Alt- und Sopransaxofon) und Sandro Cerino (vor allem Bassklarinette).
Ein interessanter Vergleich: Mingus und Mobiles
Die Genre-Übergänge und Kehrtwendungen in der Musik seines Sextetts verglich Ottaviano 1988 mit den Kunst-Mobiles von Alexander Calder, die immer wieder neue, dynamische Ansichten bieten. Daher der Bandname: »Six Mobiles«.
Calder beschrieb seine mobilen Kunstwerke einmal so: »Verschiedene Bewegungen von unterschiedlicher Art, Geschwindigkeit und Reichweite, untereinander kombiniert, ergeben ein Ganzes.«
Ottaviano sah darin auch eine Parallele zur wandelbaren Persönlichkeit von Charles Mingus, der einmal von sich sagte: »Ich bin drei.« Mingus-Vexierbilder aus Bläserklang: Das Album »Portrait in Six Colors« steckt voller Aha-Effekte.
Als hätte der Mobile-Künstler Alexander Calder die Musik des Sextetts gehört, schrieb er einmal: »Wenn alles klappt, ist ein Mobile ein Stück Poesie, das vor Lebensfreude tanzt und überrascht.«